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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 11. September 2019; 22:49
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Balkan:
> Die Herzen halb gewonnen
*Christoph Baumgarten* war auf der ersten Pride in Sarajevo
2- bis 3.000 Teilnehmer haben die historische erste Sarajevo Pride zu einem
überraschend großen Erfolg gemacht. Verantwortlich für die unerwartet hohe
Zahl dürfte auch die Gegenmobilisierung der vergangenen Tage gewesen sein.
Bosniens Lesben und Schwule erhoffen sich, dass die Parade ein Stück
Normalisierung bringt.
"Wir hatten 700 Armbänder für die Teilnehmer vorbereitet", erzählt einer der
Ordner. "Nach zehn Minuten waren sie aus. Und dann kamen erst die Massen."
Für die gab's nur mehr Stempel aufs Handgelenk. Eine Sicherheitsmaßnahme.
Auf die Sarajevo Pride darf heute nur, wer durch zwei Sicherheitsschleusen
geht, Taschenkontrolle inklusive. Keine Aktivisten der diversen
rechtsgerichteten oder religiösen Gruppen, die in den vergangenen Wochen
Drohungen gegen die erste Regenbogenparade Bosniens ausgestoßen hatten,
sollen sich einschleusen können.
Mehr als 1.000 Polizisten bewachen das Ereignis. Sie machen keine halben
Sachen. Die Scharfschützen, über die auch Medien in den vergangenen Tagen
spekuliert hatten, scheinen sich freilich als Gerücht herauszustellen.
Nirgends sieht man welche.
Keine großen Sympathien bei der Polizei
Viele der Polizisten versehen den Dienst eher widerwillig. Große Sympathien
sind der LGBT-Community und ihren Anliegen in den meisten Staaten des
ehemaligen Jugoslawien nicht beschieden. Bosnien ist keine Ausnahme. Und die
Polizei ist kein eigenständiger Körper, der unabhängig von den herrschenden
Verhältnissen über der Gesellschaft schweben würde. Vor der Pride stimmten
Polizeischüler in Sarajevo online ab, ob sie die Teilnehmer lieber
festnehmen oder beschützen würden. Die Beschützer gewannen mit knapper
Mehrheit.
Breite internationale Solidarität
Es ist ein seltsamer Kontrast: Tausende Menschen mit bunten Fahnen auf der
Titova, und die Gehsteige wie ausgestorben. Ob das auf die scharfen
Sicherheitsmaßnahmen zurückzuführen ist oder darauf, dass viele Bewohner der
bosnischen Hauptstadt zumindest kein Verständnis für die Pride haben?
Homophobie ist Alltag im ehemaligen Jugoslawien. Das wissen auch die
Aktivistinnen und Aktivisten der LGBT-Community.
Man ist gut vernetzt. Wo immer ein wichtiges Ereignis stattfindet, sind auch
Teilnehmer aus den Nachbarländern dabei. Zoe Gudoviæ von den "Women in
Black" etwa kommt aus Beograd. Ihre Gruppe führt mit ihren Trommeln die
Pride an. Überhaupt, die Sarajevo Pride genießt breite internationale
Solidarität.
Aus Berlin sind Akvistinnen angereist und übernehmen Ordnerdienste. Eine
kleine Gruppe kommt aus Griechenland. "Das ist wichtig für mich", sagt Ado.
Der Künstler lebt mit seinem Schweizer Freund in Sarajevo.
Unterstützung und PR in einem
Unterstützung kommt auch von vielen westlichen Botschaften. Die spanische
Botschaft ist mit dem gesamten Personal vertreten, die meisten tragen eigens
gedruckte T-Shirts. Auch die britische und die deutsche Botschaft sind
präsent. Die US-Botschaft hat die Pride zum Teil finanziert.
Auch wenn das in vielen Fällen eine echte Unterstützung für LGBT-Anliegen
ausdrücken mag - es ist auch der Versuch, Sympathien in der liberalen
Bevölkerung zu gewinnen und so den Boden für eigenen politischen Anliegen
aufzubereiten.
Die sind nicht vollständig zu Bosniens Gunsten. Höflich formuliert.
"Das wird schon gut werden"
Die meisten Teilnehmerinnen und Teilnehmer kommen freilich aus Bosnien. Aus
Sarajevo selbst wie auch aus anderen Städten wie Trebinje. Es sind viele
LGBT-Aktivistinnen- und Aktivisten und Schwule und Lesben. Aber auch Eltern,
die ihren Stolz auf ihre schwulen oder lesbischen Kinder zeigen wollen. Auch
das liberale und bürgerliche Sarajevo ist breit vertreten. Künstlerinnen und
Künstler, Leute von der Uni, vereinzelt Politikerinnen und Politiker. Und
viele junge Bosnierinnen und Bosnier, denen der Mief der Nachwendezeit auf
den Geist geht.
"Was soll denn bitte die ganze Aufregung", sagt etwa Marija. "Die Menschen
sollen ganz normal leben können, so wie wir auch." "Ich bin das erste Mal
auf so einem Marsch", sagt Tejm. Der 83-Jährige ist ehemaliger Elektriker.
"Was geht es denn mich an, ob ein Mann einen Mann liebt", meint er. Und:
"Das wird schon gut werden."
Teilnehmerzahl überrascht
Dennoch: Eine stimmige Erklärung, dass drei- bis viermal so viele Teilnehmer
da sind wie erwartet, hat vorderhand keiner. "Kann gut sein, dass die
gestrige Anti-Pride-Parade für uns mobilisiert hat", sagt Ado. "Da werden
sich manche gedacht haben: Jetzt geh ich erst recht." Zumal die groß
angekündigte Gegenveranstaltung nach Schätzungen keine tausend Menschen
mobilisiert hat.
War zu Beginn der Pride ein wenig Nervosität bei manchen Teilnehmern zu
spüren, ist sie schon während des Marsches in Enthusiasmus umgeschlagen. Die
meisten Fenster mögen zubleiben und da und dort mögen einem aus den Fenstern
steinerne Mienen entgegenblicken.
"Aber ich bin überrascht, wie viele Menschen uns zugewunken haben", sagt
eine britische Teilnehmerin mit einem Lächeln. "Da sind dann ein paar dabei,
die vielleicht nächstes Mal mitmarschieren", sagt ein anderer Teilnehmer.
Auch das Gesicht des einen oder anderen Polizisten entspannt sich.
Gelegentlich entkommt sogar ein kleines Lächeln.
"Es wird sich was ändern"
"Ich denke schon, dass das heute geholfen hat", sagt Ado. "Es wird sich was
ändern. Was, weiß ich noch nicht. Aber es ist klar: Vorbei ist die Sache
noch nicht." Die Sarajevo Pride war ein Anfang, Schwulen und Lesben ein
normales Leben in Bosnien zu ermöglichen. Aber die Herzen der Bosnierinnen
und Bosnier sind erst halb gewonnen.
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Quelle: https://balkanstories.net/2019/09/08/die-herzen-halb-gewonnen/
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