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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 16. Oktober 2019; 18:04
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Leitgesuder:

> Was man nicht sagen soll

Alles hat mit allem zu tun -- Wieder mal ein Parforceritt durch die
Diskussionskultur unserer Tage. Oder eine Publikumsbeschimpfung.


"Stecken Sie sich Ihre Betroffenheit in den Arsch!" So oder so ähnlich soll
sich Peter Handke einmal geäußert haben, als man ihm besonders blöd mit der
Kritik an seiner "Serbenfreundlichkeit" gekommen ist. Also ehrlich, ich hab
mit dem Dichter Handke nie was anfangen können -- er ist mir einfach zu fad.
Aber der Satz hat was -- in dem steckt das, was Konrad Paul Liesmann einmal
über die postmoderne Linke gemeint hat: Sie würde nur mehr be- und gedenken
statt zu denken. Es gibt eine Bobo-Gesellschaft voller Betroffener und
Gekränkter, die der Meinung sind, das es ein Verbrechen an ihren
zartbesaiteten Empfindlichkeiten wäre, wenn man ihnen widerspricht.

Handke hat vor über zwei Jahrzehnten mit seinem Text "Gerechtigkeit für
Serbien" den Nerv getroffen -- und alle haben sie aufgejault, die
"Gutmenschen", weil er einfach der Berichterstattung über die
Jugoslawienkriege den Stinkefinger gezeigt hat. Ja, wie Literaten nunmal
bisweilen sind, sicher auch überschießend. Aber genau dafür lieben wir sie
ja und es gilt auch für die politische Kritik immer noch das, was Alfred
Polgar über die Satire gesagt hat: Man müsse wie beim Pistolenschießen höher
zielen als man treffen möchte, weil es einem beim Schuß die Hand nach unten
verreißt. Oder wieder anders mit einem Sprichwort: Auf einen groben Klotz
gehört ein grober Keil!

Erinnert sich denn keiner mehr, wie die Berichterstattung damals war?
Milosevic war der Diktator, Tudjman nur dessen Widersacher oder sogar der
Beschützer Bosniens -- und Mock und Genscher waren die Friedensapostel, die
plötzlich das "Selbstbestimmungsrecht der Völker" entdeckt hatten. Da kam
einem täglich das Kotzen und ich kann mich noch gut erinnern, wie es meinen
serbischen Nachbarn gegangen ist, die sich ständig als Angehörige eines
Tätervolks charakterisieren lassen mußten. Da war Handkes Intervention
absolut notwendig!

Aber das ist alles lange her -- man hätte meinen können, daß mittlerweile
eine gewisse Reflexion über das damals gefällte Urteil der veröffentlichten
Meinung Raum gewonnen hätte. Au contraire! Als 2014 Handke in Oslo den
Ibsen-Preis in Empfang nehmen sollte, fing das ganze Trara wieder an und
gipfelte in der Aussage von William Nygaard, immerhin Vorsitzender des
norwegischen PEN, der sich zitieren ließ mit den Worten: "Nach meiner
Meinung sind Handkes Äußerungen weit jenseits aller Grenzen der
Meinungsfreiheit." (1) Da kommt einem nicht mehr das Kotzen, sondern das
Gruseln. Da geht einem gewaltig der Schirch an, wenn ausgerechnet der
Sprecher einer nationalen Sektion des bedeutendensten internationalen
Schriftstellerverbandes sich anmaßt, die Grenzen der Meinungsfreiheit enger
zu ziehen als jedes Gericht.

Tja und jetzt, 2019, wuseln sie wieder eifrig durch das hiesige Feuilleton,
die Betroffenen, und meinen, Handke habe "den Nobelpreis nicht verdient".
Ja, eben, "in den Arsch"!


Schön sprechen!

Aber sowas soll man halt nicht sagen, man soll überhaupt viel netter sein.
Womit wir bei einem anderen Schlagzeilenthema dieser Tage wären: Beim
Glawischnig-Urteil. Zugegeben, die ehemalige Grün-Vorsitzende als "miese
Volksverräterin" zu bezeichnen ist nicht in Ordnung. Weil "das Volk" hat sie
ja wirklich nie verraten. Aber dieses Urteil ist auch nicht gerade etwas,
das man bejubeln sollte. Das tun zwar viele -- und die Schnittmenge derer
mit jenen, die Handke jenseits der Grenzen der Meinungsfreiheit verorten ist
nicht unerheblich --, aber das kann nicht über die Problematik dieses
Urteils hinwegtäuschen. Denn ist es wirklich so toll, daß Facebook nicht nur
ein bestimmtes Posting löschen muß, sondern auch wort- oder sogar
sinngleiche Kommentare? Und dann will man das Netzrobotern überlassen, diese
Postings herauszufiltern? Ja, super, der böse Facebook-Konzern hat einen
Rechtsstreit verloren, aber was sind die Konsequenzen? Es ist doch so, daß
die Facebook-Roboter schon jetzt ständig unterwegs sind, irgendwelche
Postings aufzustöbern, die nicht den "Community-Standards" entsprechen.
Einmal abgesehen von den seltsamen Kriterien, die eher auf blanke Busen als
auf tatsächlich bedenkliche Inhalte abstellen, sind diese Roboter natürlich
weit weg von dem, was man so "Künstliche Intelligenz" nennt. Aber
sicherheitshalber löschen sie, schalten User offline und machen auf Heilige
Inquisition, mit der man ja auch schlecht diskutieren konnte. Da gibts dann
keine Möglichkeit, sich rechtlich zu wehren -- zumindest, wenn man nicht das
nötige Kleingeld für eine wenig erfolgversprechende Klage hat. Diese Fälle
häufen sich jetzt schon. Beispiele gefällig? Ein User berichtet davon, er
wäre für sein Posting "Hamma heute schon Antisemitismus? Jo eh." gesperrt
worden. Auf Nachfrage bei Facebook gab man dort zu, daß das ein Fehler
gewesen sei und natürlich kein Fehlverhalten des Users vorläge -- aber die
Sperre blieb trotzdem. Ein anderer postete einen Artikel über die Verbrechen
der britischen Kolonialmacht in Indien, die in Bengalen drei Millionen
Menschen verhungern ließ. Der Artikel war illustriert mit tatsächlich
grauenvollen historischen Photographien. Aber Facebook löschte wegen
"Nacktheit", weil die Sterbenden auf diesen Bildern halt leider auch nichts
zum Anziehen hatten. Oder: Jemand postet das Wort "Christendumm" -- ja, da
dürfte nicht der Roboter eingegriffen haben, sondern irgendein blöder
Kerzelschlicker beleidigt gewesen sein und so war das für Facebook Hassrede.
Die geschilderten Fälle waren alle nur in meiner Blase und alles in den
letzten zwei Wochen. Und diese Facebook-Zensoren und deren Automaten fordert
man auf, doch noch mehr zu löschen und zu blockieren?

Aber dieses Urteil betrifft ja nur Äußerungen, die sowas schon gerichtlich
als rechtswidrig anerkannt worden sind. Damit ist es ja kein großes Problem,
oder? Eben schon. Weil eben nationale Gerichte für diese Be- und
Verurteilungen zuständig sind. Maximilian Schubert vom Verband der
österreichischen Internetserviceprovider: "Wenn sämtliche Inhalte im Netz
gelöscht werden, die gegen irgendeine Rechtsnorm in irgendeinem Staat
weltweit verstoßen, wäre das Internet wohl bald ein leerer und monotoner
Raum". (2) Danke, Eva! Viele autoritäre Staatschefs, die sowieso nie sehr
glücklich über dieses Internet waren, werden sich jetzt sicher freuen.


Ein ehrenwerter Präsident

Womit wir beim Herrn Erdogan wären. Und bei der EU. Der Sultan ist der
Meinung, er müsse Terroristen in Syrien bekämpfen. Die EU sagt: "Dudu, das
ist aber nicht nett!" Der Sultan sagt: "Gusch, weil sonst spritz ich das
Flüchtlingsabkommen und dann kommen die ganzen Syrer zu Euch!" Und: "Die YPG
ist die Schwesternorganisation der PKK und das ist eine Terrororganisation."
Schweigen bei der EU -- weil natürlich ist die YPG mit der PKK verbandelt,
man hat bei den Kurden nur so getan, als wäre dem nicht so, damit man
Unterstützung von Amis und EU gegen den IS bekommt. Die NATO-Partner -- und
damit der Großteil der EU-Staaten --haben auch vorschnell 2012 die "Syrische
National-Koalition" als einzige legitime syrische Vertretung anerkannt --
auch damals mit der Argumentation, welch brutaler Diktator und
Kriegsverbrecher doch dieser Assad sei. Nur hat diese National-Koalition
ihren Sitz in Istanbul und die türkische Regierung läßt deren Statements
verbreiten, wie froh man doch über die "Operation Friedensquelle" sei. Die
PKK hingegen hat die EU aus reiner Liebedienerei dem Sultan gegenüber zur
Terrororganisation erklärt. Daß man jetzt nicht recht weiß, was man sagen
soll, nimmt kaum Wunder. Aber man läßt lieber Syrer und Kurden in Syrien und
der Türkei krepieren als sie als Flüchtlinge aufzunehmen. Abgesehen davon
ist der Sultan ja ein guter Kunde, vor allem was Waffen angeht.

Ja, das ist genau diese EU, die mit dem Friedensnobelpreis. Das sind die,
die sicher viel nobelpreiswürdiger sind als Peter Handke. Womit wir wieder
bei der Mengenlehre wären -- die EU-Fans und die Facebook-Urteil-Bejubler
und die Handke-Verächter bilden sicher auch noch eine beachtliche
Schnittmenge. Und viele von denen sind auch der Meinung, die PKK wäre eine
Terrororganisation. Weil so steht es schließlich geschrieben. Und was
"irgendeine Rechtsnorm in irgendeinem Staat" für rechtens hält, muß es ja
wohl auch sein, oder?


Sozialdemokraten...

Wieso fällt mir da Rendi-Wagner ein? War da nicht was? Ja, kurz vor Ibiza,
als wir dann alle unser Gedächtnis gelöscht haben, um für die Debatte um
diesen Skandal Platz zu machen, da gabs eine Auftritt in der ZiB2 von jener
Frau, die ja irgendwo doch in der Nachfolge von Bruno Kreisky stehen sollte.
Das war kurz nach dem Maiaufmarsch dieses Jahr. Da wurde sie gefragt, ob ein
auf dem Aufmarsch gezeigtes Transparent, daß die Aufhebung des PKK-Verbots
forderte, für sie in Ordnung sei. "Pam" druckste herum und meinte, die
Polizei habe da nichts beanstandet -- auch das ist an sich schon seltsam,
wenn eine Parteivorsitzende sich in ihrer politischen Einschätzung eines
Transparents auf die Expertise der Polizei verläßt. Das war Lou Lorenz auch
zu wenig als Antwort und Verantwortung, worauf sich die SP-Chefin soweit
verstieg, daß sie so etwas nicht mehr auf einem Maiaufmarsch sehen wolle,
solange die PKK eine Terrororganisation sei. Schade, daß die Interviewerin
nicht nachgewassert hatte, warum denn Rendi der Meinung sei, die PKK wäre
eine Terrororganisation -- Rendi hätte dann wahrscheinlich sagen müssen, daß
dem so sei, weil die EU-Kommission das so beschlossen hat. Tja, und diese
Vorsitzende will jetzt einerseits die Partei reformieren, damit sie wieder
glaubwürdiger wird, und verbringt andererseits den Rest ihrer Zeit damit, in
Sondierungsgesprächen den spärlichen Rest dieser Glaubwürdigkeit für eine
Regierungsbeteiligung zu verschachern.


Eine Frage der Sensibilität

Sie sind ja alle so sensibel! Der Sultan fühlt sich belästigt, wenn man ihn
kritisiert. Die SP-Chefin hingegen erträgt es nicht, wenn am 1.Mai auch nur
die Aufhebung des Verbots einer Organisation gefordert wird, die von der
sogenannten Welt in Acht und Bann getan worden ist. Ja, das ist eine
Handke-Zitat: "Die sogenannte Welt weiß die Wahrheit." Das hat er an
Milosevics Grab gesagt. Und das nimmt ihm diese sogenannte Welt bis heute
krumm -- weil die ist nämlich auch so sensibel. Sensibler sind nur noch die
Facebook-Roboter, die die Welt vor Hate Speech schützen müssen. Und
natürlich vor der verderblichen Wirkung der Abbildung weiblicher Brüste.
Dank EuGH müssen diese Roboter aber noch viel sensibler werden -- beim
Löschen von anscheinend Unerwünschten, nicht bei der Beachtung der
Meinungsfreiheit. Denn da ist keine Sensibilität angebracht.
Sicherheitshalber.

Steckts Euch Eure Sensibiltät in den Arsch! Das darf man jetzt aber schon
sagen. Ist immerhin ein Zitat eines Literaturnobelpreisträgers. So
autoritätsgläubig werdet ihr ja wohl noch sein, ihr Sensiblchen, ihr!
*Bernhard Redl*


(1)
https://www.suhrkamp.de/peter-handke-ibsen-preis/karl-ove-knausgard-zu-peter-handke_1243.html

(2) zitiert nach Wiener Zeitung, 4.10.2019



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