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  akin-Pressedienst.
  Aussendungszeitpunkt: Donnerstag, 2. April 2020; 16:54
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  VERWORTET
  
  > Diktatur
  
  "Zu Viktor Orban fällt mir nichts ein." Hätte der Kanzler sagen können.
  Hätte vielleicht ein Bruno Kreisky gesagt und sein Auditorium hätte die
  Anspielung auch verstanden. Hat der aktuelle Regierungschef aber nicht.
  Wundert auch niemanden. Dieser sagte hingegen, daß er jetzt nicht die Zeit
  hätte, sich mit Ungarn zu befassen.
  
  Interessanter war dabei aber fast die etwas verkrampfte Frage von Hans
  Bürger in der Spezial-ZiB, auf die der Gesalbte antwortete. Bürger
  formulierte das so: "Es gab heute diese Entscheidung in Ungarn, daß Viktor
  Orban offenbar mit Dekret regieren will. Was einer -- sagen wir einmal --
  kleinen Diktatur ähnlich kommt. Geht er da zu weit?"
  
  Natürlich geht er da zu weit. Nur Diktator ist er deswegen keiner -- nach
  traditionellem Verständnis. Noch 1906 definierte der Brockhaus das Wort so:
  "unumschränkter Gebieter, in der altröm. Republik eine in Zeiten der Not
  oder für besondere Geschäfte auf sechs Monate ernannte, mit der höchsten
  Gewalt bekleidete Magistratsperson". Das erinnert weniger an das, was jetzt
  in Ungarn passiert, sondern eher an Österreich -- genau das ist diese
  "sunset clause" im ersten Covid-19-Gesetzespaket, dessen Wirksamkeit mit
  Silvester terminiert ist. Es ist absehbar, daß bis dahin der Gesalbte und
  seine Minister de facto mit Verordnungen regieren, also diktatorisch. Der
  Reichsverweser hingegen hat eine Tyrannis begründet -- weil eben ohne
  Ablaufdatum.
  
  Warum aber meint heute Diktatur das, was man früher unter Tyrannei
  verstanden hat? Und warum ist der Unterschied wichtig? Zum einen liegt das
  wohl daran, daß die Diktatur, so seltsam es klingen mag, eine
  republikanische Institution ist. Wenn ein Fürst regiert, braucht es keinen
  Diktator -- und es ist noch nicht lange her, daß Fürsten von Gottes Gnaden,
  wenn auch bisweilen konstitutionell kontrolliert, die europäischen Staaten
  regierten. Zum anderen erklärt es sich wohl auch aus der Lesart der
  römischen Geschichte. Julius Cäsar hatte sich nämlich zuerst nur zum
  einfachen Diktator gemäß der römischen Verfassung, dann aber entgegen dieser
  antiken obligatorischen sunset clause zum Diktator auf Lebenszeit ernennen
  lassen -- also de facto zum Monarchen. Daher stammt auch die Ableitung
  seines Namens zum späteren Fürstentitel eines Kaisers. Cäsar wurde damit im
  common sense bis zu Anfang des letzten Jahrhunderts durchaus noch als
  legitimer Herrscher angesehen, was man heute wohl nicht mehr sagen kann.
  
  Aber genau deswegen wird ein Schuh daraus: Aus einer zeitlich begrenzten
  absoluten Macht kann leicht eine Institution auf Dauer werden. Das ist genau
  das, was derzeit in Ungarn passiert -- denn diktatorisch im klassischen
  Sinne war Ungarn schon länger regiert. Jetzt aber gibt es dort keine
  zeitliche Begrenzung mehr und ob es so bald wieder echte und faire Wahlen
  geben wird können, ist mehr als fraglich.
  
  Allerdings: Als Cäsar sich zu diesen Herrschaftshöhen aufschwang, betrug
  eben diese seine weitere Lebenszeit nur noch zwei Jahre. Denn jeder Tyrann
  muß damit rechnen, daß es auch einmal einen Brutus geben kann. Es muß ja
  nicht immer gleich blutig dabei werden.
  -br-
  (30.3.2020)
  
  In der Rubrik VERWORTET stellt die akin regelmäßig Wörter oder Phrasen vor,
  deren allgemeiner Gebrauch nicht ganz koscher ist. Wer dabei mitmachen will,
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