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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 20. März 2019; 18:38
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Ö/Recht/Glosse:

> Gleichheitssatz als Waffe

Viele der Ankündigungen der Bundesregierung haben eine verdächtige
Gemeinsamkeit


Die niedergeschriebene österreichische Bundesverfassung ist ein Krampf. Die
Rechtslehrer Klecatsky und Morscher schrieben in den 80ern in einem
Kommentar dazu, die Verfassung trage "ruinenhafte Züge". Kein Wunder, denn
zum Beispiel das Inkorporationsgebot, also daß das, was Verfassungsrecht
ist, auch wirklich im Bundesverfassungsgesetz stehen soll, ist etwas, was
sowieso nur eher als dezente Andeutung einer Empfehlung verstanden wird.
Auch sind viele Verfassungsbestimmungen historischer Natur und
dementsprechend veraltet. Immerhin hat sich doch einiges seit obzitiertem
Kommentar gebessert. Der ewige Verfassungsnotnagel über die Befugnisse der
Polizei von 1929 wurde durch ein Sicherheitspolizeigesetz ersetzt und auch
das Verfassungsgesetz über die persönliche Freiheit von 1988 (das im Zuge
der Debatte um die "Sicherungshaft" nun immer wieder erwähnt worden ist) ist
heute doch mehr als nur eine Wiederverlautbarung des bis dahin geltenden
Gesetzes von 1862 (in dem immer noch zu lesen war, was seine Majestät für
richtig befunden hätte zu verfügen). Vieles ist aber immer noch Schrott --
man erinnere sich nur an die Debatte im letzten
Bundespräsidentschaftswahlkampf, was denn der österreichische Staatschef
wirklich dürfe und was nicht. Denn nach wie vor steht das nicht ohne
Interpretationsspielraum im B-VG.

So ist es auch mit dem Gleichheitsgrundsatz -- daß Gleiches gleich zu
behandeln ist, findet man in dieser Klarheit in österreichischen
Verfassungsgesetzen nämlich nirgends. Zwar gibt es ein paar Stellen, wo das
auf der personalen Ebene definiert ist, aber selbst da ist nur von der
Gleichbehandlung von Staatsbürgern die Rede. Wenn man diese Passagen im B-VG
und Staatsgrundgesetz liest, könnte man glatt vermuten, daß es völlig
rechtens ist, Menschen ohne österreichischen Paß -- auch jenseits der
explizit staatsbürgerlichen Rechte wie dem Wahlrecht -- zu diskriminieren.
Tatsächlich mußte schon hie und da der Verfassungsgerichtshof ausrücken, um
klarzumachen, daß der Gleichheitssatz als Grundprinzip der Verfassung und
des Rechtsstaats zu gelten hat. Daß zum Beispiel in sozial- und
arbeitsrechtlichen Fragen Asylberechtigte, also Menschen denen in Österreich
ein Konventionspaß ausgestellt worden ist, mit Österreichern gleichzustellen
sind, ist etwas, was Bundes- und Landesgesetzgeber nur durch leichte Schläge
auf den Hinterkopf begreifen wollen. Tatsächlich handelt es sich aber meist
eher um Richterrecht, also die Interpretation von
Rechtsstaatlichkeitsprinzipien durch die Höchstgerichte -- das gesetzte
Verfassungsrecht ist in vielen Dingen halt immer noch weniger eine Ruine
sondern eher ein Rohbau, an dem seit Habsburgerzeiten gebastelt wird.

Vielleicht ist genau diese Schludrigkeit des Verfassungsrechts der Grund,
daß das, was derzeit von der Regierungsbank so auf uns niederprasselt, nicht
gleich von Verfassungsrechtlern, Medien und Zivilgesellschaft mit einem
einfachen: "Tram weiter, Deppater" quitiert wird. Der Innenminister will
Asylwerber auf Verdacht einsperren können, seine Staatssekretärin Menschen
mit muslimischem Glauben zu Mauthausenbesuchen verpflichten und die
Arbeitsministerin Asylberechtigte zu Zwangsarbeit verdonnern. Natürlich geht
sich das alles vor dem VfGH genau nicht aus -- beim Publikum aber, den
Wahlberechtigten, die dieser Regierung ja eine Mehrheit im Parlament
verschafft haben, geht sich das aber eben sehr gut aus.

Gerade im Gleichheitssatz steckt aber auch eine Gefahr. Am Auffälligsten war
das, als der unsägliche Herr Doskozil Verdachtshaft für alle forderte --
auch wenn aus anderen Gründen menschenrechtswidrig, so wäre dies doch eine
Möglichkeit, das Gesetz zumindest dem Gleichheitsgrundsatz anzupassen. So
auch der jetzige Regierungsbeschluß zur Mindestsicherung: Verkauft wird das
als Maßnahme gegen "Sozialtouristen", betreffen muß es aber aus
verfassungsrechtlichen Gründen alle Mindestsicherungsbezieher. Und die
Zwangsarbeitsphantasien von Hartinger-Klein sind nicht nur wunderbar
geeignet, den Druck auf den Arbeitsmarkt zu erhöhen, sondern bedeuten
letztendlich für alle -- weil ja eben alle gleich zu behandeln sind -- das
Vorhaben einer weiteren Verschärfung der Zumutbarkeitsbestimmungen am AMS.

Ich glaube ja nicht, daß da ein Masterplan dahintersteckt -- zu einer
solchen Perfidie sind die handelnden Personen in dieser Regierung geistig
wohl nicht in der Lage --, aber was sich ergibt aus dieser Ankündigungs- und
Beschlußpraxis ist Folgendes: Die Regierung verkauft die massive
Einschränkung der Sozial- und Freiheitsrechte als Maßnahme gegen ungeliebte
Ausländer und erhält einen Staat, wo dieser Grund- und Sozialrechtsabbau
völlig ohne Diskriminierung für Alle gilt. Man könnte sagen, die
Parlamentsmehrheit wollte das eigentlich gar nicht so, nimmt es aber
wissentlich und wohlwollend in Kauf.

Wäre in Österreich aber der Gleichheitssatz im Bewußtsein der Bevölkerung
derart verankert, daß alle Wahlberechtigten wüßten, daß es auch um ihre
Rechte geht, dann käme es wohl weder zu diesen Ankündigungen der Regierung
noch zu den diesbezüglichen Krone-Schlagzeilen. Und damit auch nicht zu den
entsprechenden Gesetzen. Denn man kann zwar nicht erwarten, daß die Mehrheit
der österreichischen Staatsbürger solidarisch mit Menschen ohne hiesigen Paß
ist -- das "Teile und Herrsche" funktioniert ja sehr gut. Aber wenn diese
Mehrheit wüßte, daß sie selbst von den meisten autoritären Maßnahmen
betroffen sein wird, die angeblich nur für Menschen ohne Wahlrecht gelten
sollen, müßte sich der Bundeskanzler wohl einen neuen Job suchen gehen. So
aber...
*Bernhard Redl*


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