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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Montag, 24. Juni 2019; 18:29
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Balkanstories:

> Gruevskis langer Schatten

Die Mazedonier sind ihren korrupten Langzeit-Machthaber Nikola Gruevski
losgeworden. Er ist nach Ungarn geflüchtet. Vor allem in der Hauptstadt
Skopje wirft der Nationalkonservative nach wie vor einen langen Schatten.
Der wird so schnell nicht verschwinden.
*

"Hier beginnen unsere Touren immer", sagt der Fremdenführer. Wir stehen vor
dem "Mutter-Teresa-Gedächtnishaus" in der Ulica Makedonija im Stadtzentrum
der (nord-)mazedonischen Hauptstadt Skopje. Straßenhunde beäugen die sich
nähernden Besucher mit mäßigem Interesse.

Das Museum in einer Mischung aus Hundertwasser-Kitsch und
Pseudorekonstruktion eines historischen Bürgerhauses von Skopje mit
Glaskapelle am Dach ist die Touristenattraktion der Stadt.

Die katholische Nonne Anjezë Gonxhe Bojaxhiu, besser bekannt unter ihrem
Künstlernamen Mutter Teresa, ist so etwas wie die Nationalheilige für
Mazedonier jeglicher Religion und Ethnizität - Katholiken sind eine
verschwindend kleine Minderheit - und ihre Legende erfreut sich auch
international großer Beliebtheit.

"Danke für alles, was du getan hast" lauten zahlreiche Einträge im
Gästebuch, und sie sind in vielen Sprachen abgefasst. Wenngleich auffällig
viele Polen und Kroaten hier ihre Spuren hinterlassen haben, finden sich
auch Grüße aus Israel, Serbien oder den USA.

Eine Schulklasse verlässt das kleine Museum. Eine halbe Stunde lang hat sie
das Personal mit Mutter-Teresa-Mythen bombardiert.

Eine der wenigen wahren Aussagen war, dass sie als Tochter albanischer
Katholiken in Skopje auf die Welt kam. Wenngleich nicht hier.

Das Haus - eine "Rekonstruktion"

"Das Mutter-Teresa-Gedächtnishaus ist eine Rekonstruktion", schildert eine
Angestellte des Museums. "Ihr Geburtshaus wurde beim Erdbeben 1963 zerstört.
Vor einigen Jahren wurde es am Gelände einer ebenfalls zerstörten orthodoxen
Kirche wiederaufgebaut".

Die angesprochene orthodoxe Kirche - mazedonisch-orthodox nach lokaler
Lesart, serbisch-orthodox nach serbischer - wird gerade am Nachbargrundstück
wiedererrichtet.

Viel hört man hier von den angeblichen Wohltaten der kleinen Nonne in
Indien. Es ist der allgemeine Mutter-Teresa-Weihrauch, den einem die
Beschäftigten des Museums und Fremdenführer ins Gesicht blasen. Genügend
Besucherinnen und Besucher lassen sich berauschen. Siehe Gästebuch.

Dass von der angeblichen Mildtätigkeit Bojaxhius nichts überbleibt als
Boshaftigkeit, Frömmelei und Katholikenmachen um jeden Preis, gewürzt,
offenbar, mit einer Portion Spendenveruntreuung, wenn man nur ein wenig
hinsieht - hier wird man es nicht hören.

Einen passenderen Ort, der heiliggesprochenen Betrügerin zu huldigen, kann
man sich nicht ausdenken. Das gesamte Stadtzentrum Skopjes ist
steingewordener offener Geschichtsrevisionismus. Mazedonische Geschichte,
wie sie nach nationalistischer Lesart hätte sein sollen. Geschrieben in
Stein. Sei er echt oder Imitat. Fast, als hätte jemand versucht, das
Architekturkapitel im Glöckner von Notre Dame umzusetzen.

Als hätte man Emir Kusturica sich austoben lassen in Skopje. Freilich,
selbst der verblasst hinter dem Projekt "Skopje 2014" des langjährigen
nationalkonservativen mazedonischen Premiers Nikola Gruevski.

Nationale Größe

Die Mazedonier, zeigt uns das Zentrum von Skopje, sind keine Slawen. Sie
sind die Neu-Altmazedonier, die Nachfahren Philipp von Mazedoniens, dem
Einiger Griechenlands, und seines Sohnes Alexander dem Großen, dem
Vereiniger Europas und Asiens. Nur zufällig sprechen die Mazedonier nach
nationalistischer Lesart eine slawische Sprache.

Das ganze Regierungsviertel wurde neu errichtet. Oder zumindest hat man die
alten Gebäude hinter Fassaden falschen Marmors versteckt. Das Gleiche gilt
für die meisten Häuser im Stadtzentrum. Zuckerbäckerstil, nur in Weiß. Die
Fassaden sind nur wenige Zentimeter dick und in der Regel aus billigem
Material.

Bis zu 700 Millionen Euro soll "Skopje 2014" gekostet haben. Veranschlagt
waren ursprünglich 80.

Unter dem neoklassizistischen Vordach des neoklassizistischen Hauptquartiers
der nationalkonservativen früheren Regierungspartei VMRO-DPMNE (1) liegt ein
zotteliger Straßenhund. Offenbar sucht er Schutz vor dem Regen. Vermutlich
darf er hier liegen, weil er von Odysseus' Hund abstammt.

Gruevskis Bescheidenheit

Im Fluss Vardar beherbergen künstliche Schiffe auf Betonfundamenten Hotels
und Restaurants. Wer erwartet hätte, dass sie Galeeren nachempfunden sind,
wird enttäuscht. Sie sehen eher aus wie Karavellen.

Es ist eine wenig beachtete historische Tatsache, dass Christoph Columbus
Mazedonier war.

Seine Eltern tarnten sich als genuesische Juden. Sie wollten sich vor dem
Neid der Welt schützen, der schon damals den Nachfahren Alexanders des
Großen entgegenschlug. Columbus verwischte die Spuren weiter. Jude zu sein
war schließlich auch nicht angenehm, seinerzeit.

In seiner unendlichen Bescheidenheit, bekanntermaßen seine hervorragendste
Eigenschaft, ließ Nikola Gruevski das nur andeuten. Die charakteristischen
Segel der Karavellen, die 1492 Richtung Westen steuerten, fehlen. Sonst
könnte noch jemand glauben, die Mazedonier würden behaupten, sie hätten auch
Amerika entdeckt.

Vielleicht sind die Schiffe auch nur ein billiger Fehler. Wie das ganze
Stadtzentrum ein einziger Fehler ist. Freilich kein billiger.

"Was man mit dem Geld hätte machen können", sagt mir Goran, ein Taxifahrer.
Ich treffe ihn zufällig vor dem Makedonija-Triumphbogen. Seine offiziellen
und inoffiziellen Kollegen verstellen mit ihren Autos die Sichtachse durch
das Monument. Das Innere des Monuments zieren auf jeder Seite Konterfeis von
Anjezë Gonxhe Bojaxhiu samt belanglosen Zitaten der Heiligen.

Unbeliebt bei den Menschen in Skopje

"Und jetzt schau dir das an. Das ist doch furchtbar", sagt Goran. "Wie eine
Filmkulisse". Kaum jemand, mit dem man hier spricht, hat ein gutes Wort
übrig für das neue Stadtzentrum, das Gruevski und seine Kollegen von der
VMRO-DPMNE aus dem Boden stampfen oder wenigstens aufpropfen ließen.

"Ich versteh nicht, warum die das gemacht haben", sagt mir auch Hristijan.
Er arbeitet am Stand der T-Shirt-Druckerei seines Vaters in der Stara
Carsija. Das osmanische Bazarviertel ist der einzige Teil des Stadtzentrums,
der von "Skopje 2014" verschont blieb.

Zu Gast in Budapest

Auch über Gruevski wird kaum jemand mehr nett reden. Den hat eine
Protestwelle 2017 aus dem Amt gefegt. Die Bürgerinnen und Bürger waren
monatelang auf die Straße gegangen und hatten unter anderem Farbbeutel auf
die falschen Fassaden geworfen.

Im Vorjahr flüchtete Gruevski nach Ungarn. Dort gestand ihm die Regierung
des nationalistisch-konservativen Premiers Viktor Orban im Schnellverfahren
Asyl zu.

Gegen Gruevski laufen mehrere Gerichtsverfahren wegen Korruption, in einem
Fall wurde er verurteilt. Vielleicht schätzt Orban seine Expertise als
subtiler Erneuerer sozialistischer Stadtkerne. Auch in Ungarn stellt man
neuerdings gerne Monumente für zweifelhafte Vorbilder auf und erfindet sich
neu als großes Volk.

"Das ist so bei uns", sagt mir Goran. "Bei uns machen Politiker
Großprojekte, damit sie sich das Geld in die Taschen stecken können." Das
hört man, praktisch in den selben Worten, überall südlich von Ljubljana.

"Skopje 2014" ist gestoppt. Offiziell

Nach dem Machtwechsel von 2017 wurde das Projekt "Skopje 2014" gestoppt. Die
neue, sozialdemokratisch geführte, Regierung will so viel von dem Kitsch
einstampfen lassen, wie möglich. Hat sie angekündigt.

Das Einstampfen scheint sehr zögerlich vor sich gehen. Nach wie vor wird an
Baustellen gearbeitet, die ganz offensichtlich Teil der Kitschkulisse
Skopjes sein sollen. Für etliche Neubauten der Ära Gruevski wird man sich
Lösungen überlegen müssen. Das wird Jahre dauern.

Sofern freilich nur Fassaden auf ältere Gebäude aufgebracht wurden, könnte
es schnell gehen. Als ich gegen die äußere Schicht der Außenmauer des
Wohnhauses klopfe, in dem ich untergebracht bin, klingt es nach Sperrholz.
Christoph Baumgarten (gek.)

1) Anm. akin: Die Partei, deren Vorsitzender Gruevski bis 2017 war, ist
jene, in deren Wahlkampf sich im Herbst 2016 der damalige österreichische
Außenminister Sebastian Kurz engagierte. In einer Ansprache bedankte er sich
dort herzlich für die Zusammenarbeit mit der nordmazedonische Regierung für
das, was wir dann hierzulande ein dreiviertel Jahr später von Kurz im
Minutentakt als die "Schliessung der Balkanroute" serviert bekamen.

Volltext mit hübschen Bildern:
https://balkanstories.net/2019/06/18/gruevskis-langer-schatten/
https://tinyurl.com/15MAKE



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