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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 15. April 2020; 23:00
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> Wir Schutzbedürftigen
Coronabedingter Exkurs zum Recht auf die Straße
Schutzgewährung hat immer etwas mit Machtübertragung zu tun. Wer sich selbst
nicht zu schützen vermag, kann sich schützen lassen um den Preis seiner
eigenen Souveränität. Aber meistens kommt jemand daher und schützt einen, ob
man will oder nicht.
Der beste Schutz sind Schutzzonen. da kann man die zu Beschützenden am
besten beschützen, in dem man ihnen befiehlt, in diesen Schutzzonen zu
bleiben -- oder gleich mittels Schloß und Riegel dafür sorgt, daß sie diese
Schutzzonen nicht verlassen. Wer die Macht hat zu beschützen, hat auch Macht
über die zu Beschützenden.
Teilweise gibt es da vielleicht Ausnahmen, wie etwa im Arbeitsrecht oder
beim Frauen- und Kindergewaltschutz -- aber letztendlich ist es auch da nur
die Übertragung der Macht von einem Schutzherren zum anderen. Ein wirkliches
Empowerment ist auch das nicht, weil es dann doch von der Obrigkeit abhängt.
In Zeiten von Corona fällt das besonders auf: Da gibt es dann eben
polizeiliche Willkür zum Schutz vor Infektion. Lieber schlägt man die Leute
nieder bevor sie sich noch infizieren -- wie wir das gerade am Schöpfwerk in
Bastis Heimatbezirk erlebt haben. Da gibt es diese
Kindergartentantenattitüde der Ackerbaubauministerin um die Bundesgärten,
die einfach nicht zugeben wollte, einen Blödsinn verfügt zu haben, weil das
ja ihre Autorität untergraben hätte. Und das großartige Getue unserer
Vizebürgermeisterin, weil man jetzt gnädigerweise auf ein paar Straßen in
Wien die Fahrbahn zum Zwecke der Erlustigung betreten darf.
Denn wozu war die Straße früher eigentlich da? "Zum Marschieren!" In diesem
Couplet aus der Verfilmung von Lumpazivagabundus war nicht das Militär
gemeint, sondern das Wandern der Gesellen des "liderlichen Kleeblattes". Wir
haben nämlich vergessen, wozu Straßen mal angelegt wurden -- für einen
Verkehr, der großteils zu Fuß passierte. Und lange vor den "Begegnungszonen"
als echter Begegnungsort. Die Straßen waren aber auch immer ein Ort der
politischen Auseinandersetzung: Nicht umsonst sagte man früher "auf die
Straße gehen", wenn man meinte, auf einer Demo seinen Protest ausdrücken zu
müssen. Der Begriff des "Drucks der Straße" kennen wir heute nur noch, wenn
Politiker meinen, sie wollten sich diesem nicht beugen. Praktisch, daß die
hohe Politik sich derzeit dessen nicht erwehren muß, weil die Polizei eh
verhindert, daß jemand auf die Straße geht.
Aber jetzt dürfen wir das, so ein bisserl, auf ausgewählten Straße in wien.
Natürlich nicht zum Zwecke des Protests, sondern damit wir ein bisserl eher
artgerecht gehalten werden. Ein wahrhaft gnädiger Akt!
Also ich weiß ja nicht, ob irgendwo in der Straßenverkehrsordnung steht, daß
fahrzeuglose Mitmenschen die Fahrbahn nur in Ausnahmesituationen betreten
dürfen. Möglicherweise ist das nur ex negativo definiert, weil man eben
genau angibt, bei welchen Gelegenheiten es Menschen ohne fahrbarem Untersatz
erlaubt ist. Vor allem gilt da die normative Kraft des Faktischen -- der
Autoverkehr. Erst der definiert die Fahrbahn. Denn als die besseren Leute
noch ritten oder mit der Kutsche fuhren, gab es lange Zeit gar keine
"Fahrbahn". Die entstand erst durch die Erfindung des "Bürgersteigs" --
einem Schutzgebiet: Zum einen schon auch damals vor Kutschen und Pferden,
vor allem aber vor dem Dreck in den meist nicht einmal gepflasterten Gassen.
Aber noch immer gehörte das, was man später "Fahrbahn" nennen sollte,
teilweise den Leuten, die ihren Angelegenheiten buchstäblich nachgingen. Das
änderte sich erst mit zwei parallelen und sich gegenseitig bedingenden
Entwicklungen: der Einführung des Asphalts und des Siegeszugs des
Automobils.
Ganz so einfach war das aber gar nicht, wie man meinen sollte. Die Menschen
auf der Straße wollten ihren Lebensraum nicht so einfach aufgeben. Wie sie
dann doch vertrieben werden konnten ist für die Entwicklung in den USA gut
dokumentiert. Dort organisierte die Autoindustrie große Kampagnen, in denen
man sich lustig machte über unvorsichtige Fußgänger, die es immer noch
wagten, die Straße abseits der "Schutzwege" zu betreten -- wer auf der
Straße ging wurde zum Narren und Feind des Fortschritts deklariert. Binnen
weniger Jahre (von der Mitte der Zehner-Jahre bis zur Mitte der Zwanziger
des 20.Jahrhunderts) eroberten so beinahe widerspruchslos die Automobile die
Straßen der amerikanischen Großstädte. (1)
War das auch bei uns die Methode oder hat man diese Flucht vor dem Automobil
in der damaligen Amerikaglorifizierung einfach nachgemacht? Egal, passiert
ist es, das Ergebnis ist das Gleiche: Die Straßen gehören dem Automobil.
Fußgänger und Radfahrer hingegen muß man davor beschützen -- deswegen gibt
es Gehsteige und Radwege (die meistens eh nur auf dem früheren Gehsteig
aufgepinselt werden).
So ist das mit dem Schutz. Schutz ist meistens eben nicht ein Recht, das man
genießt, sondern eher eine Herrschaftsform. Man hat kein Recht auf Schutz,
denn dieser wird immer nur "gewährt". Umsonst ist dieser Schutz aber nur
selten, zumindest die Unterwerfung unter den Schutzherren ist zwingend
vorgegeben.
Und wohl genau deswegen liegt das Recht auf die Straße bei den stärkeren
Verkehrsteilnehmern, nämlich denen mit den meisten PS. Analogieschlüsse zu
anderen Schutzmaßnahmen sind durchaus angebracht.
-br-
(1) https://www.vox.com/2015/1/15/7551873/jaywalking-history
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