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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 15. April 2020; 23:38
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woran man sich gewöhnen kann...

... und woran nicht. ein versuch über gefahr und angst.


1974 kam ich in die volksschule. da hatten wir "verkehrserziehung": ein
polizist kam in die klasse und erklärte uns, daß autos große gefährliche und
viel zu schnelle dinger sind, als das wir da noch ausweichen könnten -- und
daß wir dann sterben können. wir sollten daher lernen, zuerst links und
rechts zu schauen und dann zügig die straße zu überqueren, nicht dabei aber
zu rennen. das war eine konkrete, leicht verständliche und vor allem
sichtbare gefahr, die auch uns zwutschgerln nicht verängstigte.

1986 wurden wir dann alle hierzulande mit einer unsichtbaren gefahr
konfrontiert -- dem fallout von tschernobyl. da hieß es, wir sollten die
nächsten wochen nicht in der wiese liegen und keine schwammerln essen.
plötzlich redeten alle von cäsium und strontium, als wüßten sie, was das
ist. aber immerhin waren spätestens seit der zwentendorf-debatte die
gefahren der atomkraft in österreich ein thema gewesen und die
informationslage einigermassen konsistent und nachvollziehbar.

1992 war ich in sarajevo. da klebten an manchen hausecken kleine affichen,
auf denen stand: "pazi snajper!". das sollte anzeigen, daß das hier eine
straße ist, die von den bergen rund um die stadt einsehbar ist und wo ein
scharfschütze darauf lauern könnte, jemanden unvorsichtigen abknallen zu
können. das war wieder eine unsichtbare gefahr wie 1986, aber es war eine
konkrete wie der autoverkehr und mit einem klar festmachbaren feind, nämlich
dem scharfschützen, von dem man wußte, daß es ihn gibt. und auch hier hieß
es wieder wie bei der verkehrserziehung: die straße zügig und ohne zu laufen
zu überqueren, das reiche, um am leben zu bleiben.

das waren klare ansagen: wenn du vor ein auto hupfst oder vor ein
zielfernrohr bist du in lebensgefahr. aber es ist kein grund panisch zu
werden, man muß nur sein verhalten ein wenig anpassen. tschernobyl war für
mich zuerst noch nicht ganz faßbar -- bis ich dann in einem ferialpraktikum
filterkuchen aus dem waldviertel zu untersuchen hatte und der geigerzähler
zu randalieren begann. da war auch das plötzlich sehr real, wenn auch nur
als anzeige auf einem meßgerät.

an all diese gefahren habe ich mich sehr schnell gewöhnen gelernt. die
gefahren war abschätzbar und erklärbar. persönliche erfahrung, wissenschaft
oder berichterstattung waren brauchbare informationsquellen. sie waren
höchstens im detail, aber nicht essentiell widersprüchlich.

aber das jetzt? seriöse wissenschaftler antworten auf die hälfte der fragen,
die sie zu corona gestellt bekommen, daß sie keine ahnung hätten oder
höchstens vermutungen, die so vage wären, daß sie sie lieber nicht äußern
wollten. daher werden diese von politik und journalismus auch nur selten
befragt, weil keine ahnung haben können politiker und journalisten alleine.
also fragt man jene wissenschaftler, die behaupten, einigermassen genau zu
wissen, worum es sich bei diesem virus handelt. politiker und journalisten
suchen sich konkret dann jene aus, die etwas sagen, was sie sich selbst auch
schon so gedacht haben oder das sie hören wollen, weil es ihnen nützt.
medien- und regierungskritische menschen bis hin zu den
verschwörungstheoretikern fragen daraufhin die anderen wissenschaftler, die
behaupten, etwas zu wissen oder zumindest soweit sicher zu sein, daß sie
sich trauen, vermutungen zu äußern.

beide standpunkte -- also todbringendes killervirus vs. kaum schlimmer als
die grippe -- werden mit einer verve vertreten, als wüßte die eigene seite
wirklich mehr als die andere. da werden tabellen, statistiken und vor allem
graphen ende nie veröffentlicht, die aber bei kritischer betrachtung sich
als nicht aussagekräftig herausstellen -- natürlich nur für die jeweils
andere seite. beide seiten fühlen sich aber jedenfalls auch der anderen
seite moralisch überlegen. die einen befürchten ein massensterben durch das
virus, die anderen die zerstörung von wirtschaft, demokratie, wohlfahrt und
psychischer stabilität. die vermutung liegt nahe, daß dieses moralische
überlegenheitsgefühl notwendig ist, weil man die eigenen zweifel sonst nicht
verdrängen kann.

journalisten müssen etwas berichten können -- mit "ich weiß es nicht" konnte
zwar ein sokrates etwas anfangen, aber der mußte ja nicht von der wiedergabe
seiner erkenntnisse leben. er sah sich ja nicht einmal genötigt, diese
aufzuschreiben. heute wäre sokrates einfach nur ein griechischer sandler und
niemand würde ihn ernstnehmen. wir leben im zeitalter der naturwissenschaft
und technik und wir haben medien, die wollen und müssen diese erkenntnisse
verbreiten -- und je konkreter und spektakulärer die aussagen der experten
sind, desto höher sind auflagezahlen und einschaltquoten.

politiker können mit unkenntnis auch nichts anfangen -- sie brauchen
entscheidungsgrundlagen. daher müssen sie auch vorab entscheiden, welchen
wissenschaftlern sie glauben schenken.

auch diese beiden menschengruppe sind getriebene -- von einer angst, das
falsche zu tun. auch von ihnen kommen daher die moralpredigten, nicht nur um
ihre kritiker mundtot zu machen, sondern um auch die eigenen unsicherheiten
zu überspielen.

wir hier unten aber, wir laien in all diesen dingen, die wir noch weniger
wissen als all die experten und keine möglichkeiten zu entscheidungen haben,
sind dem völlig ausgeliefert. wir sehen uns mit dem virus einer gefahr
gegenüber, die wir nicht nur eben nicht sehen können, sondern die wir auch
kaum verstehen. wir sehen andererseits die gefahren, die die
virusbekämpfungsmaßnahmen bergen und verstehen sie auch. aber da wir nicht
wissen, was gefährlicher ist, die krankheit oder die kur, wissen wir auch
nicht, welche position wir beziehen sollen.

zur weiteren verunsicherung trägt bei, daß kein schuldiger und kein
verantwortlicher festmachbar ist -- zumindest keine gruppe und schon gar
keine einzelperson, die eindeutig zu verantwortung zu ziehen wäre.

hingegen die frage, wie wir handeln sollen, stellt sich uns hier unten
nicht -- das sagen uns schon die regierenden und die polizeien dieser welt.
aber das macht uns nicht sicherer sondern eher weniger sicher -- das ist wie
auf einem tandem, wo der hintensitzende mittreten muß und genauso den
gefahren des straßenverkehrs ausgesetzt ist wie der vordermann, aber im
gegensatz zu diesem nur einen rücken sieht und nicht lenken und keine
entscheidungen treffen kann.

um uns aber nicht selbst zu verlieren, müssen wir eine position beziehen und
zwar ohne irgendeinen zweifel haben zu dürfen, weil daß das einzige ist, was
unsere ängste im zaum halten kann.

der siegeszug des menschen auf diesem globus ist sicher auch dadurch
bedingt, daß wir so anpassungsfähig sind. wäre dem nicht so, würden heute
vielleicht die nachkommen der säbelzahntiger die welt beherrschen. wir
können uns einfach an sehr viel gewöhnen. ich habe mich 1992 in sarajevo
auch sehr über mich selbst gewundert, wie schnell ich es normal finden
konnte, im schnellen schritt über die straße zu gehen, während ein
scharfschütze versucht mich mit seinem fernrohr zu erfassen. aber so
grauslich sich diese gefahr auch darstellte, so war sie eindeutig und
berechenbar. aber an eine vollkommen uneinschätzbare gefahr wie dieses virus
kann man sich nicht gewöhnen. da muß man information dazuerfinden, um damit
umgehen zu können.

warum genau einstens sokrates der schierlingsbecher gereicht wurde, ist
unter historikern nicht ganz geklärt. aber es war eindeutig ein politischer
prozeß mit einem ebensolchen schuldspruch. hatte es vielleicht damit zu tun,
daß sokrates so etwas wie der erfinder der dialektik und ein gelehrter
apologet des nichtwissens war? das würde das todesurteil zumindest erklären,
denn in krisenzeiten waren solche leute bei den herrschenden wie im volk
noch nie sehr beliebt.
*bernhard redl*


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