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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Montag, 24. Juni 2019; 18:10
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Klima/Glosse:
> Was falsch läuft
Von *Christoph Baumgarten*
Die Klimadebatte läuft völlig falsch. Daher produziert sie unweigerlich
einen Rechtsruck. Auf so ziemlich allen Ebenen, nicht nur im Wahlverhalten
der Massen.
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Dieses Wirtschafts- und Gesellschaftssystem zwingt Menschen ohne Geld dazu,
immer mobiler zu sein, damit ihre Arbeitskraft flexibler verwertet werden
kann.
Es sind Migrationsbewegungen entstanden in einer Dimension, die es nie
vorher gab. Und zwar vorwiegend innerhalb Europas, und hier vorwiegend
innerhalb der EU. Was von der außereuropäischen Peripherie hereinschwappt,
ist im Vergleich in der Dimension lächerlich. (Alles andere als lächerlich
ist, dass man die Leute ersaufen lässt, weil ein paar Bürger besorgt sind.)
Auch in Afrika, Asien und Amerika passieren die Migrationsströme - auch sie
bisher unbekannten Ausmaßes - innerhalb der Kontinente und in der Regel
zwischen benachbarten Staaten.
Nun werde ich ganz sicher nicht Migration kritisieren. Aber man muss die
sozialen Verwerfungen auch offen an- und aussprechen. Die Leidtragenden sind
übrigens die Migranten.
Und man kann, darf und soll auch ansprechen, dass diese Migrationsströme
nicht aus einem plötzlichen Ausbruch allgemeinen Kosmopolitismus' entstanden
sind, sondern aus Armut und dem steigenden Druck, unter dem Besitzende die
Arbeitskraft derer verwerten, die nichts zu verkaufen haben als ihre
Arbeitskraft.
Wie gesagt, man verlangt von immer mehr Menschen, dauerhaft mobil zu sein,
damit sie überhaupt ihre Arbeitskraft unter Bedingungen verkaufen können,
von denen sie auch irgendwie leben können. Ein Phänomen übrigens, von dem
auch die "einheimischen" Arbeitnehmer in Industrieländern immer mehr
betroffen sind. Siehe Pendlerstatistiken.
Die wenigen Vorteile sollen auch verschwinden
Die Klimadebatte, wie sie jetzt geführt wird, läuft darauf hinaus, den
Menschen die ganz wenigen Vorteile zu nehmen, die die Entwicklungen der
vergangenen 20 Jahre gebracht haben. Einer dieser Vorteile ist, dass sie
sich Reisen unter halbwegs angenehmen Bedingungen zumindest ab und zu
leisten können.
Man verlangt von ihnen zu reisen, wenn es notwendig ist, ihre Arbeitskraft
zu verwerten.
Wollen sie reisen, um sich zu erholen, die Welt kennenzulernen - oh, ist das
nicht ein Ideal unserer bürgerlichen Eliten? Sollten wir nicht alle viel
internationaler, viel vernetzter sein? - oder auch nur, um die Freunde und
die Familie zu besuchen, die sie zuhause zurückgelassen haben, sagt man
ihnen: Nein, das dürft ihr nicht. Klima!
Nur mehr Reiche sollen sich Reisen leisten können! Ihr habt über eure
Verhältnisse gelebt! (Das angesichts der Tatsache, dass die Realeinkommen
der unteren 20 bis 30 Prozent, je nach Land, in den vergangenen 20 oder 30
Jahren gesunken sind.)
Bleibt ja zuhause!
Der einfache Arbeiter, die einfache Arbeiterin, hat halt keine Freunde und
Familie zu haben, die mehr als 50 oder 100 Kilometer vom Wohnort entfernt
leben.
Wozu an die Adria fahren wollen, wenn es doch das Gänsehäufel gibt? Da hat
sich der Pöbel rumzutreiben und die schönen Strände gefälligst denen zu
überlassen, die den Unterschied zwischen Parmesan und Grana Padano kennen.
Weil das auch nicht reicht, richten die Greta Thunbergs dieser Welt, diese
Oberschichtsvertreter mit ihrem pseudorevolutionärem Gestus, den Leuten aus,
dass ihr Essen auch eigentlich viel zu billig ist. Überhaupt, die Massen
sollen schmerzhaften Verzicht üben, auf allen Ebenen.
Liebe Leute dieser Welt, die ihr nichts zu verkaufen habt als Eure
Arbeitskraft: Seit Jahrzehnten wecken die Produzenten dieser Welt mit immer
ausgefeilteren Werbetechniken Begehrlichkeiten und Bedürfnisse. Schämt Euch
in Grund und Boden, dass ihr darauf reingefallen seid! Im Grunde seid ihr
Schuld! Genau das ist die Botschaft.
Ein halbwegs angenehmes Leben, das sollen sich nur die Reichen leisten
können. Die in den vergangenen Jahrzehnten von der Arbeitskraft der
Durchschnittsbevölkerung immer reicher geworden sind. Reich in einem Ausmaß,
das noch vor 20 Jahren als völlig unvorstellbar galt.
(Beeindruckend übrigens die naive Marktgläubigkeit, die den Forderungen nach
Verteuerungen zugrundeliegt. Der Markt wird's schon richten, schreit das.
Dass Märkte eben nichts richten, hat uns ja erst in das Schlamassel
gebracht.)
Worüber gesprochen werden sollte
Nicht reden, oder nur sehr oberflächlich, tun die Greta Thunbergs dieser
Welt über diesen Umstand. Und noch weniger über den Umstand, dass es eben
die kapitalistische Produktionsweise ist, die Ressourcen verschwendet und
Treibhausgase produziert.
Wir produzieren Nahrungsmittel im Überfluss und schaffen es nicht, sie so zu
verteilen, dass auch verlässlich niemand verhungert. Und wenn wir das
geschafft hätten, hätten wir immer noch Überproduktionen zu reduzieren.
Will natürlich keiner. Wer Geld hat, kann sehr gut leben von diesen
Ineffizienzen.
Noch besser leben davon kann man natürlich, wenn, wie von den Greta
Thunbergs dieser Welt gefordert, Nahrungsmittel teurer werden.
Nahrungsmittelproduktion ist nicht der einzige Bereich, in dem massiv
Ressourcen verschwendet werden und damit Treibhausgase rausgeblasen noch und
nöcher. Man möge einen kritischen Blick auf die Handelsströme dieser Welt
werfen. Man wird erbleichen, was alles unnötigerweise über die Ozeane
geschippert wird um ein paar Cent Profit pro Tonne zu erwirtschaften.
Möglich ist das vor allem, weil man irgendwo immer Leute findet, deren
Arbeitskraft man noch schlechter bezahlen kann.
Alleine dadurch, dass man vielleicht auch den Warentransport teurer macht,
wird man das nicht lösen. Das kann man nur glauben, wenn man sehr, sehr
marktgläubig ist. Dass ein sehr zentraler Teil der Lösung ist, die
Arbeitskraft der Menschen an der Peripherie besser zu bezahlen, das kommt
natürlich nicht vor in der Debatte.
Dann, und nur dann, würde sich das Spiel aufhören, dass man Baumwolle vom
Aralsee etwa in der Mongolei zu Stoff spinnen lässt, den Stoff in Bangladesh
zu T-Shirts verarbeiten, die man in Vietnam bedrucken lässt um sie in
Deutschland, Österreicher oder sonsteinem reichen Land um ein X-faches der
Produktions- und Transportkosten aber immer noch zum Schleuderpreis
verkauft.
Das Verkaufspersonal ist höchstwahrscheinlich aus der europäischen
Peripherie zugewandert und kriegt nur unwesentlich mehr bezahlt als einen
Hungerlohn, aber immer noch erheblich mehr als zuhause. Wahrscheinlich ist
das Verkaufspersonal weiblich und deswegen besonders schlecht bezahlt.
Und, hier schließt sich der Kreis, wenn diese Verkäuferin nachhause reisen
will und dabei vielleicht nicht tagelang unterwegs sein - sofern sie sich
das unter jetzigen Bedingungen überhaupt leisten kann - sagt man ihr dann,
sie sei egoistisch, die eigentlich Schuldige am Klimawandel, sie soll sich
nicht so anstellen, weil das ist ja alles immer noch viel zu billig. Aber
toll, dass sie da ist, weil kulturelle Bereicherung und so.
Die Satten predigen den Hungrigen Verzicht
Es predigen die Satten den Hungrigen Verzicht. Das ist so unfassbar zynisch,
man findet kaum Worte. Diese Haltung ist aus sich heraus konservativ bis
reaktionär, also rechts. Verschärfend kommt hinzu, dass sie in einer
Selbstbestätigungsschleife ist.
Die Moralisch Gerechten, die Zukunftsbesorgten, die Weltversteher, die sich
selbst für erleuchtet haltenden naiven Pseudokapitalismuskritiker, sehen in
jeder Kritik an ihrem arroganten, tief religiös gefärbten, abgeschmackten,
Gefasel von den Massen, die gefälligst den Gürtel enger schnallen sollen,
nur beharrende Kräfte, die wollen, dass sich nichts ändert. (Dass gerade sie
es sind, die wollen, dass sich an den Macht- und Produktionsverhältnissen
auf dieser Welt nichts ändert - geschenkt. Das Wort Kapitalismus darfst du
in diesen Kreisen ja nicht mal aussprechen.)
Jegliche Kritik an der Konsumverzichtshysterie bestätigt die Menschen also
in ihrem Gefühl der moralischen und sonstigen Überlegenheit. Das treibt zu
Recht Besorgte aber zu Unrecht Uninformierte in ihre Arme. Kurz: Immer mehr
Angehörige der Mittelschicht und der Oberschicht übernehmen diese im Kern
konservative bis reaktionäre Haltung. Man will sich ja der eigenen
moralischen Überlegenheit vergewissern.
Bis zu einem gewissen Grad muss man Verständnis haben für diese Haltung. Es
ist einfacher, die Massen zu Verzicht zu zwingen als die
Produktionsverhältnisse zu ändern. Nur löst halt der gepredigte Verzicht
sehr wenig. Den Klimawandel wird er nicht aufhalten.
Aber es werden sich nicht wenige Besitzende an diesem Verzicht eine Goldene
Nase verdienen. Klingt paradox. Ist aber zwangsläufig so, wenn Waren und
Dienstleistungen teurer werden.
Von den arbeitenden Massen kommen sich nicht wenige ob dieses zynischen
Geschwafels zu Recht verarscht vor. Jahrzehntelang hat man die
Arbeitsbedingungen gerade für die am schlechtesten Verdienden verschärft. Im
Lauf der Jahrzehnte sind ihre Einkommen langsamer gestiegen als die
Inflation. Sie können sich also um ihre Arbeit immer weniger leisten.
Gleichzeitig hat man ihnen den Sozialstaat weitgehend abmontiert. Sie sind
ja, so die allgemein gewordene Überzeugung, faule Hunde, die man mit der
Knute treiben muss, ihre Arbeitskraft wohlfeil zu verkaufen. Wohlfeil,
wohlgemerkt, für den, der von ihrer Arbeitskraft lebt.
Man schickt sie kreuz und quer durch die Gegend, damit sie ihre Arbeitskraft
verkaufen können. Sagt ihnen gleichzeitig, dass sie eigentlich eh
Überflüssige sind, Unqualifizierte, wie's so schön heißt, deren Arbeitskraft
man eh nicht mehr braucht oder zumindest sehr bald nicht mehr brauchen
wird - ihr habt euch halt für den falschen Bildungsweg entschieden, was soll
man da machen - und nur mehr aus einem Gnadenreflex heraus überhaupt in
Anspruch nimmt. Man ist ja nicht so und hat auch ein Herz für die weniger
Begüterten.
Jetzt sagt man ihnen: Ihr seid am Klimawandel schuld, ihr habt über Eure
Verhältnisse gelebt! Schämt Euch! Verzichtet! Lasset fahren die wenigen
Annehmlichkeiten, die die widrigen Entwicklungen der vergangenen Jahrzehnte
gebracht haben! Ihr seid ihrer nicht würdig!
Das kommt vorwiegend von Bewegungen, die sich nach außen als links geben und
sich vielleicht selbst als links verstehen. Was von den klassischen
Arbeiterparteien übrig geblieben ist, hat zum Thema überhaupt nichts zu
sagen als Platitüden - und wenn doch, predigen auch sie Verzicht. Sie
machen's
vielleicht ein bisschen netter als die Fundis. Das ist auch der einzige
Unterschied.
Die Einzigen, die eine andere Botschaft haben, sind die andere Fraktion
derer, die wollen, dass sich nichts ändert. Die sagen: Den Klimawandel
gibt's
nicht. Alles paletti. Weitergehen, es gibt nichts zu sehen. Dreimal darf man
raten, wessen Botschaft für die Hungrigen, denen die Satten Verzicht
predigen, attraktiver ist.
Dass sich die Leute damit selbst ins Fleisch schneiden, wissen sie häufig
sogar - aber sie freuen sich diebisch darüber, dass sie's denen gezeigt
haben, die ihnen seit Jahrzehnten ihre Überflüssigkeit vorbeten.
Ist auch keine Lösung. Man fühlt sich nur ein bisschen besser. Und ahmt
damit in Wahrheit nur das Verhalten der Verzichtsprediger nach.
(balkanstories.net)
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