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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 7. Februar 2018; 07:06
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International/Kinder:

> Israels Behörden zerstören EU-finanzierte palästinensische Schule

(Aussendung Palästina-Nachrichten, 05.02.2018)

Der Hilferuf, den die Direktorin der NGO "Save the Children", Jennifer
Moorehead, Ende Januar an die Welt richtete, war deutlich: "Wir appellieren
dringend an die internationale Gemeinschaft, den diplomatischen Druck auf
die israelische Regierung zu erhöhen, um das Recht palästinensischer Kinder
auf Bildung zu schützen und den Abriss der schulischen Infrastruktur zu
verhindern."

Gemeint war der Plan, die Schule für Grundschüler im Beduinendorf Al Muntar,
südlich von Jerusalem in der Westbank, gewaltsam abzureißen. Drei Wochen
hatte die israelische Zivilbehörde der Beduinengemeinde gegeben, die Sachen
zu packen. Anderenfalls würden die Bulldozer kommen, und das von der EU
mitfinanzierte Gebäude zerstören. Noch steht das Gebäude. Doch gestern
Morgen zur frühen Stunde wurde der für Al Muntar angekündigte Albtraum nur
wenige Kilometer weiter südlich im Beduinendorf Abu Nuwar zur Realität.
Israelische Bulldozer rückten an und machten in der dortigen Schule zwei
Gebäude mit Klassenräumen dem Erdboden gleich. Als die Kinder morgens zur
Schule kamen, war dort, wo sie lernen sollten, nur noch Schutt und Geröll.
Und ein verbogenes Schild, auf dem deutlich das Logo der EU und
mitfinanzierender EU-Partner zu sehen war.

Die beiden Gebäude waren erst im vergangenen September gebaut worden und
dienten 25 Kindern der 3. und 4. Klasse als Unterrichtsräume. Finanziert war
der Bau durch Mittel der EU und der Palästinensischen Autonomiebehörde.
Keine Woche nach Fertigstellung, am 7. Oktober 2017, tauchten Vertreter der
israelischen Ziviladministration zusammen mit israelischen Einsatzkräfte auf
dem Schulgelände auf und konfiszierten die Türen der beiden Klassenzimmer.

Am 13. Dezember wurde von der israelischen Behörde im Gebäude eine
Abrissverfügung angebracht, gegen die von der Beduinengemeinschaft
Rechtsmittel eingelegt wurde. Der Rechtsstreit ist noch nicht entschieden.
Trotzdem schaffte Israel gestern Morgen um 5 Uhr in der Früh rechtswidrig
Tatsachen, tauchte mit schwerem Gerät an der Schule auf und riss die beiden
neuen Gebäude der Schule ein. Das alte Gebäude mit dem Kindergarten ließen
sie stehen.

UN Vertreter: Menschenrechte werden verletzt

In einer ersten Reaktion verurteilte das Palästinensische
Bildungsministerium die Zerstörung der Klassenzimmer scharf und sprach von
einem "schrecklichen Verbrechen". Die israelische Menschenrechtsorganisation
B'Tselem erklärte, die Zerstörung von Bildungseinrichtungen diente dazu, die
palästinensischen Beduinengemeinden aus ihrem Gebiet zu vertreiben, um sie
anderswo in Enklaven unterzubringen und so das Gelände für die eigenen
Zwecke freizubekommen.

Der für die UN zuständige Humanitäre Koordinator für die besetzten
palästinensischen Gebiete, Roberto Valent, äußerte sich "zutiefst besorgt
über die Zerstörung der zwei von der EU finanzierten Klassenräume." Die
Zerstörung basiere auf fehlenden Baugenehmigungen durch Israel, die, so
Valent "praktisch nicht zu bekommen sind". Abu Nuwar sei eine besonders
fragile Gemeinde, die dringend auf humanitäre Hilfe angewiesen sei. "Eine
Kombination aus israelischer Politik und Vorgehensweise - inklusive
Gebäudezerstörungen und beschränkter Zugang zu fundamentalen Leistungen wie
Bildung - hat ein zwanghaftes Umfeld geschaffen, welches die Menschenrechte
der Einwohner verletzt und sie dem Risiko der Vertreibung aussetzt."

Valent wies darauf hin, dass dies bereits die sechste Schulzerstörung und
Konfiszierung von schulischen Mitteln in Abu Nuwar durch die israelischen
Behörden seit Februar 2016 sei.

Israel erklärt Schulgelände zu militärischem Sperrgebiet

So hatte unter anderem im Sommer 2017 Israel das Schulgelände urplötzlich
zum militärischen Sperrgebiet erklärt und die Solarpanele, über die die
Schule mit Elektrizität versorgt wurde, abgebaut und konfisziert. Die
Einsatzkräfte brachen auch eine Tür zu einem Zimmer auf und konfiszierten
Batterien und zwei Schutzschalterpanele. Und das, obwohl ein Richter am
israelischen Obersten Gericht eine einstweilige Anordnung erlassen hatte,
wonach das Zerstören und Konfiszieren der Solarpanele durch israelische
Kräfte bis auf Weiteres nicht gestattet war. Nicht zum erstenmal ignorierte
die israelische Ziviladministration die richterliche Anordnung und schuf
durch die Konfiszierung der Solarpanele vollendete Tatsachen.

UN Koordinator Valent zeigte sich gestern entsprechend besorgt, was das
Schicksal Hunderter weiterer Schulkinder in der Westbank und Ost-Jerusalem
angehe, die ebenfalls von Abrissverfügungen bedroht seien. Diese Kinder
"leben in Instabilität, mit dem Gespenst der Schulzerstörung ständig
präsent, das ihren Zugang zu Bildung bedroht. Andere Kinder in der Zone C
haben oft keine Grundschule und müssen lange Wege und Entfernungen auf sich
nehmen, um ihre Schule zu erreichen. Dabei sind sie den Belästigungen der
Siedler und Durchsuchungen an den Kontrollpunkten ausgesetzt. Diese
Einschränkungen unterminieren die Qualität von Bildung und begünstigen das
frühzeitige Ausscheiden."

Valent forderte Israel auf, sich an die Verpflichtungen aus internationalem
humanitärem Recht und Menschenrechtsgesetzen zu halten und umgehend alle
Vorgehensweisen einzustellen, die direkt oder indirekt ein Risiko für die
Kinder darstellten, inklusive die Zerstörung von Schulen und zugehörigem
Eigentum.

Die EU schweigt

Obwohl die EU die gestern zerstörten Unterrichtsräume mitfinanziert hat, gab
es weder aus Brüssel noch von der EU Delegation in Israel gestern oder heute
eine Erklärung zu dem neuerlichen Abriss in Abu Nuwar. Vor wenigen Monaten
klang das noch anders. Im Oktober 2017 hatten, als Reaktion auf die
Konfiszierung der Solarpanele, acht EU-Länder - Frankreich, Belgien,
Spanien, Schweden, Luxemburg, Italien, Irland und Dänemark - zum ersten Mal
in einem gemeinsamen Brief Israel zu Schadensersatz für die Zerstörung und
Konfiszierungen aufgefordert. Sie verlangten namens der EU Entschädigung in
Höhe von mehr als 30.000 Euro. Gleichzeitig forderten sie die Herausgabe der
beschlagnahmten Solarpanele nebst elektrischen Komponenten.

Israel lehnte jede Schadensersatzforderung kategorisch ab. Die EU würde
nicht humanitäre Hilfe gewähren, hieß es seitens der israelischen Regierung,
sondern illegale Bauten unterstützen mit dem Ziel, die Palästinenser in der
Zone C (*) zu stärken. Die EU vertritt demgegenüber die Ansicht, dass Israel
nach internationalem Recht als Besatzungsmacht für die täglichen Bedürfnisse
der Palästinenser verantwortlich ist und dieser Verantwortung nicht
nachkommt. Daher ist Europa gehalten, mit humanitärer Hilfe einzugreifen.

Eine Rücknahme der Solarpanele hat es bisher ebensowenig gegeben, wie eine
Schadensersatzzahlung. Auch die Appelle, die rechtswidrigen Abrisse von
Schulgebäuden der Beduinengemeinschaften einzustellen, haben Israel nicht
davon abgehalten, gestern erneut mit schwerem Gerät gegen eine
palästinensische Grundschule vorzugehen und die Klassenräume zu zerstören.
Und der dringlichen Aufforderung der Direktorin von "Save the Children", den
diplomatischen Druck auf Israel zum Schutz von Schulen zu erhöhen, ist die
internationale Gemeinschaft nicht nachgekommen.

Im Gegenteil. Die EU hat zu der gestrigen Zerstörung der von ihr
mitfinanzierten Unterrichtsräume in Abu Nuwar keine Stellungnahme abgegeben.
Und die Erst- bis Sechstklässler in der Beduinengemeinde Al Muntar warten
jetzt täglich darauf, dass sie dasselbe Schicksal ereilt, wie die 25
Grundschulkinder in Abu Nuwar.
*

Quelle mit weiterführenden Links:
https://palaestina-nachrichten.de/2018/02/05/israel-zerstoert-eu-finanzierte-schule-fuer-palaestinensische-grundschueler/
*

(*) Anmerkung akin: Die "Zone C" ist gemäß den Oslo-Verträgen jener Bereich
des Westjordanlands, der zwar formal zum Bereich der Palästinensischen
Autonomiebehöde zählt, aber weitgehend von Israel kontrolliert wird. In Zone
C ist die PA lediglich für medizinische und schulische Einrichtungen
zuständig. Diese Zone macht flächenmäßig rund zwei Drittel des
Westjordanlandes aus.



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