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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Donnerstag, 6. Juni 2019; 18:22
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Causa Prima:

> The Good, the Bad and the Ugly

Was haben wir in den letzten drei Wochen nicht alles gehört an Superlativen,
Übertreibungen und Dramatisierungen? Mit einem "I'll be back" hat sich der
lonesome Messias verabschiedet und ist in den Sonnenuntergang geritten. Der
Staub legt sich langsam. Was bleibt bei besser werdender Sicht von all den
Mythen und Spins?
*

Der gelernte Österreicher ist amüsiert -- endlich tut sich was in der
österreichischen Innenpolitik. Auf die Dauer verlieren die Sager von
Gottfried Waldhäusl an Unterhaltungswert und daß es bei der FPÖ Nazis gibt,
ist jetzt auch nicht gerade etwas, was so völlig neu ist. Ibiza war super,
aber das hält halt auch nicht lange vor. Aber die Herumwurschteleien von
Sebastian Kurz und das hochdramatische Ringen um eine neue Regierung, das
hatte was. Die ganze Dramatik, das Sich-für-wichtig-halten der
Volksvertreter ist wohl eher als Show aufgenommen worden denn als
ernsthaftes politisches Handeln. Die Presse war auch dankbar. Und diese
Vielfalt erst! Das Profil titelt: "Der Mann der Stunde" und meint VdB, der
Kurier schlagzeilt: "Die Frau der Stunde" und meint Bierlein. Welch ein
Brimborium! Als würde das Wichtigste im Land sein, daß die Beamten, die in
Wirklichkeit seit eh schon immer das Land regieren, nur ja "keine Sekunde"
(VdB) ohne Chefitäten sind.


Vertrauen

Das bemühteste Wort dieser Tage war: "Vertrauen"! Das sagt auch schon alles
darüber aus, für wie blöd die Wahlberechtigten gehalten werden. Das
entspricht auch dem regelmäßig von den Meinungsforschern abgefragten
"Vertrauensindex" -- ach, die Österreicher vertrauen darauf, daß in der FPÖ
nur korruptionsverdächtige Deppen sitzen, die SPÖ aus opportunistischen
Luschen besteht und die ÖVP ein Verein von machtgeilen Großkapitalisten ist.
Aber "Vertrauen" im Sinne von das Beste für den vielzitierten "kleinen
Mann", heute auch gerne die "kleine Frau", zu wollen -- ein solches
Vertrauen wird man wohl kaum in der Bevölkerung finden. Aber wer schimpft,
kauft, und die Österreicher "wählen doch nicht zum ersten Mal", wie es beim
Travnicek heißt. Und dann kommt der Herr Kurz daher und erklärt, im Herbst
würde "das Volk" entscheiden. Als ob es das jemals getan hätte! Aber es sind
wieder "Schicksalswahlen" angesagt, so wie eigentlich jedesmal, und dann
wählt man halt das jeweils so empfundene geringste Übel oder die Partei mit
dem größten Unterhaltungswert oder die, die die hübscheste Person an der
Spitze hat. Mit Vertrauen hat das aber alles nichts zu tun.


50% Frauen

Jetzt haben wir eine Kanzlerin. Noch dazu eine Verfassungsexpertin. Und die
Hälfte der Regierung besteht aus Frauen. Jubel! Nur: Zur Verfassungsexpertin
wurde Frau Bierlein erst durch Wolfgang Schüssel. Vorher war sie
Strafrechtlerin und die Regierung Schüssel hat sie gleich als
Vizepräsidentin in den VfGH gehoben, damit sie auch bald Präsidentin werden
kann. Ist sich halt nicht ausgegangen und sie mußte warten, bis die nächste
schwarzblaue Regierung, nämlich die des Herrn Kurz, sie auf den
Präsidentensessel hieven konnte. (Siehe auch Kommentar von R.Krenn in dieser
Ausgabe.)

Und die Ministerinnen? Naja, außer der Kanzlerin selbst und der
Wirtschaftsministerin sind das eigentlich alles typische Frauenjobs; die
"hard politics"-Ministerien Innen, Außen, Heer, Finanzen und Justiz werden
von Männern besetzt. Und im Verkehrsministerium sitzt jetzt ein
Wehrsportkamerad Straches.

Über so eine Regierung kann sich eigentlich nur die Frauenorganisation der
ÖVP freuen, aber sonst kaum wer. Aber das ist halt eine sehr österreichische
Lösung und daher durchaus legitim. Ohne Ehemalige in der Regierung ist ja
auch der Kreisky nicht ausgekommen.

Nebenbei: Durch Bierleins Umzug vom Judenplatz auf den Ballhausplatz ist
schon so gut wie fix ihr bisheriger Vize Christoph Grabenwarter neuer
VfGH-Präsident. Und welch ein Zufall: Auch er wurde von der Regierung
Schüssel in den VfGH berufen und von der Regierung Kurz zum Vize.


Straches EU-Mandat und der diskrete Charme der Bourgeoisie

Ja, da war großes Kopfschütteln -- wie können die Menschen nur nach Ibiza
überhaupt noch FPÖ wählen und dann auch noch Strache 40.000 Vorzugsstimmen
geben? Wieso sind FPÖ-Wähler so dumm? Die einfache Antwort: Sie sind gar
nicht so dumm! Sie denken nur anders als die den öffentlichen Diskurs
beherrschende Bourgeoisie -- egal, ob diese jetzt türkisschwarz,
sozialdemokratisch, grün oder einfach nur opportunistisch-staatstragend ist.

Zum Einen wären die Wahlen für die FPÖ ohne Ibiza wohl kaum anders
ausgegangen -- Strache hatte auch bei der EU-Wahl 2014 die zweitmeisten
Vorzugsstimmen hinter Spitzenkandidat Vilimsky. Das waren damals zwar nur
8000, aber auch Vilimsky hatte nur 20.000; zu dieser Zeit hatten FPÖ-Wähler
generell noch wenig Gebrauch von der Vorzugsstimmenmöglichkeit Gebrauch
gemacht und auch die Wahlbeteiligung war geringer. Die FPÖ ist für deren
Wähler halt immer noch hauptsächlich Strache und viele schreiben dessen
Namen bei beinahe jeder Wahl in die Vorzugszeile, so wie sie früher dort
"Haider" hingeschrieben haben.

Das erklärt aber noch nicht, warum Ibiza so gut wie keinen Impact an der
Wahlurne hatte. Da muß man zuerst einmal die Frage stellen: Wieso war denn
Ibiza überhaupt so ein Skandal? Um das zu verstehen, muß man wohl auf eine
deutsche Tageszeitung und einen französischen Soziologen zurückgreifen. Denn
im "Neuen Deutschland" findet sich ein ausgezeichneter Artikel über eine
Diskussionsveranstaltung in Berlin mit der Philosophin Barbara Rothmüller.
Und die versucht der Rezeption der Affäre mit Pierre Bourdieu näher zu
treten, wie das ND schildert: "Was genau, fragt sie also, empfindet
eigentlich das 'politische Österreich' in so seltener Einhelligkeit als
dermaßen abstoßend an dem mitgeschnittenen Kuhhandelsversuch zwischen den
'freiheitlichen' Spitzenpolitikern und jener falschen russischen Erbin? Es
ist die 'Körperlichkeit', sagt sie." Oder anders: um den Stil. Denn hätten
Strache und Gudenus "nicht plump einen Deal vorgeschlagen, sondern dessen
Inhalt in Phrasen à la 'Offenheit für Investitionen im Medien- und
Infrastruktursektor' und 'strategische Partnerschaft zwischen Politik und
Wirtschaft' verpackt, wäre die Aufregung geringer. Und hätten sie dabei die
körperliche Form gewahrt, hätten sie im Sommeranzug am Tisch gesessen und
maßvoll an Sektflöten genippt, statt -- wie Strache -- den Schmerbauch im
Schlabbershirt breitbeinig ins Sofa zu fläzen, Getränkedosen aufzureißen und
das Wodka-Red-Bull-Glas mit etwas Qualmendem in der Hand zum Mund zu führen,
wäre der Skandal womöglich einzuhegen gewesen."

Und da eben käme Bourdieus Versuch einer Klassifizierung von Geschmack zum
Tragen: "So unterscheidet er drei Grundformen des Klassengeschmacks: Die
Bourgeoisie kultiviert den »legitimen Geschmack«: vergeistigt, mondän,
selbstsicher und souverän, informiert auswählend aus dem kulturellen
Angebot, luxuriös -- aber nicht protzig, sondern gediegen --, dem dosierten
Genuss zugeneigt, nicht aber dem Exzess. Im Kleinbürgertum pflegt man
einen »bescheidenen« Geschmack, der strebsam nach oben blickt und den
Elitengeschmack kopiert, sich aber seiner Unzulänglichkeit stets bewusst ist
und daher unsicher und komplexbeladen bleibt. [...] Die Volksklassen
hingegen werden von einem 'Notwendigkeitsgeschmack' regiert, der sich
einerseits um das Praktische, Funktionale, Erschwingliche dreht, der
Bedürfnisse befriedigen und nicht raffinieren will. Andererseits kann diese
Disposition in Situationen des Überflusses auch zu elementarer Gier, zu
Maßlosigkeit, zu einem Hedonismus 'von der Hand in den Mund' neigen." (1)

Darum geht es also: Um den Ekel vor einem "Emporkömmling", vor einem, der
eben nicht das "kulturelle Kapital" (ein zentraler Begriff bei Bourdieu)
besitzt und bei dem halt dieses Kommen aus den "Volksklassen" nicht zu
leugnen ist. Somit funktionierte das Ibiza-Video genau gleich wie jene
"Sozial-Pornos", in denen sich über die Unterschicht lustiggemacht wird und
die vor allem bei privaten Fernsehsendern eine Zeitlang so beliebt waren --
ein Schmuddelgruselspaß für die ganze bürgerliche Familie also. Die
politischen Inhalte waren dabei nur Beiwerk, um sich ohne schlechtem
Gewissen dieses Video immer und immer wieder reinziehen zu können.

Bei jenem Teil der Wählerschaft der FPÖ, der nicht mit einem goldenen Löffel
im Mund geboren worden ist -- und das dürfte die Mehrheit sein --, kam
dieses Video vielleicht gar nicht so an wie bei der Classe Politique und den
dazugehörigen Journalisten. Was diese Wähler sahen, war ein Prolet, also
einer von ihnen, der sich mit ihrer Hilfe in die Spitze des Staates gekämpft
hat und der mit einem fiesen Leger von dort wieder demontiert wurde. Und sie
sehen, wie nicht nur er entfernt wurde, sondern wie die Bourgeoisie in der
Person von Sebastian Kurz mit fadenscheinigen Begründungen auch noch Herbert
Kickl abserviert hat. Es war nicht Dummheit oder Trotz, warum die Mehrzahl
der FPÖ-Wähler auch diesmal bei ihrer Partei geblieben sind, sondern
Solidarität. Und weil man die Absicht gemerkt hat hinter diesem Video -- da
wird man halt leicht verstimmt. Der Versuch des Bundeskurzlers, diese Affäre
auch noch eiskalt dazu zu nutzen, die FPÖ zum Beiwagerl, zum
parlamentarischen Stimmvieh zu degradieren, tat ihr übriges.


Der Masterplan des Sebastian Kurz

"Kurz ist ein Meister-Stratege und seine Absetzung gehört zu seinem
ausgeklügelten Masterplan." Ja, genau. Vor dieser Erzählung warnt der
SPÖ-Blog kontrast.at zurecht. Und es ist gar nicht so unwahrscheinlich, daß
der Blog auch recht hat, daß diese Dämonisierung von Seiten der ÖVP lanciert
worden ist. Denn ein perfider Teufel ist den Wählern nunmal lieber als ein
gutherziger Wappler, der sich verkalkuliert hat. Und tatsächlich würde das
ja dem Bild vom unaufhaltsamen Aufstieg des Sebastian Ui entsprechen. Nur:
Bisher hat er sich ja immer nur die Karriereleiter hinaufgehangelt und das
offensichtlich mit viel Unterstützung einiger älterer Herrn in der Partei.
Kurz hat immer nur ausgeteilt und ist immer der Sieger gewesen. Jetzt soll
er diesen harten Punch absichtlich provoziert haben? Und dann flüchtet er
aus dem Parlament mit der Begründung, daß der Tonfall dort gehässig sei? Das
soll eine Strategie sein? Es klingt weder nach einem kühlen Strategen noch
nach einem Kämpfer, der etwas einstecken kann. Das klingt nach einem
verwöhnten Burli, das sich davor fürchtet, in den Niederungen des Parlaments
mit einfachen Abgeordneten streiten zu müssen, nachdem er es doch gewohnt
war, mit anderen Außenministern und Regierungschefs zu dinieren und
ansonsten auf das Publikum im Parkett herunterzuschauen -- wenn ihm nicht
gerade sein Handy wichtiger war.

Dennoch könnte der Spin vom zum Unrecht verfemten Helden aufgehen: "Der Ton
in der Parlamentsdebatte war zeitweise sehr gehässig. So gehässig, dass er
viele Österreicherinnen und Österreicher irritierte oder gar abstiess.
Kanzler Kurz ertrug Häme und Spott der Opposition mit stoischer Ruhe. Er
weiss, dass er immer noch der mit Abstand beliebteste Politiker Österreichs
ist. Seine Chancen sind sehr gut, nach den vorgezogenen Neuwahlen im
September wieder ins Kanzleramt einzuziehen." Das schreibt nicht die
Fellner-Kasperlpost und auch nicht das "Neue Volksblatt", sondern das ist
die Analyse eines außenstehenden Beobachters, nämlich von Peter Balzli,
Österreich-Korrespondent des Schweizer Rundfunks. Sowas ist erschreckend,
ist Balzli schließlich kein Anfänger in diesem Metier und der SRF nicht die
Basler Zeitung. Die neue Erzählung der ÖVP greift also sogar bei
Medienprofis.

Nur ist das halt eben eine Kehrtwende -- und nicht Teil eines Masterplans.


Elegante Verfassung

"Schön" und "elegant" und "verläßlich" sei sie, "unsere Bundesverfassung".
Sagt der Bundespräsident. Nicht von Van der Bellen stammt Folgendes: "Es
braucht nur das politische System ins Wanken zu geraten, und schon stehen
die Kompetenzen des Bundespräsidenten im Brennpunkt des Geschehens. Sie sind
so gewichtig, dass er die Republik jederzeit mit vier aufeinanderfolgenden
Entschließungen in eine ganz andere Lage bringen kann. Dazu hätte er bloß
mit der ersten Entschließung die gesamte Bundesregierung zu entlassen, mit
der zweiten eine ihm genehme Person als Bundeskanzler zu bestellen, mit der
dritten auf Vorschlag dieses Bundeskanzlers die übrigen Bundesminister und
mit der vierten auf Vorschlag dieser neuen Bundesregierung die Auflösung des
Nationalrats zu verfügen." Seien wir froh, daß VdB Clemens Jabloner, von dem
diese Worte zum Präsidentschaftswahlkampf 2016 stammen, zum Justizminister
gemacht hat. Allerdings wäre es vielleicht schlau gewesen, er hätte vorher
mit ihm über die Bundesverfassung geredet, denn dann hätte er wohl nicht
solch salbungsvolle Worte über dieses juristische Elaborat zum Besten
gegeben.

Denn die österreichische Bundesverfassung ist -- ähnlich unserer neuen
Regierung -- vor allem eines: sehr österreichisch; nämlich so wie vieles in
diesem Land: Historisch überfrachtet, inkonsequent, unlogisch und voller
schiefer Kompromisse. In Österreich hält nicht so lange wie ein
Provisorium -- warum sollte es mit unserer Bundesverfassung anders sein? Und
wenn man hört, daß da schon wieder von der ÖVP für diesen Wahlkampf ein
Anti-Wahlzuckerl-Verfassungsgesetz gebastelt werden soll, dann ist auch
klar, wie so ein schlampiges Konvolut zustandekommt -- weil so wird seit
1867 daran herumgedoktert, wundern braucht man sich da nicht. Wenn daß das
"Betriebssystem" der Republik ist, weiß man auch, wieso diese 1933
abgestürzt ist.

Das Bundes-Verfassungsgesetz stammt ursprünglich von 1920 und hat
bekanntermassen 1929 eine recht weitgehende Revision erfahren. Aber das ist
eben nicht die ganze Verfassung, sondern nur ein Teil davon: "Die
österreichische Bundesverfassung trägt ruinenhaften Charakter; ihr Text ist
durch eine Unzahl unsystematischer Novellen und abseitiger Verfassungsnormen
zu einem juristischen Irrgarten geworden. Nicht nur bleiben substantielle
Sanierungen aus; Novellen ... fördern zusätzlich die Unübersichtlichkeit,
geben zu neuen Auslegungsschwierigkeiten Anlaß und steigern so von einem zum
anderen mal die Rechtsunsicherheit." Das schrieb Hans Klecatzky, ehemaliger
parteiloser Justizminister der Regierung Klaus und konservativer Doyen der
Verfassungslehre 1981 in einem Kommentar. Seither wurden zwar doch ein paar
Sanierungen getätigt und vor alle Bestimmungen aus dem 19.Jahrhundert in
eine zeitgemäße Form gebracht, aber viel verbessert hat sich nicht.


Staatskrise

Aber VdB ist es ja nicht um diese "abseitigen Verfassungsnormen" gegangen,
sondern um den Kern des B-VG, die "Spielregelverfassung". Aber auch die ist
nicht nur wacklig in dem Sinne, wie Jabloner das beschrieben hat, sondern
sie hinkt an viele Stellen. Und es hängt vor allem vom Personal der höchsten
Volksvertreter ab, wie sie interpretiert wird. Im Normalfall gilt in
Österreich ja der "Rollenverzicht" des Bundespräsidenten und die
Realverfassung ist da näher an der nicht mehr gültigen Fassung von 1920:
Eine Nationalratsmehrheit einigt sich auf eine Regierung und der
Bundespräsident setzt diese formal ein und macht ansonsten den Grüßonkel.
Das Parlament ist abgemeldet und kontrolliert gar nicht und die Gesetze
werden von der Regierung im Ministerrat beschlossen.

Formal gültig ist aber Folgendes: Der Bundespräsident bestellt aus freien
Stücken den Bundeskanzler und ernennt auf Vorschlag dieses Kanzlers die
Minister, sofern sie ihm genehm sind. Der Nationalrat kann diese Regierung
wieder absetzen, ist aber vor allem vorhanden, um die Arbeit der Regierung
zu kontrollieren und im Zusammenwirken mit dem Bundesrat die Gesetze zu
beschließen. Die Abgeordneten sind bei ihren Entscheidungen frei und
lediglich der Verfassung und ihrem Gewissen verpflichtet.

Das ist so ziemlich das, was uns die nächsten Monate erwartet und die
politische Klasse fürchtet sich jetzt vor einem "freien Spiel der Kräfte" --
komischerweise ist das aber laut Verfassung der gewünschte Zustand.


Autoritäre Verfassung

Umgekehrt taucht jetzt auch wieder auf, daß die Novelle 1929 an einer
autoritären Führungsfigur orientiert gewesen wäre und undemokratisch sei.
Was stimmt, ist, daß die Christlichsozialen gerne einen mächtigen
Präsidenten gehabt hätten -- aber nur, wenn er aus ihren Reihen stammt, was
halt schwierig in ein Verfassungsgesetz zu schreiben ist. So wurde dann aus
der geplanten Hierarchisierung plötzlich -- zumindest theoretisch -- eine
Demokratisierung, nämlich ein Schritt näher hin zu einer echten
Gewaltenteilung. Denn es hat Gründe, warum der Bundespräsident vom Volk
gewählt wird -- nämlich, damit er der oberste Exekutivvertreter sein kann,
da er mit der höchsten Legitimität ausgestattet ist. Damit trägt er aber
auch die Haupt-Verantwortung dafür, wer in Österreich Bundeskanzler ist. Wie
alle bisherigen Bundespräsidenten der Zweiten Republik hat auch VdB den
Rollenverzicht geübt -- er hätte die umgebildete Minderheitsregierung Kurz
weiterregieren lassen. Das wäre aber eben eine Regierung gewesen, die weder
vom Parlament noch vom Bundespräsidenten noch vom Volk ernsthaft legitimiert
gewesen wäre, sondern lediglich von einer einzigen Partei. Tatsächlich ist
es aber Sache des Bundespräsidenten, einen untauglichen Kanzler abzusetzen.
Und dafür gibt es eben dieses historisches Beispiel: Wilhelm Miklas hatte
bereits formal diese Macht und hat 1933 diesbezüglich völlig versagt. Das
brachte uns die Diktatur derselben Partei, die dieser Tage wieder ohne
Legitimation weiterregieren wollte.

Aber warum hat Miklas versagen müssen? Weil er ein Bundespräsident von
Dollfuß' Gnaden war. Und er konnte es nur sein, weil sich die
Sozialdemokraten soviel Staatsräson einreden ließen, den Bundespräsidenten
1931 ein letztes Mal doch per Bundesversammlung zu wählen und dabei den von
der Regierung vorgeschlagenen Kandidaten -- und bisherigen Präsidenten --
noch einmal in die Hofburg zu bringen. Auch hier gibt es eine Parallele zu
2019. Denn auch jetzt wurde der SPÖ eine Staatsräson abverlangt, doch einer
illegitimen Regierung das Vertrauen nicht zu versagen -- glücklicherweise
hat sie sich im letzten Moment und nach zähem Ringen doch anders
entschieden.

Es hängt also vor allem vom Personal ab, wie die Bundesverfassung zu
verstehen ist. Letztendlich ist sie ja nicht für die Politik geschrieben,
sondern für die Spitzenbeamten. Denn die brauchen eine Rechtssicherheit, daß
das, was sie an Entscheidungen der Politik vollziehen, auch wirklich
rechtskonform ist und sie nicht ihre Pension kosten könnte. Ob das in
irgendeinem Sinne demokratisch legitimiert ist, ist denen natürlich völlig
egal. Deswegen sind ja solche Verfassungslücken so gefährlich -- als anno
1933 Dollfuß meinte, ohne Parlament regieren und Gesetze auf dem
Verordnungsweg erlassen zu können, hat er ein völlig unpassendes Relikt aus
dem 1.Weltkrieg herangezogen, das "Kriegswirtschaftliche
Ermächtigungsgesetz". Das war vom Text her zwar überhaupt nicht geeignet,
seine Machtansprüche durchzusetzen, aber für die Beamten reichte es als
Ausrede, sollte in wieder demokratischeren Zustände sie irgendjemand fragen,
was sie sich eigentlich bei Herrn Dollfuß so gedacht hätten.

Noch etwas ist sichtbar geworden in diesen Tagen -- und das ist durchaus von
autoritärem Charakter, aber halt nicht nur der österreichischen Verfassung,
sondern generell im Selbstverständnis so ziemlich aller Staaten, die sich
als demokratisch verstehen: Es muß irgendeine Regierung geben! Egal, wie sie
zustandekommt; egal, wie gefährlich sie für die demokratische Verfaßtheit
eines Staates sein kann, alles scheißegal, Hauptsache, irgendwer regiert.
Demokratie ist in Krisensituationen kein Thema, sondern nur etwas bei
schönem Wetter. Denn letztlich tendiert jeder Staat eben doch ins
Autoritäre.
*Bernhard Redl*


(1) Den kompletten Artikel aus dem Neuen Deutschland hätten wir geren
komplett nachgedruckt, nur haben wir leidenr nicht die Urheberrechte dafür.
Daher als sehr dringende Leseempfehlung hier der Link
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1119497.heinz-christian-strache-schmerbauch-im-schlabbershirt.html
oder: https://tinyurl.com/13AKINFP



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