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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 27. Februar 2019; 20:11
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Polen/Linke:

> Die rot-weisse Stadt

Anlässlich des 100. Jahrestages der Unabhängigkeit Polens folgten Ende
letzten Jahres 200.000 Nationalistinnen und Faschistinnen dem Aufruf zu
einem «gemeinsamen Marsch» durch Warschau. Ein Beitrag des "Europäischen
BürgerInnenforums" zur Situation in Polen und der dortigen linken
außerparlamentarischen Opposition.
*

Schon am frühen Morgen des 11. November 2018 versinkt Warschau in einem
Fahnenmeer. Von überall her strömen die Menschen auf die
Aleje-Jerozolimskie-Strasse im Stadtzentrum. Sie folgen dem Aufruf der
national-konservativen Regierung(1) und rechtsradikalen Gruppen(2). Wegen
Sicherheitsbedenken hatte Hanna Beata Gronkiewicz-Waltz, Oberbürgermeisterin
Warschaus, einige Tage vorher bekannt gegeben, den «Unabhängigkeitsmarsch»
der NationalistInnen dieses Jahr zu verbieten. Noch bevor das Gericht
darüber entscheiden konnte, kündigte Präsident Duda jedoch einen eigenen
«rot-weissen Marsch» an. Dieser sollte zur selben Zeit wie der Verbotene
stattfinden. Da das Gericht letztendlich entschied, dass der Marsch der
Rechtsextremen unter die Versammlungsfreiheit falle und somit das Verbot
aufgehoben wurde, verhandelte die Regierung mit den rechtsextremen Gruppen.
Es sollte nun ein «gemeinsamer Marsch» stattfinden. Ohne faschistische
Symbole und «nur» unter der rot-weissen Nationalflagge. Das Bild für die
Presse sollte nicht durch Transparente wie «Europa wird weiss oder
entvölkert sein», welche auf der Kundgebung 2017 zu lesen waren, gestört
werden. Der Regierungsblock marschierte also voran und nach hundert Metern
Abstand, getrennt durch Militär, folgte die Masse. Noch am frühen Abend
standen Teilnehmerinnen auf dem nebeligen Auftaktplatz, viele alkoholisiert
und mit brennenden Bengalos posierend, da durch die hohe Teilnehmerinnenzahl
manche gar nicht loslaufen konnten. Feuerwerkskörper knallten und die
Stimmung glich jener eines Blocks rechter Hooligans -- doch das lag nicht
nur an den rot-weissen Fussballschals, die viele der vor allem jungen Männer
trugen.

Enthüllung des Lech-Kaczynski-Denkmals

Schon am Vortag wurde die Stadt auf den kommenden Marsch vorbereitet.
Absperrgitter wurden aufgestellt. Auf dem Platz der «Stare Miasto», dem
neuaufgebauten historischen Stadtkern, konnte eine kostenlose
Panzerausstellung besichtigt werden. Kinder konnten Gewehre halten und
TouristInnen sowie Einheimische konnten vor einem der zehn Panzer
Erinnerungsfotos mit Soldaten schiessen. Um das Spektakel abzurunden, wurde
zu später Stunde ein Denkmal für den ehemaligen Präsidenten Lech Kaczynski,
der 2010 in Smolensk bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen war,
eingeweiht. Tausende Menschen strömten zum Pilsudski-Platz, auf dem ein
Prozessionszug das Schauspiel abschloss. «Der Kult um Lech Kaczynski ist
enorm», erzählten uns unsere Freundinnen. «Sein Bruder ist der
Parteivorsitzende. Duda ist zwar Präsident, aber viele nennen ihn nur den
'Stift'. Er führt Befehle aus. In Wirklichkeit sitzt Kaczynski an der
Macht.» Wieder zurück von der parallel laufenden Gegendemo und etwas
erschlagen von der Beobachtung des Marsches, dieser düsteren Realität, haben
wir Janosh und Tadek interviewt, zwei Mitglieder der «Antifaschistischen
Koalition», welche die Gegendemo mitorganisierte. Zwischen Bitternis und
Hoffnung liefern sie uns hier ihre Analysen und Entschlüsse.


Die antifaschistische Koalition

Janosh: Die antifaschistische Koalition gibt es etwa seit 2010.

Tadek: Es handelt sich um einen Zusammenschluss von formellen und
informellen Gruppen aus dem weiteren linken Spektrum: Gewerkschaften,
feministische Gruppen, Antifas, Anarchist-inn-en und Leute ohne
Etikettierung. Wir arbeiten mit allen zusammen, die unsere Ziele und
Gesichtspunkte teilen, aber mit keiner staatlichen Organisation und auch
keiner Partei. Die Anarchist-inn-en sind die Aktivsten in der Koalition, sie
haben die wichtigste Rolle in den letzten Jahren gespielt. Aber die
Koalition spiegelt unser aller Auffassung vom Antifaschismus wieder.
Fa-schismus drückt sich aus in der Unterdrückung von Minderheiten, ob auf
Geschlechterbasis, Klas-senbasis, Rassenbasis, usw. Und deshalb meinen wir,
der Widerstand muss mit allen unterdrückten Gruppen gemeinsam organisiert
werden.

J: Ein Freund aus England besuchte mich mal vor ein paar Jahren. Wir gingen
durch Warschau, an einem gewöhnlichen Tag, und er sagte mir, er habe noch
nie einen so weissen Ort gesehen. Man sieht im Alltag tatsächlich sehr
wenige dunkelhäutige Menschen auf der Strasse. Und um den 11. November, den
Tag der Nation herum, ist es für die Menschen, die den Nationalist-inn-en
ein Dorn im Auge sind, geradezu gefährlich, sich auf der Strasse blicken zu
lassen. T. Ich möchte hinzufügen, dass die meisten Zuwanderer in Polen aus
dem ex-sowjetischen Raum kommen, sie sind Slawen und haben eher helle Haut.
Viele Leute aus Weissrussland, Russland und der Ukraine nehmen an unseren
Aktionen teil.

J: Seit einigen Jahren gibt es immer mehr Events in der polnischen LGBT-
oder Queer-Szene, und nicht nur in Warschau. In Lublin gab es einen Marsch
für gleiche Rechte für alle. Die Gleich-berechtigungs-Paraden in Warschau
vereinen bis zu 20.000 Personen...

T. Aber es gab eben auch Angriffe gegen Leute aus der Queer-Szene. Die
Nationalist-inn-en haben Events gestört und versucht, sie zu unterbinden. Es
wurden Synagogen und Kulturzentren der jüdischen Community angegriffen. Und
was die weissrussischen und ukrainischen Minderheiten be-trifft, die vor
allem im Osten Polens vertreten sind, versuchen die Nationalist-inn-en dort,
ein Klima des Hasses zu verbreiten. Sie organisieren zum Beispiel Märsche
und Gedächtnisfeiern, wo sie die systematische Eliminierung der
Antikommunist-inn-en nach dem Zweiten Weltkrieg zelebrieren.


Die faschistischen Parteien und die PiS

J: Der Nationalismus hat eindeutig den Wind im Rücken, das merkt man nicht
nur bei der Regierungspartei, der PiS. Wie wir es bei der Demo ja sehen
konnten, gehen die Regierung und die Nationalist-inn-en Hand in Hand.
Ähnlich wie in Ungarn, wo es auch eine rechtsextreme und eine faschistische
Partei gibt. Die beiden Bewegungen versuchen, sich aneinander anzugleichen,
und haben eine Art Romanze miteinander. Natürlich gibt es Spannungen, denn
die Partei an der Macht will bloss nicht von rechts überholt werden! Aber
man spürt auf verschiedenen Ebenen, wie die nationalistische Agenda hinter
den körperlichen, rechtlichen und politischen Attacken auf Minderheiten
steht.

T: Die derzeitige Regierung will zeigen, dass sie die Kontrolle behält, aber
uns scheint es manchmal, als sehne sie sich geradezu danach, den
Faschist-inn-en und Nationalist-inn-en die Macht zu überlassen. Im Übrigen
verbreiten auch staatliche Medien die nationalistische Propaganda.

J: Diese ganze Propaganda, die ganzen Reden der Regierung, haben
mitgeholfen, dieses Ungeheuer zu erschaffen. Und jetzt haben sie ein Problem
damit und spielen sich wie die Garanten der nationalen Einheit auf. Die
Regierung hätte gern nur rot-weisse Fahnen und Symbole auf der Demo gesehen,
das hätten sie hübsch gefunden, aber letztendlich sind die Faschist-inn-en
locker mit ihren eigenen Symbolen und Fahnen marschiert und die Regierung
konnte nur noch wegschauen. Das ist wie bei Frankenstein, sie haben die
Teile zusammengesetzt und jetzt ist das Monster lebendig und nicht mehr zu
beherrschen.


Der antifaschistische Kampf

T: Was den antifaschistischen Kampf betrifft, der wird natürlich umso
wichtiger, je mehr Faschismus wir erleben. Einen Hoffnungsschimmer sehe ich
darin, dass die liberalen Medien langsam beginnen, unsere Präsenz und
unseren Kampf anzuerkennen. Wir werden langsam als Personen wahrgenommen,
mit denen man diskutieren und gemeinsam handeln kann. In Polen wird, langsam
aber sicher, immer mehr Menschen klar, was Antifaschismus bedeutet. Ich
glaube, die antifaschistische Perspektive ist heute mehr denn je notwendig,
wo die Liberalen immer noch meinen, sie könnten mit ihrem alten Programm
gegen die populistische Rechte gewinnen. Wir glauben, dass daraus nichts
wird, dass man den Ängsten der Menschen Rede und Antwort stehen muss,
anstatt zu irgendeinem Normalzustand zurückkehren zu wollen.

J: Ich glaube, die Ereignisse vom 11. November erläutern das gut. Wir haben
unseren Antifa-Marsch gemacht, aber wovon die Medien am meisten berichtet
haben, das war eine Aktion zivilen Ungehorsams: Eine Gruppe ist neben dem
faschistischen Zug her gelaufen mit einem Plakat, auf dem einfach
«Grundgesetz» drauf stand. Der liberale Diskurs ist also, man muss zurück
zum Rechtsstaat, das Grundgesetz existiert und es muss nur befolgt werden.
Aber unser Marsch wurde von elf Gruppen gegründet, die keine rechtliche
Existenz in diesem Land haben! Hundert Jahre nach der Unabhängigkeit sind
diese Bevölkerungsgruppen immer noch nicht anerkannt: die LGBT, die Alten,
die Personen mit eingeschränkter Mobilität, die Frauen, die religiösen
Minderheiten, die Obdachlosen, die Arbeiterinnen und so weiter.


Bedeutung des Antifa-Marsches

J: Schwer zu sagen, wie es weitergeht. Kommt darauf an, wie schnell
wenigstens ein Teil der liberalen polnischen Gesellschaft zu der Erkenntnis
kommt, dass ihre Reaktion dringend gefragt ist -- und zwar nicht, dass sie
die Regierung bittet, mal was zu tun, sondern dass sie den Arsch vom Sofa
hochkriegt. Die liberale politische Klasse war so blind, dass sie selber
einen speziellen Feiertag für diese rechtsextremen Gedenk-Events
eingerichtet hat. Es klingt vielleicht merkwürdig für einen Anarchisten,
hier die liberale Partei mit Hoffnung in Verbindung zu bringen... aber es
geht nicht um die Partei. Ihre Aktionen zeigen den herrschenden Diskurs und
die Verblendung der Journalist-inn-en und so vieler Menschen. Das Problem
des Nationalismus ist so gross geworden, dass sofort reagiert werden muss.
Wir müssen uns alle gemeinsam organisieren. Alle, die weder
Nationalist-inn-en noch Rassist-inn-en sind und mit denen sich eine minimale
gemeinsame Basis finden lässt. Und wenn alle gemeinsam organisiert sind,
müssen wir darauf hin arbeiten, das Ganze ein Stück weiter nach links zu
ziehen. So muss es kommen. Wir müssen die Massen für einen effektiven
Widerstand organisieren. Ich glaube, nur ein zivilgesellschaftlicher und
massenhafter Widerstand kommt gegen den Faschismus an -- und keine
Parteienbewegung.

T: Meiner Meinung nach war unsere Demo zu klein. Aber ich weiss auch, dass
die Bedingungen schwierig waren. Die Linke ist hierzulande sehr schwach und
eigentlich immer in der Minderzahl. Die Medien sind entweder rechts, extrem
rechts oder eben faschistisch. Alle Bedingungen sind gegeben, dass die Leute
Scheisse im Kopf haben. Irgendwie müssen wir halt alles noch mal von vorne
beginnen. Das Ganze kommt mir in etwa so vor wie Gemüseanbau in der Wüste.
Über jede kleine Blüte musst du dich da erst mal freuen.

J: Es ist wichtig, zu verstehen, was wir mit diesem Marsch erreichen wollen.
In dieser allgemeinen Atmosphäre der Angst und der faschistischen Auswüchse
geht es uns darum, eine Gemeinschaft herzustellen, um den Leuten Mut und ein
Gefühl der Zugehörigkeit zu geben und um auf diese Weise die
antifaschistische Bewegung in Schwung zu bringen. Um diese Leute in unsere
Kreise zu bringen, sie ein bisschen nach links zu bewegen und sie zu
organisieren. Wenn man es so betrachtet, meine ich, der diesjährige Marsch
war ein Erfolg, es waren mindestens so viele wie letztes Jahr dabei. Und mit
der festlichen Art, wie wir die Demo gestalten, kommen die Leute doch mit
mehr Hoffnung und Freude auf die Strasse -- und das finde ich wichtig an so
einem düsteren Tag, wo viele lieber gar nicht ihr Haus verlassen.


Internationale Unterstützung

J: Was die Opferrolle des polnischen Volkes betrifft -- ein Image, das die
Regierung ja auch zu ihren Zwecken nutzt --, können wir doch nichts anderes
tun, als weiter Menschen aller Länder einzuladen und zu zeigen, dass sie da
sind, zu zeigen, dass die antifaschistische Koalition internationalistisch
ist, und es so lange zu zeigen, bis sie es akzeptieren.

T: Natürlich schlachten die Medien und die Regierung diese Bilder von
deutschen Antifas aus, die rüberkommen, um die Polen anzugreifen. Unsere
erste Antwort ist, dass wir keine Nationalist-inn-en sind und uns die
Grenzen insofern egal sind. Es ist eh so in Polen, wenn du Widerstand
leistest: Entweder schimpfen sie dich einen Deutschen, oder einen Russen,
und wenn nicht einen Russen, dann einen Juden, und wenn nicht einen Juden,
dann eben einen Araber! Wir pfeifen darauf, wir sagen, sie werden sich daran
gewöhnen müssen. Das ist auch total scheinheilig von den Faschist-inn-en,
denn die laden selber ständig Bewegungen aus ganz Europa ein: Forza Nuova
aus Italien, Jobik aus Ungarn, Neonazis aus Russland und der Ukraine, den
Front National aus Frankreich. Und als die sich dann im Umzug begegnet sind,
haben sie sich erst mal untereinander gekloppt wegen dem Donbass! Wenn wir
unsere Freundinnen einladen, sind wir kohärent und solidarisch.

J: Wir brauchen internationale Unterstützung, aber es muss auch klar sein,
dass die Dinge in Polen anders laufen als in Deutschland oder Frankreich.
Man muss sehr aufpassen und sich mit den Leuten vor Ort absprechen. Wir
meinen, dass internationale Solidarität ein Segen für uns ist, so schwach
wie die Linke hier ist und so wenige wie wir nur sind. Jede Hilfe ist
willkommen. Was man im Bewusstsein haben muss, ist zum Beispiel das
Ungleichgewicht innerhalb Europas. In Frankreich kriegt eine Bedienung mehr
Trinkgeld, als sie in Polen Gehalt kriegt. Jede materielle Unterstützung aus
reicheren Ländern ist wichtig für uns. Manche fragen uns, warum wir seit
Jahren nicht mehr unternommen haben. Die Wahrheit ist, dass es nur sehr
wenige Personen sind, die sehr hart schuften und organisieren, damit diese
antifaschistischen Demos zustande kommen. Das wollte ich noch sagen, falls
Leute in Paris, Berlin oder Athen sich wundern sollten, warum wir nicht
zahlreicher auf der Strasse waren.
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Die Interviews führten und redigierten Hannah und Max, EBF (Archipel 278,
Februar 2019)
*

1. Im Oktober 2015 wurde die Partei PiS (Recht und Gerechtigkeit) mit
absoluter Mehrheit gewählt. Diese regiert zunehmend autoritär und baut
Grundrechte ab.
2. Unter anderem riefen Gruppen wie «Mlodziez Wszechpolska» (Allpolnische
Jugend) und «Oboz Narodowo-Radykalny» (Nationalradikales Lager) zu der
Demonstration auf. Nach dem «Unabhängigkeitsmarsch» und in Hinsicht auf die
Europawahlen haben mehrere Bewegungen sich im «Bund für die Republik»
zusammengeschlossen. Neben den Obengenannten waren dies auch Kukiz '15 (eine
«Anti-System-Partei») und «Ruch Narodowy» (Nationalbewegung). Das Ziel ist,
den PIS zu schlagen, der als proeuropäisch und zu moderat bewertet wird.



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