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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 27. März 2019; 22:38
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Mindestsicherung/Analyse:
> Wenn das allerletzte Netz zerissen wird
Die Regierungsvorlage zum Sozialhilfe-Grundsatzgesetz sichert nicht
Mindeststandards, die nicht unterschritten werden dürfen, sondern schafft
nicht überschreitbare Höchstgrenzen. Über die Pläne der Regierung wurde in
großen Medien breit berichtet. Doch wie so oft steckt der Teufel im Detail.
*Lukas Wurz* hat für reflektive.at die kleinen Bösartigkeiten recherchiert,
die sich für die Betroffenen subsummieren.
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Wie funktioniert die Mindestsicherung derzeit? Anspruch auf Mindestsicherung
hat ein Mensch, eine Familie oder eine Lebensgemeinschaft, wenn die Existenz
anders nicht ausreichend gesichert ist. In diesen Fällen wird das vorhandene
Einkommen so weit aufgestockt, dass bestimmte "Richtsätze" erreicht werden.
Theorie und Praxis: Wieviel Mindestsicherung bekommen Menschen?
Eine vierköpfige Familie mit zwei minderjährigen Kindern kommt in Wien auf
einen theoretischen Anspruch von 1.806 Euro im Monat (zwölf Mal im Jahr).
Hat diese Familie etwa ein monatliches Einkommen von z.B. 1.000 Euro (aus
Erwerbstätigkeit oder Arbeitslosengeld), so erhält sie nur die Differenz,
also 806 Euro. 70% aller Haushalte, die Mindestsicherung beziehen, erhalten
nicht den vollen Betrag. Die durchschnittliche Höhe der tatsächlich
erhaltenen Mindestsicherung lag 2017 bei 606 Euro pro Monat und Haushalt.
Die höchsten Bezüge gibt es in Tirol und Vorarlberg, die niedrigsten im
Burgenland und in Kärnten. Wien liegt ziemlich genau im Durchschnitt.
BezieherInnen der Mindestsicherung erhalten übrigens im Schnitt achteinhalb
Monate lang Mindestsicherung.
Wie hoch ist die Mindestsicherung im Vergleich zu anderen
Haushaltseinkommen?
Debatten über die Höhe der Mindestsicherung werden regelmäßig im Vergleich
zu Arbeitseinkommen geführt. Diese Vergleiche verzerren die Darstellung,
weil Löhne vierzehn Mal im Jahr ausbezahlt werden, die Mindestsicherung
hingegen fast immer nur zwölf Mal. Außerdem blendet diese Darstellung
zahlreiche steuerliche Aspekte und Sozialleistungen aus, auf die
MindestsicherungsbezieherInnen keinen Anspruch haben und die
LohnbezieherInnen bei Betrachtung der eigenen Nettoeinkommen nicht
auffallen. Sie werden oft nur einmal jährlich oder nicht in Verbindung mit
Löhnen ausbezahlt werden (zum Beispiel die Negativsteuer, Wohnbeihilfen,
Kinderbetreuungsgeld etc.).
Ein wenig mehr Klarheit bringt der Vergleich der Mindestsicherungsbeträge
mit jenem Betrag, der vergleichbaren Haushalten zur Verfügung steht oder mit
der Armutsgefährdungsschwelle, welche die Statistik Austria jährlich erhebt.
Bei diesem Vergleich zeigt sich, dass die Haushaltseinkommen einer
vierköpfigen Familie mit Mindestsicherung inklusive Familienbeihilfe und
Kinderabsetzbetrag in etwa jenem der "untersten" zehn Prozent der
Bevölkerung in Österreich entspricht. Der von diesen Gruppen erreichte Wert
liegt um etwa 16% unter der Armutsgefährdungsschwelle. Mit diesem
Haushaltseinkommen ist man also gefährdet, in manifeste Armut zu geraten.
Wer bezieht Mindestsicherung?
Im Jahr 2017 bezogen knapp 308.000 Menschen irgendwann einmal
Mindestsicherung. Die Zahl verzerrt jedoch die Realität ein wenig, weil
diese Personen im Durchschnitt eben nur 8,5 Monate lang Mindestsicherung
erhielten. Im Jahresdurchschnitt bezogen 2017 etwa 240.000 Menschen pro
Monat in ganz Österreich Mindestsicherung. 43 Prozent dieser Menschen waren
entweder Kinder, SchülerInnen oder im Pensionsalter und daher nicht
"arbeitsfähig".
Weitere vier Prozent hatten Betreuungs- und Pflegeverpflichtungen. Acht
Prozent der BezieherInnen hatten eine Behinderung oder eine schwere
Erkrankung. 33% waren arbeitsfähig, aber arbeitslos. Weitere acht Prozent
waren in Beschäftigung, erzielten aber ein derart niedriges Einkommen, dass
sie zusätzlich auf Mindestsicherung angewiesen waren. Knapp Sechzig Prozent
der BezieherInnen können nicht arbeiten (weil sie z.B. krank sind, eine
Behinderung haben oder im Pensionsalter sind) oder sollen nicht arbeiten
(z.B. Kinder, die in die Schule gehen).
Ziemlich genau die Hälfte der BezieherInnen waren österreichische
StaatsbürgerInnen, etwa 30% waren anerkannte Flüchtlinge oder subsidiär
Schutzberechtigte.
Wer verliert mit dem neuen Gesetz?
Die Regierungsvorlage zum Sozialhilfe-Grundsatzgesetz schafft - anders als
bisher - nicht Mindeststandards, die nicht unterschritten werden dürfen,
sondern nicht überschreitbare Höchstgrenzen. Hinzukommen haushaltsbezogene
Obergrenzen sowie ein faktisches Verbot, Menschen in der Sozialhilfe
zusätzliche Sozialleistungen oder Sonderzahlungen zukommen zu lassen.
Kinder in Mehrkindfamilien
Die Richtsätze für Kinder unter 18 Jahren in der zukünftigen Sozialhilfe
sind ab dem zweiten Kind deutlich niedriger, als in allen derzeitigen
Mindestsicherungsgesetzen. Da 33% der BewohnerInnen von Haushalten mit
Mindestsicherungsbezügen unter 18 Jahren sind, hat das für den einzelnen
Haushalt erhebliche Auswirkungen.
Konnten Paare bisher jeweils 75% des Richtsatzes für eine Person erhalten,
sollen es zukünftig höchstens 70% sein dürfen. Ein Paarhaushalt verliert
daher in der zukünftigen Sozialhilfe 88,55 Euro pro Monat.
PensionistInnen
Dauerhaft arbeitsunfähige Menschen (also Menschen, die "invalid" im Sinne
des ASVG sind, aber keine Invaliditätspension bekommen) in Wien sowie
Menschen im Pensionsalter (aber ohne Pension) in Kärnten und Tirol verlieren
zukünftig Sonderzahlungen, die sie auf die Höhe des
Ausgleichszulagenrichtsatzes heben. Das sind 1.770 Euro im Jahr.
Alleinlebende Erwachsene
In Oberösterreich gibt es derzeit einen höheren Richtsatz für alleinlebende
Erwachsene von 921,30 Euro pro Monat. Auch dieser wird zukünftig höchstens
885,47 im Monat betragen dürfen. Alleinlebende Erwachsene in Oberösterreich
werden also knapp 418 Euro pro Jahr verlieren. In Wien erhalten
alleinlebende Erwachsene eine Wohnbeihilfe von knapp 110 Euro im Monat, die
in Zukunft entfallen wird.
Menschen mit geringen Deutschkenntnissen
Wer nicht Deutschkenntnisse von zumindest B1 nach dem europäischen
Sprachreferenzrahmen nachweisen kann ("Kann die Hauptpunkte verstehen, wenn
es um vertraute Dinge aus Arbeit, Schule, Freizeit usw. geht. Kann sich über
vertraute Themen und persönliche Interessengebiete äußern, über Erfahrungen
und Ereignisse berichten, Träume, Hoffnungen und Ziele beschreiben"),
verliert 35% der Mindestsicherung. Diese Menschen sollen ihr Leben mit 575
Euro fristen müssen. Zynisch formuliert: Wer nicht auf Deutsch über Träume,
Hoffnungen und Ziele berichten kann, soll auch keine haben dürfen. Zur
Einordnung dieses Betrags: Ein alleinlebender Erwachsener im untersten
Einkommenszehntel hat im Jahr 2014 in Österreich allein für Wohnen, Energie,
Lebensmittel, Körperpflege und Kleidung 703,56 Euro im Monat ausgeben müssen
(Konsumerhebung 2014/15). Da waren weder Handygebühren noch Aufwendungen für
Computer, das Internet, Zeitungen oder Fahrscheine inkludiert. Und schon gar
keine Freizeitaktivitäten.
Mit 575 Euro pro Monat in Österreich zu leben ist also offenkundig nicht
möglich. Selbst bei vollständig abgedeckten Wohnkosten gaben Menschen im
untersten Einkommenszehntel vor fünf Jahren monatlich für Ernährung,
Kleidung und Körperpflege pro Monat 283 Euro aus. Dem entsprechend zynisch
ist die Behauptung von Sozialministerin Hartinger-Klein, ein Mensch könnte
von 150 Euro im Monat leben, wenn die Miete abgedeckt wäre.
Kombinierte Mehrfach-Kürzungen
Die tiefgreifende Wirkung der Regierungsvorlage kann nur an konkreten
Beispielen vollständig sichtbar gemacht werden. Um dies darzustellen, nehmen
wir eine vierköpfige Familie aus zwei Eltern und zwei Kindern von zwei und
zehn Jahren an. Diese Familie zahlt eine durchschnittliche Miete von 500
Euro im Monat. Dazu kommen 63 Euro an Energie und 50 Euro an Heizkosten.
Bei dieser Betrachtung fällt auf, dass nicht einzelne Gruppen mit Kürzungen
konfrontiert sind, sondern die einzelnen Kürzungen auf sehr radikale Weise
zusammenwirken. Außerdem wird nicht nur gekürzt, sondern auch eine
haushaltsbezogene Obergrenze über die Kürzungen drübergestülpt. Den
Bundesländern wird untersagt, den Betroffenen zusätzliche Leistungen zu
gewähren, wenn diese "gänzlich oder teilweise, direkt oder indirekt der
Unterstützung des allgemeinen Lebensunterhalts oder der Wohnversorgung
dienen". Da letztlich jede Sozialleistung direkt oder indirekt der
Unterstützung des allgemeinen Lebensunterhalts dient (genau dafür ist sie
da), dürfen SozialhilfebezieherInnen zukünftig genaugenommen gar keine
anderen Sozialleistungen mehr in Anspruch nehmen (was ganz sicher
verfassungswidrig ist). Somit werden BezieherInnen von Mindestsicherung oder
Sozialhilfe in Vergleich zu anderen wenig verdienenden Menschen
diskriminiert.
Das Wohnkosten-Dilemma
Besonders dramatisch wirkt sich das bei den Wohnkosten aus. Der derzeit in
allen Bundesländer festgelegte Richtsatz von 885,47 Euro für einen
alleinlebenden Erwachsenen besteht aus zwei Teilen: Aus einem Betrag für
allgemeine Lebensführung von 664,10 Euro (oder 75% des Richtsatzes) und
einem für Wohnen (221,37 Euro oder 25% des Richtsatzes). Da es nirgendwo in
Österreich eine Wohnung um 221 Euro gibt, werden in fast allen Bundesländern
zusätzliche Wohnbeihilfen ausbezahlt.
Die Praxis der Bundesländer unterscheidet sich jedoch: Vorarlberg und Tirol
etwa sehen nur 75% des Richtsatzes als Mindestsicherung vor, übernehmen aber
dafür fast die gesamte Miete. Salzburg zahlt 100% des Richtsatzes aus und
ergänzt die Wohnkosten, die über 25% des Richtsatzes liegen. Wien wiederum
kennt eine Wohnbeihilfe nur für alleinlebende Erwachsene, zahlt aber
Familien deutlich höhere Richtsätze für Kinder aus. Da es aber in allen
Bundesländern auch Obergrenzen für Wohnbeihilfen gibt, tritt fast immer der
Fall ein, dass ein Teil des Betrags für die allgemeine Lebensführung in der
Praxis für Miete, Energie und Heizung aufgewandt werden muss.
Wenn nun in Zukunft den Bundesländern verboten ist, Wohnbeihilfen
auszubezahlen, so verlieren die Betroffenen zwischen 200 und 400 Euro pro
Monat.
Zusatzstrafen hat sich die Bundesregierung für Familien mit Kindern über 18
Jahren ausgedacht. Ein "Leistungsdeckel" beschränkt die Gesamthöhe der
Sozialhilfe für alle Erwachsenen in einem Haushalt mit 175% des Richtsatzes.
Dieser Wert wird automatisch überschritten, wenn ein Kind im Haushalt
achtzehn Jahre alt wird: 70% für jedes Elternteil und 45% für einen jungen
Erwachsenen sind bereits 185% und somit über dem Deckel. Ausbezahlt werden
nur 175%. Der Haushalt verliert gegenüber der derzeitigen Mindestsicherung
zumindest 220 Euro pro Monat.
Der Effekt dieses "Deckels" verstärkt sich massiv mit der steigenden Anzahl
erwachsener Menschen im Haushalt (wenn etwa auch eine Großmutter im Haushalt
lebt oder zwei Kinder achtzehn sind). Von diesem deutlich gesenkten Betrag
muss noch die gesamte Miete samt Strom und Heizung bezahlt werden, da
Wohnbeihilfen oder andere Zusatzleistungen ja verboten sind.
Der Zwang zur "freiwilligen" Besachwalterung
Zu den Mindestsicherungsbezüge sind noch die Familienleistungen
hinzuzufügen. Andererseits sind pro Monat 500 Euro für Miete sowie 63 Euro
für Strom und 50 Euro für Heizung abzuziehen, ehe jenes Geld dargestellt
werden kann, von dem die vierköpfige Familie Lebensmittel, Kleidung,
Pflegeprodukte, Fahrscheine und Telefonrechnungen etc. zu bezahlen hat.
Unserer vierköpfigen Familie verbleiben dafür 1.375 Euro pro Monat.
Falls das als hoch erscheinen sollte: Einer vierköpfigen Familie des
untersten Einkommenszehntels standen im Jahr 2014 um knapp 40% mehr zur
Verfügung. Es bedarf schon einer erheblichen Romantisierung des Elends, um
diesen Betrag als ausreichend darzustellen.
Weil mit diesem Geld nirgendwo in Österreich ein menschenwürdiges Leben
geführt werden kann, hat sich die Bundesregierung eine besondere Bosheit
ausgedacht: Wem die Wohnkosten (Miete, Strom, Heizung) zu hoch sind, darf
sich quasi entmündigen und besachwaltern lassen. Das Land gewährt gegen eine
Leistungsreduktion von 40% Miete, Strom und Heizung als "Sachleistung".
Da es in der zukünftigen Sozialhilfe keine Mietbeihilfe mehr geben darf,
werden Menschen regelrecht gezwungen, auch den letzten Rest ihrer Autonomie
aufzugeben und das Sachleistungsmodell zu akzeptieren (das übrigens für die
Behörde wesentlich aufwändiger und teurer ist, als die Auszahlung des
Geldbetrags). Nur so by the way: Die "Besachwalterung" für Menschen mit
körperlicher psychischer Einschränkung der Handlungsfähigkeit wurde mit dem
Erwachsenenschutzgesetz mit Juli 2018 abgeschafft. Für
SozialhilfebezieherInnen wird sie faktisch wieder eingeführt.
Auch AlleinerzieherInnenhaushalte verlieren
In dieser Gesamtsicht der geplanten Maßnahmen erscheint die Behauptung der
Bundesregierung, AlleinerzieherInnen würden zukünftig in der Sozialhilfe
bessergestellt, als Propaganda. Da es keine Miet- oder Wohnkostenzuschüsse
mehr gibt, decken die angekündigten "AlleinerzieherInnenboni" die Verluste
aus den anderen Maßnahmen nicht ab. Die zukünftig nicht mehr ausbezahlte
Wohnbeihilfe für Alleinerziehende ist in allen drei dargestellten
Bundesländern höher, als der sogenannte "AlleinerzieherInnenbonus". Da die
Richtsätze für Kinder und die Höhe des Bonus nach dem
Sozialhilfe-Grundsatzgesetz mit der zunehmenden Zahl der Kinder sinkt,
steigen auch AlleinerzieherInnen mit mehr als einem Kind mit Verlusten aus.
Wenn die Regierung also behauptet, sie würde AlleinerzieherInnen
besserstellen, so sagt sie für die Mehrheit der Bundesländer glatt die
Unwahrheit.
Der Entwurf des Sozialhilfe-Grundsatzgesetzes wirft 100.000ende Menschen in
Österreich, allen voran Kinder und Menschen, die erst Deutsch lernen, noch
tiefer ins Elend. Die behauptete "Gerechtigkeit" ist nichts anders als
potenzierte Bösartigkeit. Das Gesetz verstößt darüber hinaus sehr
wahrscheinlich gegen die Bundesverfassung, das Europäische Recht und mit
Sicherheit gegen die jedes Gebot verantwortungsbewusster Politik. aber das
ist eine andere Geschichte.
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Quelle mit hier nicht gut reproduzierbaen Graphiken:
http://www.reflektive.at/mindestsicherung-wenn-das-allerletzte-soziale-netz-mutwillig-zerissen-wird/
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