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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 5. Dezember 2018; 20:39
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Fremd/NÖ:

> Kinderflüchtlinge als Spielball der Zuständigkeiten

Da rund um die Causa Drasenhofen/Waldhäusl etliche Fragen ungeklärt blieben,
hat die *asylkoordination* weitere Recherchen angestellt

*

Den Ereignissen rund um die Einrichtung eines Straflagers für "auffällige"
Kinderflüchtlinge durch Landesrat Gottfried Waldhäusl (FPÖ) liegen auch
strukturelle Absonderlichkeiten des niederösterreichischen Flüchtlingswesens
zu Grunde.

Für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (UMF) muss, da sie sich nicht in
elterlicher Begleitung in Österreich aufhalten, jemand die Obsorge
übernehmen. Nachdem in den 1990er Jahren die meisten Jugendämter (heute
Kinder- und Jugendhilfe) die Übernahme dieser Aufgabe verweigerten, gelang
es der asylkoordination im Verein mit einigen Richtern im Laufe der Zeit,
dies bei allen Jugendämtern durchzusetzen.

Die Obsorge umfasst drei Bereiche: Pflege und Erziehung, Vermögensverwaltung
und schließlich die rechtliche Vertretung (besonders wichtig im
Asylverfahren). Während die Pflege und Erziehung für unbegleitete
minderjährige Flüchtlinge in der Regel von der Kinder- und Jugendhilfe den
Betreuungseinrichtungen von NGOs übertragen wird, gibt es für die rechtliche
Vertretung in den Bundesländern verschiedene Modelle. In Wien,
Niederösterreich und Tirol erfolgt die Rechtsvertretung durch die Abteilung
für Kinder- und Jugendhilfe des jeweiligen Bundeslandes, während in den
anderen Ländern die Rechtsvertretung an Dritte (meist NGOs) ausgelagert
wird.

In Niederösterreich war die Rechtsberatung bis 2016 an die Träger der
UMF-Betreuungsstellen ausgelagert. In diesem Jahr wurde dann in
Niederösterreich eine Koordinierungsstelle für UMF installiert, in der alle
Agenden für diese besonders schutzbedürftige Gruppe zusammengefasst wurden.
Die bislang im Auftrag der Abteilung für Kinder- und Jugendhilfe von den
NGOs durchgeführte Rechtsvertretung wurde diesen entzogen und ebenfalls der
Koordinierungsstelle übertragen. Dafür wurde die Juristin Rosemarie
Wollinger angestellt.

Strukturell ist die Koordinierungsstelle zwar in der GS6 (Abteilung Kinder-
und Jugendhilfe) angesiedelt. Deren Leiter Reinfried Gänger ist jedoch nicht
zuständig, stattdessen wurde Peter Rosza (Jurist in der GS6, zuständig für
Heimbewilligungen) eingesetzt. Dieser ist zwar Gänger unterstellt, ABER dann
nicht, wenn es um Belange von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen
geht. Das wurde 2016 per Weisung von Landeshauptmann Erwin Pröll verfügt. Da
damals LR Maurice Androsch (SPÖ) sowohl für die Kinder- und Jugendhilfe als
auch für die Flüchtlingsbetreuung zuständig war, fiel diese strukturelle
Absonderlichkeit nicht weiter auf.

Als 2018 Flüchtlingsangelegenheiten und Grundversorgung ins Resort von LR
Gottfried Waldhäusl übertragen wurden, erhöhte sich die Komplexität der
Zuständigkeiten: Ein Teil der Abteilung GS6 ist nun nicht mehr der
eigentlich zuständigen Landesrätin für Gesundheit, Soziales und
Jugendwohlfahrt, Ulrike Königsberger-Ludwig zugeordnet, sondern LR Gottfried
Waldhäusl. Peter Rosza dient damit zwei LandesrätInnen.

Interessant für die Causa Drasenhofen ist die Rolle der Juristin Rosemarie
Wollinger. Auf der Website des Landes Niederösterreich finden sich keine
Hinweise auf ihre Funktion und ihr Wirken. Sie scheint jedoch die
UMF-Koordinierungsstelle in Person zu verkörpern: Einerseits ist sie für die
Zuweisung der UMF an die Grundversorgungs-Quartiere zuständig, andererseits
agiert sie als Rechtsvertreterin der Kinderflüchtlinge im Asylverfahren.

Wie sie selbst im Jahresbericht 2017 der NÖ-Kinder- und Jugendhilfe
schreibt, geht es ihr um "sachliche und realitätsbezogene Rechtsvertretung",
Ziel der Verfahren sei, "Jugendliche bzw. junge Erwachsene nach absolvierter
Ausbildung in den Arbeitsmarkt zu integrieren." Dies scheint in etlichen
Fällen dazu geführt zu haben, dass bei positiver subsidiärer Schutzgewährung
keine Beschwerde eingebracht wurde, um einen besseren Schutzstatus, nämlich
Asyl nach § 3 AsylG zu erlangen. Zumindest wurde dies der asylkoordination
immer wieder von ehrenamtlichen FlüchtlingshelferInnen berichtet. Weiters
war von ehemaligen FlüchtlingsbetreuerInnen zu hören, dass es noch eine
Reihe weiterer Probleme mit der allmächtigen Beamtin gab. So habe sie sich
geweigert, den minderjährigen Flüchtlingen mehr als das Deckblatt der
Bescheide der Asylbehörde auszuhändigen.

In ihrer Zuständigkeit für die Asylquartiere organisierte sie nun die
Verlegung der Jugendlichen aus vier von unterschiedlichen NGOs betriebenen
Betreuungsstellen nach Drasenhofen. Dies geschah ohne vorherige Information
der Betroffenen, zum Teil waren auch deren BetreuerInnen nicht in die Aktion
eingeweiht. Dies zeigt der E-Mailverkehr zwischen Wollinger und dem
Geschäftsführer der Firma, die die Einrichtung in Drasenhofen betreiben
sollte. Koordiniert war die Vorgehensweise mit dem Büroleiter von LR
Waldhäusl, Stefan Eisner. Allerdings zeigen Wollingers Mails auch, dass sie
über weitgehend freie Hand verfügte; so schreibt sie: ". sollte es sich
ausgehen, dass andere umF aus anderen Einrichtungen/Erwachsenenquartieren
mitgenommen werden, können Sie das auch machen. Ich würde die Zuweisungen
dann kurzfristig schreiben."

Sie führte also offensichtlich die Selektion durch, wer nach Drasenhofen
gebracht werden sollte. Ob ihre Handlungen einen strafrechtlich relevanten
Tatbestand (Beihilfe zur Freiheitsberaubung) darstellen, werden
Staatsanwaltschaft und Gerichte entscheiden, moralisch ist diese Doppelrolle
jedenfalls untragbar. Kinder, die in Österreich keine Familie haben und auch
in der Betreuung selten über (private) Bezugspersonen verfügen, waren in
diesem Fall (und sind es weiterhin) auf Gedeih und Verderb einer Beamtin
ausgeliefert, die ihre Internierung in einem Straflager betreibt - und das
zynischerweise im Namen und unter dem Deckmantel der Wahrung des
Kindeswohls. Darüber schreibt die Kinder- und Jugendanwaltschaft: "so wie
sich die Unterbringung am heutigen Tag darstellte, widersprach sie grob den
Kinderrechten und gefährdete (.) akut das Kindeswohl (Freiheitsentzug,
mögliche Gesundheitsgefährdung, keine pädagogische Betreuung,
Stacheldraht .)".

Die asylkoordination fordert den kompletten Rückbau der jetzt bestehenden
strukturellen Sondersituation für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in
Niederösterreich. Die Landesrätin für Jugendwohlfahrt muss wieder für ALLE
Kinder und Jugendlichen zuständig sein. Sie muss also auch die Verantwortung
für das Wahrnehmen der gesetzlichen Vertretung der Kinderflüchtlinge
zurückbekommen.

LR Waldhäusl soll sofort die Zuständigkeit für den Bereich Flüchtlinge und
Grundversorgung entzogen werden.

*Herbert Langthaler, Anny Knapp*



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