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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 17. Januar 2018; 14:35
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Oe/Kommentar:
> "Machen wir es wie die Deutschen"
Der Versuch der Abschaffung der Notstandshilfe war vorhersehbar
Es ist ja nicht neu. Der damalige Finanzminister Hans Jörg Schelling meinte 
schon 2015 in einem Interview: "Es ist auch deshalb schwer, Arbeitskräfte zu 
finden, weil das Arbeitsloseneinkommen fast genauso hoch ist wie das 
Arbeitseinkommen. In Deutschland gibt mit Hartz IV ein Modell, das offenbar 
besser funktioniert." (1)
Damals gab Schelling die Studie zu Hartz IV in Österreich in Auftrag. 
Bekannt wurde das aber zu einem eher ungünstigen Zeitpunkt: " Eine vom 
Finanzministerium in Auftrag gegebene Studie zu der Frage, welche 
Auswirkungen die Einführung des deutschen Hartz-IV-Modells in Österreich 
hätte, sorgt für Empörung bei der SPÖ: Sozialminister Alois Stöger 
befürchtete am Samstag in einer Aussendung eine 'Zerstörung des 
Sozialsystems'. Das Finanzministerium betont, so ein Modell sei gar nicht 
geplant." (2) Das Dementi war nur zu verständlich - und daher auch 
unglaubwürdig - denn gerade zwei Wochen vorher hatte Sebastian Kurz die ÖVP 
übernommen und man war bereits im Wahlkampf.
Bei seinem bombastischen offiziellen Wahlkampfauftakt im September in der 
Wiener Stadthalle verkündete Kurz: "Machen wir es wie die Deutschen" - er 
meinte damals zwar die Richtlinienkompetenz des deutschen Bundeskanzlers, 
aber es war klar, daß er auf die deutsche Wirtschaftspolitik anspielte. Im 
Lichte der jetzt geplanten Abschaffung der Notstandshilfe wird diese 
Mitbedeutung besonders klar. Immerhin agierte ja Kurz genau in diesem 
Bereich schon, als hätte er diese Kompetenz - der FPÖ-Sozialministerin wurde 
die Vorbereitung eines diesbezüglichen Gesetzesentwurfs einfach entzogen.
AMS als Cashcow
Allerdings gibt es da noch Hintergründe, die deutlich weiter zurückliegen .- 
denn mit dem Ende der Ära der Hochkonjunktur und der Vollbeschäftigung 
Anfang der 80er wurde die Inanspruchnahme der Arbeitslosenversicherung immer 
stärker. Die Folge: Schon unter den Vranitzky-Regierungen wurden die 
Zumutbarkeitsbedingungen für eine Arbeitsannahme verschärft. Damit konnte 
das Arbeitsamt, das zum AMS mutierte, ökonomisch auch weiterhin gut 
dastehen; so gut, daß im Jahr 2000 finanzminister Grasser als strahlender 
Held sagen konnte: "Ein guter Tag beginnt mit einem sanierten Budget" - das 
war nur möglich, weil er die Überschüsse des AMS (und noch einiger anderer 
institutionen) einsacken und budgetwirksam machen konnte. 2003 löste er dann 
auch noch die Rücklagen des AMS auf, um sie ins bundesbudget zu überführen. 
Damit war aber die Cashcow AMS ausgemolken und so mußte sich das dortige 
Regime noch mehr verschärfen. Die neue Regierung wandelt also auf dem 
Schüssel-Grasser-Kurs und will diese Cashcow wieder melken können - nur so 
sind diese Pläne zu verstehen. Fallen die Menschen nämlich in die 
Mindestsicherung, sind sie billiger und - vor allem - beziehen sie keine 
Leistungen mehr aus dem faktisch bundeseigenen AMS, sondern aus den 
Länderbudgets.
Die Verarmung nicht unerheblicher Teile der österreichischen Bevölkerung ist 
damit nicht das Problem, das die ÖVP hindern könnte, das durchzuziehen - das 
ist ja durchaus nicht ungewollt - und auch der Koalitionspartner dürfte 
letztendlich kein Problöem damit haben. Aber die Proteste der schwarzen 
Landesfürsten, die das nicht aus ihrem Budgets zahlen wollen, könnten 
Kurzens Pläne zunichte machen. Und diese Parteigranden werden auch nach den 
anstehenden Landtagswahlen keine Freude damit haben - immerhin hat man 
überall gerade die Mindestsicherungsregeln verschlechtert, um sich genau 
diese Zahlungen zu ersparen.
Reale Auswirkungen
Was hieße Hartz IV in Österreich wirklich? Birgit Hebein, Sozialsprecherin 
der Wiener Grünen rechnet vor: "Die durchschnittliche Vormerkdauer von 
Menschen zwischen 25 und 50 liegt bei 165 Tagen und damit deutlich über der 
kürzesten Arbeitslosengelddauer von 20 Wochen. Für Menschen über 50 Jahren 
liegt sie bei 274 Tagen. Knappe 50.000 Menschen über 50 Jahren sind seit 
mehr als einem Jahr im AMS-Bezug. Insgesamt sind mehr als 157.000 Menschen 
länger als ein Jahr im AMS-Bezug. Korrespondierend dazu: 54% aller 
arbeitslosen Menschen fallen im Jahresdurchschnitt in die Notstandshilfe. 
Alle diese - das sind etwa 350.000 Menschen im Jahr - werden jedenfalls von 
den Aussteuerungsplänen der Regierung betroffen sein. Mit ihren Familien 
sind das also etwas über 720.000 Menschen. Für die überwiegende Mehrheit 
davon wird es keine Mindestsicherung geben, weil ein Partner oder eine 
Partnerin erwerbstätig ist, weil es ein Auto, eine Wohnung oder ein Sparbuch 
gibt."
Deutsche Verhältnisse
Ja, dann ist es eben so wie bei den Deutschen. Ist doch nicht schlimm, oder? 
Anfang 2005 führte die damalige rotgrüne bundesregierung Hartz IV ein. Ein 
Jahrzehnt später zog der "Spiegel" folgendes Resümee: "Für Gewerkschafter, 
Sozialverbände und linke Politiker gilt jene Wahrheit, die Frank Bsirske, 
Chef der Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di, so zusammenfasst: Die Politik 
'war darauf angelegt, das Lohnniveau in Deutschland zu senken und einen 
Niedriglohnsektor großen Stils entstehen zu lassen'. Arbeitgeber und 
Politiker vom rechten Flügel der SPD bis zur CSU predigen hingegen: Die 
Hartz-Reformen hätten entscheidend dazu beigetragen, die Arbeitslosigkeit in 
Deutschland nahezu zu halbieren. Nach dem Motto: besser schlecht bezahlte 
Arbeit als gut bezahlte Arbeitslosigkeit."
Interessanterweise haben beide Seiten recht, resümmierte der "Spiegel": " 
Die Hartz-Reformen haben tatsächlich dazu beigetragen, die Arbeitslosigkeit 
in Deutschland zu verringern, gerade weil sie den Druck auf Arbeitslose 
erhöht haben. Um nicht in Hartz IV abzurutschen oder auch nur um der 
Gängelei vom Amt zu entkommen, sind Arbeitslose heute eher bereit, eine 
schlecht bezahlte oder sonstwie unattraktive Stelle anzunehmen. Das hat 
wiederum die Verhandlungsmacht der Gewerkschaften eingeschränkt und zu 
niedrigen Lohnabschlüssen geführt, die wiederum die Beschäftigung steigen 
ließen." Richard Koo, Chefvolkswirt beim Forschungsinstitut der japanischen 
Investmentbank Nomura, schätzte damals, dass die direkten und indirekten 
Folgen der Hartz-Reformen rund die Hälfte zur gestiegenen 
Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands beigetragen haben. (3)
Nur, so rechnete "Die Zeit" ebenfalls zu diesem Jahrestag 2015 vor, gab es 
rund eine Million Menschen in Deutschland, die vom ersten Tag der Gültigkeit 
dieser "Sozialreform" bis zu diesem 10.Jahrestag durchgehend auf Hartz IV 
gestellt waren. (4)
Der aktuelle Stand in Deutschland an Hartzbeziehern (plus denjenigen, die 
nicht einmal dieses Minimum bekommen) so wie der an Arbeitslosen ist 
übrigens ziemlich umstritten. So wie in Österreich werden derlei Statistiken 
gerne geschönt. Arbeitsloseninitiativen gehen allerdings davon aus, daß über 
6 Millionen Menschen heute von Hartz-Bezügen leben müssen und die faktische 
Arbeitslosigkeit etwa 10% beträgt.(5)
Ein derartiges Wirtschaftswunder ist in Österreich auch zu befürchten.
*Bernhard Redl*
(1) http://derstandard.at/2000019681222/
(2) https://diepresse.com/home/5225008/
(3) 
http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/zehn-jahre-hartz-iv-kampf-gegen-langzeitarbeitslosigkeit-a-1010945.html
(4) http://www.zeit.de/2015/01/hartz-4-armut-arbeitslosigkeit (Paywall)
(5) http://www.gegen-hartz.de/
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