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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Donnerstag, 23. Januar 2020; 04:12
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Wien/Linke:

> Erste Eindrücke zu LINKS

*Zeynem Arslan* hat sich die Gründungskonferenz
des neuen linken Wahlvereins angeschaut
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Am 10. Januar 2020 wurde in der Volkshochschule im Rudolfsheim-Fünfhaus (VHS
15) die Gründungskonferenz von LINKS verwirklicht. Zuvor wurde die
Hauptstadt Bühne für den Ausruf der Aufbruch-Bewegung. Auch dieser startete
im Jahre 2016 seinen Prozess mit einer ähnlichen Ausrichtung, nämlich der
Vereinigung alternativer und kritisch-progressiver Kräfte in der
österreichischen Politikszene, doch scheiterte er an diversen Uneinigkeiten.
Die Aufbruch-Gründungskonferenz wurde mit über tausend Teilnehmer*innen
realisiert und auch dort wurden Fragen zum Thema Parteiwerdungsprozess oder
Entwicklung einer non-governmental-zivilgesellschaftlich-demokratischen
Organisation laut, die außerdem von den diversen Arbeitskulturen, dann
zunehmender Weise von mangelndem gegenseitigen Wohlwollen und Vertrauen der
Gruppen unglücklich wieder auseinander gegangen ist. Die Gründungskonferenz
von LINKS erlebte keine große Aufregung und Euphorie, wie dies damals
Aufbruch zuteil gewesen war, doch sind in LINKS einige Personen dabei, die
ihre Erfahrungen von der Aufbruch-Zeit in konstruktiver Hinsicht in das neue
Projekt mit einfließen lassen bzw. die Schwächen hier besser machen möchten.
Am Freitagabend zählte die Gründungskonferenz bis zu 450 Personen und am Tag
darauf befanden sich um einen Drittel weniger Teilnehmer*innen in der VHS.

Keine Organisationen, aber Personenbund

LINKS hat es sich zur Aufgabe erklärt, statt (linken) Organisationen
politisch interessierte bis weniger interessierte Einzelpersonen zusammen zu
bringen und damit keinen Organisationen, aber einen Personenbund zu
formieren. Die "alten" Parteistrukturen und Arten und Weisen der
Parteiarbeit und -logik wird durch die jüngeren Generationen immer mehr
herausfordernd in Frage gestellt. Vehement deutlich ist ein tatsächlicher
Generationenkonflikt. Auch dieser wurde mit einer demonstrativ und klar
angesprochenen wertschätzenden und anerkennenden Haltung bei der Konferenz
zu kompensieren gesucht. So wurden die KPÖ-Bezirksrät*innen für ihre
bisherigen Tätigkeiten in Wien Andas applaudiert und im Plenum namentlich
vorgestellt.

LINKS startete ihren ersten socialmedia-Auftritt im Frühjahr 2019. Nach
monatelangen Vorbereitungstreffen und -gesprächen mit diversen Gruppen und
Personen, zeigt LINKS im Gegensatz zu Aufbruch einen etwas strukturierteren
Werdegang, dennoch sind einige Fragezeichen und Bedenken in den Köpfen
vieler Beobachter*innen und beobachtenden Teilnehmer*innen sowie manchen
"unvoreingenommen sich verhalten wollenden" aktiven Teilnehmer*innen.

Auffällig war es, dass die Sprecher*innen und Initiator*innen von LINKS
(einzelne Personen von Junge Linke, Aufbruch, trotzkistischen Gruppen etc.)
ihre seit Monaten gepflegte Position der wohlwollenden und vorsichtigen
Haltung, die sie außerdem unter allen Beteiligten allgemein verbreiten und
stabilisieren möchten, auch bei der Gründungskonferenz von Anfang bis zum
Ende durchgezogen haben. Dementsprechend war die Gründungkonferenz von einer
äußerst harmonischen und damit zusammenhängend teilweise einer eher
zurückhaltenden und (abge)flach(t)en Atmosphäre geprägt.

"Linkes" Grundsatzpapier

Die Wienwahlen werden im Herbst 2020 erwartet. Obwohl es aus dem
Grundsatzpapier nicht einschlägig wird, ob langfristig ein konkreter
Parteiwerdungsprozess stattfinden soll, schien in der Gründungskonferenz
mancherorts die Idee wach zu sein, sich sogar österreichweit organisieren zu
wollen. Wie es scheint, wird sich im Falle eines tatsächlichen
Wienwahl-Antritts nach den Wahlergebnissen der weitere Werdegang
herauskristallisieren müssen.
Bei der Gründungskonferenz wurde das Grundsatzpapier mit fünf Beschlüssen,
die von Initiator*innen verfasst wurden vorgestellt. Die Teilnehmer*innen im
Plenum wurden eingeladen, Abänderungsanträge zum Grundsatzpapier
einzureichen. Die Teilnehmer*innen der Konferenz wurden in dreißig Gruppen
geteilt und in den Gruppen wurden innerhalb von einer halben Stunde das
Grundsatzpapier diskutiert.
Der Inhalt des Grundsatzpapiers ist ein sehr allgemeiner Text, den jede
Person, die ein linkspolitisches Weltbild innehat, sofort ohne viel darüber
nachzudenken unterschreiben würde, doch eine konkrete politische
Ausrichtung, der politische Ausschlag, die konkrete Zielgruppe etc. wird aus
dem Grundsatzpapier nicht erkenntlich. Die Sprache des Texts ist eine
gebildete, etablierte und die Aussagen ziemlich rund sowie manche Begriffe
schlagwortartig entsprechend einem links-populistischen Trend nach gewählt
und insgesamt äußerst positiv und breitenwirksam offen, einladend.

Das politische Interesse einen systemkritischen Ansatz zu pflegen, der
konkret die Anliegen und Interessen der Werktätigen, Frauen, Pensionierten
und insgesamt, jener die im Rahmen des kapitalistischen Systems sowie von
dieser diktierten Politik an den Rand und die untersten Ränge der
gesellschaftlichen Hierarchie gedrängt wurden und werden, anspricht, ist bei
LINKS noch nicht klar. Ein klarer Unterschied zu den Grünen und den
Sozialdemokrat*innen lässt sich aus dem gegenwärtigen Stand weder
herauslesen noch -hören.

Welche anti-kapitalistische Ausrichtung..?

Aus den politischen Redebeiträgen waren wirtschafts-, arbeits- und
sozialpolitische Inhalte nur wenig zu hören bzw. waren diese nicht weit von
links-grünen und links-sozialdemokratischen Positionen entfernt. Ein Antrag
zur Ergänzung eines Beschlusses, die lautete "die Interessen und Anliegen
der lohnabhängigen Menschen wieder in den Mittelpunkt der Politik zu rücken"
wurde durch einen Mehrheitsbeschluss abgelehnt. Insgesamt fehlt eine
konkrete Thematisierung von sozialpolitischen Punkten. Die konkretisierte
anti-kapitalistische und system-kritische Haltung ist nicht vorhanden. Es
scheint, dass man sich breitenwirksamkeitshalber eher auf der
links-liberalen Ebene bewegen, damit mehr Menschen erreichen und sich
popularisieren möchte. Die Inhalte, die in den Reden hervortraten machten
den Eindruck, dass sie jenen links-liberalen politischen Block, welcher von
den Grünen und längst schon von den Sozialdemokrat*innen verlassen wurde,
mit einer erneut basisgerichteten Politik befüllen möchten. Damit wirkt die
behauptete "anti-kapitalistische" Haltung derzeit fragwürdig.

Die Frage der "Quote" in einer linken Organisation

Ein Grundsatzpunkt, der in fast allen Gruppen diskutiert wurde, handelte von
Festlegung einer Frauen*quote von 60 und einer Migrant*innenquote von 33
Prozent. Der strukturelle Rassismus ist ein Punkt, der von allen
anti-faschistischen Kräften und Akteur*innen thematisiert und angeprangert
werden muss. Die anti-rassistische Haltung muss jenseits der "Einführung
einer Migrant*innenquote" eine rote Linie in der Gesamtstruktur des LINKS
bilden und von allen Teilnehmenden und Aktivist*innen inhaltlich sowie
tatkräftig bewusst getragen und verteidigt werden. Die Bestimmung einer
Quote für Migrant*innen möge "gutgemeint" sein, doch führt sie in alleiniger
Verwendung nicht darüber hinweg den Status quo, in dem Fall eine Art
Klassizismus, weiterzupflegen und sogar zu vertiefen, umso stärker wenn es
von einer linken Organisation kommt, mit der Gefahr letztendlich in einer
weiteren ohnmächtigen Symbolik zu enden.

Der Migrationshintergrund von Menschen ist ein Merkmal ihrer
Gesamt-Identität und wird im Rahmen von kapitalistisch-bürgerlichen
Nationalstaaten im Rahmen einer provozierten Identitätspolitik hierarchisch
kategorisierend zum Zwecke der gesellschaftlichen Spaltung degradiert und
diskriminiert. Ein Schritt in Richtung "Normalisierung" und Förderung der
Diversität ist es, Menschen unabhängig von ihren konfessionellen und
ethno-kulturellen Hintergründen, die ja doch im Zuge der Zeit recht
dynamisch inter-sektional verschiedene Formen annehmen können,
Rahmenbedingungen für die gleichberechtigte Teilhabe und Gestaltung zu
schaffen. Die sichtbare Einführung dieser Quote stabilisiert den Ist-Zustand
und führt zur Marginalisierung des Themas und im nächsten Zug sogar zu
Selbstmarginalisierung der Betroffenen. Wenn die Migrant*innenquote von
einer konservativen Partei kommen würde, wäre dieser Schritt in dessen
Rahmen sogar spannend, doch eine Organisation, die sich LINKS nennt, dürfte
es sich nicht leisten können, die bestehenden Strukturen zu re-produzieren,
sondern im Gegenteil; in diesem Feld bedarf es einer neuen Rhetorik und
eines neuen Diskurses überhaupt. Menschen sollten aufgrund ihrer
Persönlichkeiten, ihren Qualifikationen, Interessen und Fähigkeiten zu
bestimmten Funktionen und Vollrichtung von Aufgaben demokratisch gewählt
werden. Darüber hinaus stellt sich die Frage, wie die Aktivist*innen von
LINKS nun darüber bestimmen möchten, "wer" und "noch für wie lange" als
"Migrant*in" zu kategorisieren ist?

Bei der Quote, die in einer linken Organisation eingeführt wird,
könnte/sollte es sich eher um gesamtgesellschaftliche Querschnittsthemen,
die sich über alle Menschengruppen hindurchzieht wie z.B. Menschen mit
Behinderung handeln, die zur Inklusion in die Gesellschaft mit einem
Instrument wie z.B. die Quote gefördert werden können. Und insgesamt handelt
es sich eindeutig um ein Diversitätsthema, die sich wie ein roter Faden
durch die Gesamtinhalte und Programmatik einer linken Organisation überhaupt
durchziehen und eine konkrete Haltung zeichnen sollte, als dass sie zur
expliziten, aber in langer Sicht marginalisierenden Sichtbarmachung dient
und damit langfristig noch einmal "othert".

Versuch einer pluralistisch-partizipativen Demokratie

In den 23 Bezirken Wiens werden Bezirksgruppen gebildet werden. Hier sollen
auch zu den spezifischen Themenfeldern in den jeweiligen Bezirken politische
Arbeit entwickelt werden, die dann von der Basis hinauf in die zentralen
Koordinationsstellen kommuniziert werden sollen, um so ein Gesamtprogramm
und -aktionsplan zu entwerfen. Es gibt also einen "bottom-up-Ansatz", was
begrüßenswert ist. In den kommenden Tagen und Wochen sind alle eingeladen
teil zu nehmen und je nach Möglichkeit eigene Expertise und Erfahrungen
einzubringen.

Die Haltung zweier organisierter politischer Gruppen, die bei der Konferenz
als Einzelpersonen teilnahmen, wird spannend sein. Während ein Teil der
Jungen Linken unter den Initiator*innen des LINKS mitwirken und ihre
Handschrift in LINKS zum Teil deutlich erkenntlich ist, gibt es welche unter
ihnen, die derzeit eher die zunächst politisch liberalen Prozesse des LINKS
kritisch beobachten und letztendlich in der Bundeskonferenz, die Ende Januar
geplant ist, eine organisierte Entscheidung zur Frage, ob sie bei LINKS
weitermitmachen möchten oder nicht, treffen werden. Zudem wurden einige
ihrer Anträge durch das Plenum in der Gründungskonferenz abgelehnt, was
außerdem in ihre Entscheidungsfindung miteinfließen wird. Die KPÖ und Wien
Andas werden sich vorerst in den Bezirksgruppen beteiligen und ihre
Erfahrung und Expertise möglichst einbringen, denn von allen Seiten ist ein
starkes Interesse für einen gemeinsamen linken Antritt bei den anstehenden
Wienwahlen deutlich. Die KPÖ wird somit nach genauen Überlegungen und
Beobachtung erst im März in einer Landeskonferenz eine endgültige
Entscheidung bekannt geben. Eine ähnliche Haltung pflegt auch die Föderation
der Demokratischen Arbeiter*innenvereine (DIDF), die bisher eine
vermittelnde und korrespondierende Rolle zwischen den beteiligten Gruppen
innehatte.

Gegenwärtig macht LINKS den Eindruck, ein Angebot für jeweils die linken
Flügel der Grünen und der Sozialdemokrat*innen zu stellen. So erhöht sie
einerseits strategisch die Chancen sich einigermaßen der 5-Prozent-Hürde zu
nähern. Andererseits stellt sich die Frage, warum die Wähler*innen
angesichts der bedrohlichen Situation der Machtübernahme durch die
neoliberalen, konservativen und rassistischen Akteuer*innen der Politik,
nicht gleich die Grünen oder die Sozialdemokrat*innen unterstützen
sollen/mögen?

Mission "Die Lücke Links der Mitte"..?

Die Wiener Rot-Grüne Koalition wird von rechts-neoliberal-neokonservativen
Kräften herausgefordert (werden). Insofern setzt die SPÖ auf die Erzählung,
dass mittel- bis langfristig endgültig das Ende des "Roten Wiens" drohe.
Welche Position möchte LINKS gegenüber diesem propagierten Druck annehmen
und argumentieren? Wird angesichts dieser skizzierten "Bedrohung"
strategisch eine eher Rot-Grün unterstützende Herangehensweise angegangen
werden? Oder sollen ein klarer Anspruch einer systemischen Veränderung und
Diskursschaffung langfristig aufgebaut werden? An dieser Frage ist bereits
Aufbruch auseinandergegangen und die hiesige Herausforderung für die
Rot-Grüne Koalition ist heute stärker gegeben.
Die Kritik gegenüber der Türkis-Grünen Bundesregierung wurde auch aus den
politischen Redebeiträgen in der Gründungskonferenz laut. So erkennen sie
die Lücke, die sich links der Mitte ergeben hat, als eine Gelegenheit für
LINKS, doch kann und möchte LINKS mehr als nur ein system-immanentes Angebot
für linke Rot-Grün-Wähler*innen werden oder nicht?

Insgesamt kann festgehalten werden, dass es keine neue system-immanente
Partei braucht. Die Systemkritik kann offen ausformuliert werden mit dem
Hintergedanken, dass die neue zu entwickelnde Gegenbewegung nicht zu Zwecken
der neokonservativen und neoliberalen sowie rassistischen Herausforder*innen
zur eigennutzorientierten Schwächung der Rot-Grünen-Koalition
instrumentalisiert wird. Daher ist es umso wichtiger, dass das eigene
Profil, die eigene Farbe und die Haltung bereits im Grundsatzpapier viel
konkreter festgelegt werden, sodass eine tatsächliche Alternative im Sinne
von neuen parteipolitischen Arbeiten und Arbeitsweisen diskursbestimmend
entwickelt werden können, als dass eine weitere sich neben die bestehenden
anreiht und das Bestehende somit re-produziert.

Die jüngeren Generationen sehen die stärkeren und schwächeren Taten ihrer
Vorgänger*innen in der sehr breit gefassten linkspolitischen Historie und
möchten es mit ihren eigenen Methoden besser machen, doch fehlt ihnen der
konkrete soziale Realitätsbezug zu jenen Schichten, die die Konsequenzen des
Wirkens des bestehenden Systems am stärksten und immer stärker zu spüren
kriegen. Die Veränderung im Sinne der Idee "mit einer anderen
Gesellschaftspolitik und einer anderen Form des Wirtschaftens ist eine
gerechtere Welt möglich" ist eindeutig erwünscht und sucht sich ihren Weg,
doch derzeit scheint niemand zu wissen, wie und wohin genau diese
Veränderung führen soll und kann. Nun werden Strategien entwickelt und
benutzt um die Hürden innerhalb der bestehenden Rahmenbedingungen zu
überwinden, um überhaupt erst breitenwirksam zu Wort zu kommen und
Gestaltungsanspruch erheben zu können.

Die kommenden Tage und Wochen werden mehr Klarheit schaffen und diese Zeit
soll dazu genutzt werden, den Werdegang dieser jungen, doch gegenwärtig sehr
bildungsbürgerlich dominierten Gruppe zunächst mit zu verfolgen und je nach
Möglichkeit konstruktive und positive Beiträge zu leisten.

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Quelle: Blog https://www.zeynemarslan.com/


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