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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 27. November 2019; 11:57
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Umwelt/Recht/Demokratie:

> Ein Äuzerl mehr Republik

Ein Höchstgericht mußte bemüht werden, um ein Ministerium dazu zu zwingen,
eine Stellungnahme in einem Gesetzesbegutachtungsverfahren zu
veröffentlichen. Das klingt reichlich absurd. Aber in Österreich kann so
etwas Wirklichkeit werden.
*

Die Geschichte war von Anfang an seltsam. Wir schreiben Sommer 2018.
Anscheinend sind alle auf Urlaub. Eine gute Zeit für das Ministerium "für
Digitalisierung und Wirtschaftsstandort" den Ministerialentwurf für das
"Standort-Entwicklungsgesetz - StEntG" ins Begutachtungsverfahren zu
schicken. Zur Erinnerung: Das war jene eigenartige Rechtsnorm, mit Hilfe
derer Genehmigungsverfahren für Industrieunternehmungen beschleunigt werden
sollten -- speziell damit, daß man Umweltverträglichkeitsprüfungen ab an
einem gewissen Zeitpunkt einfach abdrehen können sollte.

Die Hoffnung, daß da niemand im Begutachtungsverfahren reagiert, war
vergebens. 63 Stellungnahmen listet die Parlamentshomepage auf -- die
meisten davon eher nicht so wohlwollend. Eine Stellungnahme allerdings fällt
dabei auf. Denn da steht auf der Parlamentshomepage lediglich "Keine
öffentliche Stellungnahme". Dieses Statement war so geheim, daß es nicht
einmal dem Parlament zur Kenntnisnahme gebracht wurde. Verfaßt hatten es
offensichtlich ausgerechnet die Legisten des Ministeriums "für
Nachhaltigkeit und Tourismus" -- also des Umweltministeriums. Das Papier muß
wohl vernichtend in der Kritik gewesen sein, weil Ministerin Köstinger das
ihrer Kollegin Schramböck nicht öffentlich antun wollte. Daß damit auch das
Parlament düpiert wurde, war den Ministerinnen egal -- wie bei türkisen
Regierungsmitgliedern ja auch nicht weiter verwunderlich. Eine
parlamentarische Anfrage der NEOS bei Ministerin Köstinger, ob sie diese
Stellungnahme nicht doch noch herausrücken wolle, war fruchtlos. Die
hochoffizielle Frage, warum die Stellungnahme nicht veröffentlicht wurde,
beantwortete Köstinger einfach gar nicht, sondern teilte lapidar mit: "Es
entspricht der gängigen Praxis, dass Stellungnahmen oder fachliche
Anmerkungen zu Gesetzesentwürfen auf verschiedenste Weise übermittelt
werden." Sprich: Schmecks!

Vor dem Gericht

Die Umweltorganisation VIRUS wollte das nicht auf sich sitzen lassen und zog
vor Gericht, um das Ministerium dazu zu zwingen, diese Stellungnahme
herauszurücken. Der Hebel dazu: Das Umweltinformationsgesetz! Denn während
in anderen Rechtsbereichen dank Amtsgeheimnis und anderen Normen
Regierungsstellen und nachgeordnete Behörden interessierte Bürger und auch
Abgeordnete einfach dumm sterben lassen können, ist das im Umweltbereich
nicht ganz so einfach. Das Bundesverwaltungsgericht erteilte dem Ansinnen
allerdings eine Abfuhr. Dort war man nämlich der Meinung, Stellungnahmen
kämen nur dann als Umweltinformation in Frage, wenn sie sich auf
Umweltfaktoren auswirkten. Dies sei nicht der Fall, weil eine nur abstrakte
Möglichkeit an Auswirkungen nicht ausreiche. Außerdem sei eine Stellungnahme
eben nur eine solche und keine rechtlich relevante Norm.

VIRUS-Anwalt Heinrich Vana marschierte also zum Verwaltungsgerichtshof. Und
der erteilte der Vorinstanz eine ziemlich Gnackwatschen: "Das
Verwaltungsgericht hat sich - auf Basis seiner Rechtsansicht, Stellungnahmen
im Begutachtungsverfahren könnten schon ihrem Typus nach keine
Umweltinformationen sein, - nicht mit dem Gegenstand des betreffenden
Gesetzesvorhabens auseinander gesetzt", heißt es im Erkenntnis des VwGH.
Zwar sei nicht jede Stellungnahme des Umweltressorts per se eine
Umweltinformation. Entscheidend sei dabei "ob sich das betroffene
Gesetzesvorhaben bei seiner Umsetzung (zumindest wahrscheinlich) auf die im
Gesetz genannten Umweltbestandteile oder -faktoren auswirken wird bzw. deren
Schutz dienen soll. Ein solcher Fall wäre etwa bei einer geplanten
relevanten Änderung von Genehmigungskriterien oder des Verfahrensregimes im
Bereich der Umweltverträglichkeitsprüfung denkbar."

Tja und da es genau darum geht, darf der Bund jetzt VIRUS den Aufwand für
das Verfahren entschädigen und das Bundesverwaltungsgericht noch einmal
urteilen -- diesmal im Sinne der Umweltorganisation.

Konsequenzen

Beachtlich ist dieser Entscheid in zweierlei Hinsicht. Auch wenn das
Umweltrecht spezielle Voraussetzungen bietet sowie eine europarechtliche
Komponente enthält, weswegen der Entscheid nicht allgemein auf
Informationsrechte anzuwenden ist, so macht er doch klar, daß
Regierungsstellen nicht unter allen Umständen einfach Informationen
unterdrücken können, nur weil es den dortigen Chefitäten genehm ist.
Hoheitlicher Geheimniskrämerei wurden hier Grenzen gesetzt.

Noch interessanter an diesem Spruch ist aber die Zurechtweisung des BVwG
erster Instanz hinsichtlich seiner Kompetenzen. Dieses war ja geschaffen
worden, um den VwGH zu entlasten, der bis zur Schaffung dieses Gerichts
jeden Einzelfall zu behandeln hatte. Diese Aufgabe scheint man aber dort ein
bißchen zu ernst zu nehmen, da es mittlerweile ein Standardsatz in
BVwG-Sprüchen geworden ist, eine Revision am VwGH für unzulässig zu
erklären, da es sich nicht um eine Rechtsfrage handle, der "grundsätzliche
Bedeutung" zukomme. Üblicherweise bedeutet das für Revisionswerber den Weg
zum Verfassungsgerichtshof, der dann entscheiden muß, ob eine Revision nicht
doch zulässig sei. In diesem Fall hat aber der VwGH dem BVwG klargemacht,
daß er selbst darüber entscheiden kann, welche Revision zulässig sei und
welche nicht. Auch das sollte in Hinkunft den Richtern am BVwG zu denken
geben. Im gegenständlichen Fall war das Verhalten der Erstinstanz nämlich
besonders kraß -- die entschied nämlich ohne jegliches Parteiengehör rein
nach Aktenlage und war der Meinung, mit ihrem roma locuta causa finita sei
die Sache schnell erledigt. Am Judenplatz war man dann aber eben doch
anderer Ansicht.

Immer noch k.u.k. statt Republik

Politisch ist die Sache aber noch einmal anders zu bewerten. Denn auch in
diesem Fall zeigt sich die Problematik der langsam mahlenden Mühlen der
Justiz. Der VwGH entschied im Oktober 2019 eine Rechtsfrage, die ein Jahr
davor tatsächlich relevant war. Mittlerweile ist das betreffende Gesetz
beschlossen worden. Durch diesen Entscheid wird natürlich auch keine neue
Debatte im Nationalrat mit nachfolgender Neubewertung des Gesetzesentwurfs
geführt. Auch ist die Regierung, die diese Stellungnahme unter Verschluß
gehalten hatte, längst nicht mehr im Amt. Post festum hat der Entscheid nur
Bedeutung für zukünftige Verhaltensweise eines Ministeriums. Daß sich dort
tatsächlich etwas in der Informationspolitik ändern könnte, ist aber
unwahrscheinlich -- das zeigt schon das Verhalten der jetzigen
Beamtenregierung, die erst mit der an sich schon obsoleten Stellungnahme
herausrücken möchte, wenn das BVwG seinen neuerlichen Spruch getätigt hat.
Das zeigt sich aber auch am Verhalten des derzeitigen Innenministers, der
der Meinung ist, er müsse eine Anfrage der Liste Pilz nicht mehr
beantworten, weil deren Abgeordnete nicht mehr im Nationalrat vertreten
seien.

Gerade im Lichte der immer wieder auftauchenden Debatten um die Abschaffung
des Amtsgeheimnisses in Österreich sei wieder einmal daran erinnert: Res
publica bedeutet, daß die Politik eine "öffentliche Angelegenheit" zu sein
habe. Diese Etymologie ist bis heute der österreichischen Obrigkeit nicht so
wirklich bewußt.
*Bernhard Redl*

Nach Redaktionsschluß: Am Mittwoch morgen wurde bekannt, daß das BMNT doch
nicht auf das Urteil wartet und die Stellungnahme bereits jetzt
veröffentlicht. VIRUS hat sie schon erhalten.

Radiosendung aus der Reihe "trotz allem" zum Entscheid des VwGH und
allgemein zu diesem Gesetz: https://cba.fro.at/433908

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