Prinzipielles: Angstmache als Herrschaftsprinzip
**********************************************************
akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Donnerstag, 5. November 2020; 02:48
**********************************************************

Prinzipielles:

> Angstmache als Herrschaftsprinzip

Zitate, Privates und Redundantes in Zeiten des Paradigmenwechsels. Ein
Gesuder von *Bernhard Redl*, der sich leider wiederholen muß.


Selten muß ich Oliver Pink von der "Presse" zustimmen. Aber wenn er
schreibt: "So stellt sich der Neoliberale -- oder besser gesagt, der
Neokonservative -- also das Biedermeier vor: Arbeiten, Einkaufen und abends
dann ab 20 Uhr zu Hause", tu ich mir wirklich schwer zu widersprechen.

Dazu paßt ja wunderbar die Aussage von Kultusministerin Susanne Raab: "Es
ist wichtig, dass eine gemeinsame Religionsausübung in Form von öffentlichen
Gottesdiensten weiterhin möglich sein wird, weil sie den Gläubigen in dieser
herausfordernden Zeit auch viel Halt geben."

Beten hilft! Ja, mit zu den heftigsten Clustern gehörten zwar
Religionsgemeinschaften der verschiedenen Geschmacksrichtungen, aber für die
Pfaffen gelten halt andere Regeln, göttliche quasi. Säkularer Halt hingegen
ist nicht so gut angeschrieben. Da kann man den Verleger Hannes Hofbauer
zitieren, der die Absage sämtlicher geplanter Buchpräsentationen in einer
Aussendung mit den Worten kommentiert: "Die deutsche Bundesregierung und das
österreichische Koalitionsquartett haben sie -- wie das gesamte kulturelle
Leben -- abgedreht, verboten. Die Angst vor einem Virus folgt offensichtlich
der Devise: es soll kein Leben vor dem Tod geben." Ja, auch die krilit, die
"Kritischen Literaturtage" können wir vergessen.

Ora et labora, bete und arbeite, das Benedektiner-Motto soll wohl
gesamtgesellschaftlich gelten. Denn es ist schon ein wenig verdächtig, wie
genau die jetzigen Verordnungen zur Einschränkung einer Pandemie auf
metternichsche Ideale passen. Und damit hat der Bundesmaturant auch kein
Problem, wenn er twittern läßt: "Nicht nur wir handeln so, sondern fast alle
anderen Länder auch. Egal ob Demokratien od. Diktaturen. Denn dies ist die
einzige Option, die man als Regierung hat: Die Bevölkerung und das
Gesundheitssystem zu schützen."

Da könnte man mit Franz Werfels Jacobowsky kommen, wonach es im Leben eben
immer zwei Möglichkeiten gäbe, aber der Bundesmaturant steht ja einer
Regierung vor, die uns schon vor Corona verkauft worden ist als Thatchers
TINA-Prinzip gehorchend und deswegen kann man da gleich weitermachen. Daß
ausgerechnet jetzt die Pläne des Bildungsministers ruchbar geworden sind,
Studierende, die nicht flott genug unterwegs sind, weil sie eben auch
arbeiten müssen, zu exmatrikulieren, paßt ins Bild -- Österreich braucht
Fachidioten aus Oberschichtfamilien und keine Proletenkinder mit
Uniabschluß, die mit ihrem Doktorat dann vielleicht auch noch
Herrschaftsverhältnisse kritisieren. Wenn schon nicht zurück in die Zeiten
von Franz Habsburg, dann doch wenigstens in die 1950er, scheint das Credo zu
sein.

Diese Regierung will nicht gestalten, weil gestalten hieße, dem Trend hin
zum Neokonservativismus einzubremsen. Ja, "There is no alternative" heißt
eben das Motto, weil die gesellschaftlichen Trends halt genau in die
Richtung laufen resp. laufend gemacht werden, die eben diese
Neokonservativen gerne hätten. Politik ist nicht mehr die Kunst des
Machbaren, sondern Vollzug des Notwendigen -- und was notwendig ist, wird
nicht mehr hinterfragt.

Als man den Gesalbten fragte, ob denn bei den neuen Corona-Verordnungen
diesmal auf die Verfassungskonformität geachtet worden wäre, meinte dieser,
für die Überprüfung der Verordnungen wäre der Verfassungsgerichtshof
zuständig. Das ist entlarvend, denn es heißt, daß sich die Regierung und die
Nationalratsmehrheit einen Dreck um Verfassungskonformität schert, weil sie
weiß, daß die Beschlüsse des VfGH erst lange nach dem Vollzug der Verordnung
fallen werden. Immerhin hat der Bundesmaturant genau das schon ohne
jeglichen Genierer im Frühsommer verlautbart: Wenn der VfGH die Bestimmungen
aufhebt, gelten sie eh schon nimmer.

Das ist der pure Utilitarismus. Erlaubt ist, was funktioniert. So, wie das
die Polizei eben auch gerne macht. Jetzt haben wir wieder eine Verordnung,
wo völlig unklar ist, was jetzt eigentlich verboten ist und was nicht.
Honorige Verfassungsrechtler und Rechtsanwälte schütteln nur mehr den Kopf
und kennen sich nicht aus, was gilt. Aber juristisch weniger geschulte
Polizisten sollen das exekutieren.

Die zweite Corona-Welle war schon im Frühjahr prognostiziert worden. Man
hatte ein halbes Jahr Zeit, sich eindeutige Formulierungen zu überlegen. Es
drängt sich da ein Verdacht auf: Die Bestimmungen könnten absichtlich
schwammig sein, damit die Bevölkerung verunsichert wird und sich nicht nur
vor dem Virus fürchtet, sondern auch vor der Obrigkeit und sicherheitshalber
weitaus strengere Regeln befolgt, als eigentlich verordnet sind. Auch
deswegen, weil man weiß, daß die Polizei schon wieder carte blanche für
alles hat -- wegen der Volksgesundheit halt.

Aber sind Einschüchterungen und Angstmache wirklich das Mittel der Wahl,
dürfen sie das sein in einem Land, deren Oberindianer immer wieder betonen,
daß Demokratie und Rechtsstaatlichkeit die obersten Prinzipien der Politik
sein müßten?

Terror

Und jetzt dieser Anschlag. Eigentlich war die einzige richtige Antwort von
einem unbekannten Wiener, der dem Attentäter zurief: "Schleich di, du
Oaschloch!" Das hätte man einfach so stehen lassen können und als Off-Ton
über die Statements des Gesalbten, des Oberleutnants und des
Staatsoberhaupts legen müssen. Mehr brauchts wirklich nicht. Zulässig wäre
auch noch dieses Statement gewesen: "Unsere Antwort lautet: mehr Demokratie,
mehr Offenheit, mehr Menschlichkeit." Das hat Jens Stoltenberg, 2011 noch
nicht NATO-Generalsekretär, sondern norwegischer Ministerpräsident zu den
Anschlägen von Anders Breivik gesagt. Was twittert hingegen 2020 der hiesige
Regierungschef? "Wir werden uns von Terroristen nicht einschüchtern lassen.
Wir werden unsere Grundwerte, unser Lebensmodell & unsere Demokratie mit
aller Kraft verteidigen. Mit aller Entschlossenheit und ohne Kompromisse.
Wir werden Täter, Hintermänner und deren Gleichgesinnte ausforschen, jagen
und ihrer gerechten Strafe zuführen. Wir werden alle, die etwas mit dieser
Schandtat zu tun haben, mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln
verfolgen." Also wenn diese Regierung "ohne Kompromisse" auch
"Gleichgesinnte" "jagen" und "mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln
verfolgen" will, wird mir übel. Das riecht schon sehr nach Sportpalastrede
und nicht nach dem Statement eines Regierungschefs, dem Demokratie,
Menschenrechte oder Rechtsstaatlichkeit irgendwas bedeuten. Denn nicht
alles, was "zur Verfügung" steht, ist kompatibel mit
Menschenrechtskonvention und Staatsgrundgesetz.

Dazu kommen dann die Aussagen des Oberleutnants im Innenministerium, der
konsequent die Formulierung "ausgeschaltet" statt "erschossen" verwendet und
von "Optimierung" redet, wenn es darum geht, die Humanisierung des
Strafvollzugs wieder hinter Brodas Zeiten zurückzudrehen. Für den ist jeder
Bekannte des Oaschlochs ein Verdächtiger und jeder Verdächtige ein Täter.

Ja, natürlich hat der Bundesmaturant auch was gesagt von "Demokratie" und
"Grundwerten", aber eben auch von "Verteidigung", so als gäbe es in
Österreich nicht diesbezüglich ein enormes Defizit, was den Gesalbten aber
halt nicht stört, weil ohne dieses Defizit er nie Bundeskanzler geworden
wäre. Das ist der Unterschied zur Aussage Stoltenbergs von 2011, der auch
betonte, daß die Antwort auf Methoden zum Zwecke der Verunsicherung sein
müßte, eben diese Defizite zu beheben.

Schon 2016 hieß es im Vorspann zu einem Beitrag im Ö1-Mittagsjournal:
"Politiker beschwören die internationale Zusammenarbeit im Kampf gegen den
Terror. Und einig sind sich die meisten Politiker, was das Ziel der
Terroristen ist: die europäische Lebensweise anzugreifen, Menschen in ihrem
Alltagsleben zu treffen, Angst zu verbreiten. Und auch, die Freiheit
anzugreifen -- mit Erfolg, wenn man all die Überwachungs- und
Terror-Bekämpfungs-Programme der vergangenen Jahre anschaut."

Genau hier aber schließt sich der Kreis: Angstmache ist das zentrale Mittel
von Staatsterroristen wie Individualterroristen, von Metternich wie vom
Oaschloch. Schließlich kommt das ja von "La Terreur", dem Staatsprinzip von
Robespierre.

Privates

In heftigen Diskussionen auf Facebook muß ich mir vorhalten lassen, ich
solle doch die Allgemeinheit mit meinen "persönlichen Befindlichkeiten"
verschonen. Einmal abgesehen davon, daß es auf Social Media ja vor allem um
solche Befindlichkeiten geht, denke ich, daß ich diese pars pro toto doch
verbreiten muß -- denn es steht zu befürchten, daß wir hier gerade einen
Paradigmenwechsel erleben, den nicht nur ich beobachte: Eben die
Legitimisierung von Angstmache. Konkret bin ich beim letzten Lockdown
physisch erkrankt -- nein, nicht an Covid, sondern weil mich der
Polizeiterror auf der Straße fertiggemacht hat, Psychosomatik is a Hund.
(Gesundet bin ich bis heute nicht und meine Erfahrung mit Ärzten ist derzeit
die, daß sie sich hauptsächlich selbst vor Covid fürchten und Patienten
möglichst schnell wieder loswerden wollen.) Natürlich hat diese meine Angst
auch etwas damit zu tun, daß mir Polizeigewalt schon vorher nicht unbekannt
war. Und da nützt es mir auch wenig, wenn die Telefonnummern von
Psychohilfsdiensten verbreitet werden -- ich bräuchte die
Privattelefonnummern vom Gesalbten oder seinem Oberleutnant, damit ich sie
für diese Angstmache beschimpfen kann. Dann wäre mir vielleicht ein wenig
leichter. Aber selbst das würde ich mich nicht mehr trauen, seit auch alle
Mobiltelefone registriert sein müssen, was wir Kickl und der letzten
Regierung des Gesalbten zu verdanken haben. Posten im Netz ist auch
problematisch, da ist es dann gleich "Hass im Netz". Und überhaupt gibts
dann einen Shitstorm, daß ich so verantwortungslos sei.

Ja, ich leide unter Depressionen. Immer schon. Ich bin ein Behinderter. Und
der November ist für Meinereiner sowieso eine schwierige Zeit. Aber damit
bin ich nicht allein. Nur diese gesundheitliche Beeinträchtigung
interessiert halt derzeit kein Schwein; es ist egal, wie es mir
und -zigtausenden Anderen in diesem Land geht. Wobei ich wenigstens keiner
von den Arbeitslosen bin! Die Verwüstungen, die diese Angstmache anrichtet,
bemerkt wohl kaum jemand in der Regierung. Außer vielleicht Rudi Anschober,
bei dem merkt man, daß er weiß, was ein psychischer Zusammenbruch sein kann.
Aber der ist halt auch hilflos in der Zusammenarbeit mit dem großen Bruder
in einer Koalition, die Angstmache nicht nur akzeptiert, sondern als Mittel
einsetzt.

Die Politik der Angst habe ich schon im April gegeiselt. Das Wesen dieser
meiner Glossen ist sicher auch die Wiederholung. Daher noch ein Selbstzitat:
"Vielleicht ist es gerade jetzt das notwendige Wesen der Politik, die Angst
zu bekämpfen, also auch jene, die davon profitieren wollen."

Und wenn die Polizei wieder anfängt, uns mit dem patridiotischen
Fendrich-Song zu belästigen, dann empfehle ich, lautstark und
lärmbelästigend mit Hansi Lang zu antworten: "Keine Angst!"

PS: Eine der abgesagten Veranstaltungen von Hannes Hofbauers Promedia Verlag
wollte ein Buch bewerben mit dem Titel: "LOCKDOWN 2020. Wie ein Virus dazu
benutzt wird, die Gesellschaft zu verändern." Irgendwie ist das auch
bezeichnend. ###



***************************************************
Der akin-pd ist die elektronische Teilwiedergabe der nichtkommerziellen
Wiener Wochenzeitung 'akin'. Texte im akin-pd muessen aber nicht
wortidentisch mit den in der Papierausgabe veroeffentlichten sein. Nachdruck
von Eigenbeitraegen mit Quellenangabe erbeten. Namentlich gezeichnete
Beitraege stehen in der Verantwortung der VerfasserInnen. Ein Nachdruck von
Texten mit anderem Copyright als dem unseren sagt nichts ueber eine
anderweitige Verfuegungsberechtigung aus. Der akin-pd wird nur als
Abonnement verschickt. Wer versehentlich in den Verteiler geraten ist, kann
den akin-pd per formlosen Mail an akin.redaktion@gmx.at abbestellen.



*************************************************
'akin - aktuelle informationen'
postadresse a-1170 wien, lobenhauerngasse 35/2
redaktionsadresse: dreyhausenstraße 3, kellerlokal, 1140
vox: 0665 65 20 70 92
http://akin.mediaweb.at
blog: https://akinmagazin.wordpress.com/
facebook: https://www.facebook.com/akin.magazin
mail: akin.redaktion@gmx.at
bankverbindung lautend auf: föj/BfS,
bank austria, zweck: akin
IBAN AT041200022310297600
BIC: BKAUATWW