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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 31. Oktober 2018; 22:56
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Türkei:

> Brief von Max Zirngast aus dem Gefängnis

Von unnützen Gesprächsangeboten und fehlenden Stiften

Der *Österreichische Journalisten Club (ÖJC)* veröffentlicht in
Zusammenarbeit mit #FREEMAXZIRNGAST das erste längere Schreiben des in der
Türkei inhaftierten österreichischen Journalisten Max Zirngast. Anbei
dokumentieren wir übersetzte und redigierte Auszüge aus einem längeren
Brief, den er am 18. Oktober 2018 verfasste und der uns kürzlich erreicht
hat. Zum besseren Verständnis haben wir einige Anmerkungen und Überschriften
eingefügt, sie sind durch eckige Klammern markiert.

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18. Oktober 2018

Ich bin euch allen zu Dank verpflichten; euch allen tausend Dank und viele
Grüße. Im Angesicht eurer Freundschaft und eurer Solidarität finden sich
keine Worte. Ich glaube nicht, dass ich so viel Interesse und Einsatz
verdient habe.

Ich möchte zunächst einmal detailliert erzählen, was wir hier so machen und
unter welchen Bedingungen wir leben. Entschuldigt, dass ich mit Bleistift
und nicht mit einem Kugelschreiber schreibe. Es gab irgendwelche Probleme
mit dem Geld und wir haben keine Kugelschreiber mehr. Hier kann man nur
einmal in der Woche einkaufen. Am Montag müssen wir den Einkaufszettel für
die Kantine einreichen, am Mittwoch erhalten wir dann die gewünschten
Produkte. Wenn du am Montag kein Geld hast, musst du eben auf den nächsten
Montag warten. Für Obst und Gemüse geben wir den Einkaufszettel am Dienstag
ab, am Donnerstag erhalten wir dann das Obst und das Gemüse. Da ich noch
immer keine vegane Nahrung erhalte [Max ist u.a. Tierbefreiungsaktivist und
ernährt sich vegan; Anm. d. Red.], sind [diese Obst- und Gemüseeinkäufe]
umso wichtiger. Was ich damit sagen will, ist, dass hier nicht alles so
einfach läuft, manchmal mangelt es uns auch an Stiften und Papier.

Zudem sind wir erst seit einigen Wochen hier [in Sincan 2; zuvor war Max im
Hochsicherheitstrakt von Sincan 1, Anm. d. Red.]. Nach einer Woche wurden
wir hierher versetzt, wir mussten alles von vorne anfangen und wir errichten
unsere Ordnung erst so langsam wieder. Auch unsere Besucher*innen sind noch
nicht bestätigt. Könnt ihr euch das vorstellen? Mithat [der Zellenkollege
von Max; Anm. d. Red.] kann sich zumindest mit seiner Familie treffen, aber
bei mir muss sogar hierfür jeweils ein gesonderter Antrag gestellt werden.
Außerdem können wir maximal fünf Bücher bekommen. Zusätzlich dürfen wir fünf
Bücher aus der Bibliothek bestellen. Wir haben 20 Bücher beantragt, aber sie
wählen zufällig zwischen ihnen aus und schicken uns fünf davon.

[Tagesabläufe]

Unsere Tage vergehen in etwa wie folgt: Ich stehe zwischen 6:30 und 7:00 Uhr
auf. Ich laufe hinunter - es ist eine regelrechte Maisonette hier, oben die
Betten, unten Toilette, minikleine Küche, Tisch, Stühle und so weiter. Und
natürlich ein etwa 60m² großer Hof. Ich lese ein wenig oder bereite Anträge,
Briefe und solche Dinge vor, die bei der allmorgendlichen Zählung
einzureichen sind. Danach frühstücken wir. Sie geben uns Oliven oder Eier
oder Käse und Helva [eine Mehl-Sesam-Speise; Anm. d. Red.]. Wir selbst
können uns Oliven, Marmeladen, Tomaten, Gurken und so weiter kaufen; ich
halte mich so über die Runden. Zwischen 8:00 und 8:30 Uhr findet die Zählung
statt. Bei der Zählung wird die Tür zum Hof geöffnet und wir übergeben die
Einkaufszettel für Kantine und Gemüse sowie unsere Anträge und Briefe. Wir
erscheinen in Hemd und Anzugshose zur Zählung. Gerne würden wir auch in
Anzugsjacken erscheinen, aber wir haben hier keine. Wenn ihr uns welche
schickt, machen wir auch das! Am Dienstag, Donnerstag, Samstag und Sonntag
zwischen 8:30 und 10:00 Uhr machen wir ein wenig Sport: Wir joggen im Hof
und machen danach intensives Krafttraining. Wir machen nicht jeden Tag
Sport; wenn, dann aber sehr intensiv. Außer den riesigen Wasserbehältern
haben wir zwar keine Gewichte, dafür machen wir viel Übungen ohne Geräte.
Mithat und auch ich haben schon zuvor viel Sport gemacht. Also macht euch
diesbezüglich keine Sorgen, wir werden sehr fit hier rauskommen. Eigentlich
müssten wir jeden zweiten Mittwoch 40 Minuten im geschlossenen Sportraum
Sport machen dürfen. Aber gestern durften wir das zum Beispiel nicht. Es
hängt alles so ein wenig von Allah ab, was geht und was nicht geht; wir
schauen dann aber trotzdem, dass wir irgendwie zu Rande kommen.

Montag, Mittwoch und Freitag früh lernen wir Fremdsprachen. Zwischen 10:00
und 12:00, 15:00 und 17:00, 18:30 bis 20:00 oder 20:30 sowie 21:00 bis 23:00
oder 24:00 Uhr sind unsere Lesezeiten. Nachts lesen wir Romane oder
schreiben Briefe. Um 12:30 Uhr kommt das Mittagessen, um 17:30 Uhr das
Abendessen. Nach dem Mittagessen lesen wir Zeitung oder machen Musik. Um
zwischendurch ein wenig in Bewegung zu kommen oder den Kopf frei zu
bekommen, laufen wir hin und her. Warmwasser gibt es zwischen 20:30
beziehungsweise 21:00 und 22:30 Uhr. Sprich, wir müssen dann um diese
Uhrzeiten duschen. Putzen tun wir Montag abends, wenn das Warmwasser da ist.
Bis jetzt, also im Oktober, kriegen wir die Hürriyet [eine der
auflagenstärksten Tageszeitungen der Türkei, einst relativ unabhängig,
mittlerweile von einem Regierungstreuen geführt; Anm. d. Red.], nächsten
Monat wollen wir noch zwei bis drei zusätzliche Tageszeitungen beantragen.
Zeitungen oder Zeitschriften, die nicht täglich erscheinen, bekommen wir
noch keine. Wir wissen auch nicht, wie viele wir besitzen dürfen. Das müsste
von draußen gelöst werden. Das wäre sehr gut und wichtig, weil wir das
Zeitgeschehen nur sehr begrenzt verfolgen können. Es gibt keinen Fernseher
und wir haben auch nicht vor, einen zu kaufen. Wenn sich das Ganze hier in
die Länge ziehen sollte, überlegen wir es uns vielleicht nochmal, ansonsten
brauchen wir das derzeit nicht.

Zu verfolgen, was in Europa passiert, ist also derzeit von hier aus im
Prinzip nicht möglich. Was das Lesen angeht, muss ich zwangsläufig auf
Türkisch lesen [Max darf keine Schriftstücke bekommen, die nicht Türkisch
sind; Anm. d. Red.]. Das ist nicht unbedingt etwas schlechtes, aber ein
Wörterbuch würde schon alles viel besser machen. Wie dem auch sei. In ein
paar Monaten ist mein Türkisch sicherlich stark fortgeschritten. Derzeit
lese ich zum Faschismus und zur türkischen Linken. Danach, denke ich, werde
ich unter anderem zur Geschichte der Türkei und des Osmanischen Reiches,
sowie zur Wirtschafts- und [unleserlich wegen Gefängnisstempel] und außerdem
zur Ideengeschichte lesen (deshalb habe ich Cereyanlar [auf Deutsch:
"Strömungen", Standardwerk von Tanil Bora zur Geschichte politischer
Ideologien in der Türkei; Anm. d. Red.] bestellt); dann zu marxistischer
Theorie und politischer Ökonomie (Die Arbeit im modernen Produktionsprozess
von Harry Braverman wollte ich zum Beispiel schon lange lesen) und so weiter
lesen. Das ist so der allgemeine Rahmen, an den wir gedacht haben. Und
zwischendurch natürlich Gedichte und Romane - die sind sowieso nochmal was
Anderes.

Lesen allein geht natürlich nicht. Man muss auch etwas schreiben, etwas
hervorbringen. Das mache ich auch. Wie ausgefeilt meine Interpretationen
sein werden, weiß ich noch nicht. Bisher konzentriere ich mich auf Notizen,
auf ein Tagebuch und natürlich die Briefe.

[Ereignisse der letzten fünf Wochen]

Was die letzten fünf Wochen angeht, was passiert ist und was wir erlebt
haben - inklusive meiner Interpretation der Ereignisse, das werde ich jetzt
detailliert schildern.

[Von der Razzia bis zum Gefängnis]

Alles fing an wie eine "ganz normale" Razzia. Als die Polizei gegen 6 Uhr
morgens bei uns in der Wohnung auftauchte, gab es noch keine besondere
Haltung mir gegenüber. Zumindest habe ich nichts dergleichen wahrgenommen.
Auf dem Weg zum Quartier der Antiterrorpolizei gab es natürlich eine Reihe
an unnützen Gesprächsversuchen, so à la "die Türkei ist das freieste und
demokratischste Land der Welt, oder?". Ich habe versucht, von Anfang an sehr
ruhig, distanziert aber höflich zu bleiben. Es ist nichts Besonderes
passiert. [unleserlich] Im Polizeigewahrsam wurde am ersten Tag ein bisschen
herumgeschrien. Danach ist auch dort nichts mehr Außerordentliches passiert.
Wir wurden alle separiert voneinander festgehalten, Kommunikation war sehr
beschränkt. Im Gegensatz zum Gefängnis ist der Polizeigewahrsam sehr
schlecht. Statt auf einem Bett schläfst du auf einem Stück Holz, mit einer
dünnen Decke, ohne Kissen, es ist stickig und zugleich sehr kalt und in
meiner Zelle war 24 Stunden am Tag das Licht an. Dieses hässliche weiße
Licht. Essen gab's wenig und wenn auch nur eiskaltes. Nach ein paar Tagen
hatte ich einen verdorbenen Magen, Krämpfe, Sodbrennen, Durchfall, das ganze
Programm eben. Es gab nichts zu lesen und unterhalten konnte man sich zum
Großteil ebenfalls nicht. In den letzten Tagen befand sich ein Unteroffizier
mit mir in meiner Zelle, davor für ein-zwei Stunden ein IS'ler. Im
Allgemeinen befanden sich dort viele Gülenisten: Zwei Handvoll Soldaten und
ein paar Lehrer. Die waren regelrecht erstaunt darüber, was mit ihnen
passierte. Dutzende von Jahren dienten sie dem Staat, nun müssen sie dies
durchmachen. Jetzt sind es keine hohen Tiere mehr, die festgenommen werden.
Der Großteil von ihnen hasst den Staat. Einer von denen, die bei Mithat in
der Zelle waren, meinte: "dieser Staat muss zerstört werden". Jeden Tag
kommen neue Gefangene hinzu, die "Säuberungen" gehen immer noch weiter. Von
einem menschlichen Standpunkt aus werden lauter wütende, hoffnungslose und
deklassierte Elemente hervorgebracht. Das derzeitige "Terrorverständnis" der
Türkei und was darunter zermalmt wird, wird sich in den nächsten Jahren
rächen, nehme ich an.

Die erste interessante Angelegenheit in Bezug auf mich passierte in der
Nacht des zweiten Tages. Also am Donnerstagabend, dem 13. September. Ich war
gerade am Einschlafen, da wurde ich zur Befragung abgeholt. Das haben sie
nur mit mir und Burçin [neben Mithatcan Türetken und Hatice Göz die vierte
Person in Gewahrsam, wurde am 20. September auf freien Fuß gesetzt; Anm. d.
Red.] gemacht. Es ging nicht so lange, vielleicht 25 bis 30 Minuten. Ich
habe eh zu verstehen gegeben, dass ich nicht reden werde und meinen Anwalt
verlange. Wenn ich geredet hätte, hätte es sicherlich länger gedauert. Aber
was sie gemacht haben war rechtswidrig. Ansonsten stehe ich ja hinter allem,
was ich gemacht habe, und habe mich vor dem Staatsanwalt ja auch offen
verteidigt, ohne irgendwas zu verstecken. Während ich also nicht sprach,
haben sie mir eine ganze Reihe an Fragen gestellt und ich habe versucht zu
verstehen, worum es ihnen eigentlich ging. Es waren drei Personen. Der Chef
hat sich im Hintergrund gehalten und nichts gefragt, nur zugehört. Zwei
Polizisten haben ein "Kreuzverhör" versucht, der dritte versuchte, einen auf
"Freund" zu machen: "Ich bin ein Alevite, ich hatte mal eine arabische
Alevitin als Freundin" und so weiter. Ich habe recht schnell verstanden,
dass es bei dieser ersten Kontaktaufnahme im Prinzip darum ging, die ganze
Sache in Richtung Agententum zu biegen. Sie fragten "Warum gehst du so oft
nach Hatay?" oder "Hast du Verbindungen mit der Friedrich-Ebert-Stiftung
aufgebaut? Hast du Gelder aus dem Ausland von dieser Stiftung bekommen?" Ich
kenne natürlich solche Spielchen, konnte meine Verblüffung aber trotzdem
nicht verbergen. Die Friedrich-Ebert-Stiftung ist doch eine legale
Institution mit einem Büro in Istanbul. Da braucht es keine Ausländer, man
kann da direkt zu denen hin, wenn man Verbindungen aufbauen will; außerdem
könnt ihr euch auch direkt an die Stiftung selbst wenden, wenn ihr Fragen
habt. Einmal davon abgesehen, dass ich gar keine Gelder von der FES
organisiert habe. Den Großteil der Fragen, den sie mir an diesem Tag
gestellt haben, hat mir der Staatsanwalt dann auch nicht mehr gestellt.
Ansonsten gab es nichts Besonderes mehr im Polizeigewahrsam, außer dem, was
ihr eh schon wisst: zweimal verlängert, direkte Aufnahme der Aussage beim
Gericht ohne Aussage bei der Polizei und so weiter.

Wie es beim Staatsanwalt lief, das wisst ihr vermutlich ebenso schon in
groben Zügen. Ich wusste nicht, dass sich meine Verteidigung öffentlich
verbreiten würde - ich habe auch nicht an solch eine Möglichkeit gedacht,
als ich mich vor dem Staatsanwalt verteidigt habe. Im Allgemeinen gingen wir
davon aus, dass zwar die Angelegenheit nicht gerecht ablief, er uns aber
doch mit einem Minimalernst zuhören würde und deshalb eine Haftentlassung
sehr wahrscheinlich wäre. Vielleicht wäre es besser gewesen, wir hätten
denen die Leviten gelesen. Nun gut, jetzt ist es so gelaufen, ich habe meine
Lehren gezogen. Die Türkei befindet sich in einer Übergangsperiode und viele
Menschen sind sich oft unsicher, wie sie sich zu verhalten haben. Bei uns
hat sich ja im Nachhinein herausgestellt, dass unsere Aussagen sowieso
keinen Sinn hatten.

Wenn wir uns den Prozess anschauen, das Geschehene analysieren und uns die
allgemeinen Bedingungen in der Türkei vor Augen führen, lassen sich, finde
ich, einige Punkte festhalten. Natürlich ist meine Festnahme keine
Geiselnahme wie im Fall von Deniz Yücel. Es ähnelt auch nicht dem Fall
Brunson. Im Zuge des Versuchs, die gesamte demokratische Opposition in
Ankara zum Schweigen zu bringen, hat man eben auch an meiner Tür geklingelt.
Ich hatte meine Stimme für eine demokratische Republik erhoben und die
demokratischen Kämpfe unterstützt. Die Polizei nahm während der Durchsuchung
auch sehr viele Bücher mit aus meiner Wohnung, insbesondere diverse
Politikbücher und Bücher zur türkischen Linken. Es ist durchaus normal, dass
ein Politikwissenschaftler diese Bücher liest. Der Staatsanwalt fokussierte
sich sehr auf diese Bücher und frage mich auch nach einem von mir verfassten
Jacobin-Artikel aus. Es wurde mir eine Übersetzung daraus vorgelegt, worum
es um die Kurdische Frage ging. Auch das Buch von Ismail [Küpeli als
Herausgeber, Kampf um Kobanê, Kampf um die Zukunft des Nahen Ostens, 2015;
Anm. d. Red.] wurde angesprochen. Es wurde sogar behauptet, ich sei der
Autor des Buches. Ich habe dann erklärt, dass ich nicht Autor des Buches
bin, dass das Buch eine Artikelsammlung ist und dass ich in dem Buch einen
Artikel gemeinsam mit anderen geschrieben habe. Auch die Polizei hat während
ihrer "Befragung" behauptet, ich hätte in einem Artikel den Präsidenten
[Erdogan; Anm. d. Red.] beleidigt. Ich habe den Vorwurf verneint und habe
gesagt, dass ich Kritiken immer in politischer Terminologie formuliere und
sie dazu aufgefordert, mir den betreffenden Artikel vorzulegen und diesen
mit mir durchzugehen. Was ich sagen will, ist, dass sie im Zuge des
Prozesses versucht haben, "herauszufinden" wer ich bin. Aber es gibt da
nichts "herauszufinden". Wie ich schon gesagt habe, bin ich Sozialist und
Schriftsteller und stehe hinter allem, was ich gemacht habe.

[Das Gefängnis]

Unsere Gefängnisroutine habe ich ja schon beschrieben. In Sincan 1 hatten
wir unsere Bücher nicht, deshalb konnte wir uns dort noch keine Routine
zulegen. Erst am 3. oder 4. Oktober erhielten wir unsere Bücher in Sincan 2.
Seitdem sitzt unsere Routine. Zum Leben im Gefängnis werde ich bald
detailliert und themenspezifisch schreiben. Ich werde schreiben zur
(räumlichen) Kreativität im Gefängnis - "Wie mache ich aus einem riesigen
Wasserbehälter einen Schwamm und wozu brauche ich sowas?" und ähnliche
Fragen -, zur Haltung im Gefängnis und dazu, wie man sich dem Raum und der
Zeit aufzwingt.

Hier möchte ich den Verlauf unserer Haft weiterverfolgen und kurz
beschreiben, wie mit uns umgegangen wird. In Sincan 1 gab es überhaupt keine
Probleme. Die Wächter haben sich stets professionell und höflich verhalten.
Sincan 2 ist nicht ganz so. Schon am ersten Tag wurden wir grundlos
angeschrien, wir hatten nicht provoziert. Wir wurden bedroht: "Macht keine
Faxen, sonst.". Wir sind nicht im Gefängnis, um Faxen zu machen oder unnütze
Auseinandersetzungen zu führen. Weder wollen wir hier unsere Zeit
verschwenden, noch uns kloppen. Wenn wir schon aufgrund unserer politischen
Ansichten bestraft werden, dann werden wir diese Zeit so produktiv wie
möglich nutzen, uns weiterentwickeln, alles lernen, was wir lernen können,
um gestärkt, gereift, mit mehr Wissen und Fähigkeiten wieder hier
rauszukommen. Warum sollen wir unsere Zeit verschwenden mit unnützen
verbalen Schlagabtäuschen? Sprich: Wir wollen uns auf unsere Sachen
konzentrieren. Was nicht heißt, dass wir alles mit "ja, Amen" hinnehmen
werden. Aber letztlich haben wir zu tun. Schließlich haben wir eine wirklich
freie, demokratische und grüne Welt aufzubauen und unsere Anstrengungen
werden nicht enden "bis das Antlitz der Welt das Antlitz der Liebe ist"
[Gedicht des türkischen Dichters Adnan Yücel; Anm. d. Red.].

Und so führt uns der Weg zum Heute. Ich werde in den nächsten Wochen nochmal
mehrmals schreiben. Es dauert eh ein paar Wochen, bis die Briefe bei euch
ankommen, darauf ist zudem kein Verlass (angefangen bei der
Brieflesekommission). Ich werde ein wenig vom Leben hier berichten.

Die Gespräche hier sind ein Vergnügen; ich meine sogar, einige Themen kann
man sich hier besser erschließen als draußen. Ich muss gestehen, dass es
wirklich ein großer Segen ist, gemeinsam mit Mithat in einer Zelle zu sein.
Anfangs, als ich in diese neue Umgebung kam, war ich schon öfter mal
überrumpelt. Mittlerweile habe ich das meiste gelernt.

Noch einmal großen Dank und viele Grüße an alle.
Passt sehr gut auf euch auf, ich umarme euch,
Liebe Grüße,
Max

*

Quelle, Rückfragen & Kontakt: Österreichischer Journalisten Club, Fred
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