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  akin-Pressedienst.
  Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 25. März 2020; 20:29
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  > Was macht das mit uns?
  
  Die These, daß das Bürgertum einen Hang zum Faschistoiden hat, wird gerade
  wieder bewiesen.
  
  
  Der Sportminister hat gerade im Fernsehen erklärt, man solle nicht so viel
  Sport treiben: "Ich möchte einen kleinen Appell hier noch mitliefern, das
  bezieht sich auf den Bereich des Sports, weil ich da sehr viele Meldungen
  bei mir im Ministerium auch habe: Ich würde ersuchen, diese Methode, die wir
  gewählt haben, Ausgangsbeschränkungen ja, aber dem natürlichen
  Bewegungsdrang der Menschen einen gewissen Freiraum zu geben, nicht
  allzusehr auszureizen. ...
  
  Das war nicht Idee, die Idee war, daß man sich für kurze Zeit im Freien
  bewegen kann und die, die den Sport gewohnt sind, dies tunlichst nur alleine
  machen sollen, das entsprechend auch in nicht allzulanger Zeit absolvieren.
  Wir würden uns sonst gezwungen sehen, da nachzuschärfen."
  
  Dieses Statement faßt eigentlich fast alles zusammen, was in den letzten
  Tagen so ungut war: Autoritäre Tendenzen der Regierung, verschärft durch
  eine eigenwillige Interpretation dieser "Maßnahmen" durch die Polizei und
  Blockwarte, die alles ihnen Unliebsame sofort an die Obrigkeit melden
  müssen, kombiniert mit der Geste, daß man ja schon gnädig etwas Rücksicht
  auf eine artgerechte Haltung der Untertanen walten lassen möchte, aber auch
  noch ganz anders könne, wenn diese Untertanen nicht von sich aus parieren.
  
  In den letzten Tagen marschieren wir aus Vernunftgründen gerade in eine
  Gesellschaft, die persönliche Freiheit zum Luxusgut erklärt, auf das man
  jetzt eben verzichten müsse. Es ist dabei völlig egal, welcher Schaden damit
  angerichtet wird -- Hauptsache, dieses Virus verbreitet sich langsamer. In
  Facebook-Diskussionen muß ich mir auch von angeblichen Linken anhören, daß
  wir doch jetzt alle folgsam sein müßten und es eine Verharmlosung des Virus
  sei, wenn ich vor der Verharmlosung eben dieser autoritären Tendenzen warne.
  Oder nach einer Debatte auf Twitter, wo ich vor einem beginnenden
  Polizeistaat warne, der ja mittlerweile schon mittels Polizeischülern im
  Bundeskanzleramt etwas aufbaut, was einen Hang zur Zensur hat, und mich auch
  frage, wie lange ich das noch auf Twitter vertreten werde könne, bekomme ich
  die Antwort von jemandem, der sich selbst als Antifaschisten versteht: "Und
  warum gerade jetzt einen Polizeistaat? Das passiert nicht, weil niemand ihre
  wirre Meinung hören will, das passiert, weil wir nicht jeden Tag 100 Tote
  haben wollen."
  
  Ja, das ist es. Polizeistaat ist in Ordnung, wenn es vernünftig und
  angebracht ist. Und wenn die Regierung sagt, daß es ansonsten so viele Tote
  gibt, dann muß man das akzeptieren. Wer was anderes meint, meint etwas
  "wirres". Soweit sind wir schon.
  
  Es herrscht eine Athmosphäre der Angst. Der Wiener Polizeipräsident tritt im
  Fernsehen auf im vollem Ornat inclusive lächerlicher Ordensbändchen -- es
  ist Krieg, soll das heissen. Frankreichs Staatspräsident hat das
  wortwörtlich so gesagt, bei uns reicht die Symbolik einer Generalsuniform.
  Die Miliz wird teilmobilisiert, gleichzeitig die gegenwärtigen Präsenzdiener
  nicht aus dem Dienst entlassen, für die derzeitigen Zivildiener gilt
  Verlängerung als außerordentlicher Zivildienst. Frühere Zivildiener werden
  gebeten, sich freiwillig neu zu verpflichten, eine kommende
  Zwangsverpflichtung wird in Aussicht gestellt. Die Soldaten sollen zunächst
  nur Polizisten bei der Botschaftsbewachung entlasten, aber auch zivile
  Infrastruktur schützen -- das sind die Szenarien, die im Militär seit Jahren
  für den Kriegs- und vor allem Bürgerkriegsfall geübt haben. All das sagt:
  Seids brav, sonst wird aus dem Ausnahmezustand Kriegsrecht.
  
  Daß die Polizei sich momentan derart aufführt, braucht da niemanden
  verwundern -- denen macht es immer Spaß, Bürger zu schikanieren, und wenn
  sie carte blanche dafür kriegen, dann tun die das auch. Und welch
  Überraschung, am Liebsten lassen sie ihre Wut an migrantisch aussehenden
  Menschen und Obdachlosen aus. Aber das geht eben nur, wenn die Gesellschaft
  nichts mehr daran auszusetzen hat.
  
  Es ist jetzt völlig egal, ob die Menschen krank und depressiv vom
  Eingesperrtsein werden, es ist egal, wenn so etwas wie Bürgerrechte, die mit
  sehr viel mehr Toten erkämpft worden sind, als dieses Virus je fordern
  könnte, einfach sistiert werden. Das geht ganz schnell, wenn man nur die
  richtige Erklärung hat. Und das ist wirklich erschreckend.
  
  Nur: Ganz neu ist das alles nicht. Seit gut 20 Jahren, verschärft in den
  letzten Jahren, stehen das Recht auf Benützung des öffentlichen Raums
  genauso wie die freie Rede zur Disposition. Mal ist es der Terror, mal die
  Gesundheit und mal auch einfach nur die öffentliche Sittlichkeit, die als
  Begründung herhalten müssen. Da gibt es Anti-Terror-Gesetze, staatliche
  Überwachungskameras, Rauchverbote im Beisl und Alkoholverbote im Park und
  Eßverbote in der U-Bahn. Man braucht ein neues Staatsschutzgesetz, neue
  Polizeibefugnisse, ein Vermummungsverbot und eine Vorratsdatenspeicherung --
  manches davon hebt wenigstens der VfGH wieder auf, aber das meiste bleibt.
  Und dann natürlich die Debatte um "Hass im Netz" -- wird dieser Text hier
  vielleicht auch bald darunter laufen, wenn er im Internet landet? Oder weil
  er wider die volksgesundheitliche Vernunft ist?
  
  Noch sind wir nicht soweit. Noch! Aber wie lange verbleiben wir jetzt im
  Ausnahmezustand? Und wird er doch noch verschärft? Wann wird es die ersten
  Randalen der "5 Prozent Uneinsichtigen" geben, die dann vielleicht ein
  bisserl mehr als 5 Prozent sein werden? Und wie wird der Staat darauf
  reagieren? Und werden die Wohlmeinenden und Vernünftigen dann gegen den
  Staat wegen schärferer Repression protestieren oder nicht vielmehr
  applaudieren? Angesichts der Tatsache, daß die das ja sogar für toll finden,
  wenn die Wiener Polizei eine ekelhafte Patriotenhymne erschallen läßt, um
  damit die Reihen der Volksgemeinschaft dichter zu schließen.
  
  Und was wird von all diesen Maßnahmen bleiben, wenn man beim besten Willen
  nicht mehr von einer Corona-Gefahr reden wird können? Ungarn ist nicht der
  Ausreisser in autoritären Tendenzen, es ist nur die Vorschau, was auch im
  Rest der EU passieren wird, wenn wir nicht aufpassen.
  
  Und nein, die Verschwörungstheoretiker sind im Unrecht, wenn sie meinen, das
  wäre alles geplant. Das ist Unfug, denn "Bilderberger" und Co. können nicht
  den Zusammenbruch der Weltwirtschaft wollen. Das braucht es auch gar
  nicht -- der Staat und das Bürgertum haben prinzipiell immer eine Tendenz
  zum Faschistoiden und letztlich zum Faschismus selbst. Erst wenn es zur
  Revolte oder zum Zusammenbruch des Systems kommt, wird dann wieder auf einem
  höheren Freiheitslevel angefangen. Unsere Freiheits- und sozialen Rechte
  sind immer in Gefahr.
  
  Dennoch gibt es Hoffnung: Viele Menschen meinen jetzt, daß diese Krise
  zeige, wie heruntergekommen die Industriestaaten sind mit ihrem neoliberalen
  Wirtschaftssystem und ihrer illiberalen Gesellschaftspolitik. Man lasse
  Menschen an Krieg und Armut sterben, aber Banken müsse man retten -- diese
  Politik sei gescheitert und könne nach der Krise nicht einfach wieder
  aufgenommen werden. Das wäre jetzt überdeutlich zu sehen.
  
  Aber diese Hoffnung wird sich in Luft auflösen, wenn dafür nicht auch
  gekämpft werden wird. Daß die bestehenden politischen Parteien genauso wie
  die Gewerkschaften diesbezüglich untaugliche Bündnispartner sind, haben sie
  schon lange genug bewiesen und beweisen es gerade jetzt aufs Neue
  überdeutlich. Und die Bobos kann man dazu auch nicht brauchen, die uns jetzt
  erklären, Freiheitsrechte sind in Krisenzeiten verzichtbar und man müsse
  doch dem Staat vertrauen.
  
  Ja, wenn wir uns wieder sehen können (sobald uns das die Regerung
  gnädigerweise erlaubt), werden wir Linke uns etwas überlegen müssen. Da wird
  es nicht reichen, gegen jene Sparpakete zu demonstrieren, die kommen werden,
  wenn die Corona-Verschuldung zurückgezahlt werden soll.
  
  Momentan aber ist zwar viel von Solidarität die Rede, aber das meint, daß
  die Menschen sich in der Öffentlichkeit gegenseitig verdächtigen sollen, daß
  die jeweils anderen verantwortungslose Virenschleudern sein könnten. Wenn
  Solidarität wieder heißt, daß keine Menschen mehr im Park erfrieren dürfen
  und daß niemand mehr erschossen wird, weil Steyr-Mannlicher schwarze Zahlen
  schreiben will, und daß migrantische wie autochtone Einwohner die gleichen
  Rechte haben und daß die Reichen gefälligst die diversen Krisen zu bezahlen
  haben -- ja, dann könnte was weitergehen. Aber das wird eben nicht von
  selbst passieren. Momentan wird gerade das Gesellschaftliche durch das
  Volksgemeinschaftliche ersetzt. Schon allein der Weg zurück zum Status Quo
  Ante wird schwer.
  
  Aber die Hoffnung stirbt bekanntermassen zuletzt.
  *Bernhard Redl*
  
  
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