**********************************************************
akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 12. September 2018; 19:49
**********************************************************

Kommentierte Presseschau:

> Frechheit siegt

"Lernen Sie Geschichte, Herr Reporter!" Diesen flappsigen Satz von Bruno
Kreisky möchte man bisweilen den heute aktiven Journalisten zurufen, wenn
sie Sebastian Kurz interviewen. Dieser kommt nämlich ständig mit Statements
durch, die eigentlich sehr hinterfragenswert wären. Als er, noch als
Außenminister, in der österreichischen Botschaft in Pretoria 2016 vor dem
versammelten diplomatischen Corps Südafrikas jenen österreichischen
Auswanderern dankte, die vor "40, 50 oder sogar 60 Jahren" ans Kap
ausgewandert waren, um "zu helfen, das Land aufzubauen", kam niemand auf die
Idee, ihn zu fragen, ob er sich bewußt ist, daß die damals in den
Apartheidstaat ausgewandert sind, um dort Herrenmenschen sein zu können.

Jetzt stößt bei seinen Statements zur neuen UNO-Menschenrechtskommissarin
zwar einigen Kommentatoren sauer auf, daß Kurz so betonen muß, daß Michelle
Bachelet aus der Sozialistischen Partei Chiles kommt, wenn er die Kritik der
Kommissarin an der Menschenrechtssituation von Migranten hierzulande
zurückweist. Aber niemand kommt auf die Idee, ihn zu fragen, ob ihm
vielleicht eine chilenische Vertreterin aus jener Partei, mit der die ÖVP
gemeinsam in der IDU ist, lieber gewesen wäre. Das ist nämlich die Union
Democrata Independiente. Und wenn Kurz das dann bejahte, könnte man fragen,
ob er wüßte, daß das jene Partei ist, die von Augusto Pinochet gegründet
worden ist. Und man könnte ihn fragen, ob er wüßte, daß Bachelet genau vor
diesem Regime einstens flüchten mußte. Warum fragt ihn das keiner?

Nein, Kurz darf unhinterfragt in einer Aussendung darüber schwadronieren,
daß er hoffe, daß "nach dieser Prüfung die UNO wieder Zeit und Ressourcen
hat, um sich jenen Ländern zu widmen, wo Folter und Todesstrafe auf der
Tagesordnung stehen und Meinungs-, Presse-, Versammlungs- und
Religionsfreiheit mit Füßen getreten werden". Fast wortwörtlich wiederholt
er das auch im ORF-Sommergespräch. Und hat die Chuzpe in der selben Sendung
noch einmal zu erzählen, daß er ja kürzlich in Singapur gewesen sei, wo
alles so toll wäre. Spätestens jetzt hätten die beiden Interviewenden, Hans
Bürger und Nadja Bernhard, einhaken und die Frage stellen müssen, ob das
nicht genau eines dieser Länder wäre, die er gemeint haben könnte, wo die
Todesstrafe an der Tagesordnung steht und Meinungs- und Pressefreiheit eher
schlecht entwickelt sind.

Nein, Sebastian Kurz ist zwar jetzt schon seit geraumer Zeit Repräsentant
Österreichs, zuerst als Außenminister, jetzt als Kanzler, aber wenn er
solche Statements abliefert, fragt ihn keiner, ob er vorher nachgedacht
hätte. Das ist dann doch beängstigend.

Nachsatz: Am Dienstag war der 45.Jahrestag des Pinochet-Putsches. Aber das
interessiert ja auch keinen.

https://tvthek.orf.at/topic/Sommergespraeche-2018/13869345/Sommergespraech-mit-Bundeskanzler-Sebastian-Kurz-OeVP/13988507
(noch bis 17.9. anzusehen)
https://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20180910_OTS0130
https://www.vol.at/kurz-schramboeck-fassmann-und-hofer-in-singapur-und-hongkong/5905677
Jene zweifelhaften Aussagen innenpolitischer Natur, die Kurz beinahe
unwidersprochen im Sommergespräch tätigen konnte, finden sich auf diesem
SPÖ-Blog zerlegt wieder: https://kontrast.at/kurz-im-sommergespraech/
*

> Die Herrschaft der Kühlschränke

Daß der Zeitungsleser einmal mit Rosemarie Schwaiger -- zumindest
ungefähr -- einer Meinung sein könnte, hätte er nicht einmal im Traum
befürchtet. Mit ihrem Profil-Kommentar "Übers Knie gebrochen" hat sie aber
recht. Sie beschäftigt sich mit Efgani Dönmez -- dessen Fan ich auch nicht
gerade bin --, seinem berüchtigten Knie-Tweet und dessen Folgen: "Ob das als
Anspielung auf sexuelle Praktiken gemeint war, wie viele glauben, oder ganz
anders und überhaupt nicht sexistisch, wie Dönmez beteuert, ist mittlerweile
egal. Es tut auch nichts mehr zur Sache, dass der Delinquent von einem
'Moment der Schwäche' sprach und sich entschuldigte. Er wurde im Eiltempo
abgeurteilt, die öffentliche Ordnung gilt damit als wiederhergestellt. Die
Frage ist jetzt nur noch, ob wir in einer Welt leben wollen, in der ein
dummer, aber in der Sache folgenloser Satz alles ruinieren kann, was ein
Mensch für sein Lebenswerk gehalten hat. Müsste uns nicht kollektiv ein
wenig mulmig werden, wenn wir sehen, wie unglaublich schnell das manchmal
passiert?"

Die Frage ist sehr berechtigt. Denn wieviel Blödsinn sondert jeder von uns
bisweilen ab? (Ja, jetzt denkt sich wohl wieder irgendwer, mit diesem
Beitrag liefert derAutor dafür ein gutes Beispiel ab. Geschenkt!) Bei
unsereinem hat das meist keine Konsequenzen, weil wir nicht prominent sind.
Wir können ruhig auch mal peinlich sein. Bei Promis sieht das dann halt
anders aus. Schwaiger: "Von Menschen, die in der Öffentlichkeit stehen,
werde erwartet, dass sie sich unter Kontrolle haben, heißt es. Im Besonderen
gelte das für Politiker, die vom Volk bezahlt werden und Vorbilder sein
sollten. So kann man es sehen. Aber dann darf man sich auch nicht
beschweren, wenn die Zahl der menschlichen Roboter auf der politischen Bühne
zunimmt. Gutes Benehmen in allen Lebenslagen garantiert am zuverlässigsten,
wer emotional ein Kühlschrank und weitgehend temperamentfrei ist. Die
umfassende Selbstkontrolle kann, bei Licht betrachtet, eine ziemlich
gruselige Fähigkeit sein."

Ja, eben. Aber dann muß auch medial etwas passieren, damit uns nicht nur
Kühlschränke regieren. Und auch da kann ich Schwaiger nur zustimmen: "Ein
bisschen mehr Nachsicht bei Fehltritten, die letztlich keinen Schaden
verursacht haben, wäre insgesamt eine gute Idee. Das kann man sich auch als
Journalist einfach mal vornehmen."

https://www.profil.at/meinung/rosemarie-schwaiger-uebers-knie-10334499

*

> In schlechter Verfassung

"Der Entwurf für ein Standortentwicklungsgesetz sieht vor, dass
Bewilligungsanträge für UVP-pflichtige Projekte automatisch genehmigt sind,
wenn sie nicht innerhalb einer bestimmten Frist entschieden werden; welche
Konsequenzen diese Projekte haben, spielt keine Rolle. Der Rechtsschutz wird
eingeschränkt. Eine Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht ist nur wegen
grundsätzlicher Rechtsfragen zulässig, die Durchführung einer mündlichen
Verhandlung wird ausgeschlossen. Abgesehen von Einzelheiten zeigt der
Entwurf deutlich, dass die ihm zugrunde liegende politische Haltung heißt:
Wirtschaft steht über allem. Das ist ein klares Bekenntnis zum
Neoliberalismus; in diesem steht die Wirtschaft als Staatsziel über der
gesamten Rechtsordnung inklusive der Verfassung und ist 'von der Demokratie
nicht mehr erreichbar' (C. Crouch). Diese politische Positionierung ist in
einem Land, in dem die Einkommensschere immer weiter aufgeht und die
Vermögensverteilung immer einseitiger wird, doch bemerkenswert."

Und: "Die Debatte um das Standortentwicklungsgesetz wird begleitet von einer
Sozialstaatsdebatte, die mit massiven Feindbildern arbeitet; Durchschummler,
Zuwanderer in das Sozialsystem, Menschen, die nichts einzahlen, werden den
Fleißigen und Tüchtigen und den Einzahlern in das Sozialsystem
gegenübergestellt. Damit wird eine wichtige Errungenschaft des Sozialstaates
bis zur Unkenntlichkeit verwischt."

So, jetzt die Frage, von wem stammen diese zwei Zitate? Nein, falsch! Das
ist kaum zu erraten. Es ist nämlich Heinz Mayer, einer der höchstangesehenen
Verfassungsrechtler der Republik, der da seinem Grant freien Lauf läßt. Wenn
jemand wie Mayer, der bislang als eigentlich jemand gegolten hat, der nie
die Contenance verliert und alles immer sehr differenziert betrachtet, für
seine Verhältnisse richtig laut wird (insofern bedrucktes Papier halt laut
sein kann), dann muß das dieser Regierung eigentlich zu denken geben. Sollte
man hoffen. Das Netteste an diesem "Kommentar der anderen" im "Standard" ist
aber der sarkastische Titel: "Make Austria Great Again". Au, das tut weh!
Oder sollte es zumindest tun. Aber spürt die Kurz-Regierung eigentlich sowas
noch?

https://derstandard.at/2000085780471/Make-Austria-Great-Again

*

Sofern nicht anders angegeben, beziehen sich die Zitate auf die
Online-Ausgaben der jeweiligen Medien. Zeitungsleser: -br-.



***************************************************
Der akin-pd ist die elektronische Teilwiedergabe der nichtkommerziellen
Wiener Wochenzeitung 'akin'. Texte im akin-pd muessen aber nicht
wortidentisch mit den in der Papierausgabe veroeffentlichten sein. Nachdruck
von Eigenbeitraegen mit Quellenangabe erbeten. Namentlich gezeichnete
Beitraege stehen in der Verantwortung der VerfasserInnen. Ein Nachdruck von
Texten mit anderem Copyright als dem unseren sagt nichts ueber eine
anderweitige Verfuegungsberechtigung aus. Der akin-pd wird nur als
Abonnement verschickt. Wer versehentlich in den Verteiler geraten ist, kann
den akin-pd per formlosen Mail an akin.redaktion@gmx.at abbestellen.



*************************************************
'akin - aktuelle informationen'
postadresse a-1170 wien, lobenhauerngasse 35/2
redaktionsadresse: dreyhausenstraße 3, kellerlokal, 1140
vox: 0665 65 20 70 92
http://akin.mediaweb.at
blog: https://akinmagazin.wordpress.com/
facebook: https://www.facebook.com/akin.magazin
mail: akin.redaktion@gmx.at
bankverbindung lautend auf: föj/BfS,
bank austria, zweck: akin
IBAN AT041200022310297600
BIC: BKAUATWW