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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 27. Juni 2018; 21:03
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Glosse/Arbeit/Soziales:

> Persönliche Assistenz: Innovation oder moderne Sklaverei?

Beobachtungen einer arbeitssuchenden Betreuerin

Persönliche Assistenz ist unter anderem ein Fachbegriff aus dem Arbeitsfeld
der Behindertenbetreuung. Er klingt gut, dieser Begriff. Er beschreibt, dass
die zu begleitenden Personen, die Hilfestellungen in der Bewältigung ihres
Lebens bedürfen, diese auf ihre individuellen Bedürfnisse abgestellt
erhalten, ohne sich den Zwängen von Institutionen anpassen zu müssen, und
ihre Begleiter_innen ihnen nach ihren Maßstäben zur Verfügung stehen. Keine
Einrichtung der Behindertenhilfe, keine Institution, keine oft übermächtigen
Betreuer_innen machen Vorschriften: die Person mit "Beeinträchtigung" ist
der Boss und definiert die Regeln des "Personals". Soviel zur
Ausgangssituation.

Nur: Menschen mit "Beeinträchtigungen" sind keine besseren Menschen. Sie
sind keine besonderen Wesen, die über mehr Mitgefühl verfügen als andere
auch. Sie haben dieselben Gefühle, auch die Sehnsucht nach Reichtum ist
ihnen nicht fremd. Und sie können grausam und ausbeuterisch handeln. Es ist
verstehbar, denn sie kämpfen um ihr Überleben. Dabei können einige schon
unbarmherzig werden. Wer sein Leben lang erfahren hat, was es beinhaltet,
ständig um sein Leben kämpfen zu müssen, mag verlernt haben, anderen
Menschen mit offenem Herzen zu begegnen.

Die Psychiatriereform war eine Errungenschaft. Persönliche Assistenz ist es
ebenso. Ein neuer Schritt in Richtung Selbstbestimmung. Nur: den zu
begleitenden Menschen steht ein "Arbeitsheer" gegenüber, dem oft genug auch
minimale arbeitsrechtliche Standards vorenthalten werden. Im stillen
Kämmerlein der der Hilfe benötigenden Person gibt es keine
arbeitsrechtlichen Grundsätze und natürlich auch keinen Betriebsrat oder
eine Rechtspersönlichkeit, die nötigenfalls klagsrelevante Umstände
einbringen könnte.

Ich möchte anonym bleiben, also erzähle ich eine wahre Geschichte. Eine Dame
mittleren Alters hielt Ausschau nach einer persönlichen Assistentin. Ich
wurde vorstellig und durfte erfahren, dass besagte Dame einige Bedingungen
zu stellen gedachte: Es käme ihr sehr gelegen, ihre Mahlzeiten mit mir
gemeinsam einzunehmen. So weit so gut. Diese müsse sie mir allerdings in
Rechnung stellen. So weit klingt das fair. Sie könne mir bestimmte
Arbeitszeiten anbieten, doch würden sich diese von Woche zu Woche verändern
können. Einen Arbeitsplan, auf den ich mich einstellen könnte, gäbe es
nicht. Auch hätte sie des öfteren nachts Schmerzen und müsste im Bett
umgedreht werden, in diesem Fall verlange sie, dass sie mich nur anzurufen
brauche, so dass ich mich ins nächste Taxi setze, um egal um welche Uhrzeit
sie in ihrem Bett umzulagern, eventuell noch eine Suppe zur Kräftigung
zuzubereiten. Ich kann diese Bedürfnisse verstehen und bin auch noch bereit,
danach zu handeln. Die Dame ist hilfsbedürftig. Aber das macht sie noch
nicht zu meiner Oma. Das macht sie noch nicht zu einer so mächtigen Person,
der ich ohne irgendeiner arbeitsrechtlichen Absicherung zur Verfügung zu
stehen gedenke.

Auf die Frage, was eine permanente Arbeitsbereitschaft ihr an Gehalt wert
wäre, bekam ich statt einer konkreten Antwort ein mildes Lächeln. Sie hatte
mit meinem Mitleid gespielt. Und natürlich ist sie auch der Meinung, daß
nächtliche Umdrehbesuche, die wohl kaum eine Viertelstunde dauern, auch nur
so bezahlt werden -- die Anfahrtszeit ist ihr egal.

Das Ende der Geschichte ist unglaublich. Die grausame Tante hatte ihre
Assistentin, die sie morgens zu begleiten wünschte, nach einer langen Nacht
mit starken Magenschmerzen für einen Besuch im Krankenhaus entlassen. Danach
hat besagte betuchte Dame versucht, mich mit ihrem Computer vertraut zu
machen und ist ungeduldig geworden, da ich mich nicht sofort zurecht
gefunden hatte, so hatte sie ihre kranke Assistentin per Telefon
"zurückgepfiffen", damit diese mir das PC-System erklären sollte.

Ich fand das erbärmlich. Hat ein Mensch, der der Hilfe bedarf, das Recht,
andere als seine Sklaven zu behandeln?

Ich verstehe den Zorn, der es mit sich bringt, immer abhängig zu sein. In
allen physischen Angelegenheiten. Das Schamgefühl wird durchbrochen. Ich
verstehe auch die Erbitterung, die Abhängigkeit mit sich bringt.

Ich kann verstehen, dass ein Mensch, der Zeit seines Lebens in allen
Angelegenheiten auf Unterstützung angewiesen ist, verbittert wird,
abstumpft. Ich mag aber nicht akzeptieren, dass sich hier ein neuer
Sklavenmarkt auftut. Menschen mit Beeinträchtigung sind lange genug
geknebelt worden, das gibt ihnen nicht das Recht, auch wenn sie nun in die
Lage gebracht worden sind, selbst aussuchen zu können, mit wem sie arbeiten
wollen, diese Menschen als ihre Untergebenen ohne Rechte zu missbrauchen.

Ein lieber Freund und Behindertenbegleiter hatte es einmal so formuliert:
Die Idee der persönlichen Assistenz ist wundervoll und ein Fortschritt, aber
er möchte dort nicht arbeiten. Zu begleitende Personen sollten ebenfalls
eine Schulung und Übung absolvieren, um zu begreifen, wie sie mit ihren
Helfer_innen ein angenehmes Auskommen finden könnten.

Den Helfer_innen mangelt es nicht an Schulung. Einübung im Umgang mit ihren
sie unterstützenden Personen benötigen die zu begleitenden "Behinderten".
Oft genug sind diese unfähig, sich anständig zu verhalten. Das mag ihrem
Schmerz, ihrem Neid, ihrer Unfähigkeit geschuldet sein, ein sogenanntes
"normales" Leben zu führen. Es gibt ihnen aber nicht das Recht, Menschen die
sie beneiden, wie Dreck zu behandeln.

Die Konzeption der persönlichen Assistenz beruht, sollte sie eine
zukunftsweisende Richtung beinhalten, auf gegenseitigem Respekt, auf
Wohlwollen: und nicht auf Herrschaftswillen, der daraus resultiert, jemanden
unter sich zu haben, um sich überlegen zu fühlen.

(Namen der Autorin der Redaktion bekannt)



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