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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 29. August 2018; 17:01
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Gesundheit/Schwarzblau:
> AUVA: Der erste Dominostein
Weil Unternehmen weniger Sozialbeiträge zahlen sollen, sind andere 
Finanzierungströme im Sozialsystem gefährdet. Ein heftiger Kampf um den 
Beitragskuchen beginnt. *Lukas Wurz* auf Reflektive.at
Mit dem Beschluss eines "Reformpakets" durch den Vorstand der AUVA sieht die 
Bundesregierung alle KritikerInnen entlarvt und die Debatte um die 
Unfallversicherung als erledigt an: Die AUVA bleibt weiter bestehen. Die 
Unfallkrankenhäuser werden zwar ausgegliedert, aber nicht geschlossen. Und 
die Regierung kann die Sozialbeiträge der Unternehmen wie angekündigt 
senken.
Doch das "Konzept" der Regierung und der Beschluss der AUVA sind nicht das 
Ende der monatelangen Debatte um die Unfallversicherung, sondern der Beginn 
eines umfassenden Konflikts um die Finanzierung des Gesundheitssystems, der 
weniger politisch, als vielmehr vor Gerichten ausgetragen werden könnte. Es 
geht um die Frage, wer die Kosten für jene Leistungen übernimmt, die die 
AUVA abgeben soll. Und daran knüpfen sich ganze Ketten von weiteren 
Finanz-Dominosteinen, die aneinandergereiht - und von einander abhängig - zu 
fallen drohen. Entsprechende Fronten tun sich überall auf: 
Krankenversicherungsträger, Bund, Länder, ArbeitgeberInnen, der 
Familienlastenausgleichsfonds und das AMS geraten miteinander in Konflikt. 
Und es geht dabei um weit mehr Geld, als die 300 Millionen pro Jahr, die 
irgendwem aufs Auge gedrückt werden müssen.
Die Scheinreform der AUVA
Im "Konzeptpapier" der Sozialministerin zur Neugestaltung der AUVA, das sie 
am 13. August in einer Pressekonferenz vorstellte, steht sehr wenig drin. 
Auf acht Seiten finden sich nur 13 Zeilen zu konkrete Änderungen bei der 
AUVA: Landesstellen heißen zukünftig Regionalbüros, zusätzlich zur AUVA 
entsteht eine ausgegliederte GmbH der Unfallspitäler und AUVA-Rehabzentren, 
die Bundeszentrale der AUVA wird räumlich mit der Wiener Landesstelle 
zusammengelegt, die AUVA soll mehr mit den Ländern kooperieren, und 300 
AUVA-MitarbeiterInnen werden abgebaut. Auf diese Weise können, meint die 
Ministerin, im Jahr 2019 an die 100 Millionen Euro eingespart werden, die in 
eine Beitragssenkung für Unternehmen fließen sollen. Der von den Unternehmen 
entrichtete Unfallversicherungsbeitrag wird von 1,3 auf 1,2 Prozent 
abgesenkt. Weitere Einsparungen im Ausmaß von 328 Mio. Euro sollen in den 
nächsten Jahren folgen, und dann abermals die Dienstgeberbeiträge gesenkt 
werden.
Beginn eines grausigen Verteilungskampfs
Der zentrale Stehsatz in Zusammenhang mit der AUVA heißt "Entlastung von 
versicherungsfremden Aufgaben". Das ist zuallererst einmal ein Satz ohne 
klare Bedeutung. Tatsächlich hat die Unfallversicherung Aufgaben umgehängt 
bekommen, die nicht sehr viel mit Unfallversicherung zu tun haben.
* Dazu zählt etwa der Ersatz der Kosten für die Entgeltfortzahlung im 
Krankheitsfall für Betriebe mit bis zu 50 MitarbeiterInnen. Dafür muss die 
AUVA jährlich etwa 110 Millionen Euro aufwenden. Diese Aufgabe wurde ihr von 
der schwarz-blauen Regierung im Jahr 2005 umgehängt und war Folge einer 
"Lohnnebenkostensenkung" der Regierung Schüssel 1, die im Jahr 2000 quasi 
über Nacht den Entgeltfortzahlungsfonds abgeschafft hat. Nachdem 
insbesondere kleine Unternehmen dadurch in sehr schwierige finanzielle Lagen 
kamen, wurde 2005 eine neue Entgeltfortzahlung auf Kosten der 
Unfallversicherung geschaffen (mit der formalen Begründung, dass die ja eh 
auch von Beiträgen der Unternehmen finanziert wird).
* Als versicherungsfremde Aufgabe gilt auch der Kostenbeitrag der AUVA zur 
Behandlung von AUVA-Fällen in Nicht-AUVA-Krankenhäusern. Da zahlt die AUVA 
aufgrund der regelmäßigen Fortschreibung einer Regelung aus dem Jahr 1977 (§ 
319a ASVG) um 156 Mio. im Jahr mehr an die Krankenkassen, als die Behandlung 
an Kosten verursacht.
* Und als versicherungsfremd gilt - wie es scheint - auch eine eigentliche 
Kernaufgabe der AUVA: 29 Mio. jährlich sollen eingespart werden, indem die 
arbeitsmedizinische und sicherheitstechnische Beratung der AUVA für kleine 
Unternehmen ("AUVA sicher") nicht mehr finanziert wird.
Damit sind die 300 Millionen für das Regierungsgeschenk an die Unternehmen 
schon einmal erreicht. Und wäre die AUVA, was sie in der Vergangenheit 
wiederholt angedroht hatte, gegen die Verpflichtung zur Entgeltfortzahlung 
oder den Kostenbeitrag zu den Krankenversicherungen zum VfGH gezogen, wäre 
sie mit hoher Wahrscheinlichkeit erfolgreich gewesen: Quersubventionen 
zwischen beitragsgedeckten Systemen sind wahrscheinlich verfassungswidrig. 
Sie stellen eine Form von Enteignung der Versicherten dar und verstoßen 
gegen das Prinzip der Selbstverwaltung.
Doch mit ein paar gesetzlichen Federstrichen ist es nicht getan: "Kleine und 
mittlere Unternehmen werden weiterhin - in vollem Umfang - die 
Ersatzleistung erhalten", steht dazu im "Reformpapier" der Bundesministerin. 
Die 110 Millionen Euro für die Entgeltfortzahlung muss also auch dann 
irgendwer bezahlen, wenn es die AUVA nicht mehr tut. Würde es der Bund aus 
Steuermittel bezahlen, so hätte das die mehr als schiefe Optik eines 
Steuergeschenkes für Unternehmen auf Kosten der Bevölkerung. Sollten es etwa 
die Sozialversicherung der gewerblichen Wirtschaft oder gar die 
Krankenkassen der Unselbständigen aufs Auge gedrückt bekommen, ginge das zu 
Lasten von Leistungen für die Versicherten dieser Einrichtungen. Auch die 
Länder werden sich nicht widerstandslos Kosten aufhalsen lassen. Und da wäre 
dann noch der Kostenbeitrag der AUVA für die Krankenversicherungsträger, 
der - egal ob zu recht oder zu unrecht bezahlt - jedenfalls von den 
Krankenkassen gebraucht wird, um die Leistungen für die Versicherten zu 
bezahlen.
Und jetzt wird's haarig.
Versicherungsfremde Aufgaben überall
Denn auch die Krankenkassen tragen erhebliche Kosten für Dinge, die nichts 
mit Krankenversicherung zu tun haben, aber politisch gewollte 
Zusatzleistungen sind. Und auch diese sind mit hoher Wahrscheinlichkeit 
verfassungswidrig.
* So trägt die Krankenversicherung 30 Prozent des Wochengeldes, also des 
Einkommensersatzes für schwangere Frauen, obwohl Schwangerschaft jedenfalls 
keine Krankheit ist. Die Krankenversicherung subventioniert damit den 
Familienlastenausgleichsfonds mit 150 Millionen Euro im Jahr.
* Die Kosten für das Krankengeld arbeitsloser Menschen wird ab dem 56. 
Krankheitstag vom AMS nicht ersetzt. Da subventioniert die 
Krankenversicherung das AMS-Budget mit zumindest 90 Mio. im Jahr.
* Unvollständig ersetzt werden der Krankenversicherung auch die Kosten der 
von der Regierung Schüssel 2 eingeführten Rezeptgebührenobergrenze (die als 
klassische Sozialleistung eigentlich vom Bund getragen werden müsste). Macht 
etwa 42 Millionen Euro pro Jahr.
* Von der Krankenversicherung subventioniert werden aber auch die 
Unternehmen in Österreich: 15% der Beschäftigten, erhob die Statistik 
Austria 2014, leiden unter arbeitsbedingten Gesundheitsstörungen. Eine 
wifo-Studie aus dem Jahr 2008 errechnete damals Gesundheitskosten aus 
arbeitsbedingten Erkrankungen (also Behandlungskosten, Heilmittel, etc.) in 
der Höhe von 5,47 Milliarden Euro (wobei Arbeitsunfälle und tatsächlich 
anerkannte Berufserkrankungen, die von der AUVA anerkannt sind, mitgerechnet 
sind). Diese Gesundheitskosten sind den Unternehmen zuzurechnen und 
entstehen entweder aus Missachtung des ArbeitnehmerInnenschutzes oder wegen 
schlechter, krankmachender Arbeitsbedingungen. Zwar gibt es im ASVG die 
Möglichkeit, Kosten bei VerursacherInnen einzuklagen, doch bisher erfolgt 
dies fast nur bei Autounfällen mit Opfern, deren Behandlungskosten von der 
Krankenversicherung eingeklagt werden. Bei arbeitsbezogenen Erkrankungen 
passiert das jedoch nicht, weil es einerseits verwaltungsaufwendig und 
andererseits der Stimmung in sozialpartnerschaftlich organisierten 
Einrichtungen wie den Sozialversicherungsträgern wenig zuträglich ist: Die 
Wirtschaftskammer wäre wenig erfreut, wenn die Krankenversicherung plötzlich 
Verursacherbetriebe klagen würde. Selbst zehn Prozent der vom wifo 2008 
errechneten Summe wären über 500 Millionen Euro, die der Krankenversicherung 
jährlich verloren gehen. Und damit relativiert sich wieder die zu hohe 
Zahlung der AUVA an die Krankenversicherung. Gibt es dieses Geld nicht, wird 
es sich die Krankenversicherung wohl von den Betrieben holen müssen.
* Interessant ist aber auch ein Finanzierungsstrom, über den nun plötzlich 
gar nicht mehr gesprochen wird: Auch die Krankenkassen überweisen der AUVA 
regelmäßig einen Betrag zur Abdeckung der Behandlung von Freizeitunfällen. 
Und dieser Betrag (nach § 149 Abs. 4 ASVG) von etwa 50 Millionen Euro pro 
Jahr deckt nicht die tatsächlichen Kosten der AUVA, die etwa um 120 
Millionen Euro höher liegen. Doch die Krankenkassen zahlen diesen Betrag zu 
Unrecht. Sie zahlen ihn nämlich doppelt. Für die Versorgung in 
Krankenanstalten sind die jeweiligen Landeskrankenanstaltenfonds zuständig, 
die dafür jährlich gute fünf Milliarden Euro von den Krankenversicherungen 
erhalten (wer eine völlig unverständliche gesetzliche Regelungen sehen will, 
sollte sich § 447f ASVG ansehen). Und da Unfallspitäler nun einmal 
Krankenanstalten sind, müssten sie Geld aus den Landesfonds erhalten. 
Dagegen haben sich die Länder jedoch erfolgreich gewehrt. Quasi als 
Ausgleich hat der Gesetzgeber die Krankenkassen dann eben gleich noch einmal 
für etwas bezahlen lassen, das sie schon bezahlt haben. Und das erklärt, 
warum dieser Aspekt aus der öffentlichen Debatte plötzlich verschwunden ist: 
Da müssten nämlich die Länder bezahlen, und mit denen mag sich die Regierung 
eher nicht anlegen.
All diese Finanzierungsströme sind reichlichst absurd, aber über Jahrzehnte 
gewachsen und nicht einfach zu entwirren: Wenn die Regierung an einer 
Schraube dreht, bewegt sie automatisch viele andere auch. Die Versicherten 
dürfen sich dann aussuchen, ob sie eher das Bild vom Mikado-System oder von 
den fallenden Dominosteinen bevorzugen. Auf Grund der vielen 
unterschiedlichen Finanzierungsströme besonders verwundbar sind die 
Gebietskrankenkassen. Sie sichern die größte Zahl an Versicherten ab und 
haben die schwierigste Einnahmensituation.
Diese Spirale des fortgesetzten Verteilungskonflikts hat die Regierung in 
Gang gesetzt, um die Sozialbeiträge der Unternehmen zu reduzieren. Wie die 
Krankenversicherung zukünftig mit weniger Geld mehr Aufgaben erledigen soll, 
scheint dabei nicht im Mittelpunkt des Regierungsinteresses gestanden zu 
sein. Etwas Besseres für die Versicherten, wie die Regierung behauptet, kann 
so jedenfalls nicht herauskommen. ###
Quelle:http://www.reflektive.at/auva-krankenkassen-und-der-ganze-rest-ein-heftiger-kampf-um-den-beitragskuchen-beginnt/
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