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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 27. Februar 2019; 20:08
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Oe:

> Prozeß gegen die Anatolische Föderation

Der sogenannte Terrorismusparagraph 278b StGB kommt erstmals gegen einen
türkisch-linken Kulturverein zur Anwendung: Seit gestern, Dienstag, muss
sich die "Anatolische Föderation Österreich" vor Gericht verantworten.
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Als Vorstandsmitglieder und SympathisantInnen des in Wien registrierten,
migrantischen Kulturvereins "Anatolische Föderation Österreich" wird den
sechs Beschuldigten vorgeworfen, sich als Mitglieder einer terroristischen
Vereinigung, nämlich der als terroristische Gruppe gelisteten DHKP-C,
beteiligt zu haben. Für die Staatsanwaltschaft Wien hat die Vereinigung
DHKP-C (Devrimci Halk Kurtulus Partisi-Cephesi, Revolutionäre
Volksbefreiungspartei-Front) zum Ziel, die Staatsordnung in der Türkei zu
zerschlagen und terroristische Attentate, vorwiegend in der Türkei, zu
verüben. Diese Straftaten sollen von den hier Angeklagten wissentlich und
durch "für die Öffentlichkeit wahrnehmbare Propagandahandlungen" gefördert
worden sein.

Die in der Anklageschrift aufgeführten Unterstützungshandlungen umfassen
jedoch hauptsächlich Aktivitäten, die in einem legalem Rahmen stattfanden.
Diese waren öffentlich angekündigt und reagierten vor allem als politischer
Protest gegenüber Menschenrechtsverletzungen in der Türkei, aber auch in
Deutschland und Österreich. Der vielfach kritisierte Paragraph der
terroristischen Vereinigung (bzw. in anderen Verfahren der "kriminellen
Vereinigung") wird hier genutzt, um eine migratische, linke Gruppierung als
vermeintliche "Vorfeldorganisation" und als "legaler Arm" einer
terroristischen Organisation in Österreich vor Gericht zu stellen. Ob die
hier zur Last gelegten Unterstützungs- und Propagandahandlungen ausreichen,
wird ein Schöff_innengericht entscheiden, bisher sind sechs Prozesstage
angekündigt. Den Angeklagten drohen bis zu zehn Jahre Haft. Dabei ist für
eine Verurteilung unerheblich, ob sie sich selbst an gewalttätigen
Handlungen beteiligt haben.

Auf Drängen der Türkei wurde die DHKP-C bereits 2002 auf die EU-Terrorliste
gesetzt. Das heißt es ist auch in Österreich strafbar, Mitglied dieser
Organisation zu sein. Dazu meint SPÖ-Justizsprecher Jarolim: "Es sei
bekannt, dass der türkische Präsident Erdogan die EU-Terrorliste
missbrauche, um gegen ihn gerichtete Stimmen, auch außerhalb der Türkei,
verfolgen zu lassen. Unmittelbar mit Erstarken der AKP ließ die Türkei die
Arbeiterpartei Kurdistans PKK und die DHKP-C auf die europäische Terrorliste
setzen." Europaweit, wie in Frankreich, Griechenland, Deutschland, werden
mutmaßliche Unterstützer_innen strafrechtlich verfolgt und zu Haftstrafen
verurteilt.

Ermittlungen & vorherige Prozesse

Im Mai 2015 begann das umfassende Ermittlungsverfahren gegen den
Vereinsvorstand und Menschen aus dem Umfeld der Anatolischen Föderation.
Anlass war der 1. Mai-Aufmarsch 2015 in Wien und der damit verbundene
Verdacht der Gutheißung von und Aufforderung zu terroristischer Straftaten
nach § 282a Abs 2 StGB. Zunächst standen vor allem Aktivist_innen im Zentrum
der Strafverfolgungsbehörden, die sich an dieser Demonstration beteiligt
hatten.

Am 13. Oktober 2015 kam es zu polizeilichen Hausdurchsuchungen, mit
Unterstützung von Sprengstoffhunden und der Sondereinheit Cobra, im
Vereinslokal des Anatolischen Kulturvereins und mehreren Privatwohnungen.
Anschließend kam es Vernehmungen von Beschuldigten und Zeug_innen auf
umliegenden Polizeiinspektionen. Es wurden unter anderem Speichermedien,
Mobiltelefone, Laptops, Spendenboxen, Konzerttickets, Zeitschriften, Bücher,
Rechnungen, Fahnen, Transparente und Flugblätter beschlagnahmt und für
weitere Ermittlungen ausgewertet. Als Reaktion auf die Hausdurchsuchung fand
noch am selben Tag eine spontane Solidaritätskundgebung unter dem Motto
"Repression gegen die Anatolische Föderation" vor der Landespolizeidirektion
Wien statt.

Um weitere Beschuldigte auszuforschen, und bestehende Verdächtigungen zu
festigen, wurden mehrere Observationen gegen eine Beschuldigte durchgeführt.
Zudem wurde eine "verdeckte Ermittlung" durchgeführt, um in den sozialen
Medien (wie Twitter und Facebook) weitere Beweise für die "Gutheißung von
terroristischen Straftaten" und die "Unterstützung einer terroristischen
Vereinigung" zu sammeln.

Am 25.4.2016 erhoben elf Personen Beschwerde und Einspruch wegen
Rechtsverletzung, gegen sämtliche bisherigen von der Staatsanwaltschaft Wien
erlassenen und von der Kriminalpolizei durchgeführten Anordnungen. Die
Anschuldigungen gegen die zuständigen Ermittlungsbehörden umfassten
verschiedenste Drohungen und Einschüchterungsversuche bei Vernehmungen. So
sollen Polizeibeamt_innen zum Beispiel mit dem Verlust des Arbeitsplatzes,
und dem Entzug der Studienberechtigung und des Aufenthaltstitels gedroht
haben. Das Oberlandesgericht Wien erklärte sich für unzuständig und wies die
Beschwerde zurück.

Im Laufe des Ermittlungsverfahrens wurden die, bei den Hausdurchsuchungen
beschlagnahmten Gegenstände, wie zum Beispiel Datenträger, Computer,
Mobiltelefone und Zeitschriften, ausgewertet. Durch selbstgefertigte
Lichtbilder, Internetrecherchen und Befragungen wurden weitere Beteiligte
des 1.Mai-Aufmarsches 2015 ausgeforscht und anschließend vernommen. Außerdem
wurden vorliegende Ermittlungsergebnisse des deutschen Generalbundesanwalts
berücksichtigt - betreffend eines Ermittlungsverfahrens wegen Verdachts auf
"Bildung terroristischer Vereinigungen" und "kriminellen und terroristischen
Vereinigungen im Ausland". Man übernahm zum Beispiel die Einschätzung,
wonach Mitglieder der DHKP-C wiederholt Kulturvereine in Europa gründen
würden, die anderen AktivistInnen als Anlaufstelle und Treffpunkt dienen und
somit als "legaler Arm" der Terrororganisation genutzt würden.

Von April 2018 bis Februar 2019 kam es zu einzelnen Strafprozessen gegen 16
Beschuldigte am Wiener Landesgericht bezüglich der Vorwürfe der "Gutheißung
von und Aufforderung zu terroristischen Straftaten" betreffend des 1. Mai
2015. In einem Verfahren auch wegen des 1. Mai 2017. Diese Prozesse endeten
sowohl mit Freisprüchen, als auch mit bedingten Strafen von 3 bis 6 Monaten.
Ein Teil der Urteile ist noch nicht rechtskräftig, da einzelne Beschuldigte
weitere Rechtsmittel erhoben haben. Die Vorwürfe zu "militärischer
Aufmachung" und "Terror-Propaganda" auf Transparenten beim 1.Mai-Aufmarsch
werden auch im anstehenden Prozess wegen Unterstützung einer terroristischen
Vereinigung eine zentrale Rolle spielen.

Welche terroristischen Straftaten?

Die Anklageschrift verweist auf mehrere, der DHKP-C zugerechnete
terroristische Straftaten. Diese sollen durch Propagandahandlungen der
Beschuldigten unterstützt worden sein. Ein Beispiel ist die Geiselnahme vom
31.03.2015 in Istanbul. Dort nahmen zwei DHKP-C Aktivisten einen
Staatsanwalt als Geisel. Dieser leitete die Ermittlungen zum Mord an dem
15-jährigen Berkin Elvan, der während der Gezi-Proteste am 16.06.2013 durch
eine Tränengasgranate der Polizei schwer verletzt wurde und am 11.03.2014
verstarb. Sein Tod löste weitere Proteste in der Türkei aus. Die
Öffentlichkeit warf den Ermittlungsbehörden vor, dabei die Wahrheit zu
vertuschen und verlangte Gerechtigkeit und Aufklärung. Die beiden DHKP-C
Aktivisten forderten die Veröffentlichung der Namen der Verantwortlichen.
Über diesen Vorfall wurde international berichtet. Spezialeinheiten
beendeten die Aktion, dabei starben die Geisel und beide Geiselnehmer. Am 1.
Mai 2015 wurden unter anderem Fotos der beiden Geiselnehmer von
Aktvist_innen bei der Demonstration über den Wiener Ring getragen. Für die
Ermittlungsbehörden sprach das zugunsten des Vorwurfs der "Gutheißung von
und Aufforderung zu einer terroristischen Straftat".

Vorwürfe

Im Sommer 2013 wurden Yusuf Tas und Özgür Aslan in Österreich festgenommen
und in weiterer Folge nach Deutschland ausgeliefert. Während der
Auslieferungshaftzeit wurden zahlreiche Kundgebungen und Demonstrationen für
die Freilassung der beiden organisiert. Zum Beispiel protestierten am
28.08.2013 zwei Aktivist_innen spontan im Eingangsbereich des
Bundesministeriums für Inneres. Beide ketteten sich an die Eisenstäbe des
Eingangstores hielten ein Plakat mit politischen Forderungen vor ihre
Körper.

Am 05.12.16 fand eine spontane Kundgebung vor der deutschen Botschaft statt,
die für die Freiheit von Musa Asoglu protestierte. Dieser wurde in
Zusammenhang mit dem Bombenanschlag auf das US-Konsulat in Ankara 2013 mit
einem internationalen Haftbefehl gesucht. Im Dezember 2016 wurde er in
Hamburg festgenommen und nach §129b (Mitgliedschaft in einer terroristischen
Vereinigung im Ausland) zu 6 Jahren und 9 Monaten Haft verurteilt.

Die Anatolische Föderation beteiligte sich an der traditionellen 1.
Mai-Demonstration 2015 in Wien mit einem eigenen Block unter dem Motto
"Gegen Krieg, Rassismus, Bildungs- und Sozialabbau", an dem sich bis zu 150
Personen beteiligten. Ihnen wird zur Last gelegt, in einer "militärischen
Aufmachung" aufgetreten zu sein, das heißt olivgrüne Hemden und rotem
Halstuch mit goldumrandetem fünfzackigem Stern getragen zu haben, die laut
BVT (Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung) typisch für
die DHKP-C seien. Mit dem Tragen von Transparenten, auf denen die
Abbildungen der drei getöteten Aktivist_innen und Aufschriften wie "Helden
sind unsterblich" und "Das Volk liebt euch sehr", hätten sie sich, für eine
breite Öffentlichkeit erkennbar, zur DHKP-C positioniert und die von ihnen
begangenen terroristischen Straftaten gutgeheißen. Dies erfolgte in einer
Art und Weise, die für viele umstehende Menschen sichtbar war, und damit die
Gefahr der Nachahmung weiterer terroristischer Straftaten herbeiführen hätte
können, so die Argumentation der Ermittlungsbehörden, der Staatsanwaltschaft
und in weiterer Folge auch einzelner Richter_Innen während mündlicher
Urteilsbegründungen in den oben bereits erwähnten Einzelprozessen.

Verkauf der Wochenzeitung "Yürüyüs"

Die Behörden gehen davon aus, dass seit mindestens zu Beginn der
Ermittlungen im Mai 2015, die legale türkische Wochenzeitung "Yürüyüs" im
Verein vertrieben wurde. Das BVT sieht in diesem Medium die
"Wiederspiegelung ideologischer Grundsätze der DHKP-C" und richtet sich
damit nach der Verbotsverfügung vom 31.03.15 des Bundesministeriums für
Inneres in Deutschland, welches die "Yürüyüs" als "direkt verordnete
Publikation der DHKP-C" betrachtet. In der Türkei ist sie hingegen legal zu
erwerben. Die Behörden gehen davon aus, dass 250 Exemplare pro Woche aus dem
Ausland importiert und für 4 Euro pro Ausgabe verkauft wurden.

Gedenkveranstaltungen

Der Anatolischen Föderation wird zudem die Durchführung von
Gedenkveranstaltungen in Erinnerung an getötete AntifaschistInnen
vorgeworfen. Am 12.04.15 fand das Gedenken an die in Istanbul getöteten
Aktivist_innen in den Räumlichkeiten der KPÖ statt. Die Ermittlungsbehörden
entnehmen den Fotos der Internetseite, dass zwei der Angeklagten als
Redner_innen fungierten und in einer "Gedenkpose" mit gesenkten Blicken und
erhobenen Fäusten Gesten zu sehen sind. Am 10.05.15 wurde in den
Vereinsräumlichkeiten der Anatolischen Föderation dem traditionellen
Todestag eines türkischen Antifaschisten gedacht, der als Mitbegründer einer
Vorläuferorganisation der DHKP-C gilt.

Fußballturnier gegen Rassismus

Am 14.05.15 organisierte der Verein ein Fußballturnier in Neunkirchen, wo
"einschlägige" DHKP-C-nahe Bücher und Broschüren auslagen, u.a. die Yürüyüs.
Die Ermittlungen schätzen den Tagesgewinn auf 4.000? ein.

Konzerte und Kulturfeste

"Grup Yorum" ist eine linke Protestband und zählt zu den erfolgreichsten
Bands der türkischen Musikgeschichte. Sie wird der DHKP-C zugerechnet und
erlebt seit Jahren massive Repression. Viele der Mitglieder waren bzw. sind
in der Türkei in Haft. Dies führte dazu, dass einige "Grup Yorum"-Bands in
Europa begründet wurden, um weiterhin auftreten zu können, was aber aufgrund
der zunehmenden Verfolgung und Auftrittsverbote immer mehr verunmöglicht
werde. Am 12.05.15 fand vor dem Türkischen Konsulat in Hietzing eine
Kundgebung unter dem Namen "Gegen das Auftrittsverbot der Protestband "Grup
Yorum" statt.

Am 21.06.15 fand das alljährliche "Multi-Kulti"-Sommerfest in Neunkirchen
statt, zu der die Band "Grup Yorum" eingeladen war. Die Anatolische
Föderation war eine der Veranstalter_innen.

Am 13.10.15 wurden bei den Hausdurchsuchungen 1600 Karten für das Konzert
"Eine Stimme gegen Rassismus" am 14.11.15 in Oberhausen (DE) gefunden, an
dem auch "Grup Yorum" auftrat. Insgesamt waren 6000 Besucher_innen auf dem
Konzert. Der Verein organisierte die Busreise von Wien aus. Die Busse wurde
an der Grenze abgefangen und einer Ausweiskontrolle unterzogen. Insgesamt
konnten die ermittelnden Behörden sieben in Österreich stattgefundene "Grup
Yorum" Konzerte feststellen.

Feriencamps

Die alljährlich stattfindenden Feriencamps für Jugendliche und Familien
würden der "ideologischen Schulung und Rekrutierung" dienen. Einer der
Angeklagten gilt als "offensichtlicher" Organisator eines Wintercamps, das
Ende 2014 in Belgien stattgefunden habe. Auf den gesicherten Datenträgern
fanden die Behörden Fotos von Jugendlichen, die vermummt mit Transparenten
der Revolutionären Jugend (DEV-GENC) posierten.

Finanzierung

Der Verein soll über den Verkauf von Konzertkarten, der Zeitschrift Yürüyüs,
dem Betreiben eines Kebabstandes in der Arena Wien, auf dem Donauinselfest
und mithilfe von Spendenkampagnen Gelder eingenommen haben. Insgesamt gehen
die Behörden von einer jährlichen Summe in Höhe von 165.000 Euro aus. Die
Beschuldigten gaben an, damit zum Beispiel die Mietkosten des Vereinslokals,
Konzertreisen oder "Taschengeld" für in der Türkei inhaftierte politische
Gefangene zu finanzieren.
(prozess.report/gek.)

Prozeß-Ort und Termine
Landesgerichtes für Strafsachen Wien, Wickenburggasse 22. 1080 Wien; jeweils
von 09.30 bis 14.30: 26.02., 27.02., 04.03., 06.03., 08.03., 12.03.


Quelle und laufende Infos:
https://prozess.report/prozesse/anatolischefoederation/



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