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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 27. Juni 2018; 21:32
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Ö/Schwarzblau:
> Pars pro toto
Das Bundesrechtsbereinigungsgesetz ist sicher nicht das Gemeinste, was sich
diese Regierung bislang ausgedacht hat. Aber es steht paradigmatisch für die
Speed-kills-Mentalität der Balkanroutenregierung.
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Ach, das Zweite Bundesrechtsbereinigungsgesetz! Viel ist schon darüber
geschrieben worden, jetzt ist es durch den Ministerrat gegangen. Fast könnte
man den Eindruck haben, die Regierung konnte es nicht mehr hören, daß so ein
Vorhaben viel Zeit und Muße braucht, und hat es deswegen so schnell
beschlußreif gemacht. Von den derzeit geltenden rund 5000 Bundesgesetzen
(Stammnormen) und Verordnungen soll mehr als die Hälfte wegfallen. Die
genaue Zahl ist offensichtlich nicht klar, weil die Negativliste -- also die
Normen die aufgehoben werden sollen -- explizit nicht als vollständig
deklariert ist. Das wäre verständlich, wenn man annimmt, daß da noch
irgendwas in Geltung sein könnte aus Kaisers Zeiten, was nie formal
aufgehoben worden ist, aber schon längst in Vergessenheit geraten. Nur kann
es so ein Gesetz gar nicht mehr geben, denn die sind ja alle schon pauschal
mit dem Ersten Bundesrechtsbereinigungsgesetz 1999 aufgehoben worden. Also
warum dann nicht eine komplette Liste aller aufzuhebenden Normen? Die
Antwort kann nur sein: Die Zeit, eine solche Liste aufzustellen, war zu
knapp. Und dann kann man sich ungefähr ausmalen, wie gewissenhaft die
Erarbeitung der Liste jener Gesetze, die beizubehalten sind, erstellt worden
ist.
Nunja, die Regierung hat mit ihrem Beschluß auch erklärt, daß da die
Ministerien noch aufgrund der Begutachtungsstellungnahmen nachbessern
sollen -- aber trotzdem schickt man das jetzt gleich ans Parlament. Dort
werden vollkommen überforderte Mitglieder des NR-Ausschusses darüber brüten
müssen, ob bei den 2186 Gesetzen und Verordnungen aus dem Bundesgesetzblatt,
dem Staatsgesetzblatt, dem Reichsgesetzblatt sowie der
Justizgesetzessammlung des Kaisertums Österreich nicht vielleicht doch
irgendetwas fehlt, was aufzubewahren wert wäre. Sollte da gar nichts
schiefgehen, wäre es ein Wunder und man muß annehmen, daß unsere Regierung
wirklich über Gottesgnadentum verfügt. Vom Verdacht, daß man da ohne viel
Diskussion einiges an Rechtsmaterie loswerden möchte, was einem gerade nicht
paßt, gar nicht zu reden.
Viele Fallen
Der ÖGB hat in seiner Stellungnahmen darauf hingewiesen, daß mit dem Gesetz
Rechtsunsicherheit produziert würde -- einige Verfassungsbestimmungen
könnten aufgrund spezieller Rechtskonstruktionen doch mit aufgehoben werden,
obwohl diese eigentlich explizit von Aufhebungen ausgenommen sind. Dann
allerdings wäre das gesamte Bereinigungsgesetz, das ein einfaches Gesetz
ist, wohl verfassungswidrig. Und einige abgeschafte Gesetze würden materiell
wieder aufleben, weil Bezüge darauf in anderen Normen existieren, die weiter
Geltung haben.
Ein weiterer Haken an der Sache: Rechtsänderungsgesetze, also Novellen zu
bestehenden Gesetzen, werden, wenn diese Stammnormen zu den aufzuhebenden
zählen, explizit auch für unwirksam erklärt. Das kann aber blöd enden. Denn
in Österreich ist die Paketgesetzgebung ja sehr beliebt. Nicht nur, daß oft
materiell zusammenhängende Änderungen, die mehrere Stammnormen betreffen, im
Nationalrat gemeinsam beschlossen werden, sondern das passiert auch oft mit
bunt zusammengewürfelte Materien, weil die halt gerade den
Junktimierungsabkommen in einer Koalition entsprechen. Da ist das dann ein
Paket, daß die Regierungsparteien nur entweder ganz oder gar nicht
beschließen können. Ja, wenn ein solches Paketgesetz dann teilweise
aufgehobene und teilweise weitergeltende Stammnormen betreffen sollte --
weiß kein Schwein, ob diese Novelle dann noch gültig ist oder nicht.
Das Netz vergißt
Das Schlimmste aber an der Sache ist vielleicht einer der Hauptgründe für
dieses Gesetz: Das Rechtsinformationssystem des Bundes (RIS) -- für
jedermann und jedefrau jederzeit im Internet abrufbar -- soll überschaubarer
werden. Was nur heissen kann, daß die aufgehobenen Stammnormen dann dort
nicht mehr aufrufbar sein sollen. Wen scherts? Nunja, es ist heute schon so,
daß bestimmte historisch relevante Rechtsnormen im RIS nicht abrufbar sind.
Ich kann mir dort zwar anschauen, was im Jahr 1830 im ABGB codifiziert war,
aber was 1973 an Strafrecht gegolten hat, ist nicht eruierbar -- weil durch
die Brodasche Totalreform das alte Strafgesetz formell aufgehoben wurde.
Diese alte Stammnorm ist einfach nicht mehr da. Dadurch werden aber zum
Beispiel ältere VfGH-Entscheide ziemlich unverständlich. Noch schlimmer ist
aber -- und jetzt wirds explizit politisch --, daß dadurch das Reformwerk
des modernen StGB nicht mehr so ohne weiters erkennbar ist. Wenn das RIS
jetzt analog zum Rechtsbestand auch "bereinigt" wird, geht wieder ziemlich
viel an historischer Rechtsinformation für eine nicht spezialisierte
Allgemeinheit verloren. Aber in Österreich ist der Verlust an Informationen
über die Geschichte ja noch nie ein Problem gewesen.
Mit dem Bundesrechtsbereinigungsgesetz ist es ähnlich wie mit so manchem
anderen, was diese Regierung jetzt durchpauken will (und ähnlich mit vielem,
was die Schüsselregierungen verbrochen haben): Nicht nur, daß die meisten
Beschlüsse eher menschenunfreundlichen Inhalts sind, sondern dank dem Motto
"speed kills" (remember Andreas Khol im Jahr 2000) auch von einer höchst
schleissigen Legistik. Vieles werden sie wieder reparieren müssen, weil es
schlicht dysfunktional ist oder weil der VfGH irgendwann dezent nachfragt,
ob die Regierungsmehrheit kollektiv wo angrennt ist. Aber das wird dauern.
Wenn es dann soweit ist, wird das Innenministerium sich wahrscheinlich
wieder genötigt sehen, irgendwas abzusperren oder zuzumauern oder ein neues
Antiterrorgesetz vorzulegen, damit man den Schwachsinn, den sie verzapft
haben, schnell wieder vergißt.
*Bernhard Redl*
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