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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 5. Dezember 2018; 21:22
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Deuschland/Fremd:

> Verbrannt und vergessen

Ein unschuldig inhaftierter syrisch-kurdischer Geflüchteter stirbt bei einem
Zellenbrand in einem nordrhein-westfälischen Knast. Im Jahr 2018 in
Deutschland kein Thema, das die Gemüter erregt.
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Was geht in Kleve? Allzu viel ist nicht los in der Kleinstadt an der
deutsch-niederländischen Grenze. Eine Google-News-Suche ergibt: Eine
Kleverin soll aus Habgier einen 93-Jährigen vergiftet haben; die
"Kulturwelle" im lokalen Hallenbad bietet "das volle Programm"; und der
Feuerwehr Kleve steht eine Ehrung ins Haus, weil sie entlaufene Pferde aus
dem Morast befreite.

War noch was? Achso, genau. Am 17. September 2018 war in der Gefängniszelle
143 der Justizvollzugsanstalt Kleve ein Feuer ausgebrochen. Der 26-jährige
Syrer Ahmad A. starb an den Brandfolgen. Aufgeklärt ist der Fall bis heute
nicht. Und wer nachforscht, findet Unfassbares. Ahmad A. war für die Taten
eines anderen eingesperrt worden, mehrfach als wechselweise
"suizidgefährdet" oder "nicht suizidal" eingestuft worden, ohne in drei
Monaten unschuldiger Haft je einen Dolmetscher oder Rechtsbeistand gesehen
zu haben. Am Ende brennt seine Zelle und das Justizministerium belügt die
Öffentlichkeit darüber, ob A. sich während des Brandes bemerkbar gemacht hat
oder nicht.

Anfänglich berichten zahlreiche Medien, lokale wie überregionale. Doch das
Interesse schläft ein, und spätestens seitdem NRW-Justizminister Klaus
Biesenbach (CDU) Anfang November 2018 dem Rechtsausschuss des Landtages
einen 60-seitigen Bericht vorlegte, in dem der damalige Kenntnisstand
zusammengefasst wird, ist es still im Blätterwald. Warum eigentlich? Wer den
Bericht genau liest, wird eine Chronologie des Irrsinns vor sich finden. Und
wird sich gezwungen sehen, Fragen zu stellen, die bislang weder in der
Landesregierung, noch von den um "Seriosität" bemühten bürgerlichen
Presseerzeugnissen gestellt werden.

Die "Verwechslung"

Ahmad A.s Martyrium beginnt am 6. Juli 2018. In der Nähe einer Kiesgrube. Am
Hartefelder Heideweg in Geldern wird er von der Kreispolizei aufgegriffen,
der Vorwurf: Er soll vier Frauen "auf sexueller Grundlage beleidigt" haben.
Die Kreispolizei Kleve nimmt A. mit auf die Wache. Es wird eine
Identitätsfeststellung durchgeführt. Die Beamten "verwechseln" Ahmad A. mit
einem per Haftbefehl gesuchten Mann aus Mali, dessen Alias-Name mit dem -
äußerst gebräuchlichen - Namen von Ahmad A. übereinstimmten. Dass der
Gesuchte im eigenen Fahndungssystem mit Staatsangehörigkeit "malisch" und
Geburtsort "Tombouctou" notiert war, A. aber aus Aleppo kam, offenkundig
nicht aus Mali, verhinderte die Inhaftierung nicht. Aufgrund einer
ED-Behandlung lag der Polizei auch ein Lichtbild des tatsächlich Gesuchten
vor. Es wurde, so schreibt das Justizministerium, einfach "kein Abgleich der
hinterlegten Daten aus der ED-Behandlung" durchgeführt.

Hier bereits kann man fragen: Soll das wirklich eine unabsichtliche
"Verwechslung" gewesen sein? Es wirkt eher, als hätte man sich alle Mühe
gegeben, um A. zu "verwechseln". In jedem Fall spielt eine ordentliche
Portion Rassismus eine Rolle. Man kann spekulieren: Wäre jemand, der
fließend deutsch spricht und wie ein Biodeutscher aussieht, auch als
malischer Staatsbürger "identifiziert" worden, selbst wenn es einen
Namenstreffer im System gegeben hätte?

Die erfundene Vergewaltigung

Die Beamten "verwechselten" Ahmad A. aber nicht nur mit einem in Hamburg
gesuchten Mann aus Mali. Gleichzeitig sahen sie in A. auch noch den per
Öffentlichkeitsfahndung gesuchten Täter einer Vergewaltigung. Am 10. Juli
führten Beamte dann mit der "vermeintlich Geschädigten" einen
Lichtbildabgleich durch, zeigten ihr ein Foto von Ahmad A.

Die Frau räumte dann ein, dass es keine Vergewaltigung gegeben habe und sie
das Delikt erfunden habe. In dem Bericht des Justizministeriums zu A. heisst
es dann: "Das bei der hiesigen Behörde später unter dem Aktenzeichen 203 Js
375/18 erfasste Verfahren gegen den syrischen Staatsangehörigen wegen des
Verdachts der Vergewaltigung wurde, ohne dass eine verantwortliche
Vernehmung durchgeführt wurde, wegen erwiesener Unschuld eingestellt."

Hier sind mehrere Fragen offen: Denn zum einen haben die Beamten der
Kreispolizei Kleve offenbar ein Verfahren angelegt, das auf Ahmad A. lief,
nicht aber gegen den Malier aus Hamburg, mit dem man ihn angeblich
verwechselt hatte. Zum anderen wurde auch, nachdem klar war, dass zumindest
dieser Tatvorwurf aus dem Raum ist, nicht noch einmal geprüft, wen man da
eigentlich eingesperrt hatte.

Die Suizidthese

Am Abend des 6. Juli wird Ahmad A. in die JVA Geldern überführt. Auch dort
werden die Daten des eigentlich gesuchten Maliers als Alias-Namen von Ahmad
A. vermerkt. In Geldern beginnt auch die verwirrende, im Verlauf der Zeit
andauernd korrigierte Einstufung Ahmad A.s als psychisch labil. In der
Gesundheitsakte des Gefangenen wird vermerkt: "Suizidgefahr. Gemeinschaft
mit zuverlässigen Gef. Der Gef. darf nicht allein bleiben.
Sicherungsmaßnahmen beachten!"

Am 9. Juli sieht A. zum ersten Mal einen Amtsarzt. Der findet ihn zwar
"wach" und "orientiert", diagnostiziert "keinen Hinweis auf inhaltliche oder
formale Denkstörungen". Er findet aber Narben, die von älteren
Selbstverletzungen herrühren könnten. Der Amtsarzt vermerkt eine "V.a.
Persönlichkeitsstörung DD Anpassungsstörung, soweit in der
Untersuchungssituation bgH eruierbar".

Weder hier, noch irgendwann in den kommenden Wochen wird ein Übersetzer
hinzu gezogen. A. sprach etwas Deutsch. Keineswegs aber genug, um ärztliche
und psychologische Untersuchungen durchführen zu können. Vor seiner Haft, im
Jahr 2016, war A. bereits zweimal auf freiwilliger Basis in einer
geschlossenen Psychiatrie - so berichtete sein Anwalt den Ermittlern des
Justizministeriums. Die Ärzte dort, wohl weniger an Massenabfertigung
gewöhnt als die Anstaltsdoktoren, gaben nach einem ersten Gespräch zu
Protokoll, dass "aufgrund mangelnder Deutschkenntnisse des syrischen
Staatsangehörigen ein sicherer psychopathologischer Befund nicht zu erheben
gewesen" sei. Daraufhin wurde ein längerer Aufenthalt in der Klinik
vereinbart. Ergebnis aus dem Jahr 2016: "Im Rahmen des dreitägigen
Aufenthalts sei ein weiteres Gespräch unter Mithilfe eines professionellen
Übersetzers geführt worden, bei dem sich keine Anhaltspunkte für suizidale
oder fremdaggressive Gedankengänge auf dem Boden einer zu diesem Zeitpunkt
sicher zu diagnostizierenden psychischen Erkrankung gefunden hätten."

Am 10. Juli wird Ahmad A. nach Kleve überstellt. Dort gehen die
Untersuchungen weiter - wieder ohne Dolmetscher. Der Anstaltsarzt vermerkt
am 11. Juli: "vollzugstauglich: ja; Bedenken gegen Einzelunterbringung;
Suizidgefährdung: ja; Bemerkungen: Beobachtung 15 Min." Zwei Tage später
notiert ein Mitarbeiter des Sozialdienstes der JVA, A. würde Suizidgedanken
negieren und es seien auch keine erkennbar. Und drei Wochen später, am 2.
August 2018, heißt es nun auch seitens des Anstaltsarztes der JVA Kleve:
"Bedenken gegen Einzelunterbringung? nein; Suizidgefährdung? Nein".

Ahmad A. hatte in der Zwischenzeit einen "Antrag" gestellt auf Aufhebung der
Sicherungsmaßnahmen, die aus seiner vermeintlichen Suizidalität erfolgten.
Im Zuge der Prüfung dieses Antrags spricht er auch mit der
Anstaltspsychologin. Dieses Gespräch ist von besonderer Bedeutung. Denn die
Psychologin notiert am 3. September, A. habe "eine Menge kaum
nachvollziehbarer Angaben zur Person" gemacht. In den Worten der
Anstaltspsychologin: "Er habe seinen Namen immer korrekt mit Ahmad A.
angegeben, geboren sei er am 13. Juli 1992 - alle anders lautenden Angaben
seien auf fehlerhafte Protokolle der Polizei zurückzuführen. Die Daten aus
dem Urteil zu I. seien ihm allesamt unbekannt, das Urteil betreffe ihn
nicht. Er kenne den Namen Ahmady G. nicht, sei nie in Hamburg oder
Braunschweig gewesen - schon gar nicht zu der dort angegebenen Tatzeit - da
sei er noch gar nicht in Deutschland gewesen usw. usf."

Wer das liest, reibt sich die Augen. A. sagt die Wahrheit - und nichts als
die Wahrheit. Aber die Dehumanisierung von Gefangenen, insbesondere von
migrantischen, führt dazu, dass die Anstaltspsychologin gar nicht mehr in
der Lage ist, ihn als menschliches Subjekt wahrzunehmen. Angaben der
Polizei - das sind offizielle Dokumente und sie müssen ihre Richtigkeit
haben. Aussagen eines syrischen Gefangenen - "eine Menge kaum
nachvollziehbarer Angaben". Dennoch meint auch die Anstaltspsychologin, dass
keine Suizidabsichten vorhanden seien und befürwortete die Aufhebung der
Sicherungsmaßnahmen.

Die Landesregierung in Nordrhein-Westfalen wertet dieses absurde Hin-und-Her
im Endeffekt als Beleg ihrer These, dass A. seine Zelle in der Absicht, sich
selbst zu töten, angezündet habe.

Der Brand

Am Abend des 17. Septembers 2018 brennt es in Ahmad A.s Zelle. Der Stand der
Ermittlungen Anfang November lässt den Vorgang so rekonstruieren: Ein
Sachverständiger kam zu dem - vorläufigen - Ergebnis, dass der Brand wenige
Minuten nach 19 Uhr begonnen habe. Die Brandzeit habe etwa 20 Minuten
betragen, gegen 19:25 sei gelöscht worden. Um 19:23 ging ein Notruf bei der
Feuerwehr in Kleve ein.

Brisant ist zunächst: Justizminister Klaus Biesenbach hatte zunächst
öffentlich behauptet, der Gefangene hätte nicht versucht, sich bemerkbar zu
machen und die Gegensprechanlage nicht betätigt. Das stellte sich als falsch
heraus. Um 19:19:10 betätigte Ahmad A. die Gegensprechanlage, will also die
Justizvollzugsbeamten rufen. Und: Die heben ab. Für neun Sekunden. Dann
drücken sie A. weg. Was hier geschehen ist, kann man nicht richtig sagen.
Denn die einzige Quelle der Ermittler ist die Befragung der Justizbeamten
selbst "im Rahmen der kollegialen Beratung" des "besonderen Vorkommnisses
vom 17. September 2018". Die offizielle Version ist: A. habe zwar
durchgerufen, man habe auch abgenommen, aber er habe einfach nichts gesagt.
In den Worten der kollegial beratenden Experten: "Am 17.09.2018 soll der
Bedienstete der Abteilung 1 ein Telefonat mit einem Gefangenen geführt
haben, als gegen 19:19 h der Lichtruf aus dem Haftraum 143 auf dem
Bildschirm der Haftraumkommunikationsanlage aufleuchtete. Der Bedienstete
soll sodann den Lichtruf angenommen und dem Gefangenen mitgeteilt haben,
dass er derzeit noch ein Telefonat zu führen habe und sich später melden
würde. Da der Gefangene sich nicht weiter bemerkbar gemacht habe, sei der
Ruf danach quittiert (beendet) worden. Der dargestellte Umgang mit
Lichtrufen stellt insoweit keine Besonderheit dar und wird in der Praxis so
auch in anderen Anstalten geübt."

Die bislang durchgeführten Brandermittlungen kranken an mehreren
unausgesprochenen Voraussetzungen. Zum einen: Alle, ausnahmslos alle,
durchgeführten Ermittlungen gehen von zwei Möglichkeiten aus: Ahmad A. hat
die Zelle in Brand gesetzt; oder es war ein technisches Versehen, ein
Unfall. Letzteres wird bald ausgeschlossen. Ersteres damit für die Ermittler
die einzige Möglichkeit. Dass jemand anders den Brand gelegt haben könnte,
wird - ähnlich wie im Fall Oury Jalloh - schlichtweg nicht als realistische
Hypothese anerkannt.

Daneben gibt es eine Reihe weiterer Hypothesen: A. sitzt seit drei Monaten
unschuldig ein. Wenn er darauf aufmerksam macht, wird das als Versuch, sich
freizulügen oder Bemerkungen eines Verwirrten abgetan. Was, wenn er die
Zelle aus Protest angezündet hat, aber nicht sterben wollte? Und was, wenn
die Justizvollzugsmitarbeiter sich dachten: Na, lass den noch ein bisschen,
das wird ihm eine Lektion sein?

Man weiß es nicht. Und ähnlich wie im Fall Oury Jallohs wird man es nie
wissen, wenn nicht außerhalb der Behörden Druck gemacht wird. Klar ist, das
Justizministerium in Nordrhein-Westfalen kann nicht so tun, als wäre nichts
gewesen. Also ist die Strategie: Zugeben, was nicht verheimlicht werden
kann. Das aber immer mit der Stoßrichtung, die wirklich unangenehmen Fragen
nach Rassismus und Dehumanisierung im Gefängnisbetrieb nicht stellen zu
müssen. "Versehen", die habe es gegeben. Und "Tragisch" sei das alles.

Dass der Staat so handelt, ist indes normal. Verstörender ist, dass auch die
selbsternannte "Fünfte Gewalt" keine allzu großen Anstrengungen unternimmt,
den Fall aufzuklären. Ob es tatsächlich Suizid war, Mord oder fahrlässige
Tötung, das kann zum jetzigen Zeitpunkt niemand sagen. Ohne Druck von außen
wird das nicht ermittelt werden.
(Peter Schaber auf Lower Class Magazine / gek.)

*Die Rekonstruktion der Ermittlungsergebnisse beruht auf dem Bericht des
NRW-Justizministeriums an den Rechtsausschuss des Landtages vom 5. November
2018, Vorlage 17/1298

Volltext: http://lowerclassmag.com/2018/11/verbrannt-und-vergessen



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