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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 12. Februar 2020; 22:43
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Arbeit:

> Administratives Ende der Notstandshilfe?

Wenn die ÖVP die Notstandshilfe faktisch abschaffen will, braucht sie keine
Gesetzesänderung
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Die Grünen haben bei der Präsentation des Regierungsprogramms behauptet, sie
hätten die "Reform" und damit de facto Abschaffung der Notstandshilfe
herausverhandelt. Nun, das wird wohl so sein, war es ja vor allem die
türkise ÖVP, die das immer wollte -- die Blauen sollten in der
Basti-Bumsti-Koalition es ja nur verkaufen, weil die zuständige Ministerin
eine von ihnen war.

Rückblende: In der koalitionsfreien Zeit 2017 landeten die Grünen ein Coup:
"Das Partnereinkommen wird bei der Notstandshilfe künftig nicht mehr
angerechnet. Nach einer hitzigen Debatte im Nationalrat wurde das
ursprünglich von den Grünen im Parlament initiierte Vorhaben in der Fassung
eines heute zusammen mit der SPÖ eingebrachten Abänderungsantrags gemeinsam
mit der FPÖ beschlossen. Gegen die Gesetzesvorlage stellten sich ÖVP und die
NEOS" berichtete damals die Parlamentskorrespondenz.

Daß die ÖVP das auf sich sitzen lassen würde, war nicht zu erwarten:
Türkis-blau schickte eine entsprechende "Reform" auf die Reise -- Ibiza
verhinderte dann aber deren Realisierung. Auch das jetzige
Regierungsübereinkommen sieht das nicht vor. Aber es sieht vor, daß die
Arbeitsagenden -- und damit die Zuständigkeit für das die Notstandshilfe
auszahlende AMS -- in ein ÖVP-Ministerium wandert. Damit hat die ÖVP alles,
um ihre "Reform" weitgehend doch noch durchzuziehen.

Denn wenn auch die Novelle von 2017 ein Meilenstein vor allem für Frauen,
aber auch für nicht so gutsituierte Paare, war, erzeugte sie ein neues
Problem. Nach wie vor steht im AlVG 1977, §33: "(2) Notstandshilfe ist
nur zu gewähren, wenn der (die) Arbeitslose ... sich in Notlage befindet.
(3) Notlage liegt vor, wenn dem Arbeitslosen die Befriedigung der
notwendigen Lebensbedürfnisse unmöglich ist." Das ist nicht weit entfernt
von den Definitionen der Notlage in den Bestimmungen über die
Mindestsicherung resp. Sozialhilfe.

Mit dieser Novelle wurde völlig unklar, was so eine Notlage genau ist und
wer das definiert, denn ebenfalls gestrichen wurde die Zuständigkeit des
Arbeitsministeriums für den Erlaß von diesbezüglichen Richtlinien. Das kann
man angesichts einer Unternehmensberaterin als Arbeitsministerin schon
begrüßen -- allerdings wäre eine Ministerin, die eine derartige Verordnung
erließe, diesbezüglich wenigstens politisch angreifbar.

Bestimmen jetzt also die AMS-Stellen alleine, was eine Notlage ist und wann
daher Notstandshilfe ausgezahlt wird? Ja und Nein. Bislang war die Praxis
nach der Streichung der Einberechnung des Partnereinkommen so, daß eine
Notlage nach Auslaufen des Arbeitslosenbezuges üblicherweise angenommen
worden ist. Allerdings wurde bisher das AMS sozialpartnerschaftlich geführt.
Mit der neuen Regierung sind aber die drei Regierungsvertreter im
Verwaltungsrat des AMS alle "türkis", also schwarz. Damit ergibt sich eine
Zweidrittelmehrheit im Verwaltungsrat für die Unternehmervertreter, während
es in der alten rotschwarzen Koalition noch eine 5:4-Mehrheit der Vertreter
der traditionell roten Institutionen gegeben hatte. Eine solche
Zweidrittelmehrheit ist zum Beispiel nötig für die "Bestellung von
Landesgeschäftsführern und deren Stellvertretern und vorzeitige Beendigung
des Vertragsverhältnisses von Vorstandsmitgliedern und von
Landesgeschäftsführern". Und das sind halt die Leute, die den "Betreuern"
Weisungen geben können.

Still und leise, ohne daß jemand in der Regierung dafür unmittelbar
verantwortlich ist, kann damit also das an sich eh schon ungute Regime am
AMS weiter verschärft werden -- und die Notstandshilfe zur Mindestsicherung
werden (wenn auch für ehemals gutverdienende auf höherem Niveau). Der Zwang
zur Nutzung von Notgroschen und zur Veräußerung allen Eigentums wäre
praktisch der Gleiche. Und damit ginge auch einher der Verlust von
Pensionsversicherungszeiten. Sprich: Hartz IV auf administrativem Weg ohne
politische Debatte.

Kickls Erbe

Wunderbar paßt dazu eine Einrichtung, die wir der Ibiza-Regierung verdanken.
Denn schließlich muß man dafür sorgen, daß solche Notlagen auch wirklich
kontrolliert werden. Während eine gesetzliche Verschärfung in der
Amtsperiode der damaligen Regierung sich nicht mehr ausgegangen ist, war
auch hier auf administrativem Wege so Einiges drin. Im November 2018 rief
der damalige Innenminister Herbert Kickl die "Taskforce
Sozialleistungsbetrug" ins Leben. "Taskforces" sind ja in letzter Zeit sehr
beliebt, nur im Gegensatz zu den üblichen ist diese wirklich wie ihr
sprachliches Vorbild bewaffnet: Vertreter der Sozialversicherungen und des
Finanzministeriums sollen darin den Staatsanwaltschaften und der Kriminal-
und Fremdenpolizei helfen, solche "Betrüger" aufzuspüren. Dabei geht es aber
genau nicht um windige Unternehmer, die keine Sozialleistungen für ihre
Angestellten abführen sondern, wie die Landespolizeidirektion Wien es in
einer Aussendung formuliert: "Beim sogenannten Sozialleistungsbetrug
erschleichen sich Täter und Täterinnen durch Vortäuschen falscher Tatsachen
Leistungen aus dem Sozialsystem (Betrugshandlungen). Dies sind
beispielsweise der Missbrauch und Betrügereien bei der Mindestsicherung oder
der ungerechtfertigte Bezug von Arbeitslosengeld oder Notstandshilfe."

Tja und diese Taskforce gibt es nach Kickls Abgang noch immer -- gerade eben
fand in Wien ein diesbezügliches Vernetzungstreffen statt, wie die LPD Wien
stolz auf ihrer Homepage verkündete. Inwiefern diese Vernetzung kompatibel
mit Datenschutzbestimmungen ist, ist der Aussendung nicht zu entnehmen. Aber
die diesbezüglichen Polizeibeamten haben sicher großes Interesse an den
Daten der Sozialversicherungsvertreter.

Ein mögliches Szenario

Diese Taskforce wird wohl nicht wieder abgeschafft werden -- würde
tatsächlich eine solche Neudefinition von "Notlage" eingeführt, wäre diese
vernetzte Zugriffseinheit recht brauchbar.

Natürlich, es ist nur eine Möglichkeit, die da die Bundesregierung, also die
ÖVP, hat und es heißt nicht, daß es so passieren wird. Wenn, dann werden
solche Verschärfungen auch nur sehr langsam passieren, damit es nicht so
auffällt. Aber ist diese Herangehensweise vorbei an Parlament,
Koalitionspartner und Medien der ÖVP zuzutrauen? Allemal! Es gilt, wachsam
zu sein.
*Bernhard Redl*


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