<span class="MailHeader4_98F329BE-E7D1-46AE-A08C-B8679E86ECF9">Wien/Grüne: Das Ende einer Ära</span>
Von:  akin <akin.redaktion@gmx.at>
Sende-Uhrzeit:  11.18.2020 01:23:07 PM
An:  akin.redaktion@gmx.at
Betreff:  Wien/Grüne: Das Ende einer Ära
 
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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 18. November 2020; 13:19
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Wien/Grüne:

> Das Ende einer Ära

Das Klima war bei den Wiener Grünen auch schon mal besser

Ich gestehe, ich war sprachlos, als das über die Ticker kam. Vorher hab ich
das ja nur für das gezielte Aufkochen von Gerüchten durch den Boulevard
gehalten, daß die Wiener Grünen nach geschlagener Wahl ihre
Spitzenkandidatin wieder absägen. Nein, das tun die doch nicht, da gabs doch
dieses Bramburium einer doch recht seltsamen Vorwahl, aus der dann Birgit
Hebein als Siegerin hervorgegangen ist. Sie ist ja dadurch nicht zur
Vizebürgermeisterin und auch nicht zur Parteichefin gewählt worden, sondern
zur Ersten auf der wienweiten Liste für genau dieser Wahl. Da ist doch klar,
daß sie Anspruch auf den Klubchefsessel oder einen Senatsposten hat. Wenn
die Grünen sie jetzt in die hinterste Reihe verbannen, können sie ihre
Vorstellungen von Vorwahlen in Hinkunft kübeln. Und man könnte ihnen ja zu
Recht wiedermal Wählertäuschung vorwerfen.

Letzteres hätte mich vorwarnen sollen -- Wählertäuschung ist ja nichts Neues
bei den Grünen. Man erinnere sich an den Vorzugsstimmenwahlkampf von Van der
Bellen bei der Wienwahl 2010 oder die Absage an eine Koalition mit der
türkisen Schnöseltruppe vor der Bundeswahl letztes Jahr.

Aber trotzdem: Birgit war die ganze Zeit so brav, hat die linke Fraktion der
Partei zur Zustimmung eben dieser Bundeskoalition gepeitscht, hat sich
verbogen Ende nie, auch im Wienwahlkampf, wo sie versucht hat, das
vorgekaute Klimawahlgebrabbel einigermassen glaubwürdig rüberzubringen, weil
die Grünen sich dadurch Wählerstimmen erhofften, hat sich bürgerlich
aufgetackelt, daß man sie kaum mehr erkannt hat usw. usf. Sie war damit auch
jetzt an der Urne erfolgreich -- denn die ganze Wahlkampagne war auf ihre
Person fokussiert. Wer grün wählte, wählte vor allem Birgit. Jetzt gibt es
dank ihr den größten Wiener Grünklub jemals und das Recht auf zwei
Stadtsenatsposten.

Die Grünen hatten ihr also eher dankbar zu sein als sie zu hassen. Ja,
natürlich gilt der Churchill zugeschriebene Satz, wonach Dankbarkeit keine
politische Kategorie sei, immer noch. Aber eine Demontage der Frontfrau wäre
ja trotzdem sinnlos. Für die Entscheidung Ludwigs hin zu den Neoliberalen
kann sie auch nichts -- die Pinken waren einfach am Bequemsten für die SPÖ.
Und selbst wenn das Relevanz hätte, macht es auch keinen Sinn mehr, Birgit
abzusägen, wenn die Koalitionsfrage sowieso schon erledigt ist.


Grünes "Zukunftsteam"

Soweit meine Überlegungen vor diesem Montag. Und dann diese APA-OTS, mittags
um halb eins: "Grüne Wien schlagen mit Zukunftsteam neues Kapitel auf:
Judith Pühringer und Peter Kraus nichtamtsführende Stadträt*innen. David
Ellensohn bleibt Klubobmann". Eine Aussendung, als wäre Birgit nie
Listenerste gewesen. Sogar das übliche -- eh unglaubwürdige -- Bedanken für
die Arbeit der bisherigen Vizebürgermeisterin entfällt. Nur ganz am Schluß
sind noch ein paar Worte von Birgit angehängt, wonach sie die Wahl zur
Kenntnis nähme und: "Wir werden jetzt niemandem den Gefallen tun, uns mit
uns selbst zu beschäftigen. Unsere Wähler*innen haben uns das Vertrauen
ausgesprochen und erwarten sich von uns zu Recht, dass wir für die Zukunft
der Stadt arbeiten." Gute Miene zum bösen Spiel also.

Warum der grüne Klub diese Entscheidung getroffen hat? Von den maßgeblichen
Leuten, gar von der neuen Spitze gibts dazu eisiges Schweigen. Gerüchte
besagen, die Vizebürgermeisterin hätte keinen guten Umgangston im Klub
gehabt und wäre beratungsresistent gewesen. Einmal abgesehen davon, daß
Birgit eher für ihre sozialarbeiterische Art als für Machatschekallüren
bekannt ist, ist wohl autoritäres Gehabe gerade bei den Grünchefitäten
wirklich kein Problem seit Van der Bellens Diktum, daß die Grünen nimmer
streiten dürften, wenn sie Wahlen gewinnen wollen. Und schließlich wollte
man ja das Autoritäre, die Ein-Frau-Spitze, sonst hätte man sie nicht auch
noch zur Parteichefin machen müssen -- was ein Posten ist, den es vor Kurzem
bei den Wiener Grünen so gar nicht gegeben hat.

Nebenbei: In dieser Funktion darf Birgit noch am Samstag die
Landesversammlung einleiten. Online versteht sich. An politischen Mandaten
soll dort nur die Besetzung der Bundesratspostens verhandelt werden, also
eines Bundesregierungshinterbänklers. Eine Debatte über die am Montag
gefällten Entscheidungen des Klubs ist hingegen im Programm nicht
vorgesehen. Was auch der Theorie widerspricht, die Grünen wollten keine
autoritäre Führung.


Keine Querköpfe mehr

Warum also wirklich diese Entscheidung gegen Birgit? Ich hab da einen
Verdacht. Es ist nämlich schon so, daß Birgit nicht immer grün war. Was sie
vor rund einem Vierteljahrhundert über die Grünen gesagt hat, will ich hier
lieber nicht zitieren -- und damals waren die Grünen noch sehr viel weniger
angepaßt. Ökothemen waren ihr bis zu ihrer Führungsrolle in der Partei eher
egal und Feminismus hieß bei ihr, sich um das Schicksal der Huren zu kümmern
und nicht um die armen Akademikerinnen, die sich an der gläsernen Decke
stoßen. Zu den Grünen ist sie überhaupt erst gekommen, weil die ihr einen
Job angeboten haben.

Sie ist damit ein Überbleibsel aus einer Zeit, als die Grünen noch Leute
auch in Führungspositionen wollten, die eine politische Geschichte außerhalb
der Partei haben. Die Abwahl von Birgit markiert damit das Ende einer Ära,
einer Ära in der Querköpfe ein wichtiger Bestandteil der Partei waren. Ab
jetzt werden diejenigen, die nicht zu den Immerschongrünen gehören, wohl nur
mehr als Hinterbänkler fungieren dürfen -- dazu braucht man sie noch, weil
man ja die berühmten "Fransen" der Grünpartei nicht ganz abschneiden möchte,
dienen sie doch den Dann-halt-doch-noch-einmal-Grünwählern als Begründung,
sich nicht für eine andere Partei zu entscheiden. Aber im Rampenlicht will
man diese nicht in der Wolle grün Gefärbten nicht mehr sehen. Was bleibt,
sind lediglich "QuereinsteigerInnen", aber nur solche, die nie irgendetwas
Ungrünes in ihrer politischen Vorgeschichte hatten, ja, am Besten, wenn sie
überhaupt keine solche Vorgeschichte haben.

Ob diese Entwicklung gut für die Grünen ist -- also "gut" im Sinne von
Wahlergebnissen, nicht von mittlerweile irrelevanten Haltungsbeschwerden --
wird sich zeigen.

*Bernhard Redl*



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