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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 29. August 2018; 17:12
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Glosse/Gruene:
> Von der Krise zur Selbstaufgabe
Die Wiener Grünen wollen die Bestellung ihrer neuen Nummer 1 outsourcen und 
ihren Stammsitz aufgeben. Für viele in der Partei sind das keine guten 
Ideen.
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Die Wiener Grünen sind in einer veritablen Krise. Da ist vor allem einmal 
die finanzielle Pleite der Bundespartei, die vor allem von den Wienern 
aufgefangen werden muß. Dazu kommen hausgemachten Patschertheiten (Hochhaus 
und Co.). Der Spagat zwischen Regierungspartei und Kontrollinstanz in 
Angelegenheiten wie beispielsweise dem Untersuchunsausschuß zum Krankenhaus 
Nord ist auch nicht gerade ein Kinderspiel. Und dann ist da noch ein neuer 
Bürgermeister, der seinen kleinen Koalitionspartner gerne demütigt. Jüngstes 
Kapitel: Wegen des Alkoholverbots am Praterstern wandern die Trankler in die 
Praterstraße. Deswegen sollen jetzt dort die Sitzbänke abmontiert werden. 
Die grüne Bezirksvorsteherin will das zwar nicht, schafft es aber auch 
nicht, laut und deutlich zu protestieren -- weil sie halt keine echte 
Handlungsmöglichkeiten hat.
Alles eher betrüblich. Also versucht man es mit Befreiungsschlägen. Einer 
davon: Die Spitzenkandidaturkampagne. Nun ist es ja bei den Wiener Grünen 
nichts Neues, daß man versucht, Nichtmitglieder bei der Erstellung von 
Kandidatenlisten einzubinden -- das hat es früher schon gegeben. Auch da 
gabs manchmal Bresln, aber die waren applanierbar. Aber diesmal wird das 
ganz groß aufgezogen, als Kampagne mit massenmedialer Coverage.
Schon jetzt sollen sich über 400 Menschen angemeldet haben -- bei einer 
Partei, die kolportierte eineinhalbtausend Mitglieder in Wien hat, von denen 
wohl die Hälfte Karteileichen sein dürften, ist eine Majorisierung durch 
Leute, die von bürgerlichen Massenmedien mobilisiert worden sind, durchaus 
im Bereich des Möglichen. Damit ist auch sichergestellt, daß, wer nicht von 
diesen Massenmedien genannt wird, keine Chance hat. Anstatt jemanden zu 
wählen, von dem man der Meinung ist, daß er die ausdiskutierten Inhalte gut 
vertreten kann, wird jemand zur Nummer 1 bestimmt, den Kurier und Co. als 
attraktiv ansehen. Aber was weiß man, vielleicht wirds auch ein Kandidat, 
den der Falter hypt. Wie auch immer, die Partei zeigt damit, daß ihr 
jegliches Selbstbewußtsein fehlt und sie gerne andere darüber abstimmen 
lassen möchten, wer ihr Gesicht und ihre Stimme sein soll.
Daß dabei gleichzeitig die einzige große inhaltliche Kampagne 
heruntergefahren wird, nämlich jene mit dem Kürzel "Nobau", macht das ganze 
kaum besser. Vom Apparat wird das zwar schöngeredet, letztendlich aber doch 
zugegeben, daß man nicht alles machen kann, was man eigentlich vorgehabt 
hätte. Daß man aber gerade eine Kampagne wegen einer Autobahn, mit der man 
sich wieder ein bißerl mehr Profil gegenüber der SPÖ hätte erarbeiten 
können, auf Sparflamme setzt, paßt da leider sehr gut ins Bild.
Aber in Wirklichkeit ginge es ja bei der "Spika"-Kampagne darum, daß die 
Grünen sich für neue Leute öffnen wollten. Blöderweise paßt das so gar nicht 
zum anderen Befreiungsschlag: Dem Auszug aus dem Haus in der Lindengasse und 
dem Umzug in den Ares-Tower in der Donaustadt. Zwar waren Probleme in der 
Lindergasse schon länger Grund für Überlegungen, die Parteizentrale 
abzusiedeln -- so wurde die mangelnde Barrierefreiheit beklagt und der 
bauliche Zustand --, aber jetzt steht unter dem Spardiktat das 
Kostenargument recht drohend im Raum. Nur war die Lindengasse halt immer 
eine gute Anlaufstelle sowohl für Parteimiglieder als auch für 
Interessierte. Zentral und mitten in der der grünen Hochburg Neubau gelegen 
und von weitem schon als das Zuhause der Partei erkennbar, ein Ort, der zum 
Diskutieren genauso wie zum Feiern einlud -- ein Stockwerk in einem 
gesichtslosen Büroturm auf der Donauplatte wird das nicht ersetzen können. 
Und mit dem wohlgepflegten Image der Grünen als einer 
ökologisch-sozial-urbanen Partei paßt so ein klimatisiertes Büro mit 
Pförtner auch nicht gerade zusammen.
Ich stelle mir gerade den nächsten Wahlkampf vor: Die seit Jahrzehnten für 
die Partei rennenden Altmitglieder sollen sich in einem Büroturm jenseits 
der Donau ihre Wahlkampfmaterialien abholen, um für einen Spitzenkandidaten 
zu werben, den sie selbst nicht schätzen können. Die meisten werden es dann 
aus Parteiräson trotzdem machen, aber ihre Begeisterung wird ihnen dabei 
wohl ins Gesicht geschrieben stehen. Aber vielleicht will man ja gar nicht 
mehr soviel auf der Straße sein. Heutzutage macht man das ja ganz schick 
übers Netz.
Die Inhalte dieses Wahlkampfs werden dann wahrscheinlich auch dieser Politik 
entsprechen, nämlich noch mehr so sein, daß man die Bobos ansprechen kann. 
Aber die werden dann wohl erst recht NEOS wählen, weil die da halt 
glaubwürdiger sind.
Aber vielleicht sind die Wiener Grünen mit einer hippen, inhaltsschwachen 
Kampagne sogar erfolgreich und schaffen zumindest den Wiedereinzug ins 
Rathaus. Stellt sich dann nur die Frage: Wozu eigentlich?
Nachbemerkung: Zur Ehrenrettung der Partei sei gesagt, daß diese Art, mit 
der Krise umzugehen, an der Basis alles andere als unumstritten ist. Off the 
records hört man da viel Unmut, und zwar mehr als in den meisten anderen 
Umbruchsituationen -- nach drei Jahrzehnten Auseinandersetzung mit dieser 
Partei hat man da ja Vergleichsmöglichkeiten. Vor allem die Sache mit dem 
Umzug in den Ares-Tower schafft viel böses Blut -- konnten die meisten an 
der Basis das doch erst aus den Medien erfahren. Diese Geschichte dürfte 
allerdings noch nicht ganz gegessen sein, möglicherweise zieht da noch wer 
die Notbremse.
Schön wäre es allerdings, wenn diese Debatten wieder öffentlich geführt 
würden und nicht hinter vorgehaltener Hand. Dann wäre nämlich zu erkennen, 
daß bei den Grünen immer noch weitaus mehr Brainpower vorhanden ist, als die 
Parteiführung zuzugeben bereit ist.
*Bernhard Redl*
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