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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 30. Oktober 2019; 13:53
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Moderne Zeiten / Kapitalismus:

> Das erfolgreiche EU-Lobbying der Gig Economy

Airbnb, Uber & Co. ist es mit einer relativ kleinen Gruppe von LobbyistInnen
erfolgreich gelungen, einen engen Kontakt mit der Europäischen Kommission
aufzubauen. Von *Kenneth Haar* (Corporate Europe Observatory)
*

Gerade das enge Zusammenwirken von "Gig-Plattformen" (Anm. akin: also
Plattformen, die auf der Kommerzialisierung privater Lebensbereichen fußen,
wie eben Airbnb, Uber & Co.) mit der Europäischen Kommission hat die EU zu
einem sicheren Hafen für die Onlineplattformen gemacht. Eine neue Studie
kommt nun zu dem Schluss, dass Maßnahmen gegen den starken Einfluss der
Gig-Economy überfällig und dringend notwendig sind.

Europa steht vor einer Herausforderung: Plattformen wie Airbnb und Uber
haben gängige Geschäftsmodelle verändert. Dies hat einerseits für
TouristInnen und TaxifahrerInnen durchaus Vereinfachungen und manche
Vorteile gebracht. Die Kehrseite jedoch sind zunehmender Druck auf
bezahlbaren Wohnraum und ernste Herausforderungen für die
ArbeitnehmerInnenrechte. Trotzdem finden sich nur wenige Maßnahmen von den
EU-Institutionen, um diesen Herausforderungen zu begegnen. Ganz im
Gegenteil: Oft verteidigt die EU Geschäftsmodelle der Gig-Plattformen sogar
aktiv.

Ein Grund dafür ist die erfolgreiche Lobbyarbeit der Gig-Plattformen. Der
von der Arbeiterkammer und dem Corporate Europe Observatory veröffentlichte
Bericht "Über Influential? - Wie Gig-Plattformen Sozial- und
ArbeitnehmerInnenrechte untergraben" zeigt, wie es einer relativ kleinen
Gruppe von LobbyistInnen erfolgreich gelungen ist, einen engen Kontakt mit
der Europäischen Kommission aufzubauen.


Die Herausforderung

Gig-Plattformen sind schwerer zu regulieren als herkömmliche
Dienstleistungsunternehmen. Sie operieren oft aus dem Ausland. Dadurch wird
in vielen Fällen eine Zusammenarbeit mit Behörden aus anderen Ländern
erforderlich, um bestimmte Maßnahmen durchsetzen zu können.

Außerdem präsentieren sich die Plattformen oft erfolgreich als bloße
Vermittler, ohne Verantwortung tragen zu müssen, wie andere Betriebe sie
beispielsweise hinsichtlich Arbeitsbedingungen oder VerbraucherInnenschutz
haben. Große Dienstleistungsunternehmen wie Amazon Mechanical Turk,
TaskRabbit oder Deliveroo können sich den Pflichten eines Arbeitgebers
entziehen, mit der Folge, dass Gig-ArbeitnehmerInnen nicht die gleichen
Rechte wie andere ArbeitnehmerInnen in Anspruch nehmen können.

In den letzten Jahren gab es viele Meinungsverschiedenheiten zwischen
Behörden und der Zivilgesellschaft auf der einen sowie den Plattformen auf
der anderen Seite. Am deutlichsten ist der Konflikt zwischen Uber und
TaxifahrerInnen sowie zwischen Städten beziehungsweise Gemeinden und Airbnb.
Ein Beispiel: Die öffentliche Hand ist bestrebt, die illegale Vermietung von
Wohnraum über Plattformen wie Airbnb zu stoppen, da dies zur
Verschlechterung des Zugangs zu erschwinglichen Wohnungen beiträgt. Eben
jene Plattformen nutzen jedoch jeden gesetzlichen Spielraum, um die
Zusammenarbeit mit Behörden abzulehnen.

Der Druck der Mitgliedsländer hat dazu geführt, dass Plattformen nach
Brüssel gegangen sind und sich dadurch der Konflikt auf die europäische
Ebene verlagert hat. Durch Interventionen bei den EU-Institutionen wollen
Plattformen Beschränkungen, denen sie auf nationaler oder lokaler Ebene
ausgesetzt sind, umgehen.


Die Brüsseler Lobbying-Szene

Es gibt viele Lobbygruppen in Brüssel, die die großen Plattformen vertreten.
In Verbänden wie der European Digital Markets Association (EDiMa) arbeiten
sie mit anderen digitalen Unternehmen zusammen, um ihre Interessen zu
vertreten. Im Rahmen des Europäischen Internetforums treffen sie sich mit
den Mitgliedern des Europäischen Parlaments, um ihre Agenda im Europäischen
Parlament vorzustellen. Über die Organisation DigitalEurope pflegen
Plattformen den Kontakt mit Unternehmensgruppen aus anderen Sektoren. Hinzu
kommt die Gründung verschiedener Branchenverbände zur Verteidigung
spezifischer Brancheninteressen. Ein Beispiel für Letztere ist die European
Holiday Home Association (EHHA), die alle wichtigen Plattformen für
kurzfristige Mietunterkünfte umfasst.

Die Beteiligung der Plattformen ist unterschiedlich. In der Regel sind die
aktivsten Plattformen diejenigen, deren Interessen infrage gestellt werden.
In dieser Hinsicht fallen vor allem Uber und Airbnb auf. Der bevorzugte Weg
der Plattformen, ihre Geschäftsinteressen durchzusetzen, erfolgt
insbesondere über Allianzen mit Teilen der Europäischen Kommission.


Airbnb und Uber in Brüssel

Vor etwa fünf Jahren begannen Airbnb und Uber ihre Lobbying-Arbeit in
Brüssel auf der Suche nach Unterstützung bei ihren Konflikten mit nationalen
und lokalen Behörden. In der Generaldirektion Binnenmarkt der Europäischen
Kommission fanden sie einen BeamtInnenapparat mit ähnlichen Zielsetzungen:
Weder die Kommission noch die Plattformen waren an neuen Rechtsvorschriften
interessiert. Beide waren mit zwei alten EU-Gesetzen sehr zufrieden: der
Dienstleistungsrichtlinie (2006) und der E-Commerce-Richtlinie (2000). Denn
beide EU-Gesetze stammen aus einer Zeit, in der Gig-Plattformen ein kaum
bekanntes Phänomen waren; beide Rechtsakte bieten Interpretationen, die die
Position der Plattformen bei ihren Auseinandersetzungen mit Behörden und
Bürgerinitiativen sowie den Gewerkschaften deutlich stärken.

Die E-Commerce-Richtlinie beispielsweise kann als ein Rechtsinstrument für
Plattformen verstanden werden, die Zusammenarbeit mit den Behörden zur
systematischen Bekämpfung illegaler Aktivitäten zu verweigern. Davon erfasst
wäre auch die Möglichkeit, sich lokalen Beschränkungen bei der Vermietung
von Wohnungen zu entziehen. Sie kann zudem als Argument dafür verwendet
werden, dass Unternehmen auch ohne offizielle Genehmigung, Lizenz oder
Betriebserlaubnis ihre geschäftlichen Aktivitäten in einem Mitgliedstaat
beginnen. Von den touristischen Vermietungsplattformen kann die
Dienstleistungsrichtlinie genutzt werden, um bestimmte behördliche Auflagen
für Unternehmen zu umgehen.


Erfolgreiche Kampagne

In den letzten Jahren hat die Kommission mehrere Initiativen ergriffen, um
das Wachstum der Gig-Wirtschaft zu unterstützen. Darunter sind auch eine
Reihe von Arbeiten zur Sicherstellung einer den Plattformen angemessenen
Auslegung des EU-Rechts, die unter dem Titel der "kollaborativen Wirtschaft"
laufen. Außerdem hat die Kommission viele Mitgliedstaaten, darunter Spanien,
Frankreich, Belgien und Deutschland, unter Druck gesetzt,
Vermietungsplattformen für Touristen in Ruhe zu lassen. Sogar der Gang vor
den Europäischen Gerichtshof (EuGH) wurde in einem Fall angedroht.

Bisher war die Lobbyarbeit sehr erfolgreich. Zwar erlitt Uber einen
Rückschlag, als es vom EuGH im Dezember 2017 als Taxiunternehmen und nicht
nur als Vermittler angesehen wurde, obwohl die Kommission während des
Verfahrens Unterstützung für die Plattformen gezeigt hatte. Kurz darauf
begann jedoch in der EU ein Streit um die Definition von "ArbeitnehmerIn"
und "ArbeitgeberIn". Im Ergebnis wurden die Uber-ArbeitnehmerInnen ohne
Handhabe im Kampf um ihre Rechte zurückgelassen.

Auch Airbnb hat bei seinen Bemühungen, einen "sicheren Hafen" vor
Regulierung aufzubauen und zu verteidigen, beträchtliche Unterstützung von
der Kommission erhalten. Gegenwärtig steht ein Verfahren beim EuGH kurz vor
dem Abschluss, bei dem viel für die Vermietungsplattform auf dem Spiel
steht. Sollte sie vom Gericht als Vermittler akzeptiert werden, hätte dies
erhebliche Auswirkungen auf ganz Europa. Die Versuche, den Zugang zu
erschwinglichen Wohnungen zu verteidigen, würden dann erneut unter Druck
geraten.


Zeit für Gegenstrategien

Mit dem Gerichtsverfahren von Airbnb vor dem EuGH und anderen geplanten
Initiativen in Brüssel sowie einer Kommission, die dem digitalen Sektor hohe
Priorität einräumt, verschärft sich ein langer und intensiver Kampf um die
Gig-Economy. Das Ergebnis wird letztlich von mehreren Faktoren bestimmt
werden. Einer davon ist das Lobbying in Brüssel. Insbesondere
Gewerkschaften, VerbraucherInnenverbände und andere soziale Bewegungen
müssen eine Gegenstrategie zu dem übermäßigen Einfluss von LobbyistInnen
finden. Sozial- und Arbeitsrechtsbestimmungen stehen nach wie vor auf dem
Spiel.
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Kenneth Haar ist Forscher bei Corporate Europe Observatory. Er hat gemeinsam
mit Co-Autorin Rachel Tansey die Studie "Über influential? How the gig
economy's lobbyists undermine social and workers rights" verfasst. Dieser
Beitrag wurde am 24.10.2019 auf dem Blog Arbeit & Wirtschaft unter der
Creative-Commons-Lizenz CC BY-SA 4.0 veröffentlicht. Diese Lizenz ermöglicht
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