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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 12. September 2018; 19:28
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Demokratie/Schwarzblau:
> Rocket kills
Über kreative Methoden des Parlamentarismus
Ein seltsamer, am 4. September versandter Gesetzesentwurf könnte dazu
gedacht sein, daß die Regierung ihre Pläne für die Sozialversicherung auch
ohne Begutachtungsverfahren und Sozialausschuss durchs Parlament bringt.
*Lukas Wurz* schildert für reflektive.at anhand dieses Beispiels, wie in
Österreich manchmal praktisch am Parlament vorbei Gesetze beschlossen
werden.
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Es sind nur drei Worte, die Sozialministerin Hartinger-Klein am 4. September
2018 in Begutachtung geschickt hat: "Einschließlich der Telerehabilitation"
möchte sie ins Allgemeine Sozialversicherungsgesetz (ASVG) geschrieben
wissen. Der vorgeschlagene Text hat "keinen direkten Beitrag zu einem
Wirkungsziel" sowie "keine finanziellen Auswirkungen für den Bund, die
Länder, die Gemeinden oder für die Sozialversicherungsträger", wie uns die
Folgenabschätzung zum Gesetz wissen lässt. Vor allem ist er aber
bürokratisch unsinnig: Mit 1. Jänner 2019 soll eine "Strukturreform" der
Krankenversicherung in Kraft treten. Dazu muss das ASVG völlig umgekrempelt
werden. Die drei Worte zur "Telerehabilitation" könnten genauso gut in der
ohnehin angekündigten großen Änderung des ASVG stehen. Wozu also das
unwürdige Schauspiel?
Trägerraketenverdacht
Für den Begutachtungsentwürf mit den drei Worten gibt es einen zynischen
parlamentarischen Fachterminus: Trägerrakete. Gesetzliche Trägerraketen
transportieren nur Alibi-Gepäck. Der wesentliche Inhalt wird erst später
dazu gepackt. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Sozialversicherungs"reform"
damit ohne Begutachtung und parlamentarischer Vorberatung durch einen
Fachausschuss beschlossen wird, ist mit dem Auftauchen der Trägerrakete
deutlich gestiegen. Und das verlangt schon jetzt nach Aufmerksamkeit.
Trägerraketen sind eher unbedeutende und sachlich in der Regel von allen
Seiten begrüßte oder zumindest akzeptierte Anträge, die eingebracht werden,
um in der Folge dem Gesetz mit einem Abänderungsantrag der
Regierungsparteien im Fachausschuss oder gar erst kurz vor der
entscheidenden Abstimmung einen völlig neuen Inhalt zu geben. Zuletzt
passiert ist das im Juli 2018 bei der Einführung des 12-Stundentages und bei
Beschluss der sogenannten "Ausgabenbremse" in der Sozialversicherung. Beide
Male wurden sehr wesentliche Änderungen der Gesetzesvorlagen von den
Regierungsparteien erst unmittelbar vor der Abstimmung im Plenum des
Nationalrats eingebracht und in der Folge sofort beschlossen.
Wen kümmern schon parlamentarische Gepflogenheiten?
Rechtlich ist das nach der Geschäftsordnung des Nationalrats als Sonderfall
möglich, aber es stellt einen Bruch mit parlamentarischen Usancen dar. Im
Normalfall müssen Gesetzesanträge von einem parlamentarischen Ausschuss
vorberaten werden, ehe sie im Plenum des Nationalrats beschlossen werden.
Bei Regierungsvorlagen, das sind Gesetzesanträge, die von der Regierung und
nicht von Abgeordneten eingebracht werden, ist es außerdem üblich, eine
zumindest sechswöchige Begutachtung vorzunehmen, in der die BürgerInnen und
Institutionen zu den Inhalten eines Antrags Stellung nehmen können. Ein
Begutachtungsverfahren ist nicht gesetzlich vorgesehen, aber aus gutem Grund
üblich: Damit soll einerseits ein breiter gesellschaftlicher Konsens
gefunden und andererseits die Qualität der Gesetze gesichert werden.
Nach Ende der Begutachtung werden die Ergebnisse des Verfahrens bewertet und
der Ministerialentwurf überarbeitet. Auch das erfordert einen
Aushandlungsprozess zwischen den jeweiligen Regierungsparteien, der einige
Zeit benötigt. Gibt es innerhalb der Regierung einen Konsens, so wird der
überarbeitete Ministerialentwurf im Ministerrat beschlossen und so zur
Regierungsvorlage, die dem Nationalrat übermittelt wird. Dieser weist die
Regierungsvorlage in der ersten Sitzung nach dem Einlangen einem Ausschuss
zu, der ihn behandelt und dem Plenum des Nationalrats einen Bericht zukommen
lässt. Frühestens in der darauffolgenden Sitzung des Nationalrats kann
dieser dann das Gesetz beschließen und an den Bundesrat weiterleiten. Erhebt
der Bundesrat keinen Einspruch gegen das Gesetz, so muss es noch von den
Regierungsspitzen und dem Bundespräsidenten formal geprüft und
unterschrieben sowie als Bundesgesetzblatt "kundgemacht", also
veröffentlicht werden.
Damit hat aber jedes Gesetz notwendige Vorlaufzeiten, die mit einer
"Trägerrakete" umgangen und somit deutlich verkürzt werden können.
Gesetze brauchen Zeit, die die Regierung nicht hat
Um die notwendige Vorlaufzeit zum Beschluss eines Gesetzes, das mit 1.
Jänner 2019 in Kraft tritt, halbwegs seriös einhalten zu können hätte das
Begutachtungsverfahren für die Sozialversicherungs"reform" am 7. September
beginnen müssen. Mit sehr viel Zeitdruck und Unwägbarkeiten könnte das
Begutachtungsverfahren noch am 28. September beginnen . In diesem Fall
müsste aber eine ganze Reihe von Formalerfordernissen in nur drei Werktagen
erledigt werden: Die Entscheidung des Bundesrates müsste ausgefertigt und
dem Bundespräsidenten sowie dem Bundeskanzler zur Unterschrift vorgelegt
werden. Außerdem muss das Gesetz auch noch im Bundesgesetzblatt kundgemacht
werden.
Diese Formerfordernisse sind nicht einfach eine Unterschrift auf irgendeinem
Zettel. Die Vorgänge müssen dokumentiert sein, um etwa dem Bundespräsidenten
die Prüfung des verfassungsmäßigen Zustandekommens zu ermöglichen (das ist
nämlich sein Job). Schwer vorstellbar, dass dies alles in den drei Werktagen
zwischen der letzten Sitzung des Bundesrates und dem 31. Dezember zu
schaffen ist (Freitag, der 21., Donnerstag der 27. und Freitag der 28.
Dezember).
Nur zum Vergleich: Das Gesetz zum 12-Stunden-Tag wurde am 5. Juli 2018 im
Nationalrat beschlossen. Die Kundmachung im Bundesgesetzblatt dauerte noch
bis zum 14. August. In Kraft getreten ist das Gesetz dann am 1. September.
Und damit ist ein bisserl Feuer am Dach der Regierungshüttn.
Die Trägerrakete als Abkürzer
Um ein zeitgerechtes Inkrafttreten von Gesetzen am 1. Jänner garantieren zu
können, müssen diese Gesetze also wohl spätestens am 6. Dezember vom
Bundesrat behandelt worden sein. Das geht sich definitiv nicht mehr aus. Und
da kommt die Trägerrakete ins Spiel.
Mit dem am 4. September begonnenen Begutachtungsverfahren zu den eingangs
angeführten drei Worten öffnen sich der Bundesregierung mehrere
Möglichkeiten, die Fristen zu verkürzen. So könnte etwa eine Sondersitzung
des Nationalrats am 4. Dezember drei Wochen an Zeitgewinn bringen. Außerdem
müssen Begutachtungsverfahren nicht sechs Wochen dauern. Genaugenommen gibt
es keine gesetzliche Verpflichtung, sie überhaupt durchzuführen.
Tatsächlich verpflichtend hingegen ist eine Behandlung durch den zuständigen
parlamentarischen Ausschuss, der in diesem Fall der vom SPÖ-Abgeordneten
Josef Muchitsch geleitete Sozialausschuss ist.
Aus Regierungssicht hat das einen Haken: Obwohl Ausschusstermine stets
einvernehmlich vereinbart werden, obliegt die Einberufung de iure dem
Ausschussvorsitzenden. Der hat zwar selbst in Zusammenhang mit dem
12-Stundentag einen Ausschusstermin ermöglicht (den die Regierungsparteien
jedoch abgelehnt haben und das Gesetz im dafür nicht zuständigen
Wirtschaftsausschuss behandeln ließen), doch die leicht paranoid
erscheinenden Regierungsparteien befürchten Obstruktion. Tatsächlich konnten
sich die Parlamentsparteien noch auf keine Sitzungstermine für den
Sozialausschuss im Herbst einigen.
Auch dafür sieht die Geschäftsordnung des Nationalrats einen Ausweg vor. Ist
einmal ein Gesetzesantrag im Nationalrat eingebracht, kann das Plenum des
Nationalrats mit Mehrheit eine sogenannte Fristsetzung beschließen. Im
konkreten Fall müsste diese Fristsetzung am 25. Oktober beschlossen und mit
einer Frist bis zum 22. November versehen werden. Hat der Sozialausschuss
die Gesetzesvorlage bis zu diesem Tag nicht behandelt, kann sie gleich im
Plenum beschlossen werden. Theoretisch denkbar wäre aber auch, dass die
Fristsetzung am 24. Oktober beschlossen und mit 25. Oktober festgesetzt
würde. All diese Optionen haben aus Sicht der Bundesregierung einen
wesentlichen Nachteil: Sie haben alle den Geruch von Notstandsgesetzgebung,
also eines Bruchs demokratischer und parlamentarischer Konventionen. Nicht
zu unrecht.
Mit demokratischen Regeln tricksen, weil es eh egal ist?
Womit wir wieder bei den eingangs angeführten drei Worten wären: Die
Begutachtungsfrist für die drei Worte endet am 28. September. Die
"Trägerrakete" kann also ohne Probleme am 3. Oktober im Ministerrat
beschlossen und dem Nationalrat zugeleitet werden. Am 24. Oktober würde es
im Parlament dem Sozialausschuss zugewiesen und am 25. Oktober könnte
allenfalls eine Fristsetzung bis zum 21. November beschlossen werden.
Unabhängig davon, ob eine Ausschusssitzung zu Stande kommt, oder nicht, kann
das Gesetz am 22. November im Nationalrat beschlossen und am 6. Dezember im
Bundesrat behandelt werden. Irgendwann zwischen 25. Oktober und 22. November
kommt dann eben ein Abänderungsantrag, der aus drei Worten einen
Gesetzestext von vielen, vielen Seiten macht. Auch das ist
selbstverständlich Missbrauch parlamentarischer Möglichkeiten, aber es lässt
sich aus Sicht der Bundesregierung leichter abtun: Immerhin hat ja eine
Begutachtung stattgefunden (wenn auch eine zu einem ganz anderen
Gesetzesinhalt) und der Sozialausschuss getagt (bzw. nicht getagt, wofür
dann wohl der SPÖ-Ausschussvorsitzende verantwortlich gemacht würde).
Nicht neu, aber eine neue Qualität
Ein solches Vorgehen wäre nicht einzigartig in der Zweiten Republik. Unter
Schwarz-Blau eins und zwei gab es mehrere vergleichbare Fälle. Und auch
SPÖ-ÖVP-Regierungen haben zwar selten, aber doch hin und wieder, die
Geschäftsordnung auf ähnliche Weise überspannt. Die besondere neue Qualität
liegt in der Tatsache, dass Schwarz-Blau seit Anfang Juli systematisch auf
diese Abkürzer zurückgreift. Wenn die trickreiche Umgehung parlamentarischer
Spielregeln zur Norm wird, dann ist ein Parlament nur mehr ein formales
Anhängsel der Regierung und kann keine Kontrollfunktion mehr ausüben.
Das ist tatsächlich demokratiegefährdend und beängstigend: Die Regierung
will von einem großen Teil der Menschen in diesem Land kritisierte Maßnahmen
im Schnelldurchlauf durchdrücken, ehe sich zivilgesellschaftlicher
Widerstand aufbauen kann. Die öffentliche Debatte und die Großdemonstration
gegen den 12-Stunden-Tag haben ihr, so scheint es, einiges an Schrecken
eingejagt. Denn nur wer Angst hat, muss zu derartigen Mitteln greifen.
(gek.)
Volltext: http://www.reflektive.at/das-parlament-ueberrollen
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