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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 12. September 2018; 19:25
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Medien/Demokratie/Grüne/Glosse:

> Meine 15 Minuten

Aufmerksamkeitsökonomie in einer Nußschale


Jetzt war ich auch einmal eine Viertelstunde berühmt. Oder besser: 24
Stunden einem Teil der massenmedialen Öffentlichkeit namentlich bekannt.
Sowas ist schon spannend.

Für alle, die es doch nicht mitgekriegt haben: Ich habe mir den Spaß
gemacht, das grüne Spitzenkandidatur-Brimborium zu persiflieren, in dem ich
selbst eine Kandidatur eingereicht habe - natürlich mit einem provokanten
Text, quasi einer Provokation zur Provokation. Mein Anliegen war, die Grünen
dazu aufzurufen, sich einerseits nicht mehr ständig von allen zu
distanzieren, was als bürgerschreckend begriffen werden könnte, und
andererseits auch wieder Forderungen zu erheben, die ein bisserl radikaler
und eben provokant sind. Und ich wollte ihnen vor Augen führen, welch ein
geschmäcklerischer Unfug ein solches Vorwahltheater ist.

Wie absehbar war, stürzten sich die meisten Medien (u.a. "Der Standard" und
das Ö1-Journal-Panorama des ORF) auf das von mir verwendete Reizwort
"Haschtrafiken" -- überraschenderweise tat das die "Krone" nicht, sondern
zitierte mich als Forderer von Gratis-Öffis. Die nutzte meine Kandidatur und
die eines Ex-Bundesheerlers mit reichlich militaristischem Vokabular, um die
Bandbreite der unbekannten Kandidaturwerber darzustellen.

Offensichtlich war die Medienarbeit der grünen Partei in den letzten Wochen
sehr intensiv hauptsächlich auf dieses Kandidatur-Spektakel ausgerichtet.
Der mediale Impact einer Kampagne, die sich nur um die Vorwahl einer
Kleinpartei zu einer nicht mal unmittelbar bevorstehenden Regionalwahl
drehte, war angesichts der geringen Bedeutung der Angelegenheit enorm. Aber
natürlich war auch das dramatische Element, daß das Wohl und Wehe einer
Partei, die immerhin seit drei Jahrzehnten zum Inventar der österreichischen
Innenpolitik gehört, jetzt vom Auftreten der Wiener Landespartei abzuhängen
scheint, Grund, das doch etwas ernster zu nehmen. Weiters hat natürlich auch
ein politischer Wettbewerb um eine relevante Position bei einer Partei, der
vielleicht ausnahmsweise nicht ausgehen könnte wie das Hornberger Schießen,
auch seinen eigenen exotischen Appeal. Fußballmatches sind ja auch nicht
deswegen so beliebt, weil das Runde ins Eckige soll, sondern weil man am
Anfang nicht weiß, wie es ausgeht -- selbst wenn man nicht zu einer der
beiden Mannschaften hält.

Auf dieser medialen Welle bin ich also mitgeritten. Natürlich sind
Außenseiter, denen kein vernünftiger Mensch Chancen ausrechnet, wenig
spannend -- außer sind ein bisserl schrill. Auch hier also wieder der Appeal
des Exotischen.

Demokratie als Fun-Event

Ja, vanitas vanitatum, ich hab mir das alles im Netz angeschaut. Wenn es
nach dem Standard.at-Forum ginge, wäre ich haushoher Favorit -- selbst wenn
man jene Hälfte der Wahlempfehlungen für mich wegließe, die wohl sarkastisch
gemeint gewesen sein dürften. Das wird sich aber nicht in den
Unterstützungserklärungen niederschlagen. Denn gerade darin beweist sich der
Fehler in der grünen Strategie: Nur weil sie mit ihrer Kampagne wieder mehr
vorkommen, heißt das noch lange nicht, daß deswegen die Partei als solche
wieder mehr Leute anzieht. Wer im Standard kommentiert, beteiligt sich noch
lange nicht an dem Vorwahltamtam. Und wer sich doch daran beteiligt,
beteiligt sich noch lange nicht an der politischen Arbeit. Christoph
Chorherr jubelte letzten Mittwoch, schon über 1000 Wahlwillige hätten sich
angemeldet -- doch wieviele davon haben sich da einfach nur für 15 Euro ein
Event-Ticket gekauft? Und besteht nicht die Gefahr, daß diese Polittouristen
eine Person auf den Schild heben, mit der die Aktiven in der Partei
mehrheitlich nichts anfangen können? Denn auch hier stellt sich die Frage
nach dem Spaß-Faktor: Werden die jetzigen Wahlwilligen sich an den
Wahlkampfveranstaltungen beteiligen, wenn es um den Landtag geht? Wohl eher
nicht. Und wenn die Wahlen erst zum regulären Termin im Herbst übernächsten
Jahres stattfinden, wird die ganze inszenierte Aufregung vergessen sein --
außer Spesen nichts gewesen.

Zurück zu meinem Akt der Kommunikationsguerrilla. Sicher er war völlig
bedeutungslos angesichts der grauenvollen politischen Realität, aber man muß
sich auch mal was gönnen. Ehrlich, meinen Spaß habe ich wirklich gehabt.
Stundenlang durch die Foren von Krone und Standard surfen und dabei irre
kichern können -- das wars wert.

Interessant waren aber die Debatten, die ich da in meiner Facebook-Blase und
im wirklichen Leben führen konnte -- einerseits gabs da die Kritik, ich
würde den Grünen mit meiner Persiflage einer Kandidatur schaden; zum anderen
aber auch, daß es schon seltsam wäre, wenn ich mir erhoffte, irgendwie
Einfluß darauf nehmen zu können, daß die Grünen wieder zurück zu ihren
AL-Wurzeln finden könnten.

Über beides habe ich lange nachgedacht. Meine Conclusien? Nun, es ist sicher
naiv von mir, die Grünen wieder auf den linken Pfad der Tugend zurückführen
zu wollen -- aber ist Naivsein so schlecht? Weil: Als Linke wollen wir doch
immer noch die neue Welt bauen oder zumindest die Welt verbessern. Wir
hoffen, irgendwann einmal den herrschaftsfreien Sozialismus zu erreichen --
und das auch in Zeiten wie diesen, wo der politische Zug in die
Gegenrichtung dampft. Aber die Hoffnung, die Grünen wieder zu Alternativen
machen zu können, soll realitätsfremd sein? Wo bliebe denn da das
Bewußtsein, daß man auch Chancen nutzen muß, die man nicht hat?

Die erstgenannte Kritik geht völlig ins Leere. Weil gerade meine Travestie
einer Kandidatur gut war für die Grünen bei ihrer Kampagne -- dadurch, daß
ich kandidierte, habe ich den Grünen die Möglichkeit gegeben, mich überhaupt
als Kandidaten zu akzeptieren. Erst dadurch werden aber die geringen Hürden
bei diesem Verfahren erkennbar und damit dieses legitimiert. Hingegen ein
als demokratisch verstandenes Procedere, dessen Proponenten hohe Hürden
aufbauen, um sich nicht in die Parade fahren zu lassen (siehe
Mindestprozentklauseln bei Nationalrat und Landtagen), deligitimiert sich
selbst. Insofern habe ich diese Kampagne, die ich doch so kritisiert habe,
sogar ungewollt unterstützt; Scheiße, das hätte ich mir früher überlegen
sollen!

Fade Politik

Wie dem auch sei, eine weitere Lehre ist aus dieser Geschichte schon auch
wieder zu ziehen: Das größte Interesse in politischen Angelegenheiten rufen
Personalia hervor, nicht inhaltliche Forderungen. Das WER ist wichtig,
weniger das WAS. Deswegen wiegt ein smartes Auftreten vor der Kamera an der
Wahlurne auch so viel mehr als ein dickes Parteiprogramm. Und spätestens
seit Eva Glawischnig in einem ORF-Interview die Cannabis-Legalisierung
selbstherrlich aus dem beschlossenen Parteiprogramm gefegt hat, ist klar,
daß derlei Beschlüsse wirklich nur dazu taugen, in gedruckter Form einen
Tisch vom Wackeln abzuhalten. Als Peter Pilz vor der letzten
Nationalratswahl nach einem Programm für seine neue Partei gefragt wurde,
gab er zur Auskunft, seine Kandidaten seien das Programm. Was in vielen
Ohren klang wie eine Ausrede für ein inkohärentes Weltbild, kann aber auch
so gesehen werden, daß dies nur die Erkenntnis der völligen Belanglosigkeit
von proklamierten Programmen in unserer Zeit ist.

Das aber hat die immer wieder bedauerte Beliebigkeit unserer Parteien zur
Folge -- eine jede scheint eine Catch-All-Party sein zu wollen. Politische
Aussagen kommen nicht mehr aus inhaltlichen Überzeugungen, sondern werden
getätigt, um thematische Nischen zu besetzen, doch vorsichtig genug, um
nicht potentielle Wählerschichten zu vergrämen. Dies bringt das
wahlberechtigte Publikum auf Dauer naturgemäß zum Gähnen. Die Reaktion in
den Parteien darauf kann aber nicht sein, vielleicht wieder kantiger zu
werden, weil ihnen das ganz schnell von den Politikberatern wieder
ausgeredet würde. Wenn schon Erneuerung, dann eben nicht inhaltlich, sondern
über das Personal, am besten mit der nächsten oder sogar übernächsten
Politikergeneration. Das brachte einen Sebastian Kurz hervor und das bringt
einem Peter Kraus nun Chancen bei den Grünen.

Diese Frustration über den Einheitsbrei in der Politik schickte aber auch
einen Jon Gnarr ins Bürgermeisteramt von Reykjavik. Und es sorgte dafür, daß
ich einen Tag ein bisserl prominent war. Das war sehr schön und hat mich
sehr gefreut. Fortsetzung folgt nicht. Danke für die Aufmerksamkeit.
*Bernhard Redl*



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