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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Donnerstag, 5. März 2020; 01:14
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Debatte/Gruene:

Vorbemerkung der Redaktion: Wie prekär die moralische Situation bei den
Grünen derzeit ist, zeigt folgender Text. Er stammt schon vom 6.Jänner (das
war der übernächste Tag nach dem "mutigen" Buko-Beschluß) und wurde auf dem
auch früher schon recht hellsichtigen grünen Blog reflektive.at
veröffentlicht. In diesem Beitrag wird schon zu einem sehr frühen Zeitpunkt
klargestellt, daß diese Regierung höchstwahrscheinlich eine grausliche
werden wird und man doch deswegen bitte vom ersten Moment an diese Koalition
unter Druck von unten setzen solle. Irgendwie soll das aber eine
Unterstützung für die Grünen in der Koalition sein. Bezeichnend ist auch,
daß das der letzte Beitrag auf der Plattform war. Als Türkisgrün seine
Arbeit aufnahm, stellte die Reflektive die ihre ein. Kritische Begleitung
dieser Regierung wurde ganz offensichtlich von der Partei doch nicht so
gewünscht.


> Die Grünen nicht alleine lassen

von *Anna Schopf*

Die Grünen sind das erste Mal als Koalitionspartner in der Regierung. Aber
bis jetzt weniger als Partner, denn als Koalitionsvollzieher: Voller
Verantwortung und aus Mangel an Alternativen vertreten sie nun viele
schmerzhafte bis diametrale "Regierungsbotschaften".

Vier hoffnungsvolle Gründe, warum dies trotzdem irgendwie gelingen kann.

Ohne Zweifel: Ja, es ist übel

Die ersten Reaktionen haben einen eindeutigen Tenor: die ÖVP ist noch immer
auf FPÖ-Linie in Asyl-, Migrations-, Integrationsfragen unterwegs, die
Grünen bekommen eine Arbeitsgruppe ("Taskforce") für eine undefinierte
Öko-Steuerreform in zwei Jahren und eine Umweltministerin, die ein
"Superministerium" ohne Budgetressourcen bekommt, welche die bevorstehende
Klimakatastrophe vorerst mehr mit Worten als mit Taten und Maßnahmen
bekämpfen wird. Besonders in Kritik stehen die präventive Sicherungshaft
("Haft auf Verdacht"), das Kopftuchverbot bis 14 Jahre, fehlende
Armutsbekämpfung oder das Weiterwurtscheln im selektiven Bildungsbereich. Es
wird sich erst in Zukunft zeigen, ob diese Zugeständnisse es politisch wert
waren, um eine Klimapolitik mit grüner Handschrift umzusetzen.

Ohne Zweifel sind die ÖVP-Interessen im Text des konkreter und auch mit
Zeitplänen besser bedacht, als die den Grünen zurechenbaren Konzepte, die
vielfach noch im "Prüfmodus" angeführt werden. Hier braucht es kein
Insiderwissen, um zu erkennen, dass die Durchsetzung dieser Ideen sich
unwahrscheinlicher bis schwerer darstellt. Denn was kann ein sprachlich
umschriebener Mindestlohn, wenn er keine Höhe hat? Was kann eine
Ökosteuerreform, wenn nicht einmal die Höhe oder Spannweite des CO2-Preises
angeführt wird?

Mehr war mit der ÖVP nicht möglich. Österreich wird also öko-konservativ.
Doch worin lassen sich Hoffnungsschimmer finden?

Durchbruch des Message-Schauspiels: Ja, es schmerzt!

Schon die vielen Presse-Auftritte von Sebastian Kurz und Werner Kogler
zeigten ein verändertes Bild im Vergleich zu Kurz und Strache. Während
Strache als rechtsliberaler Staatsmann populistischen Zuschnitts agierte und
im Message-Controll-Spiel weitgehend mitspielte, ist Werner Kogler noch
immer in seinem gewohnten steirischen launischen Element. Wer ihm genau
zuhört, hört vieles heraus, was nicht genuin unter Message-Control fallen
kann. Kogler relativiert, er klärt auf, er kommuniziert Politik mehr als er
sie nur verkauft. Wenn er anführt, dass es kein Messinstrument für die
Schmerzen gibt, die er in den Verhandlungen gespürt habe, dann verdeutlicht
dies gut, dass es für ihn und die grünen VerhandlerInnen mehr als schwer
war. Und noch schwer wird.

Good und Bad: Besser Gegenposition als Opposition?

Die ÖVP erlebt seit den von Sebastian Kurz betriebenen Machtwechsels einen
politischen Höhenflug. Als politischer Allzweckjoker dient das Flüchtlings-
und Migrationsthema. Damit wird mehr als politisches Kleingeld gewechselt,
es ist bereits zu einem notwendigen Garantieschein geworden, das alle Fragen
des sozialen Zusammenspiels weniger als soziale, denn als kulturelle
Ungleichheit umdeutet. Hauptsache, wir fühlen uns sicher bzw. haben Angst
vor Menschen, die aus Kriegsgebieten und Krisenregionen um ihr Leben zu
retten hier her flüchten. In den letzten zwei Jahren holte die türkise ÖVP
das Migrationsthema immer wieder aus dem Hut um von Krisen und
Unstimmigkeiten abzulenken. Nun muss die ÖVP nicht mehr die FPÖ in der
Regierung rechts überholen. Und selbst wenn die türkise ÖVP dieses
populistische Ablenkmanöver ab und zu versucht, um die ehemaligen
FPÖ-WählerInnen zu halten, kommt einem Grünen Regierungspartner mehr
Aufmerksamkeit in seiner Gegenposition zu, als einer Oppositionspartei.
Vielleicht wird die ÖVP durch die neue Regierungskonstellation so auch etwas
ausgebremst? Denn jeder Bad Cop braucht einen guten. Und hier sind die
Rollen recht klar neu verteilt.

Wer ist auf dem Spielfeld?

Auch die politische Sprache und Kultur wird sich verändern. Das ist bereits
jetzt ansatzweise zu bemerken: Im Vergleich zum ÖVP/FPÖ Regierungsprogramm
vor zwei Jahren geht es weniger um Heimat und seine mutmaßlichen
Bedrohungen, sondern um Klima und Umwelt, um Transparenz und Information.
Dies alles ist bis jetzt nur ausgedrucktes Papier, doch die Chancen stehen
gut, dass die Diskussionen und Debatten sich genau um diese Themen bewegen
werden. Denn in den nächsten Jahren ist der klimapolitische Schwerpunkt als
zentraler Diskurs gesetzt. Die gestärkte Klimabewegung, als auch die neue
EU-Kommission stützen dieses Anliegen. Die Grünen sind nun am Spielfeld. Sie
mögen weniger SpielerInnen sein, aber sie sind erstmals gezwungen, ihre
Chancen auch wirklich zu verwerten.

Grün- und SPÖ-WählerInnen und Sympathisierende, wo seid ihr?

Alle jene, die eine Politik wollen, die sich um den gesellschaftlichen
sozialen Ausgleich bemüht, die mehr mutige Klimapolitik für die zukünftigen
Generationen fordert und umsetzt, die Frauenpolitik als
Gleichstellungspolitik begreift, die Menschen in Notlagen wieder aufhilft
und Perspektiven bietet, die Arme nicht gegen noch Ärmere ausspielt, die
Heimat und Herkunft nicht instrumentalisiert und die Religion nicht nach der
Freund-Feindlogik begreift, und die Verfassungsbestimmungen und
Menschenrechte ernst nimmt, sind nun mehr denn je aufgefordert, sich
deutlich wahrnehmbar und effektiv an Debatten und Diskussionen zu
beteiligen. Beziehen wir Position, lassen wir reale und virtuelle
Hasstiraden nicht durchgehen, nutzen wir das Recht unsere Meinung kundzutun,
schreiben wir Postings, Leserbriefe, gehen wir zu den Wahlen, und auf Demos,
machen wir uns sichtbar. Lassen wir die Grünen nicht alleine.
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https://www.reflektive.at/die-gruenen-nicht-alleine-lassen/


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