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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 29. April 2020; 08:46
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Nachruf:
> Richard Wadani 1922-2020
In der Nacht auf den 19.April ist Richard Wadani verstorben. Wadani war am
am 16. Oktober 1944 aus der deutschen Wehrmacht desertiert. Seit seiner
Rückkehr nach Österreich 1946 hatte er sich für die Rechte der
Wehrmachtsdeserteure eingesetzt und es hat bis zum 21. Oktober 2009
gedauert, bis der Nationalrat das Aufhebungs- und Rehabilitationsgesetz für
die "Ungehorsamen Soldaten" des Zweiten Weltkrieges beschloß. Auf Initiative
von Wadani und dem "Personenkomitee für die Opfer der NS-Militärjustiz" kam
es dann 2014 auch endlich zu einem Denkmal am Ballhausplatz.
Vor ein paar Jahren schilderte Wadani die Geschichte seiner Jugend und
seines Widerstands für die Homepage des Personenkomitees. Zur Erinnerung an
ihn sei diese viel zu kurze Zusammenfassung seines langen Lebens und seines
Engagements hier nachgedruckt:
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Ich wurde als zweiter Sohn österreichischer Eltern geboren und wuchs in Prag
auf. Mein Elternhaus war sozialdemokratisch eingestellt. Ich selbst
sympathisierte frühzeitig mit den Kommunisten und trat der Sportorganisation
der KPC bei. In meiner Jugend war ich bei den Nestfalken [Anm.: in
Österreich Kinderfreunde], den Roten Falken und dem ATUS [ASKÖ]. Nach der
Besetzung Österreichs durch Hitlerdeutschland musste die Familie nach Wien,
die Heimatstadt meiner Mutter, zurückkehren. Mit der Besetzung waren die
Mitglieder der Familie auch in der CSR automatisch zu deutschen
Staatsbürgern geworden. Damit verloren sie in der damaligen kritischen
Situation nicht nur die Arbeitsbewilligungen, sondern auch andere
Begünstigungen, die sie als Österreicher genossen hatten.
In Wien hatte ich einen Arbeitskollegen, der sich nach einiger Zeit und nach
gegenseitigem Abtasten als ehemaliger Schutzbündler und alter Prolet zu
erkennen gab. So entwickelte sich ein guter menschlicher und politischer
Kontakt. Ich habe ihm meine Situation geschildert. Kurz danach sagte er zu
mir: ,Pass auf, Bua, dich ziehen sie bald ein. Wie die Erfahrung zeigt,
kommst du zuerst zum Arbeitsdienst, dann zum Militär, und zwar zur
Infanterie, und dann bist du erledigt.' Diese Aussprache hat mir bei meiner
Orientierung sehr geholfen und mir vielleicht auch das Leben gerettet.
Daraufhin meldete ich mich zur Luftwaffe, und wie sich herausstellte, war es
ein richtiger Schritt. Andere Einberufungen brauchte ich nicht mehr zu
fürchten.
Ab Oktober 1939 war ich zunächst in Vyskov und dann in Prag. Ich wurde als
Kraftfahrer ausgebildet und blieb bis 1941 in Prostejov. Kurz vor meinem
Einsatz auf dem Balkan wandte ich mich an einen Arzt, dem ich vertrauen
konnte. Wenn ich jetzt nicht ins Spital kam, musste ich mit zum Einsatz. Ich
wusste, dass ich eine Nasenscheidewandverkrümmung hatte, und so fragte ich
ihn, ob man die Nase operieren könne. Er sagte: ,Das geht.' Jetzt dachte ich
mir, wenn wieder irgendein Einsatz kommt, dann muss der Blinddarm raus und
dann eventuell die Mandeln. Nach dem Spital gab es dann vier Wochen
Genesungsurlaub, und ich war sozusagen weg von diesem Einsatz.
Nach dem Genesungsurlaub wurde ich nach Osten kommandiert, wo ich als
Kraftfahrer einer Luftwaffeneinheit im Hinterland, in Polen und der Ukraine,
eingesetzt war. Im Frühsommer 1942 unternahm ich zusammen mit einem
Kameraden, der die gleiche Einstellung zu Hitlerdeutschland hatte, einen
ersten Versuch, an der Ostfront überzulaufen, der jedoch leider misslang.
Unser Plan, bei einer unserer Suchfahrten nach abgestürzten Flugzeugen
einfach die Frontlinie zu überqueren, erwies sich als undurchführbar. Ein
Glück, dass es keine langen Befragungen gab und die Infanteristen uns
zurückschickten. Aufgrund einer anonymen Anzeige bei der Feldgendarmerie
(ich hatte Lebensmittel an die Bevölkerung verteilt), gab es Vernehmungen
und dann eine Gerichtsverhandlung beim Feldgericht 4 in Lemberg. Ein
freundlich gesinnter Vorgesetzter (ein aufrichtiger Österreicher) schickte
mich, als die Verhandlung vorübergehend ausgesetzt wurde (der anonyme
Anzeiger wurde erst gesucht), nach Olmütz in eine Dolmetscherschule der
Luftwaffe.
Im Herbst 1944 wurde ich schließlich an die Westfront nach Frankreich
versetzt, nachdem die ganze Schule aufgelöst worden war. Bereits zwei Tage
nach meiner Ankunft überquerte ich in der Nacht die Frontlinie. Am ersten
Tag habe ich erst einmal sondiert, wie es aussieht. Vor den Löchern war viel
Stacheldraht und es gab auch Sicherungen durch Stolperdrähte mit angehängten
Handgranaten. Am nächsten Tag bin ich dann in der Früh zwischen drei und
fünf Uhr aus dem Schützenloch raus, und es gelang mir, auf die andere Seite
zu einer amerikanischen Einheit zu kommen. Ursprünglich wollte einer mit mir
gehen (das hatten wir uns bereits in Olmütz ausgemacht), doch im letzten
Moment hat er leider nicht mitgemacht. Er war ein Wiener, ein ehemaliger
Schutzbündler, der sich auf Renner berief, dass wir ja doch Deutsche sind,
und mit einem Wort, er kann nicht mit. Es war eine unangenehme Geschichte,
und ich bin dann weggegangen. Ich wurde kurz in einem Gefangenenlager in
Cherbourg interniert und meldete mich, da es keine österreichische kämpfende
Einheit gab, zur tschechoslowakischen Armee in England.
Im November 1945 kam ich nach Wien, um meine Mutter zu suchen. Mein Bruder
war 1944 gefallen. Ich fand dann meine Mutter, die in einer sehr schlechten
Verfassung war. Um bei ihr zu bleiben, quittierte ich meinen Dienst und
wurde im Jänner 1946 als österreichischer Staatsbürger aus der
tschechoslowakischen Armee entlassen. Zurück in Wien wurde ich bald mit der
politischen Situation konfrontiert. Denn als ich am Arbeitsamt vorsprach,
wurde ich sofort angestänkert (ich trug damals noch die englische Uniform):
,Wie kommen Sie dazu, in einer fremden Armee gedient zu haben?'
Ich begann bald, als Funktionär in der KPÖ zu arbeiten, wo ich mich vor
allem mit dem österreichischen Sport befasste. Ich absolvierte die
staatliche Sportlehrerausbildung und arbeitete fortan als Sportlehrer. Ich
war Bundestrainer und Bundeskapitän im Österreichischen Volleyballverband,
baute dann im Pensionistenverband den Seniorensport auf und war viele Jahre
Lehrbeauftragter an der Bundesanstalt für Leibeserziehung in Wien. Nach der
Zerschlagung des "Prager Frühlings" und dem Einmarsch der
Warschauer-Pakt-Staaten in die CSSR trat ich aus der KPÖ aus, blieb jedoch
bis heute politisch engagiert. Als derzeitiger Sprecher des Personenkomitees
"Gerechtigkeit für die Opfer der NS-Militärjustiz" setze ich mich für
Deserteure und Kriegsdienstverweigerer ein.
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