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  akin-Pressedienst.
  Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 25. März 2020; 20:37
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  > Gerettete Regierungen
  
  Was haben Benjamin Netanjahu, Emmanuel Macron, Victor Orban und Sebastian
  Kurz gemeinsam? Sie sollten der Hl. Corona ein Dankgebet schicken.
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  Israels "Bibi" hätte eigentlich demnächst vor Gericht stehen sollen -- aber
  dank Corona wurde das Verfahren verschoben. Einstweilen hat Netanjahu Corona
  zur Chefsache erklärt und entscheidet mit einem kleinen Stab, wo niemand
  wirklich fachlich qualifiziert sein dürfte, alleine über die seiner Meinung
  nach notwendigen Maßnahmen. Die Knesset wird von seinem Parteifreund,
  Parlamentspräsident Edelstein, daran gehindert, ihre Arbeit zu tun -- denn
  das hieße, Netanjahu an einer neuen Ministerpräsidentschaft zu hindern. So
  bleibt Bibi kommissarisch im Amt und läßt den Inlandsgeheimdienst Shin Bet
  Corona-Verdächtige ausforschen -- oder was die dafür halten. In einem
  Kommentar in der "Zeit" heißt es: "Aus ihrer Isolation heraus beobachten die
  Menschen, was gerade in ihrem Land geschieht. Angst vor dem Virus und dessen
  Folgen für die Gesundheit und die Wirtschaft haben mehr oder weniger alle.
  Doch viele Israelis sorgen sich zusätzlich um die politische Zukunft ihres
  Landes. Wenn die Corona-Krise überstanden sein wird - in was für einem Staat
  werden sie dann leben? Wird Israel immer noch die 'einzige Demokratie im
  Nahen Osten sein', wie Benjamin Netanjahu dies jahrzehntelang der Welt
  erklärte?"
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  Frankreichs Macron ist schon seit eineinhalb Jahren unter Dauerbeschuß. Erst
  waren es die Gelbwesten, in den letzten Monaten der Protest gegen seine
  Reform der Pensions- und Arbeitslosenversicherung. Mit Auftauchen der
  Corona-Krise dekretierte er gleichzeitig diese umstrittene Reform und ein
  Versammlungsverbot. An Letzteres hielten sich die Menschen aber nicht und
  Macron mußte feststellen, daß er nur entweder seine Reform oder das
  Demoverbot haben konnte, aber eben nicht beides. Also erklärte er die Reform
  einstweilen mal für ausgesetzt -- was immer das für die Zukunft bedeuten
  mag. Und er gab am 12.März ein bemerkenswertes Statement ab:
  
  "Morgen müssen wir die Lehren ziehen aus dem, was wir gegenwärtig
  durchmachen, das Entwicklungsmodell hinterfragen, in das sich unsere Welt
  seit Jahrzehnten verwickelt hat und dessen Mängel nun ans Licht kommen, die
  Schwächen unserer Demokratien hinterfragen. Eines hat sich durch diese
  Pandemie schon jetzt herausgestellt: Die kostenlose Gesundheit, unabhängig
  vom Einkommen, Stellung und Beruf, unser Sozialstaat sind keine Kosten oder
  Lasten, sondern wertvolle Güter, unverzichtbare Trümpfe, wenn das Schicksal
  zuschlägt. Diese Pandemie hat jetzt schon deutlich gemacht, daß es Güter und
  Dienstleistungen gibt, die außerhalb der Marktgesetze gestellt werden
  müssen. Es ist verrückt, unsere Ernährung, unseren Schutz, die
  Gestaltungsfähigkeiten unseres Lebensrahmens im Grunde an andere zu
  delegieren. Wir müssen die Kontrolle darüber zurückgewinnen, mehr noch als
  bisher ein souveränes Frankreich und Europa errichten, ein Frankreich und
  Europa, das sein Schicksal fest in die Hand nimmt. Die kommenden Wochen und
  Monate werden Entscheidungen erfordern, die in diesem Sinne einen Bruch
  darstellen. Ich werde die Sache in die Hand nehmen."
  
  Wer ist das? Und was hat er mit Macron gemacht? Nein, es dürfte sich schon
  um denselben Emmanuel Macron handeln, der mit seinem neoliberalen Programm
  2017 zum Staatspräsidenten gewählt worden war. Aber offensichtlich ist ihm
  klargeworden, daß es jetzt solcher Botschaften bedarf. Wieviel davon nach
  der wiedergewonnen Einigkeit eines durch die Krise gestählten Frankreichs
  überbleibt? In der Substanz wahrscheinlich nicht viel, aber Macron wird dann
  wohl längere Zeit als der Präsident aller Franzosen angesehen werden -- das
  könnte sogar für eine Wiederwahl 2022 reichen, die sonst wohl unmöglich
  gewesen wäre.
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  Viktor Orban indes nutzt die Krise zur Ausschaltung des Parlaments und zur
  Einführung der Zensur. Um die sowieso schon kaputte Wirtschaft Ungarns doch
  noch am Laufen zu halten, beordert er Militärs zu den wichtigsten Firmen des
  Landes. Aber hat der mit einer Zweidrittelmehrheit im Parlament gerüstete
  Ministerpräsident so ein putschähnliches Unterfangen überhaupt nötig? Paul
  Lendvai meint im "Standard" dazu: "Die überraschende Wahlniederlage der
  Regierungspartei im Oktober 2019 bei den Kommunalwahlen in Budapest und
  einigen anderen Städten galt für den gerissenen Machtmenschen als Anzeichen
  einer möglichen Niederlage bei den im April 2022 fälligen Parlamentswahlen.
  Jeder Ungar weiß, dass das Gesundheitssystem (wie auch das Bildungswesen) in
  einem miserablen Zustand ist. Infolge einer akuten Krise könnten gemeinsame
  Kandidaten der (heute gespaltenen) Opposition in den 106 Wahlbezirken die
  Regierungspartei schlagen und eine Wachablöse herbeiführen. In diesem Fall
  würde eine beträchtliche Anzahl der Schlüsselfiguren des (nach Bulgarien)
  korruptesten EU-Staates wohl früher oder später hinter Gittern landen." Dank
  Corona wird es dazu wohl nicht mehr kommen.
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  Und unser hiesiger Messias? Nun, dessen Regierung war in den letzten Tagen
  vor der ausgerufenen Krise schwer am Abschmieren. Die Erbarmungslosigkeit in
  der Flüchtlingskrise an der griechisch-türkischen Grenze und die
  Demütigungen des Koalitionspartners waren hart an dem, was die Grünen noch
  ertragen konnten und was deren Minister kaum mehr der Parteibasis zu
  erklären vermochten. Dazu kam auch, daß der noch schwarze Anteil der ÖVP den
  türkisen Gesalbten immer stärker in Bedrängnis brachte -- kirchliche Kreise
  und schwarze Bürgermeister stellten dessen Politik grundsätzlich in Frage.
  Fast schon wären Wetten angebracht gewesen, ob eher der Koalitionspartner
  oder doch eine der berüchtigten ÖVP-Palastrevolten das Ende des Kabinetts
  Kurz II herbeiführen würden.
  
  Aber dann kam Corona. Und da konnte sich der Bundesmaturant als
  unhinterfragbarer Staatenlenker in schweren Zeiten zelebrieren und nach
  einer gewissen Anlaufphase auch den grünen Ministern eine Möglichkeit zur
  Profilierung bieten. Zwar entlassen Ewa Dziedzic und noch einige andere
  grüne Nationalräte nach wie vor die Regierung nicht aus ihrer humanitären
  Verantwortung, aber dank des Ausnahmezustands mußte auch die diesbezügliche
  Demo abgesagt werden -- wäre ja peinlich, wenn Abgeordnete der
  Regierungsfraktion gegen die Regierung protestieren. Auch der
  Ibiza-Untersuchungsausschuß, der jetzt doch alle Vorkommnisse hätte
  untersuchen dürfen, wurde auf die lange Bank geschoben. Der Nationalrat
  existiert nur mehr als Rumpfparlament und hatte jetzt zweimal in
  Speed-Sitzungen die Möglichkeit, die Regierungsvorlagen abzunicken. Die
  nächste Sitzung soll indes erst in einem Monat stattfinden. Ob sie das wird,
  bleibt abzuwarten. Kommt wahrscheinlich darauf an, wie die Zustimmungswerte
  der ÖVP dann aussehen.
  -br-
  
  
  Zitate
  Israel:
  https://www.zeit.de/politik/ausland/2020-03/coronavirus-israel-benjamin-netanjahu-benny-gantz-regierungsbildung-opposition/
  Frankreich:
  https://www.freitag.de/autoren/reinhardt-gutsche/macron-geht-an-s-eingemachte-1
  Ungarn: https://www.derstandard.at/story/2000116068044/
  
  
  
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