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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Donnerstag, 30. Januar 2020; 00:29
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Glosse:

> Die Arbeit hoch!

Die derzeitigen Diskussionen um den Arbeitsmarkt sind aber sowas von 20.
Jahrhundert
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Der Schonwiederkanzler meint, es brauche beim AMS "noch strengeren Vollzug",
weil das Arbeitslosengeld nicht für jene da sei, die nicht arbeiten wollten.
Dabei verschärft das AMS sowieso laufend in der Praxis seinen Vollzug. 2014
gab es 101.190 Sperren des Arbeitslosengeldes. Seither steigt die Zahl
kontinuierlich an, letztes Jahr wurden schon 145.671 Sperren verhängt. Doch
das ändert "nichts am Verhältnis zwischen offenen Stellen und Arbeitslosen.
400.000 Menschen in Österreich sind aktuell arbeitslos -- offene Stellen
gibt es 65.000. Das primäre Arbeitsmarktproblem sind also nicht unwillige
Arbeitslose sondern zu wenige Jobs". Das schreibt Barbara Blaha, heute
Leiterin des Momentum-Instituts und früher einmal eine Zukunftshoffnung der
SPÖ, aus der sie aber schon 2007 ausgetreten ist. Und weiter in diesem
Gatskommentar in der "Wiener Zeitung": "Unter älteren Langzeitarbeitslosen
beträgt die Chance, einen Job zu finden, 4 Prozent".

Die neue Regierung hingegen will nicht nur den AMS-Terror verschärfen,
sondern tut das unter dem Schlagwort "Anreize" für die Arbeitssuchenden --
das als "Euphemismus" zu bezeichnen, wäre wohl untertrieben, "Chuzpe" ist da
treffender. Markus Koza, frisch gebackener Grün-Nationalrat und bislang
AUGE-Gewerkschafter versucht da gegenzusteuern, wenn er auf Facebook
schreibt: "Bestens bewährte 'Anreize' um Jobannahmen zu fördern sind gute
Einkommen, faire Arbeitsbedingungen, Wertschätzung und Mitbestimmung am
Arbeitsplatz, Aufstiegschancen, planbare Arbeitszeiten, soziale Absicherung,
keine Einkommensdiskriminierung, ...".

Aber -- siehe oben -- es gibt nicht einmal genug miese Jobs, geschweige denn
faire Arbeitsangebote. Und damit das auch so bleibt, will die Regierung die
gerade wieder eingeführte Hacklerregelung wieder abschaffen -- da ist auch
Kozas Parteichef Kogler dafür. Unter anderem mit der Argumentation, daß die
Hacklerregelung ja nur Männern helfe, und es ginge doch darum, Frauenarmut
zu bekämpfen.

Und allen miteinander ist es ganz wichtig, Menschen möglichst lange in
Beschäftigung zu halten. Die Wohlmeinenden, also die Sozis, kommen dann noch
damit daher, daß die "Aktion 20.000" wieder installiert werden solle. Aber
selbst dann wird es für die Generation 50+ genau gar keine festen Jobs
geben -- höchstens Überbrückungsmaßnahmen bis zur Pension. Blöd, daß das
faktische Pensionsantrittsalter ja sowieso angehoben werden soll und die
Frauen, die heute 50 sind, auch schon bis 65 hackeln dürfen.

Ja, und Herr Kapsch möchte Wiener Arbeitslose überhaupt nach Tirol
schicken -- das ist nicht nur eine seltsame Vorstellung von
"Work-Life-Balance", sondern paßt mit den Vorstellungen des Gesalbten von
Wohnungseigentumsbildung eher nicht zusammen. Die Position der ÖVP ist da
zusammengefaßt: Wenn du einen Job hast, nimm dir einen Kredit auf, um dir in
Wien eine Eigentumswohnung zu kaufen, und zieh dann nach Westösterreich,
damit du den Kredit für die Wohnung daheim abbezahlen kannst, damit du in
der Pension (möglichst erst weit jenseits der 65) ein Dach über dem Kopf
hast.

Wo leben diese Leute eigentlich alle miteinander? Einmal abgesehen davon,
daß sich der Arbeitsmarkt auch insofern verändert hat, daß es in Österreich
mittlerweile eine Viertelmillion Ein-Personen-Unternehmen gibt, um deren
Schicksal sich überhaupt niemand schert, deren Medianeinkommen unter dem der
unselbständig Erwerbstätigen liegt und die auch nicht gegen Arbeitslosigkeit
versichert sind, ist diese Debatte ganz generell eine, die mit der
Arbeitsrealität in Mitteleuropa nichts zu tun hat.

Ich glaub, man nennt so etwas Diskursverschiebung. Denn derzeit wird der
Diskurs gerade mal wieder ordentlich zurückverschoben. Es wird darüber
diskutiert, ob es besser sei, möglichst viele Arbeitslose zu haben, die sich
um die vorhandenen Jobs raufen, also das Angebot an Arbeitskräften erhöhen,
oder ob man die Nachfrage auf diesem Markt erhöhen sollte. Letztendlich ist
das aber alles die gleiche Grundidee: Möglichst viele Menschen sollen am
Arbeitsmarkt teilnehmen! Das paßt ja auch wunderbar zu der faktischen
Abschaffung der Invalidenpension durch einen sozialdemokratischen
Sozialminister genauso wie zur geplanten Einführung einer Teiltauglichkeit
bei der Stellung -- wo es ja auch nur darum geht, möglichst viele billige
Zwangsarbeitskräfte (sogenannte "Zivildiener") für den Markt zu
mobilisieren. Von den absurden Vorstellungen, das "Ehrenamt" auch dort zu
forcieren, wo man eigentlich ansonsten bezahlte Arbeitskräfte einsetzen
müßte, andererseits aber nichts gegen die Ausbeutungsmethode sogenannter
Praktika zu tun, wo man schon froh sein muß, wenn man nicht dafür zahlen
muß, um arbeiten zu dürfen, brauchen wir da gar nicht zu reden.

Ja, ich bin für das existenzsichernde und bedingungslose Grundeinkommen.
Aber das muß es nicht einmal sein. Mir würde es schon reichen, wenn der
Diskurs dorthin verschoben würde, daß man akzeptiert, daß es eben nicht
Arbeit für alle gibt. Politik und Medien sollten sich darum sorgen, daß
alle, die Arbeit suchen, einen Job angeboten bekommen, der ihren
Vorstellungen entspricht. Und denjenigen, die nicht der Meinung sind, daß es
für sie eine adäquate Arbeit gibt, sollte man dankbar sein, daß sie keinen
Druck mehr auf den Arbeitsmarkt ausüben -- und diese Menschen sollte man
auch materiell absichern. Das Geld dafür wäre vorhanden -- sonst gäbe es
nämlich nicht Gehälter von Spitzenmanagern, die in einer Woche mehr
verdienen als der durchschnittliche Hackler im ganzen Jahr.

Aber nein, eine solche Diskursverschiebung, die nicht einmal eine
sozialistische, sondern einfach nur eine realistische wäre, wird nicht
passieren. Gewerkschaft und Wirtschaftskammer, SPÖ, ÖVP, Grüne, NEOS und FPÖ
singen gemeinsam: "Die Arbeit hoch!" Weil es halt ganz wichtig fürs
Selbstwertgefühl ist, sich ausbeuten zu lassen.
*Bernhard Redl*


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