**********************************************************
akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Donnerstag, 18. April 2019; 03:52
**********************************************************

Glosse:

> Nation Europa

Ein Wutausbruch

"Der Verein Justizgeschichte und Rechtsstaat lädt Sie, sehr geehrte Damen
und Herren, zu unseren Ausstellungen über Demokratie, Menschenrechte und
Rechtsstaat ein. Bestandsgarantien für den demokratischen Rechtsstaat und
den Schutz der Menschenrechte sind nur durch politische Bildung erzielbar,
die die Bedeutung rechtsstaatlicher Grundsätze und der Zugehörigkeit zur
Wertegemeinschaft der Europäischen Union für alle erfahrbar machen soll."

Fällt da noch irgendwem irgendwas auf? Quietscht so eine Einladung nicht ein
bisserl? An sich wäre das ja eine interessante Veranstaltungsreihe über
Rechtsphilosophie, aber es gibt auch hier irgendjemanden, der meint,
irgendwas mit "Wertegemeinschaft der Europäischen Union" reinreklamieren zu
müssen. Eine mögliche ehrliche Auseinandersetzung um Fragen wie
Gewaltenteilung, gesetztes Recht und angenommenes Naturrecht, Staat und
Souverän, etcetera wird vollkommen entwertet und vorab in Bahnen gelenkt, wo
keine Diskussionen mehr möglich sind -- aber Hauptsache, man hat
wiedereinmal die Europäische Union zum Himmelreich erklärt.

Das Obige ist nur ein Beispiel von vielen. Ja, es sind EU-Wahlen. Ja, die
EU-Eliten sind immer noch vom Brexit geschockt. Es ist jetzt ganz wichtig,
die EU gesundzubeten. Aber das geht ja schon längere Zeit so, immer muß
irgendwo die EU als Allheilmittel für alle Probleme untergebracht werden --
und auch viele Linke fallen darauf rein. Die kritisieren zwar gerne die EU
als undemokratisch, aber sie meinen, man müsse trotzdem prinzipiell für ein
"geeintes Europa" sein, daß nur anders, wenn geht: besser verfaßt sein
sollte. Vielleicht gleich als "Europäische Republik" mit einer
Europabürgerschaft. Weil das hilft ganz toll gegen Nationalismus und die
extreme Rechte. Daher muß man das "Friedensprojekt Europa" retten.

Das ist ein derartiger Topfen, da weiß man gar nicht, wo man anfangen soll!
Also erstens: Die EU ist nicht Europa! Das hätte man eigentlich schon von
den Lateinamerika-Soligruppen gelernt haben sollen, die immer wieder betont
haben, daß die USA nicht Amerika ist.


Give PIS a Chance

Wenn wir schon beim Vergleich mit den USA sind -- zweitens: Der
Zusammenschluß zu den "Vereinigten Staaten von Europa" soll ein
Friedensprojekt sein? Sicher, ja, klar, Deutschland und Frankreich führen
nicht mehr Krieg gegeneinander -- heute schickt die EU ihre Soldaten
gemeinsam in Länder außerhalb der Union. Zu behaupten, die EU sei ein
Friedensprojekt ist ungefähr so, wie wenn man behaupten würde, die USA seien
ein solches, weil sie seit eineinhalb Jahrhunderten keine Krieg mehr auf
eigenem Territorium gehabt haben.

Ja, aber wenigstens hat es seit Ende des Zweiten Weltkriegs keinen Krieg
mehr in Europa gegeben! Naja, wenn man mal von Jugoslawien absieht. Aber das
ist ja eine quantite negligable. Da haben ja auch alle westeuropäischen
Regierungen fest daran gearbeitet, das Jugoslawien geeint bleibt und es
nicht zum Krieg kommt. Oder hab ich das falsch in Erinnerung? Und das
Bombardement Belgrads war ja die NATO, nicht die EU. Okay, ja, Österreich,
Schweden und Finnland waren die letzten neutralen Staaten, die der EU
beigetreten sind, seither gab es nur neue NATO-Mitglieder als
EU-Beitrittsländer. Aber das ist ja eh egal, weil wenn die
Souveränitätsrechte auf die EU übertragen werden, haben wir dann eine
gemeinsame Armee -- das mit der Neutralität, die sowieso keiner mehr ernst
nimmt, wird gleich automatisch entsorgt. Österreich kann dann auch ruhig
weiter neutral bleiben, weil es als dann als Staat sowieso nicht mehr
existiert.

Überhaupt der Westbalkan ist ja großteils sowieso nicht Europa, weil Europa
ist ja nur die EU. Da kann man sich auch entsprechend aufführen und den
europäischen Gedanken so richtig ausleben. Blöd nur, daß der in Wirklichkeit
ein westeuropäischer, ein christlicher, genauer: katholisch-protestantischer
ist. Der Balkan, das ist doch die Gegend, wo man Flüchtlingsrouten schließen
muß -- ja, diese Länder kann man natürlich noch nicht in die EU und vor
allem in Schengen aufnehmen, weil: Wie schließt man denn sonst die Route,
wenns überall Reisefreiheit gibt? Aber als Spielwiese für EU-Politiker taugt
das allemal, und Österreicher natürlich immer flott dabei im ehemaligen
Hinterhof der Habsburgermonarchie, wenn zum Beispiel Sebastian Kurz in
Mazedonien im Wahlkampf mitmischt oder Hannes Swoboda als Fraktionschef der
EU-Sozialdemokraten ausgerechnet Hashim Thaci den Friedensnobelpreis
umhängen will.


Das Positive

Okay, nein, ich versuch mich jetzt zu beruhigen. Bleiben wir sachlich. Gut,
also drittens! Jetzt kommt das Positive: Die Überwindung des Nationalismus,
die Vereinigung der europäischen Völker. Ja, das ist schon erfreulich!
Früher haben sich österreichische Freiheitliche und italienische
Neofaschisten immer nur gezankt, weil sie sich nicht über die Südtirolfrage
einigen konnten. Heute sind die Herren Strache und Salvini beste Freunde.
Und Salvini kann sich heute mit einem Leiberl präsentieren, auf dem
draufsteht, daß für ihn der rechtslastige Bayer Ratzinger immer noch Papst
sei. Strache kann ohne Bedenken den "Wahren Finnen" zum Wahlerfolg
gratulieren und ist gut Freund mit allen slawischen Politikern, die das
christliche Abendland verteidigen. Und natürlich selbst die ärgsten
ungarischen Faschisten, wie zum Beispiel jene Partei, die sich von der
Jobbik abgespalten hat, weil ihr diese zu links geworden sei, ja, selbst die
hat in der großen europäischen Familie der Rechtsaußenparteien heute ihren
Platz und wird von FPÖ-nahen Medien wie unzensuriert.at und Wochenblick
gefeiert. Sogar Le Pen und AfD haben die jahrhundertelange Feindschaft
zwischen Deutschen und Franzosen begraben. Alles vergeben und vergessen! Das
hat nur die Europäische Union geschafft! Endlich eine geeinte europäische
extreme Rechte, das ist doch was! Das ist doch ein Argument für die "Nation
Europa", oder? Ja, okay, "Nation Europa" klingt vielleicht nicht so gut, das
war eine Losung von alten und neuen Nazis in den 1970ern, aber was solls?

Oder wie Viktor Orban in einer EU-Wahlkampfrede am 5.April meinte: "Wir
stimmen darüber ab, ob Europa das Europa der Europäer bleiben soll, oder
sollen wir den Platz aus einer anderen Kultur, aus einer anderen
Zivilisation ankommenden Massen übergeben. 'Bevölkerungsaustausch', sagen
die Franzosen. Wir entscheiden darüber, ob wir unsere christliche, unsere
europäische Kultur verteidigen oder das Terrain dem Multikulturalismus
übergeben sollen." Proeuropäischer gehts wirklich nimmer! Und die
Identitären werden sich freuen, daß auch christdemokratische Politiker schon
ihr Vokabular verwenden.


Demokratisches Imperium

Ja, ich bin polemisch! Aber besser polemisch als naiv. Wenn ich mir diese
Vorstellungen von einer Demokratisierung der EU anhöre, steigen mir einfach
die Grausbirn auf. Liebe Bobolinke, liebe Grüne, was genau habt ihr an
"small is beautiful" nicht verstanden? Oder habt ihr Leopold Kohrs Ideen
schon vergessen? Je größer eine solche Verwaltungseinheit ist, desto weniger
Einflußnahme durch den sogenannten Souverän ist möglich. Der Staat als
solcher ist ein Ordnungs- und damit Repressionsmechanismus. Will man ihn
unter demokratischer Kontrolle halten, so darf er nicht zum Imperium werden.
Nein, ein solcher staatlicher Moloch ist auch kein geeignetes Mittel, um
multinationalen Konzernen etwas entgegenzusetzen, denn gerade die Aufhebung
der Grenzen für das Kapital hat es erst möglich werden lassen, daß solche
Konzerne überhaupt existieren. Genau deswegen wird es auch keine "Soziale
Republik Europa" geben, von der der Herr Kogler träumt. Genau deswegen hat
auch die gemeinsame Währung nichts Gutes gebracht -- siehe Griechenland.

Sind mir die Nationalstaaten lieber? Nein, natürlich nicht! Denn auch
Deutschland oder Frankreich für sich genommen sind schon zu groß. Und was
die Alpenrepublik angeht: "Nein zur EU, weil Österreich ist schlimm
genug" -- das hab ich 1994 zur Volksabstimmung geschrieben und es stimmt
immer noch.


Was fehlt

Was wir brauchen, ist ein solider Internationalismus von unten in einer Welt
kleinräumiger Verwaltungseinheiten, wo sich deren Regierungen vor dem Volk
fürchten müssen statt umgekehrt. Und keine Festung Europa. Dann klappt auch
das mit den Menschenrechten.

*Bernhard Redl*



***************************************************
Der akin-pd ist die elektronische Teilwiedergabe der nichtkommerziellen
Wiener Wochenzeitung 'akin'. Texte im akin-pd muessen aber nicht
wortidentisch mit den in der Papierausgabe veroeffentlichten sein. Nachdruck
von Eigenbeitraegen mit Quellenangabe erbeten. Namentlich gezeichnete
Beitraege stehen in der Verantwortung der VerfasserInnen. Ein Nachdruck von
Texten mit anderem Copyright als dem unseren sagt nichts ueber eine
anderweitige Verfuegungsberechtigung aus. Der akin-pd wird nur als
Abonnement verschickt. Wer versehentlich in den Verteiler geraten ist, kann
den akin-pd per formlosen Mail an akin.redaktion@gmx.at abbestellen.


*************************************************
'akin - aktuelle informationen'
postadresse a-1170 wien, lobenhauerngasse 35/2
redaktionsadresse: dreyhausenstraße 3, kellerlokal, 1140
vox: 0665 65 20 70 92
http://akin.mediaweb.at
blog: https://akinmagazin.wordpress.com/
facebook: https://www.facebook.com/akin.magazin
mail: akin.redaktion@gmx.at
bankverbindung lautend auf: föj/BfS,
bank austria, zweck: akin
IBAN AT041200022310297600
BIC: BKAUATWW