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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 20. März 2019; 18:35
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Ö/Glosse:

> Sobotka sorgenvoll

Zur Präsentation einer Antisemitismus-Studie durch den
Nationalratspräsidenten Wolfgang Sobotka und die
Staatssekretärin Karoline Edtstadler
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Die kontinuierliche sozialwissenschaftliche Beobachtung der Entwicklung des
Antisemitismus in unserem Land ist in Zeiten einer weltweiten Hochkonjunktur
xenophober und autoritärer Einstellungsmuster von größter Bedeutung. Und
selbstverständlich muss diese Beobachtung angesichts des explosiven
Konflikts zwischen Israel und einem erheblichen Teil der Staaten mit
muslimischer Bevölkerungsmehrheit ganz besonderes Augenmerk auf die
Ermittlung von Stärke und Art des Antisemitismus bei den muslimischen
Zuwanderern legen. Werden diesbezügliche Beobachtungsergebnisse allerdings
durch 'Antifaschisten' vom Schlage eines Wolfgang Sobotka und einer Karoline
Edtstadler präsentiert(1), dann klingeln bei mir einige Alarmglocken.

Möchte man sich womöglich bei der befreundeten rechtspopulistischen
Regierung Israels einschleimen, damit sie endlich ihre Sperre von Kontakten
zum blauen Koalitionspartner aufgibt? Oder geht es etwa um eine neue
Schmutzkübelkampagne gegen die muslimischen Zuwanderer als Begleitmusik zum
derzeit noch im Stadium der Vorbereitung befindlichen Verfassungsputsch
(Stichwort: Sicherungshaft für gefährliche Asylwerber)? Der letztgenannte
Verdacht wird durch den Umstand bestärkt, dass Sobotka bei seiner
Vorstellung der aktuellen Antisemitismus-Studie des IFES mit besonders
sorgenvollem Gesichtsausdruck auf eine erhöhte Antisemitismusanfälligkeit
von türkisch bzw. arabisch sprechenden Menschen hinwies, was im
Online-Auftritt der Kronen-Zeitung sofort zu einer entsprechend sorgenvollen
Schlagzeile führte ("Judenhass vor allem unter Zuwanderern ausgeprägt").

Zur Überprüfung des eben skizzierten Ausgangsverdachts begab ich mich auf
die eigens für die Präsentation der Studie eingerichtete Webseite (2), um
mich über die Methodik der Untersuchung zu informieren. Wie dem dort
abrufbaren Studienbericht zu entnehmen ist, ermittelte man den
Antisemitismus anhand des Grads der Zustimmung zu einer größeren Anzahl von
vorgegebenen antisemitischen Stereotypen, welche sich auf sieben Dimensionen
bzw. Spielarten des Antisemitismus beziehen. Es handelt sich dabei um

. den traditionellen Antisemitismus, bei dem es vor allem um das Bild von
den Juden als übermächtiger Instanz geht,

. den sekundären Antisemitismus, der den Juden ein Ausnützen der Opferrolle
unterstellt,

. den Vorwurf der Assimilationsverweigerung

. den im engeren Sinne rassistischen Antisemitismus

. die Holocaust-Leugnung

. den religiös bestimmten Antijudaismus

. und den israelbezogenen Antisemitismus.

Vor dem Hintergrund meines eingangs geschilderten Argwohns wollte ich vor
allem wissen, wie die Autoren der Studie mit der vermutlich gerade bei
muslimischen Menschen höchst relevanten Dimension des israelbezogenen
Antisemitismus umgehen. Betrachtet man jede Kritik an der Politik des
Staates Israel als Ausdruck von zugrunde liegendem Antisemitismus? Oder hält
man es für möglich, dass derartige Kritik auch Resultat einer
nicht-antisemitischen Einstellung zu Israel sein kann?

Laut Studienbericht sind dem fraglichen Thema die folgenden drei von den
Befragten zu bewertenden Stellungnahmen gewidmet:

. "Wenn es den Staat Israel nicht mehr gibt, dann herrscht Frieden im Nahen
Osten."

. "Die Israelis behandeln die Palästinenser im Grunde genommen auch nicht
anders als die Deutschen im Zweiten Weltkrieg die Juden."

. "Bei der Politik, die Israel macht, kann ich gut verstehen, dass man etwas
gegen Juden hat".

Jeder dieser drei Sätze spricht ein reales Problem an, bemüht sich aber
nicht um eine ausgewogene Auseinandersetzung mit ihm und ist deshalb
zweifellos Ausdruck eines antisemitischen Einstellungsmusters. Die genannten
Stellungnahmen sind daher als solche prinzipiell geeignet zur Ermittlung
eines etwa vorhandenen israelbezogenen Antisemitismus. Was hier aber völlig
fehlt, ist die Vorgabe von israelbezogenen Sätzen, in denen sich eine
nicht-antisemitische Israelkritik äußern kann. Dadurch wurden vermutlich
viele Befragungsteilnehmer, denen solche Kritik unter den Nägeln brennt,
dazu verleitet, gleichsam 'mit Bauchweh' einem oder mehreren der eben
zitierten antisemitischen Statements zuzustimmen.

Ich komme daher zu folgendem Urteil über das der vorliegenden Studie
zugrunde liegende Konzept eines "isrealbezogenen Antisemitismus": Dieses
Konzept klammert durch die Art seiner Operationalisierung von vornherein
aus, dass es so etwas wie eine nicht-antisemitische Israelkritik gibt. Ließe
man nämlich offen, ob ein derartiges Einstellungsmuster existiert, müsste
man den Befragten Sätze präsentieren, die es messen können. Es gäbe dann
wohl eine Reihe von Interviewpartnern, die nur diesen Sätzen zustimmen, die
drei oben zitierten antisemitischen Stellungnahmen jedoch ablehnen. Die
Tatsache, dass solche nicht-antisemitische Items fehlen, führt mich zu dem
Schluss, dass für die Autoren der Studie prinzipiell jede Kritik an der
aktuellen Politik des israelischen Staates als Ausdruck von israelbezogenem
Antisemitismus gilt.

Infolge dieses Fehlers beim Konzept des "israelbezogenen Antisemitismus"
überschätzt der Studienbericht das Gewicht antisemitischer
Einstellungsmuster bei muslimischen Menschen. Das beeinträchtigt seine
Glaubwürdigkeit in einem entscheidenden Punkt. Denn eines seiner
Hauptergebnisse besteht ja in der an sich sehr wichtigen Aussage, dass die
genannte Bevölkerungsgruppe eine verstärkte Tendenz zum Antisemitismus
zeigt. Fehler bringen aber nicht nur Nachteile mit sich. Der vorliegende
etwa ist gut für die Schlagzeilenformulierer der Kronen-Zeitung, gut auch
für Wolfgang Sobotkas Bemühungen, bei der Präsentation einen möglichst
sorgenvollen Gesichtsausdruck hinzukriegen. Und nicht zuletzt auch gut für
Benjamin Netanjahu, den nach dem Erscheinen solcher Studien niemand fragt,
was seine Politik zum negativen Israel-Bild vieler Muslime beiträgt. Aber im
Moment hat Bibi wahrscheinlich ganz andere Sorgen ...

*Karl Czasny*


(1) Offiziell wurde die Studie durch Sobotka vorgestellt. Edtstadler
versandte aber schon zwei Wochen vor dem Präsentationstermin eine
Vorinformation, in der sie schwerpunktmäßig auf die weite Verbreitung des
"Antisemitismus bei Menschen, die zu Hause Türkisch oder Arabisch sprechen",
hinwies. Vgl.
https://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20190301_OTS0154/edtstadler-antisemitismus-hat-keinen-platz-in-unserer-gesellschaft
(2) https://www.antisemitismus2018.at/



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