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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 27. November 2019; 12:04
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Wirtschaft/Parteien/Korruption/Debatte:

> Fallensteller

Vor Entpolitisierung wird gewarnt: Die Postenschacherdebatte wird langsam
gefährlich.

Vor dem Hintergrund des im Gefolge von Ibiza aufpoppenden Sittenbilds der
heimischen Kultur des Postenschachers gibt Daniela Kittner im Kurier vom
19.11.2019 einen sehr plausiblen Rückblick auf die Geschichte des Proporz:
Ursprünglich war er eine der Lehren, die ÖVP und SPÖ nach 1945 aus
Bürgerkrieg und Austrofaschismus zogen: "Keine Partei sollte
überproportional im Staatsapparat vertreten sein, ein Parteiengleichgewicht
sollte die Demokratie festigen." Bis in die achtziger Jahre hinein hatte er
dann eine gesellschaftsstabilisierende Wirkung. Denn die heimische
Wirtschaft war bis zu jener Zeit eine klassische "National-Ökonomie" mit
hohem Staatsanteil und geschützten Märkten, in der die Sozialpartner lenkend
auf Preise, Löhne und die Geldpolitik Einfluss nehmen konnten. Daniela
Kittner ist auch zuzustimmen bei ihrer Feststellung, dass es "diese Welt des
geschlossenen österreichischen Systems" heute nicht mehr gibt, und dass wir
in einer Welt des globalisierten Konkurrenzkampfs leben, "in der sich von
den Schülern angefangen jede und jeder internationalen Benchmarks,
Pisastudien und Produktivitätsvergleichen stellen muss."

Zurückweisen möchte ich aber die von ihr aus dieser Situationsbeschreibung
abgeleitete Schlussfolgerung. Denn die besagt, dass in dieser neuen Welt des
globalisierten Konkurrenzkampfs "eine Personalrekrutierung wie in den
1950er-Jahren vielleicht doch etwas outgedatet" sei und die Grünen hätten
jetzt "die Jahrhundertchance, das zu tun, was die FPÖ zwar stets
versprochen, aber nie gehalten hat: zumindest auf Bundesebene das
Postenschachern abzustellen."

Das klingt unheimlich überzeugend, ist aber eine Falle! Man muss sich
nämlich fragen, wer denn dann nach welchen Kriterien die zu besetzenden
Posten vergeben wird. Die Antwort ist ernüchternd: Es werden dann (im besten
Fall!) jene internen und externen ,Experten' bestimmen, die ihr Expertentum
in den Kaderschmieden jener ökonomischen Leitkultur erworben haben, welche
gerade dabei ist, den gesamten Planeten an die Wand zu fahren.

Wenn man (bloß zum Spielen!) einmal kurz annimmt, dass es den Grünen ein
Anliegen ist, gegen die Herrschaft dieser Leitkultur anzukämpfen, dann
müssen sie weiterhin auf sehr altmodische Weise um jeden Posten ringen - in
der vagen Hoffnung, dass sie dies nicht nur für die KarrieristInnen des
eigenen Lagers tun, sondern dabei auch den einen oder anderen kritischen
Geist in Stellung bringen können, der sich nicht sofort und umstandslos
jenen scheinbar unausweichlichen ,Sachzwängen' unterwirft, die besagte
Leitkultur täglich über alle Medienkanäle von A (wie Angebotspolitik) bis Z
(wie Zinsentief) für uns durchbuchstabiert.

Apropos Fallenstellen: einer der gefährlichsten Steller einschlägiger Fallen
ist Franz Fiedler, Ehrenpräsident des Beirats von Transparency International
Österreich. In einer ORF-Diskussion zur Postenschacher-Thematik spricht er
sich dagegen aus, dass politische Wechsel an der Spitze von Ministerien auch
zu entsprechenden politischen Umfärbungen bei den in deren Einflussbereich
stehenden Unternehmen führen: "Denn dann werden in Wahrheit nicht die
Interessen des Eigentümers, der Republik, sondern einer politischen Partei
zum Durchbruch kommen."

Diese Begründung lässt tief blicken auf das Staats- und Politikverständnis
bei Transparency International. Auf der einen Seite verklärt Fiedler hier
den Staat zur frei über allen Sonderinteressen schwebenden Agentur eines
fiktiven Allgemeininteresses. Und auf der anderen Seite negiert er von
vornherein die Möglichkeit, dass die von einer politischen Partei
vertretenen Ziele so etwas wie ein gesamtgesellschaftliches Interesse
verkörpern könnten. Ob dies im Einzelfall zutrifft, muss natürlich
diskutiert werden. Man darf es aber doch nicht von vornherein ausschließen -
und mit diesem Ausschluss den Parteien prinzipiell das Recht absprechen, dem
von ihnen jeweils vertretenen Anliegen durch entsprechende Personalpolitik
zum Durchbruch zu verhelfen. Wer so argumentiert, gibt sich als Agent jener
Sonderinteressen zu erkennen, die sich hinter einer an ,Sachzwängen'
orientierten ,Sachpolitik' verstecken, welche dem fiktiven
Allgemeininteresse "der Republik" zu dienen vorgibt.

*Karl Czasny*


Anmerkung der Redaktion: Als unser Autor obigen Text verfaßte (am 21.11.),
wußte er noch nicht, daß, gerade auch vom österreichischen Chapter von
Transparency International, der Spin schon weitergeführt wurde. Denn am
selben Tag erschien als "Kommentar der Anderen" im "Standard" ein Beitrag
eines Vorstandsmitglieds von TI Austria, nämlich des Rechtsanwalts Georg
Krakow, der überhaupt gleich alles privatisieren möchte: "Die Gefahr von
Freunderlwirtschaft und Postenschacher bei Unternehmen mit Staatsbeteiligung
wird erst dort endgültig der Vergangenheit angehören, wo sich der Staat von
seinen Beteiligungen trennt. Gerade das Beispiel Casinos zeigt offenkundig,
dass die öffentliche Hand nach wie vor an zahlreichen Unternehmen beteiligt
ist, die ganz eindeutig nicht zu den Staatsaufgaben zählen. Aber auch im
Infrastrukturbereich sollte sich der Staat den Ausstieg aus
Betriebsunternehmen überlegen, die im Wettbewerb mit privaten Anbietern
stehen. Die laufenden Regierungsverhandlungen sind die perfekte Gelegenheit,
um dem Staat endlich die Nadel wegzunehmen, von der er bislang nicht
losgekommen ist." (1)

Und gleich am nächsten Tag assistierte an selber Stelle ausgerechnet Heidi
Glück, einstmals Pressesprecherin von Bundeskanzler Schüssel. Sie stimmt
Krakow vollinhaltlich zu und läßt den Grünen, bei denen sie ja 2003 verpaßt
hatte, für diese gleich mitsprechen zu können, ausrichten: "Bei allen
ideologischen Differenzen von Bildung über Standortfragen bis Migration und
Sozialpolitik wird letztlich der Wille, gemeinsam etwas zu schaffen,
entscheidend sein. Kompromisse sind überall denkbar, wenn guter Wille
herrscht. Und das Commitment zu einem innovativen Projekt. Letztlich geht es
auch für die Grünen um einen Durchbruch zu neuen Ufern. Auch Werner Kogler
und Co ahnen, dass die Macht süß schmeckt." (2)

Letzteres ist tatsächlich zu befürchten. ###


(1) https://
www.derstandard.at/story/2000111300752

(2) https://
www.derstandard.at/story/2000111363741



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