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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Donnerstag, 2. Mai 2019; 01:44
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EU/Flucht:

> Wo das Europa der Menschenrechte endet

Die Schließung der Balkanroute ist nicht gelungen. Weiterhin sind Menschen
unterwegs Richtung Norden. Allerdings sind die Fluchtwege gefährlicher, die
Methoden der Abschreckung grausamer geworden. *Heike Schiebeck* vom
Europäischen BürgerInnenforum berichtet aus dem EU-Grenzgebiet.
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Ende März beginnt in Bosnien die Landschaft zu grünen, die Kirschbäume
blühen, in den Dörfern ragen die Minarette wie angespitzte Bleistifte in den
Frühlingshimmel. Gruppen von Menschen ziehen in der Abenddämmerung warm
angezogen, mit Schlaf- und Rucksack bepackt, Richtung Grenze.

Unter Leitung des EBF haben wir uns als 6-köpfige Delegation auf den Weg
gemacht, um die Lage der Menschenrechte an der bosnisch-kroatischen Grenze
zu erkunden. Uns haben Zeugen- und Medienberichte über massive
Gewaltausübung der kroatischen Grenzpolizei und das Aussetzen des Rechts auf
Asyl im EU-Mitgliedsland Kroatien alarmiert. In Velika Kladusa im äussersten
Nordwesten Bosniens angekommen, ist unser Fahrzeug gleich umringt von jungen
Männern, die um Geld, Essen und Hilfe bitten.

Seit Schließung der Balkanroute unter der politischen Führung des
österreichischen Bundeskanzlers Sebastian Kurz stranden in Bosnien aufgrund
seiner geographischen Lage an der EU-Außengrenze zahlreiche Flüchtlinge. Im
Kanton Una-Sana hat die Behörde eine Obergrenze von 3.500 Menschen, die in
Flüchtlingslagern versorgt werden, festgelegt. Alle anderen sind obdachlos.
Hunderte hausen ausserhalb der Camps in leerstehenden Häusern, Ruinen und
Zelten ohne ausreichende Nahrung, medizinische Versorgung und die
Möglichkeit, sich selbst und ihre Kleidung zu waschen. Aus den überfüllten
Lagern in Griechenland werden sich in der wärmeren Jahreszeit Zehntausende
Richtung Norden auf den Weg machen und in Bosnien stranden. Auf Nachfrage
bei der Fremdenpolizei finden von offizieller Seite keine Vorbereitungen
statt, um die Lage humanitär zu bewältigen.

In den folgenden Tagen führten wir Gespräche mit einem Polizeiinspektor des
zuständigen Service for Foreigners' Affairs (Fremdenpolizei) in Bihac,
Mitarbeiter_innen der IOM (Internationale Organisation für Migration),
ausländischen und einheimischen Freiwilligen, der Ombudsfrau in Kroatien und
dem Center For Peace Studies in Zagreb.

Menschlichkeit als Verbrechen

Gleich am ersten Abend sprachen wir mit jungen Frauen aus Österreich, die
mit ehrenamtlicher Arbeit die Menschen unterwegs unterstützen. Die Behörden
hatten Anfang März alle internationalen Freiwilligen mit rechtlich
fragwürdigen Begründungen des Landes verwiesen: Ihre NGOs seien nicht als
Hilfsorganisationen angemeldet, die Freiwilligen nicht registriert, was
vorher nirgends in Bosnien ein Problem war. Die beiden Frauen verteilen
heimlich Kleidung an die Flüchtlinge, immer auf der Hut, nicht von der
Polizei entdeckt zu werden. Auch bosnische Helfer_innen werden an ihrer
Arbeit gehindert, obwohl ihre Unterstützung mehr als nötig und oft die
einzige Hilfe ist.

Selbst verletzte Flüchtlinge dürfen nicht im Auto mitgenommen werde. Wer
sich illegal im Land aufhält, sei kriminell. Wer Kriminelle im Auto
mitnehme, sei selbst kriminell, erklärt uns Inspektor Enes von der
Fremdenpolizei schlüssig.

Wir besuchten zwei Flüchtlingslager mit sehr unterschiedlichen Standards: In
Miral, einer leerstehenden Fabrikhalle, sind 700 alleinstehende Männer
untergebracht, im Hotel Sendra bei Bihac leben etwa 250 "vulnerable
persons", dass sind Frauen, Familien mit Kindern und unbegleitete
Minderjährige. Das Miral-Lager richtete die IOM auf die Schnelle ein,
nachdem eine Gruppe von Refugees mit einer Grenzblockade im Oktober 2018
erfolgreich gegen die fehlende Infrastruktur protestiert hatte.

Fehlendes Asylsystem, massive Gewalt

Es stimmt nicht, dass alle Menschen auf der Flucht in die EU wollen.
Bosnien-Herzegowina ist ein disfunktionaler Staat mit hoher Korruption. Wer
vor Krieg, Verfolgung und Hunger flieht, für den ist es hier dennoch besser
als im Herkunftsland. Aber wie um Asyl ansuchen? Bei der Registrierung, 24
000 Personen im Jahr 2018, bekommen alle eine White Card nur in bosnischer
Sprache, die 14 Tage gültig ist. Wer in diesem Zeitraum nicht um Asyl
ansucht, hält sich illegal im Land auf. Für die Asylanträge stehen nur drei
Beamte zur Verfügung. Trotz ungenügender Rechtsberatung und Übersetzung
gelang es 2018 mehr als 1500 Personen einen Asylantrag zu stellen. Die
Verantwortung der EU ist nicht von der Hand zu weisen: Bosnien hat seit Ende
des Krieges 1995 mit dem Vertrag von Dayton und dem 2015 in Kraft getretenen
EU-Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen, das den EU-Beitritt
vorbereitet, einen Großteil seiner Souveränität eingebüsst. Ein
funktionierendes Asylsystem einzurichten stand wohl nicht auf dem Plan der
internationalen Organisationen und der EU, neoliberale Reformen mit
Privatisierungen und Abbau des Sozialsystems schreiten hingegen zügig voran.

Wir sprachen mit mehreren Dutzend Geflüchteten in den Camps sowie auf den
Straßen der Städte: Sie erzählten uns vom Mangel an ärztlicher Versorgung
und Nahrung, von Krätze-Epidemien und dass es unmöglich sei, ihre Rechte
durchzusetzen. Die Verzweiflung stand ihnen ins Gesicht geschrieben. Sie
berichteten uns eindrücklich von der massiven physischen und psychischen
Gewalt der kroatischen Grenzpolizei und zeigten uns Wunden, die sie bei Push
Backs davongetragen hatten. Die Polizei übt systematisch Gewalt an Menschen
aus, um sie daran zu hindern, die EU zu betreten. Sie treibt Geflüchtete,
die um Asyl ansuchen möchten, mit der Behauptung zurück, es gäbe in Kroatien
kein Asyl. Mitglieder von NGOs, die Flüchtlinge zur Polizei begleiten, um
einen Asylantrag zu stellen, werden als Schlepper kriminalisiert und zu
hohen Geldstrafen verurteilt.

Push Backs sind in Europa verboten: Menschen dürfen nicht ohne rechtmäßige
Klärung der Fluchtgründe über eine Staatsgrenze zurückgewiesen werden.
Kroatien ist im Bewerbungsverfahren um Aufnahme in den Schengenraum, das bis
2020 abgeschlossen sein soll. Wird hier die Grenze mit allen - auch
illegalen - Mitteln dichtgemacht, um sich als Kandidat zu bewähren?

Die kroatischen Grenzbehörden werden in ihrer Arbeit von der Europäischen
Grenzschutzagentur FRONTEX personell unterstützt, ausgebildet und technisch
ausgestattet. Betroffene berichten, dass nicht nur Polizisten in kroatischer
Uniform Gewalt ausüben. Inwiefern FRONTEX an Gewalthandlungen beteiligt ist,
muss die EU dringend aufklären.

Hilfe und Solidarität

Die Solidarität der bosnischen Bevölkerung mit den Flüchtlingen war von
Anfang an groß, wohl auch aufgrund der eigenen Erfahrungen mit Krieg, Leid
und Verfolgung. Auch in Velika Kladusa haben anfangs viele Leute Kleider für
die Flüchtlinge gewaschen, Essen gekocht, Medikamente besorgt und manchmal
Familien mit Kindern bei sich zuhause aufgenommen. Aber auch international
kommt etwas in Bewegung: Amnesty International und die Heinrich Böll
Stiftung veröffentlichten Berichte über die Menschenrechtsverletzungen.
Medico International, Frankfurt, arbeitet an einer interaktiven Plattform
"Pushback-Mapping", auf der Rechtsbrüche und systematische Gewalt an Europas
Grenzen visualisiert werden, um spätere Klage- und Asylverfahren zu
unterstützen. Ende März erging ein ausführlicher Protestbrief an die
EU-Kommissare Avramopoulos (Migration) und Stylianides (humanitäre Hilfe) in
dem 30 Abgeordnete des Europäischen Parlaments Aufklärung und ein Ende der
Gewalt fordern. Milena Zajovic von der NGO "Are You Syrious?" aus Zagreb,
die Borderviolence dokumentieren, hielt Ende März eine aufrüttelnde Rede vor
dem Europäischen Parlament. Die Zagreber Rechtsanwältin Sanja Jelavi=E6
vertritt die afghanische Familie Husseini vor dem Europäischen Gerichtshof
für Menschenrechte, nachdem der kroatische Verfassungsgerichthof ihre
Beschwerde abwieß. Die 6-jährige Tochter der Familie starb im November 2017
bei einer Rückweisung der kroatischen Grenzpolizei, als diese der Familie
befahl mit den Kindern nachts auf Bahngleisen zurück nach Serbien zu gehen,
wo das kleine Mädchen vom Zug erfasst wurde. (s.a. akin 4/2018)

In Velika Kladusa hat nach dreiwöchiger Pause wegen ausbleibender Spenden
das Restaurant von Latan wieder aufgemacht. Der Bosnier kocht mit einigen
Freunden seit mehr als einem Jahr täglich 400 Mahlzeiten für Flüchtlinge,
die sonst keinerlei Versorgung erhalten. Im Keller der kleinen Kneipe
bekommen sie Boxer-Shorts, Socken und Jacken. Es herrscht ein großer Mangel
an Schuhen. Daka steht in der Tür und passt auf, dass die Kleiderausgabe
geordnet abläuft. Er habe als Bosnier hier das verfassungsmäßige Recht,
Menschen zu helfen. "Die internationalen Freiwilligen helfen mir beim
Helfen", erklärt er uns lächelnd. ###



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