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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 15. April 2020; 22:34
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> Der Rechtsstaat ist wurscht

Oder doch nicht?

Dieser Tage wird gerne Carl Schmitt zitiert, mit seinem Wort, daß derjenige
der Souverän sei, der über den Ausnahmezustand zu gebieten hat. Mir fällt da
aber vor allem Georg Jelinek ein mit seiner "normativen Kraft des
Faktischen" -- den das ist es, was momentan regiert. Denn Fakten werden
derzeit durch die Verwaltung gesetzt -- faktisch kann die Polizei derzeit
machen, was sie will, denn faktisch ist das durchsetzbar: Die Willkür wird
zum Gesetz. Die Rechtsgrundlage für die Handlungen der Beamten sind vage
Andeutungen des Bundeskanzlers und seiner Minister für Sport und Gesundheit.
Die Bemerkungen des für die Polizei zuständigen Innenministers, der dieses
pressekonferenzliche Corona-Quartett komplettiert, sind dabei gar nicht mehr
so sehr von Belang. Die Exekution von Weisungen, die per Pressekonferenz
gegeben werden, schafft eine neue Rechtsfaktizität im Rahmen einer neuen
Realverfassung.

Hier zeigt sich der bürgerliche Staat in seiner ganzen Pracht: In
Notsituationen ist die Rechtsstaatlichkeit völlig unerheblich, sie wird
einfach beiseite geschoben. Das Schönste daran für die Regierung: Es stört
kaum jemanden! Wenn man derzeit in Social Media darauf hinweist, bekommt
man -- nein, nicht von den Spießern, sondern in unserer aufgeklärten linken
Blase -- entweder die pressekonferenzlichen Wahrheiten als Antwort oder daß
doch die Maßnahmen sinnvoll seien. Daß das Bürgertum seinen Staat immer
damit gerechtfertigt hat, daß er doch demokratisch legitimiert sei und die
rechtsstaatlichen Garantien felsenfest stünden, ist plötzlich unerheblich.
In Notzeiten entblößt sich der Staat als das, was er immer schon gewesen
ist: Eine Herrschaft, ein souveräner Hegemon.


Verfassungsexperten maulen

Langsam, aber doch bewegt sich da etwas. Mittlerweile lassen auch
Österreichs Verfassungskapazunder wieder von sich hören. Die emeritierten
Rechtsprofessoren Funk und Maier zerlegen die Covid19-Gesetze
und -Verordnungen haarklein und sogar ein Manfred Matzka vergleicht die neu
geschaffene Rechtssituation mit dem "kriegswirtschaftlichen
Ermächtigungsgesetz". Deren Einwände erhalten in "Presse" und "Standard"
breiten Raum.

Aber das ist erst seit Kurzem so. Beschämend genug für die großen Medien,
diesen Produzenten der öffentlichen Meinung, daß gut drei Wochen lang
niemand sich genau angesehen hat, was in der zentralen "98.Verordnung" vom
15.März eigentlich steht: Nämlich, daß es gemäß dem Wortlaut eigentlich
genau gar keinen besonderen Grund braucht, das Haus zu verlassen. Als im ORF
Armin Wolf dann endlich doch einmal den Gesalbten darauf angesprochen hat,
daß das mit dessen Vorstellung von erlaubtem "Spazierengehen" überhaupt
nicht aus der Verordnung herauszulesen ist, antwortete unser Heldenkanzler
damit, daß er sich nicht auf "juristische Spitzfindigkeiten" einlassen
möchte. Der Mensch hat immerhin ein paar Semester Jus studiert!

Aber wie kommt es überhaupt zu dieser Verordnung? Nun, es ist davon
auszugehen, daß im Gesundheitsministerium doch ein paar versierte Legisten
sitzen. Denen passiert sowas nicht einfach so. Haben der Bundeskanzler und
sein Minister diese Formulierungen aufgesetzt? Kaum! Haben vielleicht deren
Beamte ganz bewußt eine ungenaue Verordnung formuliert, damit die Polizei
keine andere Möglichkeit hat, als sich an der Interpretation des
Bundeskanzlers zu orientieren?


Verbot per Weisung

Es wird ja aber noch viel schräger: Die Regierung herrscht nicht einmal mehr
hauptsächlich mit Verordnungen, sondern mit Erlässen -- und das ist wohl
mehr als der berüchtigte "Oster-Erlaß" oder die Erlässe, die man auf der
Homepage des Gesundheitsministeriums findet. Wieviele es sind und wieviele
nicht einmal von Ministern sondern von nachgeordneten Behörden wie den
Polizeidirektionen herausgegeben werden, ist dabei völlig unklar, denn
Erlässe sind gar nicht für die Öffentlichkeit bestimmt. Es sind Weisungen,
wie man sie auch aus der Privatwirtschaft kennt, von Chefs an ihre
untergebenen Dienstnehmer. Sie schaffen kein allgemeines Recht und müssen
auch nicht veröffentlicht werden. Auch der VfGH hat darauf wahrscheinlich
keinen Zugriff, da er an sich dazu berufen ist, Rechtsnormen zu prüfen, aber
nicht wenig formelle Weisungen an Beamte.

Dennoch können solche Weisungen Rechtsfakten setzen. Sie sind alleine
dadurch Fakten, weil sie nicht nur allgemein als Rechtsbestand akzeptiert
werden, sondern auch von der Polizei exekutiert. Das schönste Beispiel sind
die "Corona-Parties", von denen die Polizei immer wieder berichtet, sie
hätte sie aufgelöst. Dabei ist das mediale Framing ganz wichtig, denn es
handelt sich dabei eben nicht analog zu "Masern-Parties" um eine
Veranstaltung, um sich anzustecken, sondern um ganz normale private Feste.
Erst mit dem berüchtigten "Oster-Erlaß" wurde plötzlich klar, daß eine Feier
in einer Privatwohnung gar nicht verboten ist, wie eigentlich immer alle
angenommen haben. Man darf jemanden besuchen, weil das Verlassen des Hauses
eben nicht nur zum Spazierengehen erlaubt ist. Drei Wochen lang war es aber
so vermittelt worden, daß private Besuche illegal seien. Die Polizei indes
konnte nach der Corona-Rechtslage gar nicht einschreiten, tat es aber mit
den Rechtstatbeständen "Lärmerregung" und "Anstandsverletzung" --
offensichtlich auch dann, wenn diese Tatbestände nicht gegeben waren. Auch
da dürfte es diesbezügliche Weisungen gegeben haben. Denn eine Verordnung
hätte einer Gesetzesänderung bedurft und die hätte massiv ins Hausrecht
eingreifen müssen. Das hätte wohl die Opposition nicht so ohne weiteres
unkommentiert gelassen und auch der VfGH noch ein Wörtchen mitzureden
gehabt.

Ähnliches gilt für das Demonstrationsverbot: Formal existiert es nämlich
nicht. Allerdings werden auch Demonstrationen untersagt, wenn der berühmte
Mindestabstand eingehalten wird und sich nur wenige Personen daran
beteiligen. Um Demonstrationen generell zu untersagen, hätte man das
Versammlungsgesetz ändern müssen -- das war aber wohl politisch zu heikel.
Auch hier dürften also Weisungen existieren, Untersagungen auszusprechen.
Rechtskonform sind solche Untersagungen nicht, aber die Polizei kann sie
trotzdem exekutieren.

Wie eine Weisung allgemein rechtswirksam werden kann, ist auch in der Causa
Bundesgärten zu beobachten: Wenn die Ackerbauministerin nicht will, daß die
umfriedeten Gärten nicht betreten werden, braucht sie das nicht per
Verordnung verbieten lassen. Es reicht ein Erlaß an die zuständigen Beamten,
daß sie die Tore versperren müssen. Dann ist es zwar nicht verboten, die
Gärten zu betreten, aber es wird beinahe unmöglich gemacht. Nicht das
Gesetz, sondern das Faktum der Sperrketten schafft die Norm.

Aber es gibt noch andere Möglichkeiten, den Untertanen etwas zu verbieten
ohne das formell zu tun. Wer erinnert sich noch an die "Botschaft der
besorgten BürgerInnen" in der Zeit der Schüsselregierungen? Das war eine
Dauerkundgebung mit der erfundenen Adresse Ballhausplatz 1a. Eine Zeitlang
blieb dieser Protest gegen die Regierungbeteiligung der Haider-Partei
geduldet. Als das internationale Interesse aber abflaute, wollte man die
"Botschaft" wegbekommen. Aber wie verbietet man eine Kundgebung ohne
triftigen Grund? Nun, man läßt feststellen, daß Helden- und Ballhausplatz
Privatgrund der Republik Österreich seien und die der Regierung
weisungsgebundene Burghauptmannschaft als Verwalterin dieses Besitzes läßt
die "BotschafterInnen" von der Polizei wegräumen aus Gründen der
Besitzstörung. Das Schöne an der Konstruktion: Weder beim VfGH noch beim
VwGH kann man sich dagegen beschweren, weil es ein privatrechtlicher Akt
ist.


Wer ist der Staat?

Was wir hier in den letzten Wochen erleben durften, ist erschreckend. So
schnell kann in einer wahrhaftigen oder auch nur postulierten
Gefahrensituation jegliche Rechtsstaatlichkeit ausgehebelt werden. Die
Aussage "Der Staat, das sind wir alle" bekommt da einen ganz anderen Spin:
Wenn die Regierung etwas macht, dann muß man sie darin unterstützen, egal
was, denn schließlich ist es unsere Regierung. Wenn der Staat wir alle sind,
dann brauchen wir, also unsere Regierung, uns eigentlich nimmer daran
halten, welche Regeln wir uns als Staat früher gegeben haben.

Sowas wie Rechtsstaat ist dann wurscht. Das ist ja eben doch nur das Metier
spitzfindiger Juristen.

*Bernhard Redl* (12.4.2020)



Nachtrag aus der APA (14.4.2020): "Aufhorchen ließ Kurz mit der Aussage,
dass die Regierung keine Reparatur der eilig beschlossenen Covid-Gesetze-
und Verordnungen, die möglicherweise nicht verfassungskonform sind, plant.
Dass möglicherweise manche Gesetzestexte mangelhaft seien, wie Kritiker
meinen, begründete der Kanzler damit, dass 'wir schnell gehandelt haben'.
Und es habe gut funktioniert. Die Gesetzte und Verordnungen 'sind nicht auf
Dauer'. Bis eine Überprüfung durch die Höchstgerichte stattgefunden habe,
'werden sie nicht mehr in Kraft sein', so Kurz."

Wir lernen daraus: Ein Gesetz muß nicht verfassungskonform sein, wenn es
funktioniert. ###



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