Demokratie: Was die Wiener Wahl 2020 uns sagen kann
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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 21. Oktober 2020; 22:24
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Demokratie:

> Was die Wiener Wahl 2020 uns sagen kann

Von *Wilhelm Langthaler*,
Antiimperialistische Koordination


Auf der Oberfläche bleibt alles beim Alten - der Neoliberalismus light der
Wiener SPÖ wurde bestätigt. Doch einige Momente zeigen doch Verschiebungen
an.

1) Die Wahlbeteiligung ist um 10 Prozentpunkte eingebrochen, von 75% auf 65%
für den Gemeinderat. Für die Bezirksräte sank sie von 66% auf 58%. Der
Rückgang ist in den Arbeiterbezirken durchwegs noch stärker, meist über 10
Punkte bei beiden Wahlen. In Rudolfsheim-Fünfhaus beteiligten sich an den
BVW weniger als 50% und in Floridsdorf sank die Partizipation um satte 15
Punkte ab.
Die ärmeren Schichten fühlen sich immer weniger repräsentiert, ein Trend der
schon einige Jahrzehnte anhält. Die Mehrzahl der ehemaligen FP-Wähler ist
zuhause geblieben, auch viele SPler.

2) So hat die SPÖ ihren Stimmanteil für den GR von knapp 40% auf knapp 42%
gesteigert, aber absolut 28.000 Stimmen verloren (wobei die Zahl der
Wahlberechtigen um 10.000 gesunken ist.) In den Arbeiterbezirken konnte sie
zwar überdurchschnittlich zulegen. Aber selbst in Floridsdorf, wo die SPÖ
mit mehr als 7 Punkten am meisten dazugewinnen konnte, bleibt das noch immer
ein absoluter Rückgang an Stimmen und das trotz der Zunahme der
Wahlberechtigen im Bezirk. Angesichts des völligen Zusammenbruchs der FPÖ
ist das umso erstaunlicher. Die Trennung von den Subalternen hat sich also
verfestigt. Sieger sehen jedenfalls anders aus.

3) FP+Strache haben sich mehr als halbiert auf über 10%. Aber es hat in den
unteren sozialen Segmenten niemand ihren Platz eingenommen, während die
wohlhabenden freiheitlichen Ex-Wähler zur ÖVP abgewandert sind. Die
wählenden Arbeiter sind noch immer mehrheitlich (45%) bei FP+Strache. (Siehe
Wählerstromanalyse Der Standard.) Zum Vergleich: 35% bei der SPÖ. Das heißt
aber auch, dass die FPÖ wieder auferstehen kann, wenn sie eine volksnahe
Führungsfigur findet, also keinen Business-Bürger und Burschenschafter wie
Haimbuchner - zumindest solange es niemanden gibt, der die sozialen
Interessen der unteren Schichten und insbesondere der Arbeiter in
linkssouveränistischer Weise zu verteidigen vermag.

4) Die NZZ spricht von einem Linksruck, doch selbst wenn man ganz
formalistisch alles was nicht VP oder FP ist zusammenzählt, zumal in
absoluten Zahlen, handelt es sich nur um eine geringfügige Verschiebung.
Inhaltlich nicht. Im Gegenteil, der neoliberale Sunnyboy, Finanzminister und
Adjutant Kurz', Blümel, konnte die Stimmen für die ÖVP verdreifachen.

5) LINKS konnte sich von 12.000 (1,38%, Anm.: als Wien-ANDAS) auf 20.000
(2,54%) bei den Bezirkswahlen steigern, beim Gemeinderat etwas weniger: auf
15.000 (2,06%) von 9.000 (1,07%). Das ist ein Achtungserfolg, zumal sie in
einigen Bezirken bis zu 5% auf sich vereinigen konnten. Doch das
Verteilungsmuster ist jenem der Grünen ähnlich, also die Bildungsschichten.
Und diese haben angesichts der Implosion der FPÖ die Angstwahl für Rotgrün
ein bisschen weniger verfolgt als sonst. Eigentlich ein Paradoxon, denn als
antischwarzblau entstanden, erhielt LINKS just Luft zum Atmen, weil der
Angstgegner Schwarzblau nicht funktionierte. Doch der lähmende Mechanismus
des kleineren Übels, der besonders für jene gilt, die eben viel mehr zu
verlieren haben als nur ihre Ketten, wird früher oder später wieder
zurückkehren. Ganz abgesehen davon, dass es eine linke und moralische
Identitätskampagne war, die trotz lautstarker sozialer Bekenntnisse keine
Chance hat von den Subalternen aufgenommen zu werden, eben weil diese den
Kulturliberalismus als Signum der herrschenden Eliten begreifen. Es ist kein
Zufall, dass es kein Thema war, wie gegen die Verheerungen der
Globalisierung (und das ist ident mit dem Neoliberalismus) vorgegangen
werden könnte.

6) Bemerkenswert ist auch der partielle Erfolg der SÖZ, vermutlich
vorwiegend unter türkischstämmigen Menschen, von rund 1,2% bei beiden
Wahlen, in Favoriten aber über 3%, genauso wie in allen Arbeiterbezirken mit
starkem türkischem Anteil. Auch hier zeigt sich die Ablösung der Subalternen
von der SPÖ. Inhaltlich ist aber die Kombination von Linksliberalismus mit
Erdoganismus kein Rezept zur Verbreiterung, auch bei noch so viel Bemühen.

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