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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 6. Juni 2018; 20:38
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Soziales/Ökonomisches:

> Sozialversicherung: Spielzeug für die ÖVP

Die ÖVP verhält sich wie ein kleines Kind, das alles Spielzeug haben will.
Mit ihrem Angriff auf die Sozialversicherung gefährdet sie die soziale
Sicherheit für alle. Vier Gründe, warum die "Reform" der Sozialversicherung
ein Mist ist. Von *Lukas Wurz* auf refletive.at

Vieles haben die Regierungsmitglieder bei ihrer Präsentation der
"Sozialversicherungsreform" erzählt: Über versteinerte Strukturen,
reformunwillige Träger, verschleuderte Gelder für Studien, über den Ärger
der Versicherten und ungleiche Leistungen trotz gleicher Beiträge. Einige
dieser Punkte werden zu Recht kritisiert. Doch der größte Teil der genannten
Probleme wird durch die angekündigten Schritte der Regierung weder
angegangen noch gelöst. Und für jene Punkte, die tatsächlich angegangen
werden, brauchte es keine Zerschlagung des bestehenden (und trotz aller
Kritik funktionierenden) Systems. Warum also das Ganze?

1. Die falsche Reform: mit halber Wahrheit zum versteckten Ziel

Es ist tatsächlich nicht notwendig, dass Österreich 21
Sozialversicherungsträger hat. Und in Wahrheit sind es nicht einmal nur 21.
Da kommen die Pensionsämter der Bundes und der Länder (insgesamt 10) sowie
die Krankenfürsorgeanstalten (KFA) der BeamtInnen einiger Länder und
Statutarstädte (wie etwa Wels, Steyr oder Baden; insgesamt 16) dazu.
Zusammen sind es also zumindest 47 Institutionen, die mit gesetzlicher
Krankenversicherung, Pensionen oder Unfallversicherung beschäftigt sind (In
Deutschland sind es übrigens über 400, in der Schweiz etwa 90). Wenn die
Bundesregierung nun behauptet, diese Zahl auf vier oder fünf zu reduzieren,
so schwindelt sie: Es werden nach der Reform zwischen 30 und 36 sein.

Welche Versicherungsträger "überleben" werden und welche nicht, folgt dabei
keinem intelligenten Prinzip. Einen echten Gewinn für die Versicherten gäbe
es nur, wenn die derzeitigen Sonderversicherungsträger, vor allen die
Sozialversicherungsanstalt der Gewerblichen Wirtschaft (SVA) und jene der
BeamtInnen (BVA, und mit dieser gemeinsam auch die in den KFAs versicherten
BeamtInnen) aufgelöst und die Versicherten in die Gebietskrankenkassen
überführt werden würden. Diese Sonderversicherungsträger profitieren nämlich
von einer besonders günstigen "Risikoauslese": Sie versichern
überdurchschnittlich viele Menschen mit hohen, sicheren Einkommen und ohne
Einkommensausfälle (wie etwa Arbeitslosigkeit, bei der viel niedrigere
Versicherungsbeiträge anfallen). Darüber hinaus haben zum Beispiel
BeamtInnen ein deutlich niedrigeres Erkrankungsrisiko als etwa Bauarbeiter
oder Pflegepersonen. Nicht zuletzt aus diesem Grund mach(t)en etwa die SVA
oder die BVA in der Vergangenheit in der Krankenversicherung Überschüsse
(die übrigens seit 2014 mit einem üblen Trick für das Bundesbudget
abgezweigt werden). Überschüsse, die andere Träger dringend brauchen.

Um bessere Leistungen für alle Versicherten zu erreichen, wäre es also
sinnvoll, die erwähnten Sonderversicherungsträger aufzulösen und alle
Versicherten in die Gebietskrankenkassen zu überführen. Die Versicherten in
den Sonderversicherungsträgern müssten dann keine kontraproduktiven
Behandlungsbeiträge mehr bezahlen, und in den GKKs wäre mehr Geld und ein
solidarischer Ausgleich unter allen Menschen in Österreich da.

Genau das aber wollen ÖVP und FPÖ nicht. Stattdessen sollen zwei neue
Systeme um die von der ÖVP kontrollierten SVA (unter Einbeziehung der SV der
BäuerInnen) und der BVA (unter absurder Einbeziehung der
Versicherungsanstalt Eisenbahn und Bergbau VAEB) geschaffen und mehr oder
minder alle anderen (die GKKs und vielleicht die Betriebskrankenkassen,
jedoch nicht die KFAs) in einen neuen Träger hineingestopft werden. Sachlich
ist das weder sinnvoll noch zielführend: Bereits 2006 scheiterte eine
geplante Fusion von SVA und SVB an den unterschiedlichen Bedürfnissen der
Versichertengruppen. Und was genau EisenbahnerInnen mit BeamtInnen gemeinsam
haben sollen, ist nicht leicht erkennbar. Etwa ein Achtel der Versicherten
der VAEB ist aus früheren ÖBB-Zeiten noch beamtet. In 10 Jahren wird es
keine BeamtInnen in diesem Bereich mehr geben.

Übrig bleiben die Gebietskrankenkassen mit dem höchsten Versicherungsrisiko
und den unsichersten Einnahmen. In ihnen ist der weitaus größte Teil der
Menschen in Österreich versichert. Die Versicherten der zukünftigen
Großkrankenkasse werden also unter den Druck der leeren Kassen kommen. Das
bedeutet Leistungskürzungen, schlechteren Zugang zur Versorgung,. und - das
schlagen Wirtschaftskammer und Industriellenvereinigung seit Jahren vor -
möglicherweise auch einen Behandlungsbeitrag bei ärztlicher Behandlung.

Das ist keine Polemik: Die GKKs - und damit die zukünftige
Gesundheitskasse - haben die schwierigste Versichertengruppe, die anderen
haben das meiste Geld. Das kann sich auf Dauer so nicht ausgehen.

2. Die falsche Machtverteilung: Alles unter ÖVP-Kontrolle

Nachdem ernstzunehmende ökonomische Gründe zur Erklärung der angekündigten
Änderungen ausscheiden, muss eine andere Erklärung gesucht werden. Die
Generalversammlungen (das sind quasi die Parlamente) der Träger kommen auf
Basis der Kammerwahlergebnisse zu Stande. Wo ArbeitnehmerInnen versichert
sind, sind daher die Arbeiterkammerwahlen, wo Selbständige oder BäuerInnen
versichert sind, die Wirtschafts- oder Landwirtschaftskammerwahl von Belang.
Und da die Fraktion sozialdemokratischer GewerkschafterInnen in sieben von
neun Landes-Arbeiterkammern in der Mehrheit ist, werden sieben von neun
Gebietskrankenkassen sozialdemokratisch geführt. Sozialdemokratische
Mehrheiten gibt es auch in der Pensionsversicherung, in der VAEB und bei den
fünf Betriebskrankenkassen. Die ÖVP wiederum kontrolliert die SVA der
gewerblichen Wirtschaft, jene der BäuerInnen (SVB) und der BeamtInnen (BVA)
sowie die Unfallversicherungsanstalt (AUVA). Eine politische Zuordnung
verbeten wird sich die Versicherungsanstalt der NotarInnen (die übrigens in
den Regierungsplänen nirgendwo genannt wird).

Sowohl nach Versicherten als auch nach Trägern gerechnet ist die
Sozialversicherung damit dem direkten Einfluss der ÖVP bisher weitgehend
entzogen. Wirklich fuhrwerken konnte die ÖVP bisher nur bei den
Selbständigen und den BäuerInnen. Selbst bei den BeamtInnen und in der
Unfallversicherung musste auf andere Gruppen ein wenig Rücksicht genommen
werden.

Das alles wird durch die neue Struktur verändert: In Zukunft stehen der
allenfalls sozialdemokratisch geführten Gesundheitskasse und der
Pensionsversicherung drei ÖVP-geführte Träger gegenüber (die
Selbständigenkasse, die BeamtInnenkasse und die AUVA). Das ergäbe selbst
nach einer von der Regierung angestrebten Auflösung der AUVA einem -
gemessen an der Zahl der Versicherten in den verschiedenen Zweigen und den
Wahlergebnissen der jeweiligen Kammerwahlen - überproportionalen Einfluss
der ÖVP. Den 3,7 Millionen Mitgliedern der Arbeiterkammern stehen nämlich
nur 517.000 Mitglieder der Wirtschaftskammer, etwa 160.000 BäuerInnen und
550.000 BeamtInnen und Vertragsbedienstete gegenüber.

3. Die Abschaffung der Demokratie in der Sozialversicherung

Um vollen Zugriff auf die Strukturen der Sozialversicherung zu erhalten,
sollen die Beschickungsmodalitäten in die Kassen der ArbeitnehmerInnen
jedoch zu Gunsten der ÖVP verändert werden. Werden derzeit 80% der
Mitglieder einer Generalversammlung in den Gebietskrankenkassen (die etwa
über Budgets oder besondere Gesundheitsprogramme entscheiden) nach den
Ergebnissen der Arbeiterkammerwahlen und 20% von der Wirtschaftskammer
bestellt, so sollen zukünftig jeweils 50% von Wirtschaftskammer und
Arbeiterkammern entsandt werden (in der Pensionsversicherung waren es bisher
2/3 DienstnehmerInnen und 1/3 Wirtschaftskämmerer; in der AUVA 50:50). Das
ist absurd, denn weder in der PVA noch in den Gebietskrankenkassen ist auch
nur ein einziger oder eine einzige Selbständige versichert. Und es verletzt
die österreichische Bundesverfassung, in deren Art. 120c es heißt: "Die
Organe der Selbstverwaltungskörper sind aus dem Kreis ihrer Mitglieder nach
demokratischen Grundsätzen zu bilden."

Nun war auch die (seit 1956 geltende) bisherige Regelung mit 20% an
VertreterInnen in dieser Hinsicht verfassungsrechtlich fragwürdig.
Mitglieder der Wirtschaftskammer können in der Regel nämlich keine
Versicherten, also keine Mitglieder, einer Gebietskrankenkasse oder der
Pensionsversicherungsanstalt sein. Das erklärt sich historisch und wurde
auch nicht verändert, als im Jahr 2008 die Art. 120a bis c B-VG zum Schutz
der Selbstverwaltung beschlossen wurde.

In der SVA und der BVA sitzen jedenfalls keine VertreterInnen der
Arbeiterkammern. Im GSVG heißt es etwa: "Jeder Versicherungsvertreter muß
(.) im Zeitpunkt seiner Entsendung dem Versicherungsträger als
Pflichtversicherter oder als freiwillig Versicherter angehören" (§ 197 Abs.
2 GSVG). Und fast gleichlautend im § 132 Abs. 2 BeamtInnen-Kranken- und
Unfallsversicherungsgesetz: "Die Versicherungsvertreter müssen (.) im
Zeitpunkt ihrer Entsendung der Versicherungsanstalt als versicherte
Dienstnehmer angehören", sowie auch im Bäüerlichen Sozialversicherungsgesetz
(§ 185 Abs. 2 B-SVG).

Allein schon aus den zitierten Bestimmungen kann geschlossen werden, dass
der Verfassungsgerichtshof hier einschreiten muss. Nicht nur, dass
VersichertenvertreterInnen ans Ruder gehoben werden sollen, die gar keine
Versicherten in jener Einrichtung sind, deren Ruder sie übernehmen sollen.
Es ist auch nicht leicht nachvollziehbar, warum das Stimmengewicht der
DienstgebervertreterInnen gleich siebenmal so hoch sein soll, wie jenes von
DienstnehmerInnevertreterInnen (AK: 3,7 Mio. Mitglieder; WKÖ: 517.000
Mitglieder).

Bundeskanzler Kurz hat auf die Teilung der Beiträge auf DienstnehmerInnen
und DienstgeberInnen verwiesen, die so abgebildet werden soll. Doch das ist
unsinnig: Die DienstgeberInnenbeiträge sind ja nicht wirklich Beiträge der
DienstgeberInnen, sondern nichts als anders bemascherlte Löhne der
ArbeitnehmerInnen, die diese Gelder mit ihrer Wertschöpfung schaffen. Auch
DienstgeberInnenbeiträge stammen aus der Arbeit der Beschäftigten und nicht
etwa aus der Privatschatulle der DienstgeberInnen.

Im Übrigen wurde das an der Abgabenleistung orientierte Kurienwahlrecht in
Österreich 1907 abgeschafft, um einer Revolte vergleichbar jener in Russland
1905 zuvorzukommen. Es ist nicht mit einer Demokratie vereinbar.

4. Und sonst? Kostenreduktionen für ArbeitgeberInnen.

Ziemlich ins Rudern gekommen sind die Regierungsmitglieder bei der Frage
nach den Einsparungen, die sich aus dem neuen Organisationssystem ergeben
sollen und mit etwa einer Milliarde Euro in fünf Jahren angegeben wurden.
Von den nunmehr abzuschaffenden (meist ehrenamtlichen) FunktionärInnen
können sie kaum kommen. Die Kosten betragen nämlich nur knapp 2 Millionen im
Jahr und können daher in fünf Jahren bestenfalls ein Tausendstel der
angegebenen Einsparungen bringen. Auch die Vereinheitlichung der Leistungen
über alle Träger hinweg kann nur Einsparungen bringen, wenn alle
Versicherung auf das unterste Niveau gebracht werden, also eine gewisse Zahl
an Versicherten schlechter gestellt wird (wobei es nicht mehr sehr viele
Unterschiede zwischen den Gebietskrankenkassen gibt. Die wirklich großen
Brocken liegen bei der SVA und der BVA, die ja erhalten bleiben sollen).
Auch der Verweis auf die fünf Rechenzentren, die zu einem zusammengelegt
werden sollen, ist ein ziemlicher Murks. Die Zusammenlegung von miteinander
nicht verknüpften Bereichen wie etwa ELGA, des E-Card-Systems oder der
Verrechnungsdaten ist organisatorisch wie technisch (und letztlich auch
datenschutzrechtlich) absurd. Und auch das Rechenzentrum der
Pensionsversicherung (das auch die Pensionen des SVA verwaltet) wird sich
schon allein technisch nicht in andere Rechenzentren integrieren lassen,
ohne eine derzeit halbwegs funktionierende Struktur zu gefährden. Aus der
Zusammenlegung der IT kann also auch nicht sehr viel Geld kommen.

Weit interessanter ist aber, was mit den angeblich einzusparenden Geldern
passieren soll. Sie bleiben im System und werden für bessere Leistungen für
die Versicherten verwendet, versprachen Bundeskanzler und Sozialministerin.
Vizekanzler Strache war es wieder einmal, der den vereinbarten Sprechtext
nicht einzuhalten schaffte: Es sei in der Koalitionsvereinbarung vorgesehen,
so Strache auf eine JournalistInnenfrage, ab dem Jahr 2020 die sogenannten
"Lohnnebenkosten" zu senken, also die Dienstgeberbeiträge der Unternehmen
zur Sozialversicherung. Nun ist noch gar nicht klar, wie es zu nennenswerten
Einsparungen kommen soll. "Das ist Aufgabe der Selbstverwaltung", erklärte
die Sozialministerin auf Nachfrage eines Journalisten. Klar scheint aber zu
sein, dass die Beiträge der DienstgeberInnen zur Sozialversicherung ab 2020
sinken. Kurz zusammengefasst: Die Regierung weiß zwar nicht, woher das Geld
genau kommen soll, aber ab 2020 sinken die Beiträge der Unternehmen zur
Sozialversicherung. Das egal wie zu schultern, ist die Aufgabe der
selbstverwalteten Sozialversicherungen. Versicherte und PatientInnen kommen
in dieser Erzählung nicht mehr vor. ###

Quelle:
http://www.reflektive.at/sozialversicherung-alles-spielzeug-fuer-die-oevp/



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