**********************************************************
akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 27. März 2019; 22:42
**********************************************************

Oe/Serbien/Medien:

> Die Rosen von Beograd

Nicht nur in Beograd sind letzten Samstag Menschen gegen Staatspräsident
Aleksandar Vucic auf die Straße gegangen. Auch in Wien haben
Dijaspora-Serbinnen- und Serben ihre Unzufriedenheit mit den Zuständen in
der alten Heimat zum Ausdruck gebracht.
Es waren ungefähr 60 Menschen, die sich vor der serbischen Botschaft in Wien
versammelt hatten. Serbinnen und Serben aus allen Landesteilen, die zum Teil
seit Jahrzehnten in Wien leben.
Das Motto der Demo (wie schon auf anderen in Beograd): "1od5miliona". Also
"Einer von fünf Millionen". Unfreiwilliger Urheber dieses Motto ist der
Präsident selbst. Dieser hatte angesichts der Proteste gegen ihn gemeint:
"Und wenn fünf Millionen demonstrieren, werde ich meine Politik nicht
ändern."
Bei den Protesten geht es um Vieles, in erster Linie aber um die
Desinformation der Bevölkerung durch die großteils regierungshörigen Medien.
Denn in Serbien wurde die Message Control, die unsere Regierung gerade
versucht zu etablieren, schon längst perfektioniert.
*Christoph Baumgarten*, akin-Leserinnen für seine "Balkan-Stories" bekannt,
hielt auf der Wiener Demo auch eine Rede -- die von ihm geschilderten
Zustände der Medien in Serbien haben wir auch zu erwarten. Auch deswegen ist
diese Rede nachlesenswert:
*

Liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Freundinnen und Freunde, liebe
Genossinnen und Genossen,

Ich stehe heute vor euch als Journalist und als Bürger. Manche von euch
werden vielleicht sagen: Er ist weder serbischer Journalist noch ist er
serbischer Staatsbürger. Stimmt. Aber das bedeutet wenig. Als Journalist
habe ich ein Interesse daran, dass meine Kolleginnen und Kollegen frei
berichten können, dass sie sicher arbeiten können und dass sie sichere
Arbeitsbedingungen haben - egal, wo sie sind. Als Bürger, als Mensch habe
ich ein Interesse, dass Menschen ihre Anliegen frei vortragen dürfen, dass
ihre Freiheiten geschützt werden und dass sie im Rahmen der Möglichkeiten
auch in der Öffentlichkeit gehört werden.

Daher betrifft auch mich, wie frei die Medien in Serbien sind. Als mich Dule
gebeten hat, heute eine Rede zu halten, habe ich angefangen mich genauer mit
der Medienfreiheit in Serbien zu beschäftigen. Ich wusste zwar schon, dass
es Probleme gibt bei RTS [staatlicher Rundfunk] und dass serbische
Boulevardmedien sehr regierungsfreundlich sind. Aber ich hatte keine Ahnung,
wie schlimm es wirklich ist.

Stellen wir uns vor, in Serbien werden heuer die ersten Rosen gepflückt. Das
muss bald der Fall sein. Wer sagt, dass nicht Aleksandar Vucic bei der
Gelegenheit auftaucht und höchstselbst die erste Rose pflückt? Zumindest
wird es offiziell die erste Rose sein, während die ersten paar tausend
serbischen Rosen schon längst an Blumengeschäfte ausgeliefert worden sind.
Vucic wird da auch ganz sicher eine lange Rede halten. Das tut er immer.
Vielleicht wird er bei der Gelegenheit auch gleich einen internationalen
Investor präsentieren, der dafür sorgen soll, dass serbische Rosen auf dem
Exportmarkt landen.

Serbische Rosen als die Zukunft der serbischen Wirtschaft. Was weiß man? RTS
wird lange darüber berichten, dass Vucic die erste Rose des Jahres gepflückt
hat und aus seiner langen Rede wird der Sender sicher eine Minute bringen -
das ist extrem viel. Am nächsten Tag werden Novosti [Vecernje novosti,
serbische Tageszeitung] und Blic [Tageszeitung Ringier-Springer] auch
positiv darüber berichten. Danas [Mitte-Links-Tageszeitung mit geringer
Verbreitung] wird vielleicht die Frage stellen, was das ganze Theater soll.
Und am nächsten Tag wird der Informer die Schlagzeile haben, dass der
Redakteur von Danas zuhause einen Harem aus türkischen Ziegen hat, den ihm
George Soros bezahlt hat.

Ungefähr so sieht die Medienlandschaft in Serbien aus. Das ist noch deutlich
schlimmer als in Österreich, wo wir auch große Probleme haben. Aber
immerhin - wir haben einige wirklich unabhängige Tageszeitungen und der ORF
ist - zumindest bis jetzt auch unabhängig. Ganz im Gegensatz zu RTS. Ich
möchte jetzt Vucic gar nicht verteidigen, wenn ich sage, die Kontrolle, die
er und die [Regierungschefin] Ana Brnabic direkt auf die Medien ausüben, ist
wahrscheinlich viel kleiner, als man sich das vorstellt. Aber das Umfeld,
das ist eben so, dass diese Kontrolle maximale Wirkung hat. Da haben wir,
wie angesprochen RTS. Anders als in Österreich, wo der ORF eine unabhängige
öffentlich-rechtliche Einrichtung ist, gehört RTS dem serbischen Staat. Das
ist ein Erbe aus sozialistischer Zeit und leider hat man sich nie die Mühe
gemacht, das auf andere Beine zu stellen. Damit kann jede serbische
Regierung mehr oder weniger direkt auf den Sender zugreifen und tut es auch.
Diese Regierung und dieser Präsident machen das ungenierter als das seit der
Ära Slobodan Milosevic der Fall war. Dabei sind sie gar kein europäischer
Sonderfall. Bei der italienischen RAI passiert das auch jedes Mal, wenn eine
rechtskonservative oder rechtsnationale Regierung an die Macht kommt.

In Serbien hat man einen ziemlichen Vorteil, wenn man RTS kontrolliert.
Durchschnittlich schauen eine Serbin oder ein Serbe am Tag fünf Stunden lang
fern. Davon mehr als zwei Stunden RTS, so viel wie sonst keinen Sender. Und
dann gibt's ja noch ein paar staatliche Sender in Serbien wie das Fernsehen
der Vojvodina. Auf die wird ebenfalls Einfluss ausgeübt. Wenn man sich das
ansieht, reicht es, wenn von den mehr als 200 Sendern eine Handvoll
kontrolliert. Da muss man jeweils nur eine Handvoll Leute auswechseln und
kann schon die öffentliche Meinung erheblich steuern.

Nach wie vor gehört ja auch die Telegrafska agencija nove Jugoslavije dem
serbischen Staat. Die TANJUG, einst das stolze und renommierte Flaggschiff
des jugoslawischen Journalismus, geschätzt in der ganzen Welt für ihre
außenpolitischen Reportagen und auch nach innen für ein sozialistisches Land
bemerkenswert frei. Seit Milosevic ist die TANJUG sehr regierungsnah. In der
jetzigen Situation wahrscheinlich besonders. Die Privatisierung ist ja
gescheitert und die Agentur hängt mehr oder weniger von der Gnade der
Regierung ab. Aufmucken wird man da nicht. Und die Tanjug ist die
Hauptinformationsquelle für die meisten serbischen Medien. Wer also da
reinregieren kann, kann die Berichterstattung auch in den Medien ein wenig
beeinflussen, die einem nicht gehören.

Auch Novosti gehört zumindest zum Teil dem serbischen Staat. Das sage ich
nur, um ein vollständiges Bild zu geben. Nun ist es an sich nichts
Verwerfliches, dass auch ein Staat eine Zeitung hat, wenn sonst die
Medienlandschaft funktioniert. Die Republik Österreich ist zum Beispiel
Eigentümerin der Wiener Zeitung, der ältesten Tageszeitung der Welt. In der
Berichterstattung ist sie ziemlich unabhängig und sie ist eine im ganzen
deutschen Sprachraum anerkannte Qualitätszeitung. Auf Novosti trifft das
nicht in dem Ausmaß zu.

Wahrscheinlich gibt es da auch noch Verbindungen zu den Eigentümern anderer
Zeitungen. Wem Tageszeitungen und andere Medien gehören, ist ja leider nicht
immer bekannt.

Aber das ist wurscht. In Serbien liest eh niemand Zeitung und das ist ein
ziemlich großer Teil des Problems. Für den können Vucic und Brnabic wirklich
nichts. Aber das erleichtert natürlich die Kontrolle über den Mediensektor.
Die Verkaufsauflage der serbischen Tageszeitungen ist auf 500.000 Stück
gesunken. Das heißt, die Tageszeitungen verkaufen in Serbien alle zusammen
nur eine halbe Million Stück. Insgesamt gibt es nur mehr zehn Tageszeitungen
in Serbien - vor zehn Jahren waren es noch 21. Und das sind für diesen
winzigen Markt eigentlich schon zu viele, als dass sie überleben könnten.
Noch mehr als Medien in anderen europäischen Ländern sind sie abhängig von
Inseraten. Und wer gibt in Serbien die meisten Inserate in Auftrag? Es ist
die Öffentliche Hand: Die Regierung, Gemeinden, Unternehmen und Agenturen im
öffentlichen Eigentum. Übrigens ist auch dieser Markt sehr, sehr klein. Laut
einer Studie der Medienwissenschaftlerin Larisa Rankovic werden in ganz
Serbien nur 160 Millionen Euro für Inserate ausgegeben. Mir kommt diese Zahl
sehr niedrig vor. Aber selbst wenn diese Schätzung nicht stimmt, ist sie ein
Hinweis, dass dieser Markt winzig ist. Da keilen Medien um jeden Cent. Das
heißt auch: Sie verhalten sich gegenüber jemandem, der Inserate in Auftrag
geben kann, freundlich. Sie schreiben nicht schlecht über den, gleich mal
vorsorglich. Sowas schafft Abhängigkeiten. 75 Prozent der serbischen
Journalistinnen und Journalisten sagen etwa, dass es Selbstzensur in ihre
Medien gibt. Wenn die öffentliche Hand die meisten Inserate in Auftrag gibt,
erhält sie dadurch natürlich viel Macht. Die wird sie auch nutzen.

Das schafft dann natürlich einen Teufelskreis, der nicht nur die
Tageszeitungen betrifft. Weil so viele Medien, vom Internetportal zur
Wochenzeitung, eher freundlich über die Regierung berichten, vertrauen ihnen
die Menschen immer weniger. Sie kaufen also weniger Zeitungen und Magazine,
schauen vielleicht auch weniger auf Internetportalen nach - und das schwächt
die Medien finanziell zusätzlich. So geraten sie in noch größere
Abhängigkeit von der öffentlichen Hand. Das lädt geradezu zu Machtmissbrauch
ein. Das ist grundsätzlich eine Situation, die die serbische Regierung nicht
geschaffen hat. Sie dürfte sie aber weidlich ausnutzen - anstatt, dass sie
mit gesetzlichen Regelungen versucht, die Lage für die serbischen Medien zu
verbessern. Da gebe es sicher einige Möglichkeiten, von Steuerbefreiungen
über Medienförderungen, die unabhängig vergeben werden, über die Umwandlung
etwa von RTS und TANJUG in unabhängige öffentlich-rechtliche Einrichtungen
mit Gebührenfinanzierung.

Aber, so viel kann man sagen, es liegt nicht nur dieser serbischen Regierung
nicht so wahnsinnig viel an freien Medien, die die Bürgerinnen und Bürger
unabhängig informieren. 69 Prozent der serbischen Journalisten sagen in
einer Studie etwa, dass sie Druck von Behörden erlebt haben. Es scheint da
also auch ein wenig am Grundverständnis für Pressefreiheit zu hapern. Das
ist übrigens kein rein serbisches Problem - in unterschiedlichem Ausmaß gibt
es das auch in Bosnien und in Kroatien. Und, so nebenbei, auch in dem einen
oder anderen "westlichen" europäischen Land. Ich gebe zu, die Situation in
Bosnien habe ich nicht so genau recherchiert. Deshalb kann ich jetzt nicht
sagen, ob es in eurer Heimat schlimmer ist oder dort. Aber letztendlich ist
das auch egal. In beiden Staaten haben es Bürgerinnen und Bürger schwer, zu
neutralen Informationen zu kommen. Das ist bedenklich.

Aber: Gerade weil die Situation so schlimm ist, könnt ihr etwas beitragen,
sie zu ändern. Ihr könnt kritische Medien unterstützen. Macht Zeitunglesen
zu einem Akt des politischen Widerstands. Wenn ihr in der alten Heimat seid,
kauft kritische Tageszeitungen oder Wochenmagazine. Vielleicht kann man
sogar das eine oder andere Printmedium hier über Trafiken abonnieren oder
als e- paper. Teilt im Netz Artikel von kritischen und vor allem
vertrauenswürdigen Medien. Damit stärkt ihr deren Reichweite und das macht
sie für Werbekunden interessanter. Das sind ganz einfache Dinge, die jede
und jeder von euch tun kann. Auch das ist Solidarität mit denen, die für ein
besseres, für ein gerechteres und für ein demokratischeres Serbien
eintreten.
*

Erläuterungen in eckigen Klammern: akin

Quelle:
https://balkanstoriesblog.files.wordpress.com/2019/03/rede-1od5miliona.pdf



***************************************************
Der akin-pd ist die elektronische Teilwiedergabe der nichtkommerziellen
Wiener Wochenzeitung 'akin'. Texte im akin-pd muessen aber nicht
wortidentisch mit den in der Papierausgabe veroeffentlichten sein. Nachdruck
von Eigenbeitraegen mit Quellenangabe erbeten. Namentlich gezeichnete
Beitraege stehen in der Verantwortung der VerfasserInnen. Ein Nachdruck von
Texten mit anderem Copyright als dem unseren sagt nichts ueber eine
anderweitige Verfuegungsberechtigung aus. Der akin-pd wird nur als
Abonnement verschickt. Wer versehentlich in den Verteiler geraten ist, kann
den akin-pd per formlosen Mail an akin.redaktion@gmx.at abbestellen.


*************************************************
'akin - aktuelle informationen'
postadresse a-1170 wien, lobenhauerngasse 35/2
redaktionsadresse: dreyhausenstraße 3, kellerlokal, 1140
vox: 0665 65 20 70 92
http://akin.mediaweb.at
blog: https://akinmagazin.wordpress.com/
facebook: https://www.facebook.com/akin.magazin
mail: akin.redaktion@gmx.at
bankverbindung lautend auf: föj/BfS,
bank austria, zweck: akin
IBAN AT041200022310297600
BIC: BKAUATWW