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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 10. April 2019; 16:04
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Termin/Initiativen/Geschichte

> 20 Jahre danach: Der Fall Marcus Omofuma

Die "Plattform Radikale Linke" erinnert an den Tod eines Schubhäftlings --
und was sich dadurch in Österreich durchwegs zum Schlechten verändert hat.
Ein Demoaufruf. Mittwoch, 1. MAI, 14h, Platz der Menschenrechte,
Museumsquartier Wien
*

Am 1. Mai 1999 wurde Marcus Omofuma während seiner Abschiebung von
österreichischen Polizisten getötet. Drei Beamte schnürten während des
Fluges von Wien nach Sofia seinen Brustkorb mit Klebeband an den Sitz,
verklebten ihm damit den Mund und Teile der Nase, wodurch er erstickte. Er
wurde nicht älter als 26 Jahre. FPÖ und Boulevard verteidigten das Vorgehen
der drei Beamten. "Der Schwarze" sei halt wie ein "wildes Tier" gewesen, und
er versuchte sich auch noch einem "rechtmäßigen" Abschiebebescheid zu
widersetzen. Da handelten die Beamten doch aus "Notwehr", so der
einschlägige Tenor. Doch auch Staat und Justiz gaben den Polizisten
Rückendeckung: Die am Mord beteiligten Beamten wurden 2002 wegen
"fahrlässiger Tötung" verurteilt, das Strafmaß von acht Monaten bedingt auf
drei Jahre Bewährung ermöglichte den Verurteilten eine Weiterbeschäftigung
als Polizeibeamte. Ihre Suspendierung vom Dienst wurde bereits am 5. Mai
2001, also bereits Monate vor der ersten Hauptverhandlung, wieder
aufgehoben.

Nachdem vor 20 Jahren die Nachricht des Todes von Marcus Omofuma über die
Medien verbreitet wurde, kam es in Wien sofort zu spontanen Protesten. Es
folgten zahlreiche kleinere Aktionen, Großdemonstrationen und eine
monatelange Mahnwache vor dem Innenministerium. Dass Marcus Omofuma durch
die Knebelungen und Fesselungen der ihn begleitenden Polizisten erstickte,
wurde im Wiener Stadtbild sichtbar: Auf zahlreichen Statuen und Plakaten
wurden die Münder symbolisch verklebt. Die Proteste hatten eine große
Wirkung und es gelang vorübergehend, die Abschiebepolitik in Frage zu
stellen.

Das Imperium schlägt zurück

Die Reaktion der Behörden ist bekannt: Im Zuge eines großen Lauschangriffes,
der sogenannten "Operation Spring", wurden viele Aktivist*innen aus der
politisch-organisierten afrikanischen Community in Wien überwacht. Fotos,
die sie als Beteiligte an Protesten zeigten, wurden als "Beleg" für schwarze
Drogendealer*innen genutzt: Sogar auf den Demos, so schrieben zahlreiche
Medien, soll gedealt worden sein! Es wurde der Vorwurf der "nigerianischen
Drogenmafia" konstruiert und Aktivist*innen mit diesem Vorwurf diffamiert.
Innenministerium und Polizei versuchten den Druck der Straße zu
zerschlagen -- nicht ganz ohne Erfolg. Viele Aktivist*innen wurden
eingeschüchtert, eine große Mehrheit jener Menschen aus der bürgerlichen
Zivilgesellschaft, die zuvor den Protesten gegen die rassistische
Abschiebepolitik positiv gegenüberstanden, distanzierten sich angesichts der
Repression. Viele schwarze Aktivist*innen verschwanden in Folge der
"Operation Spring" für Jahre im Gefängnis.

Kein Einzelfall

Der Tod von Marcus Omofuma in den Händen der Polizei symbolisiert die
staatliche Gewalt, für deren Umsetzung Tote in Kauf genommen werden. Egal ob
an den Rändern der Festung Europa oder im Inneren der EU: Seit Jahren werden
die Befugnisse der Polizei und des "Grenzschutzes" sogar noch weiter
ausgebaut. An der Abschiebemaschinerie wurde weitergearbeitet, damit diese
noch "reibungsloser" läuft. Sogenannte "Zwischenfälle" sollen vermieden
werden. Dennoch: Misshandlungen während rassistischer Polizeioperationen
haben System. Die Liste der Misshandlungen und Todesopfer im Gewahrsam der
Polizei ist lang - und die meisten Fälle dringen nicht einmal an die
Öffentlichkeit. Erinnert sei hier nur an Seibane Wague, der 2003 im Wiener
Stadtpark von sechs Polizisten und drei Sanitätern am Boden liegend und mit
gefesselten Händen bei dieser "Fixierung" erdrückt wurde. Oder Bakary J.,
der, nachdem er seine gewaltsame Abschiebung erfolgreich verhindern konnte,
von WEGA-Beamten in einer Lagerhalle fast zu Tode gequält wurde. Zudem
werden die rassistischen Aktionen der Polizei, wie zum Beispiel "racial
profiling" kaum noch kritisiert und die Dokumentation ebendieser durch
Gesetzesnovellen erschwert - was es dieser viel einfacher macht, ihr
repressives Vorgehen nach und nach auf weitere marginalisierte Gruppen
auszuweiten.

Die antirassistische Organisation "Asyl in Not" schrieb angesichts der
Urteilsverkündung gegen die Polizisten 2002: "Tausende Menschen verschwinden
in der Schubhaft Jahr für Jahr. Sie haben nichts verbrochen. Ihr einziges
,Delikt' ist eine Verwaltungsübertretung: der illegale Aufenthalt. Hinter
Gitter! Aber wer einen Schwarzen zu Tode quält, verlässt das Gericht als
freier Mann."

Das brutale Vorgehen der Polizei gegen jene, die von der staatlichen Ordnung
als Probleme oder Störfaktoren identifiziert werden, muss notwendigerweise
von staatlicher Seite gedeckt und auch honoriert werden. In fast keinem Fall
von Polizeigewalt gibt es nennenswerte Urteile gegen die handelnden
PolizistInnen. "Sicherheit und Ordnung" aufrechtzuerhalten, heißt im Alltag
vieler Menschen, die als Störfaktoren gelten (wie zum Beispiel MigrantInnen,
arme Menschen, Wohnungslose, DrogennutzerInnen oder Sexarbeiterinnen)
verdachtsunabhängige Kontrollen, Razzien, Schikanen, Platzverweise,
Festnahmen und manchmal auch Schlimmeres. In der Polizeiarbeit werden nicht
gesellschaftliche Probleme verhandelt, es wird nicht Kriminalität
beispielsweise als Ergebnis von steigender Armut gesehen und
dementsprechende Handlungen abgeleitet, im Bild der Polizei werden
gesellschaftliche Konflikte vielmehr nur als individuelles Problem
begriffen. Und gegen diese konkreten Individuen wird im Sinne einer
Disziplinierung und Verdrängung vorgegangen. In der Polizei wird das Soziale
also depolitisiert, und dennoch ist sie eine sehr politische Institution:
Ihr Zweck ist die Aufrechterhaltung der Rahmenbedingungen der
kapitalistischen Ordnung. Sie hat aber auch eine eigene, immanente
politische Dynamik.

Polizei und Rassismus

Der Wahlsprengel 44 in Wien Ottakring schaffte es gleich mehrmals in die
Medien: In diesem Wahlsprengel stimmten knapp 65 Prozent für den Kandidaten
der rechtsextremen FPÖ bei der Bundespräsidentschaftswahl 2015. Auch bei der
Wien-Wahl im gleichen Jahr kam es zu einem ähnlichen Ergebnis für die FPÖ.
Mit diesem hohen Prozentsatz für die FPÖ fiel der Sprengel aus seinem Umfeld
heraus. Das bemerkenswerte daran: Dieser Wahlsprengel ist eine Siedlung des
"Unterstützungsinstitut der Bundespolizei", ihre Bewohner*innen also
Polizeibeamte im aktiven wie ehemaligen Dienst, deren Familien und näheren
Verwandte. Es ist längst kein Geheimnis mehr, dass Polizeibeamte politisch
eher rechts bis weit rechts stehen. Das schlägt dann natürlich auch bei
ihren Handlungen im Dienst durch -- und wird damit zur Gefahr für all jene
Menschen, die der extremen Rechten ohnehin als Feindbild dienen. Der Grund
warum in der Polizei so viele Rechte sind, liegt beim Charakter der Behörde
selbst. Als "Arm des Gesetzes", staatliche Wehrsportgruppe und
Blaulicht-Bevollmächtigte ist die Polizei eine Institution, die autoritäre
Charaktere anzieht wie das Licht die Motten. In ihr können sie ihre
Bedürfnisse ungehemmt ausleben, bietet sie doch durch strenge Hierarchien,
Prinzipien wie Gehorsam und Unterordnung sowie durch ihren traditionellen
Corpsgeist alles, was das autoritäre Herz begehrt.

Nun steht als Polizeiminister dieser Einheiten auch noch Herbert Kickl vor,
der gerne für Nachwuchs in rechtsextremen Postillen inserieren lässt. Das
kann und wird natürlich diese Dynamik weiter befeuern. Und für viele
Menschen wird die Polizei damit zu einem ernsthaften Problem. Die
Verschärfungen im Fremdenrecht, Ausreisezentren, Sicherungshaft,
Infragestellen der Menschenrechte -- das sind nur einige Schlagworte, die
andeuten, wo die Reise hingeht. Mit der Stimmungsmache gegen Geflüchtete und
Migrant*innen, die vermehrt als Sicherheitsproblem dargestellt werden,
sollen grundlegende Rechte aufgeweicht werden. Die extreme Rechte wird aber
nicht dabei stehenbleiben. Es geht um den autoritären Umbau des gesamten
Staatsgefüges.

Ohne Angst verschieden sein können

Im Dezember 2014 organisierte die New Yorker Polizeigewerkschaft einen
Streik und reduzierte ihre Aktivitäten auf ein absolutes Minimum. Der Streik
reduzierte die Anzahl von Straßenkontrollen, Strafverfügungen und
Verhaftungen um über 90 Prozent. Es brach weder Chaos aus, noch führte der
Streik zu einer Zunahme an Straftaten. Vielmehr wurde die Abwesenheit der
Polizei im Straßenbild von vielen als Befreiung empfunden. Vor allem von
jenen, für die rassistische Polizeigewalt zur alltäglichen Erfahrung gehört.
Eine Person beschrieb es als einen "Urlaub von Angst, Überwachung und
Strafe. Vielleicht fühlt es sich so an, nicht die ganze Zeit vorverurteilt
und als verdächtige Kriminelle angesehen zu werden. Vielleicht ist das ein
wenig so, wie es sich anfühlt, weiß zu sein." Urlaub von der Angst. Uns geht
es um nichts weniger, diesen Anspruch auf Urlaub für alle und für immer
geltend zu machen. Keine Angst für niemand! Doch dafür müssen wir diese
kapitalistische Gesellschaft, die durch Ausbeutung, Herrschaft und
Ausschluss funktioniert, grundlegend ändern: also abschaffen! Es ist genug
für Alle da. Und wenn der gesellschaftliche Reichtum für die Bedürfnisse
Aller und nicht für den Profit Weniger produziert wird, dann braucht es auch
keine Polizei mehr. Und es kommt auch hoffentlich niemand mehr auf die
menschenverachtende Idee, tödliche Grenzen zwischen Menschen zu ziehen.

Am 1. Mai wollen wir auf die Straße gehen, um einerseits jenen zu gedenken,
die an den Folgen der Festung Europa Tag für Tag sterben -- im Inneren wie
im Äußeren. Andererseits wollen wir für ein gutes Leben für alle Menschen
auf die Straße gehen, für eine Gesellschaft in der man ohne Angst
verschieden sein kann. Dafür steht auch der 1. Mai als Kampftag der
Unterdrückten und Ausgebeuteten.
(bearb.)




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