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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 9. Oktober 2019; 19:58
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Tuerkei/Umwelt:

> Mein letzter Besuch in Hasankeyf

In den letzten Jahren ist es hierzulande recht still geworden um das
Ilisu-Staudamm-Projekt am Tigris in der Türkei, das in so vieler Hinsicht
kritisiert wurde: Weil es Menschen vertreibt, das Kulturerbe von Hasankeyf
zerstört, enorme ökologische Schäden bringt und letztendlich auch eine
Möglichkeit für die Türkei ist, teilweise den Wasserzustrom speziell in die
Kurdengebiete in Syrien und dem Irak zu kontrollieren. Gerade jetzt, wo sich
einerseits der Sultan daranmacht, militärisch die Kontrolle über Nordsyrien
zu übernehmen, andererseits im Zuge der Klimadebatte große Wasserkraftwerke
wieder als Teil der Lösung präferiert werden, läßt die Türkei den Staudamm
fluten.
*Ulrich Eichelmann*, der sich seit Jahren gegen das Projekt engagiert hatte,
war ein letztes Mal in diesem Tal, um sich zu verabschieden.

*

Vom 10. bis 13. September war ich zum letzten Mal in Hasankeyf, am Tigris,
in Ilisu. Ich habe mich verabschiedet, von den Bewohnern, dem Fluss, der
Landschaft. Eines der bedeutendsten Gebiete der Menschheit wird untergehen,
im Stausee des Ilisu-Staudammes.

Auch heute, zwei Wochen später, kann ich noch nicht richtig darüber sprechen
oder es beschreiben. Es ist im wahrsten Sinne des Wortes unfassbar.
Unfassbar, dass so etwas im 21. Jahrhundert passiert, mit all unserem
Wissen, den internationalen Verbindungen, der globalen Sicht und
Aufmerksamkeit. Ich engagiere mich seit 30 Jahren im Naturschutz, habe viel
Zerstörung in der Zeit gesehen, aber dies hier in Mesopotamien geht mir
deutlich näher, als alles vorher. Als ich vor der 136 Meter hohen und 1,8
Kilometer langen Staumauer in Ilisu stehe, wollen Journalisten wissen, was
ich empfinde. Eine Mischung aus Traurigkeit, Frust und Wut. Wut auf alle
die, die da mitmachen, auf die türkische Regierung, auf die Baufirmen wie
die Österreichische Andritz sowie auf die, die einfach geschwiegen haben.
Und dann die nagenden Zweifel, ob ich und wir wirklich alles getan haben, um
diesen Wahnsinn zu verhindern. Was hätten wir besser machen müssen?

Von 2006 bis 2011 habe ich die internationale Kampagne "Stop Ilisu"
koordiniert. Zuerst noch beim WWF Österreich, ab 2007 dann für die NGO ECA
Watch und für die Manfred-Hermsen-Stiftung aus Bremen. Ohne die Bremer
Stiftung wäre die Kampagne nicht möglich gewesen. Sie hat Stop Ilisu auch in
Zeiten unterstützt, als viele andere sich schon abgewendet hatten. Zusammen
mit NGOs aus der Schweiz (Erklärung von Bern), aus Deutschland
(Gegenströmung), der Türkei (Doga Dernegi + Hasankeyf Girisimi) und vielen
weiteren Leuten in Österreich und der Türkei habe ich versucht, Hasankeyf
und den Tigris zu retten.


Andritz machte weiter

2009 sah es sehr gut aus, als Deutschland, Österreich und die Schweiz ihre
Exportkreditgarantien kündigten und sich aus dem Projekt zurückzogen. Ihnen
folgten die involvierten europäischen Firmen und Banken. Mit einer Ausnahme:
die österreichische Andritz AG verblieb im Projekt.

Doch nach einer kurzen Schockstarre, ließ der türkische Präsident Erdogan
weiter bauen. Der Einstau begann vor wenigen Wochen.

Als ich zusammen mit Journalisten am 10. September abends in Hasankeyf
ankomme, wirkt zunächst alles wie immer. Männer sitzen von den Tea Shops und
trinken Cay. Touristen schlendern durch die Marktstraße und über die
Tigrisbrücke donnern LKW. Doch am nächsten Morgen wird das Ausmaß sichtbar.
Die 1.000 Jahre alten Brückenpfeiler wurden ummantelt und die berühmten
Klippen von Hasankeyf, an deren Fuß sich einst die vielen Restaurants
befanden, sind verschwunden, hinter einem riesigen Schutzwall.

Im Ort stehen heute viele Häuser leer, wohin die Bewohner gegangen sind,
weiß ich nicht. Einige kulturhistorische Gebäude, wie die zwei Minarette,
wurden abgebaut und im Archäologiepark in Neu-Hasankeyf wiederaufgebaut.
Andere Bereiche der Stadt sind unter einem Sarkophag verschwunden, unter
einem Betonmantel. Dieser Sarkophag soll die tausend Jahre alten Zeugnisse
schützen und "unter Wasser erhalten". Überall fahren LKWs, reißen Häuser ab,
schütten Erde und Steine woanders auf. Eine Baustelle eben.

Am Anfang kann ich das Ausmaß nicht wirklich fassen. Ich fühle mich
merkwürdig distanziert. Ich laufe durch Hasankeyf, erkenne hier und da
Bewohner wieder, Umarmungen, small talk, gutes Essen in Restaurants, am
Abend Bier mit den Journalisten.


Nur noch ein Rinnsal

Doch in den nächsten Tagen wird es mir mehr und mehr bewusst. Vor allem als
wir am 12. September im ARD-Auto nach Ilisu fahren. Das ganze Obere
Mesopotamien wird umgedreht. Überall neue Straßen, Brücken, Militärposten
usw. Und als wir schließlich an der Staumauer stehen, die höher ist als der
Wiener Stephansdom, wird eine weitere Folge von Ilisu deutlich: es kommt nur
ein Rinnsal aus dem Damm heraus, der Rest wird aufgestaut.

Es wird zwischen einem halben und einem ganzen Jahr dauern, bis der Stausee
sein endgültiges Ausmaß erreicht hat, je nachdem, wieviel Wasser der Tigris
führt. Insgesamt 1.400 km Flüsse werden zerstört, davon 400 km eingestaut
(Tigris + Nebenflüsse) und 1.000 km flussabwärts werden die Mesopotamischen
Sümpfe im Südirak trockenfallen, denn Ilisu hält v.a. im Frühjahr die
Hochwässer zurück. Das sind jene Wässer, die lebensnotwendig für diese
Sümpfe sind. Dieses Gebiet gilt als die "Wiege der Zivilisation". Wie viele
Tierarten aussterben werden, weiß niemand, denn es gab keine biologischen
Untersuchungen, keine UVP. Die Leopardenbarbe oder die
Euphrat-Weichschildkröte dürften aussterben und mit ihnen viele andere. Etwa
60.000 Menschen verlieren ihre Heimat, 199 Dörfer und Siedlungen gehen
verloren. Es werden neue Siedlungen gebaut, doch es werden sich nicht alle
diese Häuser leisten können, viele werden in die Armutsviertel nach
Diyarbakir gehen oder versuchen ganz auszuwandern.

Auch diejenigen, die es sich leisten können, z.B. nach Neu-Hasankeyf
umzuziehen, müssen sich auf ein ganz anderes Leben einstellen, eines ohne
die gewohnte soziale Gemeinschaft, ohne ihre Nachbarn, Freunde, Verwandte.
Außerdem sind die Böden karg und steinig, da wächst kaum etwas.


Wut tut not

Am Donnerstagabend gehe ich zum letzten Mal durch Hasankeyf, verabschiede
mich von Ömer und vielen anderen im Ort. Anschließend verabschiede ich mich
auf der Brücke vom Tigris. Nach 10.000 Jahren Geschichte wird das alles
zerstört. Noch dazu von einer angeblich erneuerbaren "sauberen Energieform".
Es ist zum Heulen und zum Kotzen gleichzeitig.

Am Freitag, den 13. September fliege ich zurück nach Wien. Das folgende
Wochenende verbringe ich zu Hause, werde krank. Bis heute habe ich das,
ehrlich gesagt, nicht richtig verarbeitet. Wir haben in der Kampagne viel
gegeben, aber offensichtlich nicht genug. Wir haben verloren. Aber nicht nur
wir, die sich gegen das Ilisu Projekt engagiert haben, sondern alle Menschen
haben verloren. Denn Hasankeyf und Mesopotamien ist kulturgeschichtlich das
gleiche, was etwa der Amazonas Regenwald für die Ökologie der Erde ist. Ein
Welterbe, es gehört allen Menschen. Gehörte.

Am 8. Oktober wird die Marktstraße in Hasankeyf "platt gemacht", die Häuser
zerstört und die Brücke über den Tigris gesperrt. Danach warten alle aufs
Wasser. Wir verlieren die Welt.

Kann man aus Ilisu etwas lernen? Auch mit etwas Abstand und der Erfahrung
von 30 Jahren beruflichem Engagement im Naturschutz, fällt es mir schwer. Es
ist mehr ein Gefühl als ein Wissen. Wir müssen viel mehr werden, die sich
einmischen und v.a.: Wir dürfen und müssen wütender sein und vehementer
gegen die, die unsere Welt zerstören, vorgehen. How dare you!
(6. Oktober 2019)


Quelle
https://riverwatch.eu/de/general/aktuell/abschied-mein-letzter-besuch-hasankeyf


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