**********************************************************
akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 18. April 2018; 20:48
**********************************************************
Ö/Wirtschaft:
> Spar-Polemik auf Kosten zukünftiger Generationen
Drei kurze Hilfen durch den Dschungel der Schulden- und Sparpolemik von 
*Lukas Wurz* auf reflektive.at
*
Österreichs "Schuldenberg wächst jedes Jahr weiter", behauptet die 
Bundesregierung. "Österreich muss sparen." Die Steuereinnahmen sprudeln und 
die Schuldenquote ist im Sinkflug, sagen WirtschaftsforscherInnen, der IWF 
und die EU. Eine Seite sagt etwas Falsches.
Die Bundesregierung will keine Politik "auf dem Rücken der nachfolgenden 
Generation" machen, schreibt sie im Regierungsprogramm. Das dieser Tage im 
Nationalrat diskutierte Doppelbudget für 2018 und 2019 sei "ein klares 
Bekenntnis zu einem Ende der Schuldenpolitik in Österreich". Dieser Befund 
ist interessant: Der Fiskalrat, ein mit der Beobachtung des Staatshaushaltes 
und der Schuldenentwicklung betrautes Gremium, sieht Österreichs 
Staatsschulden von 2016 bis 2018 um 9%-Punkte fallen. Das 
Wirtschaftsforschungsinstitut, aber auch der IWF oder die Europäische Union, 
konstatieren, dass sich Österreichs Budgetdefizit bis 2020 quasi von 
selbst - also ohne Regierungsanstrengung - erledigt.
1. Ist Österreich verschuldet?
Mit Erinnerung sind in Österreich immer irgendwie Probleme verbunden. So 
auch für Kardinal Schönborn, als er sich am 8. März dieses Jahres zu 
erinnern glaubte, dass im Jahr 1970 "die damalige ÖVP-Regierung das Land 
schuldenfrei an die neue Regierung übergeben hat". Das Problem dabei: Die 
Behauptung ist schlichtweg falsch. Zuletzt war 1953 im Bundesbudget ein 
minimaler Überschuss ausgewiesen gewesen. Die Regierung Klaus übergab der 
Regierung Kreisky eine Republik mit Staatsschulden in der Höhe von 13% des 
Bruttoinlandsprodukts. Die Regierung Kreisky senkte die Staatsverschuldung 
bis 1974 auf 9,9%, ehe sie auf Grund der Ölkrise und erheblicher 
Veränderungen im Weltwirtschaftssystem deutlich anstieg. Als Kreisky 1983 
zurücktrat, hatte die Republik Schulden im Ausmaß von 33% des BIP, im Jahr 
2000 waren es 66%. Mit Beginn der Weltwirtschaftskrise 2008 stiegen die 
Staatsschulden neuerlich an und erreichten 2015 den Höchstwert von 84,3%. 
Seither sinken sie wieder deutlich. Für das Jahr 2018 prognostiziert der 
Fiskalrat 74,5.
Wie kann es sein, dass das Bundesbudget 2018 Ausgaben um 2,2 Milliarden Euro 
über den Einnahmen vorsieht, aber die Staatsschulden zurückgehen? Nun,. Der 
Staat nimmt ja nicht nur Schulden auf, er zahlt ja auch welche zurück. Nimmt 
der Staat in einem Kalenderjahr weniger Kredite (oder andere 
Verpflichtungen) auf, als er zurückzahlt, so sinkt der Schuldenstand.
Außerdem sagt der Geldwert einer Staatsschuld wenig aus. Griechenland hatte 
im Jahr 2009, dem Jahr der faktischen Staatspleite, Staatsschulden von 300 
Milliarden Euro, Österreich von 230 Milliarden Euro. Aufgeteilt auf die 
Bevölkerung (Griechenland 11 Millionen, Österreich 8,6 Millionen 
EinwohnerInnen) lag die Pro-Kopf-Verschuldung in beiden Ländern bei etwa 
27.000 Euro pro EinwohnerIn. Stand Österreich somit im Jahr 2009 ebenso wie 
Griechenland vor dem Staatsbankrott? Nein, selbstverständlich nicht. 
Griechenlands Schulden beliefen sich auf 126% der Wirtschaftsleistung (2009: 
Griechenland 237,5 Milliarden Euro, Österreich 286 Milliarden Euro 
Brutto-Inlandsprodukt) und sollten bis 2016 auf 180% steigen. Österreichs 
Schulden hingegen lagen bei 79% des österreichsischen BIPs (also der 
Wirtschaftsleistung), weil die Republik eine wesentlich besser ausgebaute 
Infrastruktur hat als Griechenland, und daher Menschen in Österreich pro 
Arbeitsstunde wesentlich mehr an gesellschaftlichem Reichtum schaffen.
Und weil Schulden sinnvollerweise nur in Prozent der Wirtschaftsleistung 
gemessen werden können, sinkt die Schuldenquote eines Landes, wenn die 
Wirtschaftsleistung steigt. Schulden sind also relativ.
Das österreichische Bruttoinlandsprodukt wird 2018 nach Prognose des 
Wirtschaftsforschungsinstituts nominell um etwa 18 Milliarden Euro wachsen. 
Theoretisch könnte die Republik also bei einer Schuldenquote von 78% 
zusätzliche Schulden in der Höhe von 14 Milliarden Euro machen (nämlich 78% 
der 18 Milliarden), ohne dass die Schuldenquote steigen würde. Der Bund 
macht aber nur ein Minus von 2,2 Milliarden (da kommt aber noch ein bisserl 
etwas von Ländern und Gemeinden dazu).
Österreich hat definitiv kein Problem mit der Staatsverschuldung: Auf Grund 
der guten Konjunkturlage sinkt die Schuldenquote - so der Fiskalrat - bis 
2022 quasi von selbst auf einen Wert von 63% des BIPs (60% gelten bei 
ÖkonomInnen als in jeder Hinsicht völlig unproblematisch). Ohne die Kosten 
für Hypo-Alpe-Adria und Kommunalkredit (also ohne das "Bankenpaket"), läge 
dieser Wert 2018 um etwa 7,5%-Punkt niedriger.
Österreich war weder 2009 irgendwie in der Nähe einer "Überschuldung" noch 
ist es das heute. Die Staatsschulden nehmen derzeit kontinuierlich ab.
2. Warum nimmt der Staat überhaupt Kredite auf?
Im Idealfall sind Staatsschulden Ausgaben für Investitionen. Investiert der 
Staat (das können die Bundesregierung, die Länder, die Gemeinden oder auch 
die Sozialversicherungsträger sein) etwa in den Ausbau öffentlicher Angebote 
und Dienstleistungen, so entstehen in den Folgejahren pro eingesetzter 
Million zumindest 22 neue Jobs. Für diese Jobs nimmt der Staat quasi ohne 
weiteres Zutun pro aufgewandter Million etwa 310.000 Euro an Steuern und 
Sozialversicherungsbeiträgen ein. Außerdem erspart er sich für 22 Menschen 
das Arbeitslosengeld (ca. 320.000 Euro). Die Nettoeinkommen der 22 Menschen 
werden ausgegeben, wofür Konsum- und Verbrauchssteuern anfallen (ca. 110.000 
Euro). Und schließlich wird das Geld auch für etwas verwendet, was wieder 
Einnahmen lukriert, die wiederum neue Nachfrage, neue Jobs in den 
Folgejahren und zusätzliche Steuereinnahmen schaffen. All das "entlastet" 
Budgets erheblich: Weniger arbeitslose Menschen senken die Ausgaben des 
Staates, da der Bund das Defizit des AMS abdecken muss (wovon sich die 
schwarz-blaue Bundesregierung aber gerade verabschiedet). Höhere Einnahmen 
in der Pensionsversicherung reduzieren den Budgetaufwand für Pensionen, und 
höhere Einnahmen der Krankenversicherung entlasten die Budgets der 
Bundesländer. Investitionen des Staates rentieren sich also, wenn sie 
halbwegs intelligent gesetzt werden: In einer Studie "investiver 
Sozialstaat" rechnete die AK im Jahr 2013 vor, dass die Mehreinnahmen aus 
einer Startfinanzierung von 100 Millionen Euro im Jahr für den Ausbau von 
Kinderbetreuungseinrichtungen bereits nach vier Jahren zwischen 14 und 168 
Millionen Euro pro Jahr lägen (also die Einnahmen im Bereich von 114 bis 268 
Millionen pro Jahr liegen). Ab dem sechsten Jahr sind auch die 
Anfangsausgaben durch Mehreinnahmen wieder eingespielt worden.
Vor allem aber verursachen die Investitionen auch eine Steigerung des BIPs, 
also des gesellschaftlichen Reichtums, die ohne diese Investition nicht 
stattgefunden hätte. Die von der Arbeiterkammer vorgeschlagene Investition 
hätte sich also mittelfristig nicht nur selbst finanziert, sondern auch das 
Leben für eine große Zahl von Menschen in Österreich verbessert.
Das ist zugegebener Weise der Idealfall. Der Anstieg der Staatsverschuldung 
zwischen 2007 und 2011 (von 65% auf 82%) erklärt sich quasi umgekehrt: Wenn 
der Staat krisenbedingt mit Leistungen und Investitionen herunterfährt, so 
können noch weniger Menschen Geld ausgeben und die Wirtschaftskrise schlägt 
umso härter zu. Also ist es zielführend, in Krisen staatliches Geld 
auszugeben. Das erfolgt im Hinblick darauf, dass eine halbwegs 
funktionierende Gesellschaft nach Ende einer Krise wesentlich schneller 
wieder anspringt und eher in der Lage ist, die Kosten der Krise wieder 
einzubringen, als eine Gesellschaft, die über Jahre hinweg den Konsum 
reduziert hat und veraltete Technologie und Strukturen hat.
Der starke Anstieg der Staatsverschuldung in den Jahren 2014, 2015 und 2016 
wiederum geht auf die Kappe der FPÖ: Dieser ist nicht Investitionen in die 
Zukunft entsprungen, sondern der Übernahme der Schulden aus der 
FPÖ-induzierten Pleite der Hypo-Alpe-Adria.
3. Warum behauptet Schwarz-Blau dann, dass "wir" sparen müssen?
In den Jahren der Wirtschaftskrise und des Bankenpakets sind die Schulden 
des Staates zwar nicht bedrohlich, aber doch erheblich angestiegen. Und da 
der nächste Abschwung irgendwann kommen wird, ist es schon sinnvoll, die 
Schuldenquote der Republik zu verringern. Erfreulicherweise ist Österreich 
in einer Situation, in der sich das "fast von selbst" erledigt.
Derartige Phasen können und sollen auch zu strukturellen Veränderungen 
genutzt werden: Das jetzt reichlich fließende Geld könnte etwa dazu genutzt 
werden, die auch in den Prognosen der WirtschaftsforscherInnen weiterhin 
sehr hohe Arbeitslosigkeit (und damit die Kosten der 
Arbeitslosenversicherung) zu senken - etwa durch zusätzliche Investitionen 
in Ausbildung, in Jobprogramme, in die Verbesserung von (arbeits- und 
kostenintensiver) Pflege und Betreuung, in öffentlichen Wohnbau oder etwa in 
den Aufbau von neuen Strukturen in der Gesundheitsversorgung. All das kostet 
Geld, das gerade da ist, erhöht die Staatseinnahmen und senkt in der Folge 
andere Kosten. Das funktioniert also auch gemeinsam mit einer deutlichen 
Senkung der Schuldenquote (sofern es intelligent gemacht wird).
Die schwarz-blaue Bundesregierung geht aber einen anderen Weg: Ihr Ziel ist 
es, nicht nur die Schuldenquote zu senken, sondern auch die Steuereinnahmen. 
Auch ein Familienbonus oder die Senkung der Körperschaftssteuer, die im 
Regierungsprogramm versprochen wird, hat einen gewissen 
Refinanzierungseffekt, der jedoch nicht mit aktiven Investitionen 
vergleichbar ist. Warum das so ist, ist leicht erklärt: Von gezielten 
Investitionen kann ziemlich genau vorhergesagt werden, wo diese Mittel 
hingehen und wie sie eingesetzt werden. Eine Senkung der Körperschaftssteuer 
führt aber zu höheren Unternehmensgewinnen, von denen niemand so genau 
vorhersagen kann, wo sie hingehen. Wenn diese etwa zur "Erhöhung des 
Eigenkapitals" von Unternehmen eingesetzt werden, fließen sie in 
Finanzmärkte und schaffen keine zusätzlichen Jobs, keine höheren 
Steuereinnahmen und keine Konsumförderung zu Stärkung der Volkswirtschaft. 
Und höhere Nettolöhne für sehr gut verdienende Menschen fließen zu einem 
erheblichen Teil in Spar- und Finanzprodukte und nicht in höhere 
Konsumausgaben.
Wenn also die Bundesregierung einerseits die Schuldenquote deutlich senken 
will und andererseits verspricht, gar keine neuen Schulden zu machen und 
dann auch noch Steuerzuckerl für Großunternehmen und sehr gut verdienende 
Menschen verteilen will, braucht sie zusätzliches Geld. Und das gibt es dann 
nur durch Reduktion von anderen Kosten: In der Arbeitslosenversicherung, bei 
der Unfallversicherung, bei den Pensionen (auch wenn das noch nicht 
thematisiert wurde: im Regierungsprogramm steht es), aber etwa auch in der 
Justiz, bei Menschen mit Behinderungen, bei den Mitteln für Ausbildung, 
Qualifikation und Integration.
Österreich steht nicht vor einem Schuldenberg, ist nicht vom ökonomischen 
Kollaps bedroht und steht auch nicht unter "Spardruck". Es ist eine 
politische Entscheidung inklusive polemischer Rethorik zum Nulltarif und 
keine ökonomische Notwendigkeit, die Kosten für arbeitslose Menschen, für 
Ausbildung, Menschen mit Behinderung, für Integration oder für Bildung zu 
senken. ###
Quelle: 
http://reflektive.at/allgemein/spar-polemik-auf-kosten-zukuenftiger-generationen/
***************************************************
Der akin-pd ist die elektronische Teilwiedergabe der nichtkommerziellen 
Wiener Wochenzeitung 'akin'. Texte im akin-pd muessen aber nicht 
wortidentisch mit den in der Papierausgabe veroeffentlichten sein. Nachdruck 
von Eigenbeitraegen mit Quellenangabe erbeten. Namentlich gezeichnete 
Beitraege stehen in der Verantwortung der VerfasserInnen. Ein Nachdruck von 
Texten mit anderem Copyright als dem unseren sagt nichts ueber eine 
anderweitige Verfuegungsberechtigung aus. Der akin-pd wird nur als 
Abonnement verschickt. Wer versehentlich in den Verteiler geraten ist, kann 
den akin-pd per formlosen Mail an akin.redaktion@gmx.at abbestellen.
*************************************************
'akin - aktuelle informationen'
postadresse a-1170 wien, lobenhauerngasse 35/2
redaktionsadresse: dreyhausenstraße 3, kellerlokal, 1140
vox: 0665 65 20 70 92
http://akin.mediaweb.at
blog: https://akinmagazin.wordpress.com/
facebook: https://www.facebook.com/akin.magazin
mail: akin.redaktion@gmx.at
bankverbindung lautend auf: föj/BfS,
bank austria, zweck: akin
IBAN AT041200022310297600
BIC: BKAUATWW