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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 30. Oktober 2019; 14:51
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Demokratie:
> Die Tragödie der Legislative
Die Affäre um eine Nationalratspräsidentin, die eine falsche Mehrheit im
Plenum feststellte, erheiterte nun ganz Österreich. Daß aber das Parlament
generell eine wenig seriöse Institution ist, wird dabei gerne übersehen. Die
Ursachen für diese Defizite des "Hohen Hauses" sind auch nicht ganz so
offensichtlich.
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"Wir sehen das Anwachsen einer exekutiven Übermacht und die Parlamente sind
nichts anderes als die Vollzugsorgane regierungsamtlicher Entscheidungen,
das ist in ganz Europa so." "Die Reden, die im Parlament gehalten werden,
werden ja nicht für die Abgeordneten gehalten, sondern nur für die Kameras.
... Dort findet ja keine Diskussion statt, das Ergebnis der jeweiligen
Sachen ist ja längst vorher festgestellt." "Und wenn wir fünf Klubobleute,
mit entsprechender Stimmgewichtung hätten, würden wir uns viele langatmige
und nichtssagende Reden sparen." Das sagte der scheidende Nationalrat Alfred
Noll in einem ZiB2-Interview. Und zum Prinzip des freien Mandats meint er:
Wenn die Abgeordneten "Devianz zeigen, sind sie das nächste Mal nicht auf
der Wahlliste."
Zwei Tage später, ebenfalls in der ZiB2 wurde der alte und neue
Nationalratspräsident gefragt, wie er denn rechtfertigen könne, daß in einer
Nationalratssitzung eine Abstimmung falsch dokumentiert werde: "Die dritte
Präsidentin hat entschieden. Es hat niemand dagegen protestiert und eine
namentliche Abstimmung verlangt. ... Es ist wie beim Fußballspielen, die
Entscheidung des Schiedrichters ist als solche zu akzeptieren."
Die dritte hier zu zitierende Stellungnahme in einem ORF-Interview ist schon
länger her: Als Terezija Stoisits aus dem Nationalrat ausschied, um
Volksanwältin zu werden, fragte man sie, wie sie es bei ihrem
Demokratieverständnis rechtfertigen könne, daß sie kurz vorher, im Juni
2007, im Nationalrat für die Verlängerung der Legislaturperiode gestimmt
hätte. Sie meinte darauf, sie habe "selbstverständlich" dagegen gestimmt.
Ein Tor ist ein Tor
Wahrscheinlich stimmt das sogar, dafür gibt es aber keinen Beleg, denn die
Parlamentskorrespondenz vermeldete damals, die Grünen hätten dafür gestimmt.
Diese Meldung beruhte auf dem Sitzungsprotokoll und dieses wiederum auf den
Äußerungen des gerade amtierenden Nationalratspräsidenten. Überprüfen ließ
sich das nachträglich nimmer, denn damals waren noch nicht soviele Kameras
im Nationalrat vorhanden. Auch wenn Sobotka das nicht intendiert haben mag,
so ist sein Vergleich mit dem Fußballschiedsrichter nämlich genau auf dieser
Ebene sehr richtig: Früher war auch bei internationalen Begegnungen klar,
daß die Entscheidung eines Schiedsrichters nicht hinterfragt werden könne,
auch wenn sie vielleicht nicht allen gepaßt hat. Heute sind derart viele
Kameras bei solchen Spielen, daß danach eindeutig ist, wenn der
Schiedsrichter eine Fehlentscheidung getroffen hat -- Abseits oder nicht
Abseits, Tor oder nicht Tor ist heute nachträglich fast immer überprüfbar.
Das bringt die Schiedsrichter heute in einen viel größeren Streß und ähnlich
ergeht es jetzt den Nationalratspräsidenten.
Die Grünen sind nach wie vor stolz darauf, keinen Klubzwang zu haben. Ob
sich das bei einer Regierungsbeteiligung wird ändern müssen, bleibt
abzuwarten. Immerhin erscheint es dann als Notwendigkeit, weil dann würde es
tatsächlich darauf ankommen mit einer fixen Regierungsmehrheit im
Nationalrat agieren zu müssen. Aber ist dem auch wirklich so? Denn daß die
Grünen keinen Klubzwang haben, ist ja vom Parlamentspräsidium immer
geflissentlich ignoriert worden -- man hat üblicherweise ohne Ansehen des
wirklichen Abstimmungsverhaltens einfach alle Abgeordneten (also auch die
nicht Anwesenden) der zustimmenden Fraktionen zusammengezählt und das wars.
Wenn einmal die Anwesenheitsrate nicht bei allen Fraktionen gleich war, kam
es manchmal zu Protesten der Opposition und ein Abstimmungsergebnis wurde
dann als mehrheitlich gegen die formelle Regierungsmehrheit gewertet -- das
nannte man dann verräterisch eine "Abstimmungspanne". Weil halt nicht sein
kann, was nicht sein darf.
In der gegenständlichen Causa Kitzmüller und Identitäre ist nicht
protestiert worden und das wurde jetzt skandalisiert, weil man den
Widerspruch zwischen Vorstellung und Wirklichkeit nachträglich entdeckt hat.
Das ändert aber nichts am Zählen nach Fraktionen und dem Ignorieren von
"abtrünnigen" Abgeordneten.
Klubzwang als Imagination
Davon gibt es nämlich viel mehr als bisher angenommen worden ist. Denn
während die Geschichte der Rechercheure im Fall Kitzmüller nun ziemlich
breitgetreten worden ist, ist eine Statistik dieser Plattform bislang
öffentlich völlig ignoriert worden. Denn die Leute von Addendum haben in der
letzten Legislaturperiode unabhängig von den ORF-Kameras jede Abstimmung
photographiert. Und da kam heraus, welche sehr wohl anwesenden Abgeordneten
keineswegs immer mit ihrem jeweiligen Klubvorsitzenden aufgestanden sind.
Das ist nämlich gar nicht so selten passiert und hat Abgeordnete aller
Fraktionen betroffen. Nach dem Prinzip "Don't ask, don't tell" haben das
aber Präsidium und Klubchefs einfach immer geflissentlich übersehen. Mit
anderen Worten: Das freie Mandat wird tatsächlich oft genug auch als solches
bei Abstimmungen ausgeübt, der Klubzwang aber als Imagination von allen
Beteiligten angenommen und so auch amtlich gewertet.
Mit einer elektronischen Abstimmung, die einer obligatorischen namentlichen
gleichkäme, wäre das Stimmverhalten aber immer auch der Öffentlichkeit
ersichtlich -- und das kann man im Parlament nun wirklich nicht wollen, hat
man es sich doch in dieser Lebenslüge vom Klubzwang so bequem eingerichtet.
Denn es ist halt schon fein, wenn man als Abgeordneter das Gefühl haben
kann, tatsächlich nach dem eigenen Gewissen abgestimmt zu haben, aber
keinerlei Konsequenzen von der Parteispitze fürchten zu müssen, weil dieses
Votum sowieso ignoriert wird. Durch die Medien geht das ja nur, wenn
einzelne Abgeordnete so etwas selbst öffentlich machen -- und dann wissen
sie eben, wie Noll das geschildert hat, daß sie dem nächsten Nationalrat
wohl nicht mehr angehören werden.
Überforderte Abgordnete
Der Hintergrund des Klubzwangs ist aber weitaus komplexer. Auch wenn Noll
Recht damit hat, daß die Reden nur für die Kameras geschwungen werden und
die Abstimmungen eigentlich auch gleich in der Präsidiale gemacht werden
könnten, ist siese Kritik am praktizierten Parlamentarismus ist ja nicht neu
und Nolls Enttäuschung darüber ist wohl großteils gespielt. Schließlich ist
der ja nicht auf der Nudelsuppe dahergeschwommen und wußte auch schon vor
seiner Nationalratstätigkeit, wie das läuft. Aber als Anwalt und Medienprofi
weiß er eben auch, daß ohne große Geste gar nichts geht.
Denn der Klubzwang beruht nicht nur darauf, daß es halt einfacher ist, im
Parlament sichere Mehrheiten zu haben. Es geht auch darum, daß es schier
unmöglich ist, für jeden einzelnen Abgeordneten,über die jährlich in Summe
wohl in Telefonbuchstärke vorhandenen Anträge, die oft genug ohne
Expertenwissen völlig unverständlich sind, auch entsprechend zu urteilen.
Die meisten Regierungsvorlagen sind Ministerialentwürfe, die von
Fachlegisten formuliert worden sind. Dazu kommen die auch nicht zu
ignorierenden, weil fachlich kompetenten Stellungnahmen aus dem
Begutachtungsverfahren. Nationalratsabgeordnete, die sich mit Ansinnen, die
nicht ihrem Fachbereich entsprechen, beschäftigen müssen, sind heillos
überfordert. Öffentlich bemerkbar ist das aber nur, wenn man die jeweiligen
Partei- und Klubchefs, zu so ziemlich jedem Spezialthema befragt -- was
speziell in Wahlkämpfen wie jetzt eben oft der Fall ist. Die reden da oft
einen Topfen daher, weil sie sich nicht getrauen zu sagen, daß sie da eben
nicht kompetent sind. In diesem Zusammenhang war ja SPÖ-Chefin und Ärztin
Rendi-Wagner sehr erfrischend, als sie in einem der "Duelle" mit dem
gesalbten Studienabbrecher gemeint hatte, sie könne nun wirklich nicht über
Typen von Militärflugzeugen reden, weil sie davon keine Ahnung habe.
Genau dafür gibt es nämlich die entsprechenden Fachbereichssprecher und
deren Referenten. Hier tut sich aber quasi panoptisch das Elend unserer
Volksvertreter und unserer überbürokratisierten Welt auf: Selbst wenn die
einzelnen Abgeordneten versuchen wollten, selbständig nach ihrem Gewissen zu
entscheiden, müssen sie sich auf das Expertenwissen ihrer Kollegen
verlassen -- und damit letztlich auch von diesen und natürlich den Klubchefs
sich die Entscheidung abnehmen lassen. Der Klubzwang ist vielleicht weniger
als Zwang zu sehen, sondern ergibt sich ganz natürlich aus der Hilflosigkeit
der einzelnen Nationalräte. Daß die jeweiligen Experten in den
Regierungsklubs zu ihrer Meinung oft genug von den Beamten, Ministern und
vor allem den Klubchefs sanft überredet werden müssen, steht auf einem
anderen Blatt. Das tut dem Prinzip aber keinen Abbruch.
Genau hier aber ist das Demokratiedefizit zu verorten: Wir, "das Volk",
sollen Abgeordnete wählen, die wir nach ihrem politischen Verhalten
beurteilen sollen -- wie sollen wir das, wenn diese Abgeordneten zumeist
selbst keine Ahnung haben, was sie da tun? Da werden dann bei den Wahlen
moralisch hochaufgeladene Schlagworte affichiert, weil das Wahlvolk mit den
Sachfragen genauso heillos überfordert ist wie die Abgeordneten. Auf diese
Details kommt es aber an -- denn in denen steckt bekanntermaßen der Teufel
resp. der Hund begraben.
Klassengesetzgebung
Doch bei diesen Parlamentsbeschlüssen -- die wir qua Wahlen indirekt ja alle
mittragen -- kommen Gesetze heraus, die uns alle betreffen, die aber die
wenigsten verstehen. Es ist noch nicht so lange her, daß wir einen
Finanzminister hatten, der später erklärte, er verstünde die Steuerformulare
nicht, aber dazu habe er ja einen Steuerberater, auf den er sich verlassen
können müsse. Also ein Fachminister muß die Formulare seiner eigenen Behörde
nicht verstehen, aber wir sind dazu verpflichtet? Hier liegt genau das
Dilemma -- wer in diesem Land seine Recht nutzen will, braucht zuerst einmal
genug Geld, um sich die Experten leisten zu können, eben Rechtsanwälte,
Steuerberater und sonstige Juristen. Gut verdienende Steuerschoner werden
dank dieser Experten immer wieder Schlupflöcher finden, um ihre Praktiken
entweder zu legalisieren oder zumindest den Behörden gegenüber zu
verschleiern. Wem vom AMS die Notstandshilfe gestrichen wird, schaut da eher
blöd aus der Wäsch, denn alleine die Rechtsmittelbelehrung werden viele ohne
Anwalt nicht verstehen.
Die Abgeordneten im Parlament haben es insofern leichter, weil sie diese
Beratungsressourcen in Anspruch nehmen können. Allerdings müssen sie sich
darauf blind verlassen können, um dann erst in die Lage zu kommen, aus den
Erläuterungen der Experten die politischen Konsequenzen herauszulesen. Aber
auch das wird nicht immer möglich sein -- wir erinnern uns an die Debatte um
den CETA-Vertrag, der insgesamt 2 Millionen Buchstaben hatte, in etwa die
Häfte der Bibel, aber nicht halb so verständlich war. Das werden wohl nicht
einmal die Fachbereichssprecher so ganz durchblickt haben.
Leichte Sprache für Nationalräte
Ergo: Will man lebendigen Parlamentarimus mit elektronischen Abstimmungen
und ohne Klubzwang und damit mit ungewissem Ausgang, muß man nicht nur von
den Parteiführungen das Zugestehen der Meinungsfreiheit der einzelnen
Abgeordneten verlangen, sondern man muß diesen Abgeordneten auch die
Möglichkeit geben, zu verstehen, was sie da eigentlich tun. Dazu müssen die
Legisten aus den Ministerien in die Klubs übersiedeln und auch
Regierungsvorlagen der Vergangenheit angehören. Denn nur dann wäre das
Parlament auch wirklich eine Legislative und nicht eine Abnickmaschine zum
Gaudium der Fernsehzuschauer, die sich drüber abhauen, wenn sich Frau
Kitzmüller verschaut. Und dann müßte diese Legislative auch so gestaltet
werden, daß die Beschlüsse allgemein verständlich sind.
Überall, auch auf der Parlamentshomepage wird jetzt zum Zwecke der Inklusion
"leichte Sprache" verordnet. Das wäre doch auch etwas für unsere
Gesetzgebung. Ja, die Materien sind sehr komplex und es ist eben schwer,
leicht zu formulieren. Aber die Alternative ist, weiter Gesetze zu
produzieren, die gerade mal so ungefähr von denen verstanden werden, die sie
formuliert haben, aber kaum mehr von denen, die sie beschliessen sollen. Und
schon gar nicht von denen, die es betrifft und die sich daran halten sollen.
Aber es ist eben leichter, schwer Verständliches zu produzieren. Das sichert
die Herrschaft der Bürokraten. Und damit sich daran nichts ändert, darf sich
auch im Nationalrat nichts ändern. Schließlich haben wir das ja immer schon
so gemacht und da könnte ja jeder kommen. Gott erhalte das Haus Habsburg.
*Bernhard Redl*
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