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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Donnerstag, 23. Januar 2020; 03:06
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Neue Regierung / Schutzhaft:

> Rechtsphilosophisches Klimpern

von *Aug und Ohr*


Aus dem Regierungsprogramm:
"Einzelne Fälle in der jüngeren Vergangenheit haben uns schmerzhaft vor Augen geführt, dass es in unserem derzeitigen Rechtssystem Lücken im Umgang mit gefährlichen Personen gibt.
Daher soll ein zusätzlicher, verfassungskonformer Hafttatbestand (Sicherungshaft zum Schutz der Allgemeinheit) eingeführt werden für Personen, bei denen Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie die öffentliche Sicherheit gefährden, so wie das bereits in 15 europäischen Ländern der Fall ist, beispielsweise in den Niederlanden, Belgien oder Luxemburg."
Abschnitt 04. Europa, Integration, Migration & Sicherheit, Unterabteilung Migration und Asyl, S. 199 (1)


Im Gegensatz zum deutschen Strafrecht, wo eine Sicherungsverwahrung mit präventiver Funktion vorgesehen ist, ist "Sicherungsverwahrung", respektive eine Sicherungshaft im österreichischen Gesetz nicht vorgesehen" (7). Der Vorschlag für Sicherungshaft stammt vom extremsten aller Innenminister, Kickl, der sich dafür sogar für eine Verfassungsänderung breitmachte. Kickl will/wollte "Sicherungshaft" und Verfassungsänderung. (8)
In der Mainstream-Presse war Kritik zur Sicherungshaft zu lesen und ist Kritik dazu zu lesen, daher wollen wir das hier nicht in extenso wiederholen. Nur zwei interessante Beispiele aus der Diskussion: Die grüne Berufspolitikerin Ewa Ernst-Dziedzic sagte: "Eine Verwahrungshaft wäre das Ende der Menschenrechte in Österreich. Jemanden präventiv einzusperren, und noch dazu ohne gerichtliche Anordnung, ist eine Überschreitung jeglicher Grenze des Rechtsstaates. Die Geschichte soll uns hier Warnung sein. Ich hoffe, dass sich … die Vernunft durchsetzt und niemand ernsthaft an den Grundfesten unserer Demokratie rüttelt." (9) Allerdings sagte sie das im Februar des vergangen Jahres. Heute präsentiert sie sich eher als vermittelnder Charakter, Charaktermaske des Opportunismus, rückt gelegentlich wieder ein wenig davon ab.

Eine klare Stellungnahme kam vom Generalsekretär der Bischofskonferenz, Peter Schipka: "Das präventive Einsperren von Menschen auf unbestimmte Zeit aufgrund einer angenommenen 'allgemeinen Gefährlichkeit' ohne vorherige richterliche Anordnung steht im Gegensatz zur Verfassung und zu den Menschenrechten." (10)


Administrativhaft

Wie weit die bloße Reduzierung der Haftbegründung auf Sicherheitsbedenken, mit der die politischen Gegner ohne Anklage, ohne Beweise, ohne Gerichtsverhandlung auf unbestimmte Zeit inhaftiert werden, gehen kann, zeigt das extremste Beispiel: die "Administrativhaft", die früher in Südafrika praktiziert wurde, heute in Israel und in Guantánamo.

Die Königin der Sicherheitsverwahrung ist die israelische Administrativhaft. In diese Richtung bewegt sich, vorerst noch nicht so leicht erkennbar, die österreichische Sicherungshaft. Eine deutsche NGO faßt die israelische Administrativhaft folgendermaßen zusammen: "Unter der Bezeichnung Administrativhaft haben israelische Sicherheitskräfte die gesetzlich legitimierte Möglichkeit, Menschen zu verhaften und teils über Jahre festzuhalten, ohne dass die Häftlinge ihr Recht auf ein Gerichtsverfahren wahrnehmen können. … Der genaue Grund für die Verhaftung wird dabei weder den Inhaftierten selbst, noch ihren AnwältInnen mitgeteilt. Stattdessen genügt ein Verweis auf "Gründe der regionalen Sicherheit oder der öffentlichen Sicherheit". Auch ist es nicht notwendig, dass Beweise gegen den Häftling vorgebracht werden. … Die meisten Administrativhaftbefehle werden unter Artikel 285 der Military Order 1651 ausgesprochen und beziehen sich auf die im Westjordanland lebende palästinensische Bevölkerung. MilitärkommandantInnen sind gemäß den Bestimmungen der Military Order dazu ermächtigt eine bestimmte Person zu inhaftieren, wenn sie hinreichende Gründe haben zu glauben, dass diese eine konkrete Bedrohung für die "regionale oder öffentliche Sicherheit" darstellt. Israel hat die Kriterien für "regionale oder öffentliche Sicherheit" jedoch nicht näher definiert." (21)

Eine palästinensische Menschenrechtsorganisation dazu: "Importantly, article 285 of Military Order 1651 has replaced Military Order 1591, which had formed the basis for administrative detention orders and gave the Israeli military commanders the authority to detain Palestinians without charge or trial for up to six months. As of 1 May 2010, administration detention orders are now issued on the basis of Military Order 1651 (2009), article 285, which empowers military commanders to detain an individual for up to six month renewable periods if they have "reasonable grounds to presume that the security of the area or public security require the detention." On or just before the expiry date, the detention order is frequently renewed. This process can be continued indefinitely." (22)


Ideologiekritik

Beim Versuch einer sinngemäßen Übersetzung sieht man sich einigen produktiven Zweifeln ausgesetzt. "reasonable" (s. o.) ist nicht "hinreichend", denn dies würde bedeuten, daß eine vollständige und kohärente Argumentation und Begründung vorläge. Das ist aber mit "reasonable" nicht gemeint. Gemeint ist vielmehr, daß argumentiert wurde, daß die Begründung einleuchtend ist, nicht aber ist mit diesem Wort eine Art Unantastbarkeit im Sinne endgültiger Schlüssigkeit der Argumentation gemeint. Gemeint ist, daß der Effort unternommen wurde, die eigenen Argumente plausibel darzustellen. Daher: " … wenn sie plausible Gründe für die Annahme haben, daß die örtliche oder öffentliche Sicherheit eine Inhaftierung erfordert." Plausibilität muß auf alle Fälle verlangt werden, das ist ein Minimum, "hinreichend", eine hinreichende Begründung ist ein Maximum. Im (englischen) Original wird eine Durchschnittsnorm formuliert, nicht die Betonung auf eine hieb- und stichfeste Begründung.

Diese "reasonable grounds" werden andererseits verbunden mit "presume": ein evidenter Widerspruch! Wie kann eine bloße Annahme aus immerhin nachvollziehbaren (auch dies wäre eine sinngemäße, wenn auch nicht wortgetreue Übersetzung) Gründen hervorgehen?

In diesem presume steckt nicht nur eine subjektive Einschätzung, hier ist die politische Willkür, der politische Willkürakt enthalten. Und so sieht es denn auch in der Praxis der israelischen Präventivhaft aus. Mit diesem Wort "Annahme" verbindet sich das Extralegale der israelischen Präventivhaft mit dem schamlos Extralegalen in dem oben zitierten Abschnitt des schwarz-blauen Regierungsprogramms: " … daher soll ein zusätzlicher, verfassungskonformer Hafttatbestand (Sicherungshaft zum Schutz der Allgemeinheit) eingeführt werden für Personen, bei denen Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie die öffentliche Sicherheit gefährden." ((1), Kursive Hervorhebungen von AuO).

Dort: "plausible Gründe für die Annahme", hier: Tatsachen, die "die Annahme rechtfertigen". Es ist anzunehmen, daher ist zu verhaften. Begründungs- und erbarmungslose Präventivpolitik hier wie dort, totale Umdeutung von "öffentlicher Sicherheit" hier wie dort.

Drehen wir doch den ganzen Spuk in die Realität zurück! Wie sieht´s denn in der Realität aus?

Wenn etwas eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit in Österreich darstellt, dann die schwarz-grüne Koalition! Wenn etwas eine Gefahr für die "öffentliche Sicherheit" in den besetzten Territorien darstellt, dann die Besatzungsmacht!


Fluchtbeispiele

Was zählt in Österreich schon "Recht", wenn es sich um "illegale" Flüchtlinge handelt! Mit der Kurz´schen Dauer-Formulierung "illegale Flüchtlinge", "illegale Einwanderung", die ebenso gebetsmühlenartig wiederholt wird wie von Orbán die semantisch genau entsprechenden Wortprägungen im Ungarischen, wird ein gefährlicher Generalverdacht ausgesprochen, der den Staat, der die Behörden der Verpflichtung zur peniblen Begründung eines Verdachtes "präventiv" enthebt.

Sehen wir uns folgendes (etwas kompliziertes) Beispiel an. Angeklagter, Sie waren in Ägypten in der sozialpolitischen Fraktion der jüngeren Generation der Moslembrüder im Nildelta aktiv und werden nun verfolgt? Sind Sie denn damit nicht auch Mitglied einer Partei, die die Menschenrechte in Ägypten aufheben wollte? Und Sie wollen bei uns Schutz?

Von der beispiellosen Unterdrückung der Moslembrüder unter Mubarak und auch heute wird das dekretierende, halbgebildete Organ wohl wenig Ahnung haben und wohl auch davon wenig, daß man als Angehörige(r) der Moslembrüder eine repressive Funktion innehaben kann (etwa als gesamtstaatlicher Sittenwächter); aber auch eine progressive, insofern als man sich, als sozialpolitisch Engagierte(r) gegen die sozialfeindliche Politik des US-gestützten Regimes gewendet hat (Mubarak, Al-Sisi) und deswegen verfolgt wird.

Noch ein härteres Beispiel. Wenn jemand im Iran im kurdischen Widerstand, gar im bewaffneten aktiv war (oder ihm vom iranischen Regime Beteiligung am bewaffneten Widerstand unterschoben wird) und er (sie) als von diesem Regime Verfolgte(r) um Asyl ansucht, dann kann der Kampf für Demokratie, der in spezifischen historischen Situationen auch mit der Waffe in der Hand rechtliche Deckung hat, ihm (ihr) von den widerstandsfeindlichen Behörden zur Last gelegt werden, insofern als ein bewaffneter Kämpfer ja eo ipso eine Gefahr auch für die hiesige Öffentlichkeit darstelle. Denn ein Kampf für Demokratie im Iran, ob bewaffnet oder nicht, ist der hiesigen iranfreundlichen Regierung eher zuwider - so wird allerdings nicht offen argumentiert. Somit wird die Möglichkeit eröffnet, den Widerstandskämpfer ins Folterregime zurückzuschieben. Dazu könnte Sicherungshaft dienen.

Das Kickl-Kurz-Kogler-Gesetz birgt die Gefahr in sich, daß politische Flüchtlinge vernichtet werden - auf die es leichtlich ausgeweitet werden kann.

Noch ein prägnanteres Beispiel. Ein Palästinenser wird in einem israelischen Knast gefoltert, sucht hier um Asyl an. Er wird hinterlistig befragt, wie denn seine Stellung zum israelischen Staat sei. Man kann sich vorstellen, daß ihm (ihr) eine nicht nur abwehrende, nicht nur abweisende, nicht nur abwertende, sondern die Politik des (für Juden zumeist ein Refugium darstellenden) israelischen Staates radikal ablehnende Stellungnahme entschlüpft, wenn er (sie) nicht ganz diplomatisch oder routiniert ist. Wenn man die Politik des israelischen Staates nun, alles zusammenfassend, als zionistisch bezeichnet, dann besteht für die Behörden hier die Chance, eine solche notwendig antizionistische Position als antisemitische umzudeuten. Und schon macht man sich ja Überlegungen in der europäischen Rassistenpolitik, wie man "antisemitische" Immigranten oder Asylanten abschieben könnte.

Der Technik des Übergleitens wird hier Tür und Tor geöffnet, wie man es von der Rutschbahn Antizionismus in Richtung Antisemitismus kennt. Gegen das Analogieverbot wird ständig verstoßen. Die Mischung aus grün-blasierter modischer (und gehorsamer) Schwammigkeit und schwarzer burschenschaftlicher Herrsch- und Dekretiersucht wird wohl das erwünschte Resultat zustandebringen, nämlich eine Verordnung (falls die Terrorbestimmung noch "ausgearbeitet" werden sollte), die der gleitenden Willkür und "Schlamperei" österreichischer Verwaltungsorgane problemlos den Weg bereiten wird.


Geschichtliche Tiefendimensionen

Die konservativen Moslems sollten aber die europäische Aufklärung nicht so sehr verachten oder mißachten, denn bereits in Art. 2 der Universellen Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789, dem fundamentalsten Text der Französischen Revolution, ist unter anderem das Recht auf Widerstand verankert, das ja gerade sie, gegen die von den neuen Kreuzzüglern systematisch gehetzt wird, mehr als andere betrifft; sie können, ja sie müssen andererseits den Europäern vorwerfen, daß diese ihre eigene - auch für die "anderen" wertvolle - Geschichte mit Hilfe solcher Regierungen wie der neuen schwarz-grünen, zerstören.

In Art. 2 heißt es: "Der Zweck einer jeden politischen Vereinigung ist die Erhaltung der natürlichen und unantastbaren Menschenrechte. Diese Rechte sind: Freiheit, Eigentum, Sicherheit und Widerstand gegen Unterdrückung." (Le but de toute association politique (11) est la conservation des droits naturels et imprescriptibles de l'homme. Ces droits sont la liberté, la propriété, la sûreté et la résistance à l'oppression). (12) Keines dieser Rechte ist für MigrantInnen in Sicherheitshaft gewährleistet.


Recht auf Widerstand gegen Unterdrückung

Man staunt: Das Recht auf Widerstand gegen Unterdrückung? Hat´s schon sowas gegeben? Aber wem stünde dieses Recht nicht eher zu als den von internationalen Mörderbanden niederkartätschten Kurden, Araber und Moslems! Den migrantischen Frauen! Wem stand es am allermeisten zu in den Vierzigerjahren als den Juden und Jüdinnen und auch ihrem bewaffneten Widerstand in Warschau und anderswo? Wem stand es mehr zu als den Armeniern - auch nach dem Genozid?

Recht auf Widerstand ist Teil der Universellen Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789 (s. o.) und taucht wieder auf im deutschen Grundgesetz mit der Formulierung "Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist." (13), sodaß sich eine kundige Dissertantin, offenbar nicht allzu verblüfft darüber, daß es Solches in der österreichischen Verfassung nicht gibt, mit Blick auf Österreich fragt: "Kann ein Widerstandsrecht, ähnlich Art 20 Abs 4 GG der deutschen Verfassung, funktionieren?" (14)

Daß der interessante Artikel politisch ambivalent ist, wird wohl jedem Linken klar sein; aber etwas Vergleichbares findet sich in österreichischen Gesetzeswerken nicht (15). Aber es könnte ja der Kampf gegen die Wiedererrichtung eines faschistischen Systems gemeint sein. Die junge bürgerliche Demokratie in Deutschland hat sich ja ohne Zweifel auf diesen antifaschistischen Impuls bezogen - aber nicht nur.

Österreich bleibt auch hier stumm. Nur der "Widerstand gegen die Staatsgewalt", der einem jeden Unbotmäßigen automatisch angehängt wird, kommt im hiesigen Gesetz vor. "In der österreichischen Verfassung ist kein Widerstandsrecht verankert. Widerstand wird ausdrücklich im Strafgesetzbuch geregelt. In § 269 StGB wird Widerstand gegen die Staatsgewalt unter Strafe gestellt. Nach § 269 StGB ist zu bestrafen, wer einen Beamten/eine Beamtin oder eine Behörde an der Ausübung einer Amtshandlung hindert bzw. zur Vornahme einer Amtshandlung nötigt. …" (l. c. S. 80) Von politischem Widerstand ist, abgesehen vom selbstverständlichen Streikrecht, nicht die Rede.

Konsequenz aus dem Recht auf Widerstand, besonders von "Ausländern", wären lebendige Kämpfe solcher widerständiger Organisationsformen, wie sie etwa im hochpolitisierten Griechenland erprobt wurden, wo etwa Syrer und Syrerinnen mit Straßenbesetzungen und Kundgebungen, in Zusammenarbeit mit progressiven griechischen Organisationen, ihr Recht auf Leben dem griechischen Polizeistaat entgegenstellten.

Solches könnte hierzulande leicht zur Sicherheitshaft und zur Abschiebung führen! Die Selbstorganisation in erster Linie von politischen und/oder Kriegsflüchtlingen (nicht von Dealern!), das ist Recht. Im Unrecht ist der, der dem Recht das Recht beschneidet.


Früher kodifizierter Feminismus

Österreich ist hier also wie immer weit hinter der Französischen Revolution zurück, deren Basistext, deren Grundgesetz sozusagen, die Universelle Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789 ist. Es gibt aber noch einen zweiten Basistext dieser Revolution: Die radikalste Gleichstellung von Mann und Frau leistete die Revolutionärin und Vorläuferin der Frauenbewegung Olympe de Gouges (17) in ihrer Erklärung der Rechte der Frau und der Bürgerin von 1791 (18).

Daraus:
Art. I: Die Frau wird frei geboren und bleibt dem Mann an Rechten gleich […]
Art. XVI: Eine Gesellschaft die über keine sicher gewährleisten Rechte verfügt und in der auch die Gewaltentrennung nicht festgelegt ist, hat überhaupt keine Verfassung. Die Verfassung ist nichtig, wenn nicht eine Mehrheit der Einzelpersonen, aus denen die Nation zusammengesetzt ist, an ihrer Ausarbeitung mitgewirkt hat. (18)


Lehrsätze für patriarchale Islamisten, Grundsätze für die Form der Organisierung des Widerstands gegen Schwarz-Grün.

Man kann es, das folgt aus Art. XVI, nicht der Beamtenschaft oder der etablierten Politik allein überlassen. Praktisch auf eine Tagesforderung umgemünzt: An den Gesetzen und an der Rechtspraxis sollten zumindest auch die NGOs mitwirken. Den Grundsatz, dem diese konkrete Forderung entsprießt, hat uns schon Olympe de Gouges gelehrt, vor 249 Jahren. Das vernichtet mit einem Willkürakt der neue Führer.

In jenem Jahrhundert forderte Olympe de Gouges auch eine Luxus- und Glücksspielsteuer. Man sieht also, wie viele Jahrhunderte wir in Österreich auch in dieser Hinsicht noch zurück sind!

Angesichts der rechtspolitischen Leistungen der aufklärerischen Vergangenheit und auch relativer Errungenschaften anderer europäischer Länder heute sowie der hiesigen Mankos wird es uns bald klar, daß diese neue Koalition streng der Gegenaufklärung (aber nicht derjenigen Auffassung von Gegenaufklärung, wie sie Gegner der Kritischen Theorie verstehen!) verpflichtet ist und daß mit Hilfe eines fundamentalistisch-gegenaufklärerischen Manövers der kleinere, vordem etwas aufgeklärtere Partner den Interessen des großen, autoritären Wirtschaftsblocks gefügig gemacht wurde. Die Grünen wurden zum Pudel der Schwarzen.


Zwei Fliegen auf einen Schlag

Mit dem grün ermöglichten Terrorgesetz wird der antikapitalistische und antiimperialistische Widerstand mitgetroffen. Das interessiert die Migrationsspezialisten und -spezialistinnen wenig, obwohl es ja das gefährlichste des Ganzen ist, und diese handwerklerische Ignoranz hat nicht zuletzt wesentlich zu einer bedeutenden Verringerung der Aufmerksamkeit für die "Flüchtlingsfrage" in einem großen Sektor der Linken beigetragen. "Wer … vom nicht reden will, sollte auch vom schweigen." Daher: Wer vom Imperialismus nicht reden will, sollte vom Kapitalismus schweigen!

Von was für einem System wird "Anderes" vernichtet und wie? Vermutete Gefährlichkeit ist in Deutschland, Italien, der Türkei, im Iran usw. eine der infamsten staatsterroristischen Waffen gegen die jeweilige (Fundamental-)Opposition (gewesen), für sie sind seit jeher die buntesten pseudorechtlichen Kennmarken entworfen worden, und Hand in Hand damit gehen immer unterschiedliche Formen von politischer Präventivhaft, die, in den eklatantesten Fällen, ohne rechtliche Begründung, ja ohne Anklage erfolgen, so die israelische Präventivhaft.


Nulla poena sine culpa (20)

Wenn die Leute hier in Österreich in eine Betonzelle geworfen werden, hat man gefälligst die Schuld nachzuweisen, und dann ist es noch die Frage, ob es nicht ein von der brutalen Behörde zurechtstilisiertes politisches Fehlverhalten war!

Aber bei der Regierung, bei dem Personal ist zu erwarten, daß auch politische AktivistInnen, Oppositionelle "fremder" Länder, besonders aus Diktaturen, eingelocht und mit einer extraordinary rendition (19) zum Verschwinden gebracht werden. Das ist der absolute Übergang von der Verwahrungs- in die Folter- und Vernichtungshaft.

Es ist so: Schuld liegt nicht bei denen, von denen vermutet wird, daß sie schuldig wären; Schuld liegt bei denen, die mit bloßem Wähnen Andere zu Schuldigen machen! Ein »Verdächtiger» mag schuldig sein oder nicht, er kann erst so genannt werden, wenn seine Schuld bewiesen ist. Wenn dies nicht der Fall ist, ist er nicht als schuldig zu bezeichnen (dem imperialistischen, signifiant entspricht also kein reales signifié), daher kann er nicht bestraft werden. Bestraft werden müßte hingegen derjenige, der ihm dies angetan hat. Und dennoch wird das Opfer - präventiv - bestraft! In dieser blutigen Zone bewegt sich Schwarz-Grün.


Der politische Tod der österreichischen Grünen

Mit der erbärmlichsten, zerfasertsten Gedanken- und Spracharmut bestätigen die derzeit führenden, also aufgestiegenen Koalitionsgrünen ihre beinah völlige geistlose Unterordnung unter den Schwarzen Block.

Aus dem Interview mit Alma Zadic mit Klaus Webhofer im Mittagsjournal vom 11. 1. 2020:

W.: "Herumgedruckst wird von den Grünen beim Thema Sicherungshaft, also eine präventive Haft für Menschen, die gefährlich werden könnten (betont, AuO). Das ist so in den ersten Tagen so richtig hochgekocht, die ÖVP will das unbedingt, Grünenchef Werner Kogler hat einmal gesagt, eine Verfassungsänderung kommt nicht, dann hat er doch wieder gesagt, es könnte schon sein, man kennt sich da nicht so aus. Wo stehen Sie da?" (Kursives: besondere Betonung seitens des Interviewers, AuO)

Z.: "Ganz wichtig, das ist uns Grünen ganz wichtig: Jegliche Gesetzesänderung darf nur verfassungskonform, unionskonform und menschenrechtskonform erfolgen."

W.: "Und genau da orte ich einen Widerspruch, es muß verfassungskonform passieren, andererseits, darauf wurde wurde von Rechtskundigen schon mehrfach hingewiesen, ist eine präventive Haft vermutlich nur per Verfassungsänderung in Österreich zu machen. Das ist ein Widerspruch. Also wie kann man den denn auflösen?"

Z.: "Das muß man sich im Detail auch wirklich ansehen. Sollten wir das angehen, müßte man sich natürlich alle Experten und Expertinnen anhören. Es geht natürlich darum, Lücken zu schließen, oder mögliche Lücken zu schließen, daher muß das auch evaluiert werden und sich genauestens angesehen werden."

W.: "Was ist das für eine Lücke? Weil Sie das schon mehrfach angesprochen haben: es geht darum, Lücken zu schließen."

Z.: "Da gibt´s da einige Fälle, zum Beispiel in Vorarlberg, wo ein paar Experten und Expertinnen gesagt haben, da ist eine Sicherheitslücke, andere haben gesagt, da ist keine. Man muß sich hier ein umfassendes Bild machen, sollte es eine geben, dann wird sie natürlich unter Einhaltung der Verfassung, der Menschenrechte und der europäischen Vorgaben geschlossen. Wie das dann konkret ausgestaltet werden soll, das werden wir uns noch ansehen. …"


Sie entzieht sich dem Diskurs, und leiert Stehsätze herunter. So sehr für Zadiæ in ihrer Position als Frau und als Emigrantin unbedingte Solidarität gegen die rassistischen und misogynen Hetzer zu fordern ist, so sehr ist sie in ihrer Funktion als Justizministerin anzugreifen. Es war abzusehen. Es war abzusehen, daß sie das schluckt.

Keine einzige Analyse, keine Einschätzung aus juristischer Sicht dieses außerrechtlichen Monstrums einer FPÖ-initiierten Sicherheitsverwahrung in diesem ganzen Interview! Man muß sich das im Detail "auch wirklich" ansehen, man muß Experten anhören, es muß evaluiert werden, man muß sich ein umfassendes Bild machen, sollte (!) es eine Sicherheitslücke geben, dann werde sie "natürlich" geschlossen. Wie korrekt! Und es fehlt auch nicht der zweifache gläubige Hinweis auf die "Union".

Nun ja, im Jobhoppen ist man recht vif, bei der Formulierung aber noch unsicher, und es ist verständlich, daß man in einer derart ekelhaften Situation ein wenig auf Zeit spielen möchte. Vielleicht findet man was im Unionsrecht, dagegen kann die übermäßig EU-treue ÖVP ja nichts einwenden …

Aber das ist noch gar nichts gegen Kurz, mit dem von Katja Arthofer anläßlich seines Besuchs in einem Pflegeheim ein Blitzinterview zum UN-Migrationspakt (Mittagsjournal, 13. 1. 2010, "Uneinigkeit über den UN-Migrationspakt") geführt wurde. Sicherheitshaft war das eine Thema, Humanisierung der Flüchtlingsströme ist das Thema hier.

"Gefragt, warum man dem UNO-Migrationspakt jetzt nicht doch unterzeichnet, wo die Ablehnung doch FPÖ-Linie war, sagt Kurz" auf eine Weise, die Brutalität und Machtkälte spüren läßt:

"Nicht Sie definieren, welche Linie das war, da dürfen wir schon auch mitreden. Das war eine Entscheidung, die wir damals getroffen haben. Wir haben ja unterschiedliche Zugänge, und das ist heute nicht das große Thema, um ehrlich zu sein. Sie haben den Zugang, sie kennen unseren Zugang und Sie kennen das Regierungsprogramm. Viel mehr gibt´s dazu nicht zu sagen, und ich glaub, jetzt gibt´s da auch andere Themen."

Es ist eine zwar schlichte, aber doch routiniert nichtssagende Sprache. Alle Hebel der Ablenkung und Verschiebung werden bedient, eine Aufgabe für Sprachwissenschaftler. Er hält sich noch ganz gut, sein instrumentelles Bewußtsein ist noch nicht ganz zerfasert, ein Fünkchen kalter Wut dringt da aber heraus, und das wird sich in Zukunft stärker manifestieren.

Anders Kogler. Angesichts dieser aggressiven obrigkeitsstaatlichen Reprimande hat Kogler im Mittagsjournal nichts Anderes zu sagen als: "Ja, das kann man direkt oder indirekt bestätigen, es hat ja viele Punkte gegeben, wo sich da für uns die Frage, für uns Grüne jetzt die Frage gestellt hat, ob man hier aus der Vergangenheit noch einmal vü Energie reinstecken soll, um das zu ändern. Wir haben das bei einigen Punkten nicht gemacht, und da simma wieder bei dem Punkt, daß das ganze Regierungsprogramm ein Gesamtkompromiß is wo unter …, und des is es auch, und die Positionen sind ja bekannt."

Höchst instruktiv, muß man schon sagen. Übrigens: Klingt da nicht akkordierte message control heraus, wie unter ÖVP-FPÖ?

Aber ein etwas zerfasertes Fell hat der Pudel schon.

Zum Abschluß wurde noch die grüne Klub-Obfrau Sigrid Maurer aus der ORF-Fernsehdiskussion Im Zentrum zitiert: "Es ist halt die Realität. Es war nicht möglich, die Unterzeichnung des UN-Migrationspakts zu paktieren mit der ÖVP. Das ist genau dieser Bereich, wo ich sage, wir Grüne haben andere Positionen in diesem Bereich. Aber es gibt dafür keine Mehrheiten, weder im österreichischen Parlament, noch auf (sic!) europäischen, und es war nicht möglich, uns in diesen Bereichen durchzusetzen. Ja - also des sag i einfach ganz trocken: Wir würden uns natürlich da was Anderes wünschen."

Die Interviewerin: "So stark, deshalb keine Koalition mit der ÖVP einzugehen, war der Wunsch auch hier offenbar doch nicht."

Denn sie sind Opfer einer Gehirnwäsche geworden.

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Anmerkung der Redaktion: Text sehr stark redaktionell gekürzt und ein paar Passagen umgestellt.

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(1) https://www.wienerzeitung.at/_em_daten/_wzo/2020/01/02/200102-1510_regierungsprogramm_2020_gesamt.pdf

(7) https://de.wikipedia.org/wiki/Sicherungsverwahrung#Entwicklungen_in_weiteren_Staaten

(8) Die Presse, 14. 2. 2019, https://www.diepresse.com/5579806/kickl-will-sicherungshaft-und-verfassungsanderung

(9) Dziedzic: Die Regierung tanzt am Abgrund der Demokratie, APA OTS, 27. 2. 2019 dziedzic die-regierung-tanzt-am-abgrund-der-demokratie

(10) Hans Rauscher: Sicherungshaft: Das große Misstrauen gegen Kickl & Co., Standard 2. 3. 2019 https://www.derstandard.at/story/2000098828923/praeventive-sicherungshaft-das-grosse-misstrauen-gegen-kickl-co

(11) Dieses Recht ist in diesem Text spezifisch auf die Organisierung politischer Aktivität hin ausgerichtet ("association politique", ich würde es eher wörtlicher mit politischem Zusammenschluß von Menschen übersetzen, womit politische Organisationsform gemeint ist, die Übersetzung mit "Vereinigung" ist, der deutschen Mentalität entsprechend, entpolitisierend, es sollte bekannt sein, daß association eine sehr umfassende, vielerlei Typen von gesellschaftlicher Organisation zusammenfassende Bezeichnung ist); gleichzeitig werden aber die vier Einzelbestimmungen als integraler Bestandteil "der natürlichen und unantastbaren Menschenrechte" gesehen, die ja im Rahmen der Gleichheit für einen jeden Menschen gelten, auch für das (in der Präventivhaft oder Administrativhaft) dahinvegetierende Individuum, das zwar von gesellschaftlicher Anteilnahme, ja politischer Aktivität überhaupt ausgeschlossen ist, aber doch grundsätzlich als zoon politikon strukturiert ist.

(12) https://de.wikipedia.org/wiki/Erkl%C3%A4rung_der_Menschen-_und_B%C3%BCrgerrechte#Artikel_2)

(13) Art 20 Abs 4 Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland vom 23.5.1949, zitiert u. a. bei: Katharina Rogan: Widerstand als gewährleistetes Recht? Diskurs über das Bestehen eines Widerstandsrechts aus rechtshistorischer Perspektive, S. 35 http://unipub.uni-graz.at/obvugrhs/download/pdf/252005?originalFilename=true

(14) l. c. S. 80

(15) Hierzu: Das Widerstandsrecht in der österreichischen Rechtsordnung, l. c S. 50 ff

(16) l. c. S. 46 ff

(17) «Olympe de Gouges»: https://de.wikipedia.org/wiki/Olympe_de_Gouges (deutsch), https://en.wikipedia.org/wiki/Olympe_de_Gouges (englisch), https://fr.wikipedia.org/wiki/Olympe_de, _Gouges (französisch)

Mit großer Lebhaftigkeit schildert Iring Fetscher in der Zeit Leben und Werk von Olympe de Gouges : I. F.: Zweimal hingerichtet, 6. 3. 1987, https://www.zeit.de/1987/11/zweimal-hingerichtet/komplettansicht

Viktoria Frysak: Olympe de Gouges 1748 - 1793, http://olympe-de-gouges.info/ Ausführlichstes und Tiefgreifendes vom Lebenslauf über ein Werkverzeichnis bis zu einem ausführlichen bibliographischen Abschnitt - wahrlich ein Vademecum!

(18) Olympe de Gouges: Les droits de la femme, darin: Déclaration des droits de la femme et de la citoyenne, S. 6. https://gallica.bnf.fr/ark:/12148/bpt6k426138/f10.image (Digitalisat der französischen Nationalbibliothek)Deutsche Übersetzung z. T. von AuO.

(19)Es lohnt sich, damit sich auseinanderzusetzen, es führt nur scheinbar vom Thema ab, hierzu: "extraordinary rendition" (deutsch), https://de.wikipedia.org/wiki/Extraordinary_rendition

ausführlicher: "extraordinary rendition" (englisch) https://en.wikipedia.org/wiki/Extraordinary_rendition und auch "Ekstraordinær bortføring" (norsk bokmål), https://no.wikipedia.org/wiki/Ekstraordin%C3%A6r_bortf%C3%B8ring, weiters: "extraordinary rendition" (italienisch) https://it.wikipedia.org/wiki/Extraordinary_rendition und "extraordinary rendition" (französisch) https://fr.wikipedia.org/wiki/Extraordinary_rendition
Besonders wichtig: The Rendition Project, https://www.therenditionproject.org.uk/index.html) an Folterregime ausgeliefert werden, daß also politische Oppositionelle und Freiheitskämpfer mit islamistischen Terroristen gleichgesetzt werden, angesichts des professionellen Niveaus des für die Auslieferung verantwortlichen österreichischen Personals nicht unwahrscheinlich.

Einige Materialien zu dieser Problematik im Zusammenhang mit Österreich finden sich auch in folgenden Berichten:

AuO: Imam vom CIA aus Österreich entführt http://www.antiimperialista.org/en/node/4636

AuO: Zwei CIA-Entführungen aus Österreich? Indymedia Deutschland 25.08.2006, http://de.indymedia.org/2006/08/155828.shtml

AuO: Muß Assange um sein Leben fürchten? http://www.trend.infopartisan.net/trd0311/t540311.html

(20) Keine Strafe ohne Schuld, https://de.wikipedia.org/wiki/Nulla_poena_sine_culpa

(21) Nora Demirbilek, Katerina Peros: Haft ohne Anklage, Der Schlepper Nr. 69, 6/2014, S. 58

https://www.frsh.de/fileadmin/schlepper/schl_69/s69_58-60.pdf (frsh=Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein) Kursive Hervorhebungen von AuO!

(22)Military Order 101 - "Order Regarding Prohibition of Incitement and Hostile Propaganda", Addameer , Juli 2017http://www.addameer.org/israeli_military_judicial_system/military_orders

Addameer (arabisch für "Bewußtsein") ist ein Verein für Gefangenenhilfe und Menschenrechte



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Aussendungszeitpunkt: Donnerstag, 23. Januar 2020; 04:15
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Neue Regierung:

> Die Sache mit der DNA

Nicht nur die grüne Beihilfe zur Inthronisierung des Gesalbten ist ein
Problem, sondern die generelle Regierungsbereitschaft der einstmals
alternativen Partei. Aber vielleicht ist das gar nicht mehr die selbe
Partei, sondern nur mehr die gleiche. Ein zeitgeschichtlicher Versuch, das
nun Geschehene verstehen zu wollen.
*

Der meistens großartige Karli Berger hat neulich einen Cartoon
veröffentlicht, in dem eine Grüne zu Donnerstagsdemonstranten sagt: "Wir
sind jetzt mit jemand anderem zusammen! In tragenden Rollen!" Und sich
daranmacht, die Senfte des süffisant lächelnden Gesalbten anzuheben.

Aus diesem Cartoon spricht prima vista einmal der Vorwurf des Verrats:
Gerade noch war man gemeinsam mit anderen zusammen im Protest gegen die
Kurz-Regierung und nun huldigt man dem neuen Erzherzog von Österreich, weil
man sein Paladin sein darf.

Man kann die Kritik aber auch fundamental sehen und das mit der "tragenden
Rolle" anders verstehen. Denn wenn auch schon vor Jahren Christoph und Lollo
die Grünen als eine Partei durch den Kakao gezogen haben, der es um nichts
anderes ginge, als endlich einmal mitzuregieren, also staatstragend sein zu
dürfen, so war doch eins immer klar: Es gibt im österreichischen Parlament
zwei Parteien, die, trotz aller Widersprüche, so ungefähr fortschrittliche
Ideen vertreten -- die SPÖ als Staatspartei und die Grünen als
Oppositionspartei. Die Aufgabenteilung zwischen diesen beiden in mehr als
einer Hinsicht als sozialdemokratisch anzusehenden Parteien sorgte dafür,
daß es immer eine staatstragende und eine herrschaftskritische Fraktion gab.


Zwei Parteien

Unabhängig davon, ob die SPÖ gerade in einer Regierung war oder nicht, so
hat sie doch in dem, was man heutzutage so gerne "politische DNA" nennt, das
Regieren und Verwalten eingeschrieben. In der Opposition ist diese Partei
verloren, das hat man ja schon in den Zeiten der Schüsselregierungen
gesehen. Das Wort von der DNA mag vielleicht ein wenig geschmäcklerisch
wirken, doch hat es etwas Wahres: Die DNA hat man unveränderlich von seinen
Ursprüngen bis zu seinem Tod. Die SPÖ (resp. SDAP) ist zwar als eine
Protestpartei entstanden, aber von Anfang an war für deren Protagonisten
klar, daß sie die Führung im Staat übernehmen müßte -- das Proletariat war
"die stärkste der Parteien". Man empfand es nur als eine Frage der Zeit und
des Durchhaltevermögens, bis die alte Welt der Reaktionäre und Kapitalisten
zusammenbrechen müsse. Dazu paßte auch die Ausladung der im Fin de Siecle
keineswegs marginalen anarchistischen Teile der Arbeiterbewegung. Nach 1945
erlebte die Partei eine Wiedergeburt und dank des vielzitierten "Geistes der
Lagerstraße" und bald darauf des imaginierten "KPÖ-Putsches" und der damit
einzementierten Sozialpartnerschaft war das Staatstragende erneut
eingeschrieben -- diesmal im Wissen, daß man die Macht jetzt eben mit der
Reaktion teilen mußte. Auch wenn die Partei einmal nicht in einer
Bundesregierung saß, so regierte sie doch in vielen Ländern und Städten
zumindest mit und in Wien sowieso. Echte Oppositionsarbeit ist etwas, was
die SPÖ einfach nicht kann, weil sie es nie gelernt hat, und selbst in den
Zeiten, wo sie nicht in der Bundesregierung war, sowas wie
Staatsverantwortung immer stark in sich gefühlt hat.

Die Grünen haben eine ganz andere Genese -- die Partei, zusammengeschweißt
aus mehreren Bewegungen mit sehr unterschiedlichen Narrativen und
Forderungen, einte nur eins: Nein, eben nicht der Umweltgedanke, sondern der
generelle Protest gegen ein politisches System, das seit 1945 von zwei
Parteien bestimmt wurde, die sich die Macht auf allen Ebenen teilten --
faktisch selbst zu den Zeiten der Alleinregierungen von 1966 bis 1983. Der
Umweltgedanke gab dieser neuen Partei lediglich eine damals dem Zeitgeist
gemäße Klammer, quasi ein Banner, unter dem man sich sammeln konnte. "Grüne"
nannten sie sich ja nur als Anklang an die ältere Schwesterpartei aus
Deutschland. Unausgesprochen definiert hat sich diese neue
Parlamentsfraktion -- zu Anfang war sie formal nicht einmal Partei -- über
ihre Gegnerschaft zum politischen Establishment, eben als "Alternative".
Auch diese Bezeichnung hatte man aus Deutschland importiert genauso wie die
Idee der "Anti-Partei". Dieser Begriff wiederum war sehr doppeldeutig: Zum
einen transportierte man damit die Ablehnung bisheriger Parteikonzepte, zum
anderen faßte man die Basisbewegungen zusammen, aus denen die Partei
entstanden war, von denen viele in ihren gängigen Bezeichnungen vorne dieses
"Anti-" stehen hatten und die ganz generell dadurch gekennzeichnet waren,
gegen etwas zu sein, egal, ob es jetzt Atomkraft, Umweltzerstörung,
Patriarchat, Militarismus oder Kapitalismus war.

Man wollte etwas sein, was eigentlich ein Widerspruch in sich ist: Eine
Partei, die im Parlament die APO vertritt, die linken NGOs, die
Basisgruppen, die "Sozialen Bewegungen". Das Wort von "Spielbein und
Standbein" machte die Runde -- vor allem in den anarchistisch angehauchten
Teilen der Partei, die schon ahnten, daß dieses Konzept auf Dauer nicht
funktionieren kann. Der wunderbare Dieter Schrage mahnte das viele Jahre
lang noch ein, wohl wissend, daß es nur eine Illusion war. Und Günther
Nenning meinte schon früh in Anlehnung an Gertrude Stein: "Eine Partei ist
eine Partei ist eine Partei!" Beide hatte ihre Erfahrungen aus der
Sozialdemokratie und wußten daher, wovon sie sprachen.

Dennoch etablierten sich die Grünen vorerst einmal nicht als staatstragend.
Nicht nur ihre geringe Stärke, die nicht einmal für das berühmte Zünglein an
der Waage gereicht hätte, sondern vor allem ihr Verhalten im Parlament
machten allen anderen Nationalratsparteien klar, daß mit den Grünen kein
Staat zu machen sei -- speziell Abgeordnete wie Peter Pilz und Andreas Wabl
hupften SP, VP und FP oft genug mit dem sprichwörtlichen Arsch ins Gesicht.
Die Anpassung an die österreichische Staatsordnung schritt zwar sukzessive
voran, überschritt aber selbst in der Ära Van der Bellen, der den Grünen
eine bürgerliche Note gab und den Burgfrieden einforderte, nie eine gewisse
Grenze. Das Mitregieren in Kommunen und schließlich auch Ländern forderte
schon seinen Tribut, dennoch blieb den Grünen eine gewisse
Wiedererkennbarkeit als "alternative" Partei.

Das war wohl auch der Grund, warum sie sich bei den Regierungsverhandlungen
2003 nicht alles von ihrem präsumtiven Koalitionspartner gefallen ließen --
obwohl damals die Kräfteverhältnisse für die Grünen gegenüber den Schwarzen
noch deutlich ungünstiger waren als jetzt.


Warum jetzt?

Wenn also der Protest und die Skepsis und die prinzipielle
Oppositionshaltung Teil der politischen DNA der Grünen ist, warum ist es
ihnen nun so leicht gefallen, sich ausgerechnet der gerade jetzt besonders
herrschsüchtigen ÖVP so völlig zu unterwerfen?

Das hat wohl mehrere Gründe: Einer davon ist sicher die deutlich stärkere
Beteiligung an dem, was sie so für Macht halten, also an den Regierungen in
den Bundesländern. Zum Zeitpunkt der Regierungsverhandlungen mit Schüssel
waren die Grünen noch in keiner einzigen Landesregierung vertreten. Die
späteren Koalitionen und Vereinbarungen mit der ÖVP haben da sicher keinen
guten Einfluß gehabt. Ausgerechnet die Koalition in Wien mit der SPÖ hatte
aber einen enormen Impact, denn der linke Flügel der Partei war es vor
allem, der die Grünen lange Zeit auf Protestlinie gehalten hatte. Und dieser
Flügel war vor allem durch die stärkste Landesorganisation repräsentiert,
eben die Wiener Landespartei. Hier wurde auch die schärfste
Oppositionsarbeit auf Länderebene geleistet. Die Koalition in Wien war für
Bürgermeister Häupl ein doppelter Gewinn: Er bekam einen Koalitionspartner,
der nicht weit weg von den eigenen Positionen war, und er entledigte sich
gleichzeitig der einzigen echten Kontrollpartei in der Stadt -- denn FP und
VP waren zwar laut, hatten aber keine Ahnung, wo sie Häupl wirklich
glaubwürdig kritisieren könnten. Strache schaffte es erst zu Zeiten von
Rot-Grün, ein Drittel der Mandate für seine Partei zu erkämpfen -- aber auch
das hatte eben genau keinen Einfluß auf die Stadtpolitik, weil Statthalter
Gudenus völlig unfähig war, daraus etwas zu machen. Die Wiener Grünen
hingegen waren mit der Koalition als Kontrollpartei lahmgelegt und durften
"gestalten". Mit der Mahü und dem berüchtigten Tojner-Hochhaus blamierten
sie sich zwar gründlich, lernten aber doch, wie süß doch dieses bißchen
Macht schmeckt. Und das blieb eben nicht ohne Wirkung auf die Bundespartei.


Generationenbruch

Ein anderes Moment ist aber noch viel gravierender: Das Rausfliegen aus dem
Parlament 2017. 2019 kamen sie wieder zurück und warfen gleich erstens ihre
basisdemokratischen Grundsätze und zweitens ihre prinzipielle Protesthaltung
über Bord sowie drittens sich dem Gesalbten an den Hals. Wie konnte das
passieren? Die Politologin Alexandra Weiss kommentierte das in der "Neuen
Vorarlberger" so: "Die Grünen setzten damit aufs Spiel, was sie in den
Monaten vor der Wahl zurückgewonnen haben - und das ist nicht weniger als
ihre Existenz als parlamentarische Kraft." Stimmt natürlich. Aber wieso
riskieren sie das? Vielleicht deswegen, weil die Grünen nicht mehr die
selben sind. Vielleicht sind sie gestorben und wieder neugeboren worden, um
im Bild mit der DNA zu bleiben. Möglicherweise aber ist diese Partei 2017
gar nicht gestorben, sondern wurde ihre Traditionslinie ganz woanders
fortgesetzt -- in der glücklosen "Liste Pilz". Das klingt ein wenig
verwegen, aber man sehe sich an, was nicht nur nach der Wahl 2017 passiert
ist, sondern auch in den Monaten und Jahren davor:

Eine Partei kann nicht umhin, irgendwann einmal einen Generationenwechsel
zuzulassen -- sonst veraltet sie und ihr Führungspersonal kommt irgendwann
auch zu seinem biologischen Ende. Dieser Wechsel ist ein notwendiger Prozeß
und wenn man sich rechtzeitig darauf einstellt, können Wissen und
Traditionen -- ja, eben das mit der DNA -- von Alt auf Jung weitergegeben
werden. Aber das ist nur sehr unzureichend von der Partei umgesetzt worden:
Das Rausekeln von erfahrenen Abgeordneten (und damit auch ebensolchen
Parteimitgliedern) ermöglicht nunmal keine Weitergabe von Wissen. Diese
Traditionszerstörung funktioniert aus historischen Gründen bei den Grünen
aber besonders gut -- eine technokratisch orientierte Nachfolgegeneration,
die kein Interesse an den Erfahrungen der Älteren hat, kann sich da auf
genau diese Traditionen einer Partei berufen, die sich als basisdemokratisch
versteht, die Berufspolitikertum genauso wie Personenkult ablehnt, Rotation
fordert und außerdem ganz feministisch das Patriarchat "alter weißer Männer"
ablehnt. Es ist absurd: Mittels antitechnokratischer Argumentation
verfestigen Technokraten die technokratischen Strukturen einer Partei.

Diese bei den Grünen unterdrückte Weitergabe von Ideologie und empirischem
Wissen versuchte aber tatsächlich -- auch wenn das wohl nicht der Grund
seines Engagements für die eigene Liste war -- Peter Pilz. Er nahm andere
Rausgeekelte zu sich ins Boot und er betonte in seinen Wahlkämpfen 2017 und
vor allem 2019 genau diese Protesthaltung: Es brauche, so Pilz, eine
Kontrollpartei im Parlament, die nicht die geringste Absicht habe,
mitzuregieren.

Mit dem Exodus der Grünen 2017 gab es damit also wohl in gewisser Hinsicht
auch einen Exitus. Mit dem Verlust des Nationalratsklubs gingen plötzlich
auch hundert Arbeitsplätze verloren -- das waren aber genau die Leute, die
das Rückgrat der grünen Politik bildeten. Gerade diese parlamentarischen
Mitarbeiter der Grünen waren vor allem die Träger der wertvollen Traditionen
und des Fachwissens genauso wie der Kenntnisse über die Usancen und Fallen
im Nationalrat. Diese hochqualifizierten Kräfte mußten sich daraufhin neue
Jobs suchen und standen so nicht mehr den Grünen zur Verfügung.


Schöne neue Partei

2019 kam dann plötzlich eine Gruppe in den Nationalrat, die keine Ahnung
hat, wie das Spiel gespielt wird. Lediglich Werner Kogler kennt die Schliche
und Kniffe, aber der erscheint heute eher ein Getriebener zu sein denn eine
treibende Kraft. Der Rest sind Leute, von denen einige wenige durchaus große
politische Erfahrung und inhaltliche Kenntnisse haben, der Großteil aber
eben nicht. Alle eint aber, nicht mehr Träger dieser bislang tradierten
Grundhaltung einer fundamentalen Opposition zu sein: die prägende Erfahrung,
daß aus der Opposition einiges möglich ist, die Regierungspolitik
mitzubestimmen, in einer Koalition als schwacher Partner aber nichts. Die
früheren Klubangehörigen haben erlebt, daß selbst der SPÖ als Kanzlerpartei
nur wenig Spielraum geblieben ist, andererseits die FPÖ jahrzehntelang, wie
Jörg Haider das einmal formulierte, "die Altparteien vor sich hertreiben"
konnte und dann aber in einer Koalition beinahe in die Bedeutungslosigkeit
versenkt wurde.

Womit ich wieder zu diesem anfangs zitierten Cartoon zurückkehre: Weil die
Grünen sich nun auch auf Bundesebene in "Regierungsverantwortung" begeben --
selbst wenn es nicht mit so einem ekligen Partner wie dem Gesalbten gewesen
wäre --, verlieren all die Basisbewegungen und NGOs ihre Ansprechpartner im
Parlament. Dann können diese Gruppen sich in bestimmten Bereichen vielleicht
größere Chancen auf Subventionen ausrechnen -- wenn auch um den Preis des
Wohlverhaltens --, aber sie finden niemanden mehr, der ihren Protest gegen
die Hohen Herren in der Regierung ins Parlament trägt.


Vorwärts in die Vergangenheit

Die linken und irgendwie fortschrittlichen Kräfte außerhalb der
Parteipolitik stehen jetzt wieder dort, wo sie vor 1986 gestanden sind --
vor dem Parlament in Protest gegen einen Klüngel staatstragender Parteien
ohne jegliche Alternative. Einerseits ist das schon irgendwo schlimm,
andererseits aber auch eine Chance für die APO, sich wieder auf die eigenen
Kräfte zu konzentrieren und sich nicht mehr auf irgendwelche
Parlamentsparteien zu verlassen. Angesichts der heutigen politischen
Paradigmen ist das aber nur eine blasse Hoffnung und ein schwacher Trost.

*Bernhard Redl*




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