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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 15. November 2017; 17:39
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Kommentierte Presseschau:

> #MeTooMuch

Die #metoo-Welle hat hohe Wellen geschlagen -- doch in der letzten Woche
drehte sich die mediale Aufmerksamkeit. Während sich Männer
verständlicherweise kaum mehr trauen, da irgendwas Kritisches zu sagen,
beginnen nun Frauen, zu protestieren.

Unter dem Titel #MeTooMuch heißt es auf dem Portal "Schlaglichter": "Im Zuge
dieser aufgeheizten Solidarisierungswelle ging es in den Bekenntnissen
sukzessive nicht mehr in erster Linie um sexuelle Übergriffe und
Gewalttaten, sondern um verbale Belästigungen und Entgleisungen und dumme
oder einfach ungeschickte Anmach-Sprüche von diversen
XY-Chromosomen-Trägern. Um Chefs, die vor Jahrzehnten mit anzüglichen
Bemerkungen genervt haben sollen, um baggernde Kollegen, zu tiefe Blicke ins
ausgestellte Dekolleté oder vom Gerüst pfeifende Bauarbeiter. Ob
Vergewaltigung, Missbrauch, ein Po-Grapscher oder ein unpassendes 'Schatzi'
vom Vorgesetzten zur Mitarbeiterin - mittlerweile ist man soweit, alles in
einen großen Topf zu werfen, was sich medial als 'Story' vermarkten lässt.
Kurz gesagt: Das Thema wurde zunehmend trivialisiert und massentauglich auf
RTL-II-Niveau runtergebrochen. Vielleicht, so mein Eindruck, damit auch
wirklich jedes mitteilungswütige 'Opfer' sich etwas aus diesem
Selbstbedienungsladen an vermeintlichen Vorfällen rauspicken, und dies, im
Idealfall, öffentlich machen kann. Mein anfängliches Wohlwollen darüber,
dass dieses Thema endlich enttabuisiert wird, schmolz mit dieser medialen
Opferinszenierung rasch dahin. Stattdessen fühle ich mich verarscht. Ein
derart sensibles Thema, das in der Lebensgeschichte Betroffener massive
Narben hinterlässt, auf diese Weise zu instrumentalisieren, ist ein Schlag
ins Gesicht."

Bezeichnenderweise wurde dieser Text von einem Mann veröffentlicht, weil die
Frau, die ihn schrieb, laut Aussage der Redaktion lieber anonym bleiben
wollte. Nicht anonym, sondern klar sich dazu bekennend, ist ein Text von
Isolde Charim in der "Wiener Zeitung". Sie schreibt unter dem Titel "Die
'Hashtag-Justiz'" über die Dynamik der Sozialen Medien: "Heute soll die
Sexualität nicht aus ihrer Verklemmtheit befreit, sondern die Enthemmung
reguliert werden. Hat die sexuelle Revolution die strikten moralischen
Gebote untergraben, so sollen nun neue Normen des Geschlechtlichen
verhandelt werden. Dazu dient der Hashtag: # ist ein kleines Zeichen, das zu
einem starken Instrument geworden ist. Ein kleines Zeichen, das sich als
mächtiger Hebel erweist. Mit ihm können Opfer und Ohnmächtige die anmaßend
genießenden Figuren vom Sockel kippen. Und dennoch. Auch hier zeigt sich,
wie ambivalent gesellschaftliche Entwicklungen sind. [...] Die virale Logik
eines internetgetriebenen Protests wird durch Empörung angetrieben. Empörung
aber ist eines jener Gefühle, die sich selbst kapitalisieren: Es zielt auf
Maximierung ab. Und genau dem fällt die Differenzierung zum Opfer. Die
Differenzierung zwischen Verbrechen wie Vergewaltigung, Missbrauch,
Nötigung - und den Schatzi-Sagern und 'Herrenwitzen'. Deren Gleichsetzung
ist kein lässlicher Nebenaspekt, sondern vielmehr zentral: Die
#metoo-Kampagne mit all ihren Ausläufern bis in die heimische Politik ist
ganz wesentlich eine anti-juristische Kampagne. Anti-juristisch heißt nicht,
dass sie nicht legal wäre, sondern es heißt, dass sie sich der juristischen
Logik verweigert -- jener Logik, wonach das Gesetz die Tatbestände
definiert. Jetzt aber heißt es: Wir definieren! Wir definieren, was sexuelle
Belästigung ist! Die 'Hashtag-Justiz' ist mächtig geworden. [...] Ist das im
Sinne der Frauen? Bringt das Solidarität - oder nur multiple Exhibition?
Erreicht man damit Frauenrechte, Opferschutz, Gerechtigkeit? Werden die
Täter zur Rechenschaft gezogen -- oder werden nur manche gezielt zu Fall
gebracht? Die Kehrseite dieser öffentlichen Intimität ist das, was die
'Süddeutsche' die 'Unbarmherzigkeit des Verfahrens' genannt hat. Eine
Unbarmherzigkeit, die nicht nur einer Hysterisierung Vorschub leistet,
sondern auch Denunziation, Willkür und Instrumentalisierung die Tür öffnet.
Dies liegt in ihrer viralen Logik."

Und dann kommen doch auch Männer kritisch zu Wort -- allerdings in einem
Kurier-Artkel, für den drei Frauen verantwortlich zeichnen: "Bei der
#metoo-Aktion muss schon viel passiert sein, wenn sogar ein
Menschenrechtsanwalt, der für die Grünen kandidiert hat, öffentlich für die
Männerwelt in die Bresche springt. Georg Bürstmayr wendet in einem langen
Facebook-Posting ein, dass man in der überkochenden Debatte um sexuelle
Belästigung auch mal über die Beschuldigten sprechen müsse: Sie seien
gesellschaftlichen 'Gerüchtsurteilen' ausgeliefert, so der Jurist - ohne
dass ihre Schuld je bewiesen sei. Ein Umstand, den auch Peter Pilz
kritisiert hat. Ungeachtet seiner Selbstinszenierung trifft er damit einen
juristisch und gesellschaftspolitisch wunden Punkt: Denn in der Causa Pilz
gab es weder ein rechtsstaatliches Verfahren noch ein Urteil. Die
Gleichbehandlungsanwaltschaft, bei der sich die Klub-Mitarbeiterin beraten
hat lassen, weil sie vom damaligen Grün-Mandatar belästigt worden sein soll,
'ist ja kein Gericht', sagt Verfassungsjurist Bernd-Christian-Funk."

Und zuletzt sei hier die Schriftstellerin Thea Dorn in einem Interview für
den "Deutschlandfunk" zitiert: "Ich halte die Emanzipation für eine der
großartigsten Errungenschaften der Menschheit, ich glaube aber, dass diese
Idee, man könne Machtverhältnisse oder Kränkungen oder Beleidigungen aus der
Welt schaffen, das ist ein neuer Totalitarismus, der da heraufzieht, ein
moralischer, und es schürt ja auch eine fürchterliche Paranoia. In so einem
System bin ich doch von morgens bis abends nur noch damit beschäftigt zu
überlegen, hat mich wer beleidigt, hat mich wer komisch angeguckt, hat mich
wer irgendwie genannt, anstatt den Leuten, den Menschen zu sagen: Kinder,
das gehört zum Erwachsenwerden, das gehört, um in dieser Welt zu überleben,
dass man eine gewisse Abwehrkraft entwickelt. Und wie gesagt, ich wiederhole
es noch mal: Vergewaltigung ist ein widerliches, abstoßendes Verbrechen,
aber nicht jeder, der mich Mäuschen oder Pussy oder ich weiß nicht was
nennt, das ist kein Problem, das muss ich aushalten."

Und weiter, im Stakkato, ohne Punkt und Beistrich, direkt an den männlichen
Interviewer gerichtet: "Wenn Sie mir jetzt mitten in diesem Gespräch oder
nachher, wenn ich durch den Volkspark heimgehe, mich quasi anfallen und mir
wo hin greifen, würde ich auch erst versuchen, mein Bein solide zu
platzieren, und dann würde ich um Hilfe schreien. Wenn ich jetzt aber mit
Ihnen bereits zwei Flaschen Wein getrunken haben, es ist morgens halb drei
an der Hotelbar und Sie machen das, würde ich vermutlich auch sagen 'Heute
mal nicht, lass mal .', aber ich würde doch keinen Skandal draus machen.
Also das ist das, was ich an diesen Diskussionen so einfach wirklich tief
nicht verstehe, dass man diese ganzen Situationen . und ich meine, wir haben
ein Rechtssystem, was dafür da ist, sozusagen den konkreten Fall zu
betrachten. Und ich würde auch sagen, natürlich, es gibt Fälle, wo bereits
das Angrapschen ein schlimmer Übergriff ist, den ich in keinem Fall will, es
gibt aber sehr viele Fälle . und wir wissen, dass die meisten sexuellen
Delikte eben nicht die sind, wo einer im Park angegrapscht wird, sondern wo
man sich kennt."

Resümee: Es ist alles sehr kompliziert. Vielleicht ist das das wirkliche
Verdienst der #metoo-Debatte: Daß die Kompliziertheit und
Differenzierungsnotwendigkeit erkannt wird.

https://www.schlaglichter.at/metoomuch/
http://www.wienerzeitung.at/meinungen/gastkommentare/928295_Die-Hashtag-Justiz.html
https://kurier.at/politik/inland/wehrlos-gegen-das-geruechtsurteil/297.576.267
http://www.deutschlandfunkkultur.de/thea-dorn-zur-sexismus-debatte-das-ist-ein-neuer.1008.de.html?dram%3Aarticle_id=400306

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> WKO: Türkis ist das neue Schwarz

Einen interessanten Focus legt der "trend" auf die derzeitige Umfärbung der
Republik. Denn tatsächlich ging eine Personalie ohne viel mediales Interesse
über die Bühne: Die Neugestaltung der Wirtschaftskammer! Denn dort ist die
Umfärbung von Schwarz auf Türkis am Deutlichsten zu spüren: "Im Universum
der 'neuen' ÖVP stellte Harald Mahrer von Anfang an einen Fixstern dar.
Spekulationen, dass der Noch-Wirtschaftsminister der nächsten Regierung
nicht mehr angehören wird, waren zwar durchaus begründet. Aber vor allem
deswegen, weil ÖVP-Boss Sebastian Kurz für Mahrer, 44, einen anderen Platz
im Auge hatte. Er wünscht sich einen Vertrauensmann an der Spitze von
Wirtschaftsbund und Wirtschaftskammer (WKO). ... Politische Beobachter,
die - nach dem Motto 'Schau´ ma amal' - ein Hauen und Stechen in der WKO
erwartet hatten, wurden einmal mehr überrascht. Auch diese Personalie hat
der Kurz-Trupp schlicht und einfach durchgezogen." Und: "Die hinter
vorgehaltener Hand formulierte Kritik, Harald Mahrer sei ja gar kein
klassischer Unternehmer, ist nicht ganz aus der Welt. Als ehemaliger
Gesellschafter der PR-Agentur Pleon Publico, Gründer der
Zwei-Mann-Unternehmensberatung cumclave oder Partner seiner Frau Andreas
Samonigg-Mahrer, die das familieneigene Krankenhaus in Spittal/Drau leitet,
entspricht der Betriebswirt nicht dem gängigen Bild, das viele
Kammermitglieder von einem Unternehmer haben. Er entspricht aber dem Bild,
das die neuen ÖVP-Granden von ihren Institutionen malen wollen: jung,
modern, unkonventionell. Eine Kammer, der - wie bisher - zu Themen wie
Digitalisierung, Wirtschaft 4.0 oder die Zukunft der Arbeit wenig einfällt,
verliert ihre Daseinsberechtigung." Und: "Wie Mahrer als Erfüllungsgehilfe
des künftigen Regierungschefs Kurz die von ihm selbst so hoch geschätzte
Unabhängigkeit der WKO vom Staat gestalten wird, bleibt jedoch eine
spannende Frage."

Und es gibt noch eine spannende Frage, die der "trend" nicht stellt: Wie
freiwillig war der Abgang von Christoph Leitl? Denn eines ist klar: Leitl
war ein Verfechter der Großen Koalition und der Sozialpartnerschaft. Und
damit eine vorprogrammierte Bruchstelle der schwarzblauen Regierung und
ihren Ideen vom Ende der Pflichtkammern. Auch wenn Mahrer ein Bekenntnis zum
Kammernstaat abgelegt hat, stellt sich noch eine Frage, nämlich, ob dies
nicht vielleicht nur war, um den Übergang sanft zu gestalten.
https://www.trend.at/standpunkte/kammerspiele-wko-harald-mahrer-8405804

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> Keine Schießeisen für Nebochanten

Die Blockade des Jemen ist das internationale Nachrichtenthema derzeit --
die Vereinten Nationen und andere warnen vor einer humanitären Katastrophe
unvorstellbaren Ausmaßes. Die Blockade begründet Saudi-Arabien mit
Waffenlieferungen aus dem Iran. Aber wer beliefert Saudi-Arabien mit Waffen?
Nun, kurz gesagt: Alle! Alle waffenexportierenden Länder, natürlich auch
Österreich. Das EU-Parlament forderte im September ein Waffenembargo gegen
Saudi-Arabien. Passiert ist nichts. Doch jetzt gibt es ein Waffenembargo:
"Die EU-Außenminister haben heute Sanktionen und ein Waffenembargo gegen das
von einer Staatspleite bedrohte Venezuela auf den Weg gebracht." Das lesen
wir auf orf.at. Damit ist auch schon alles gesagt: Venezuela ist ein Land,
dessen Regierung nicht mit den USA und der EU verbündet ist und kein Geld
hat, um Waffen zu bezahlen. Das kann man boykottieren. Prinzipiell wäre ein
Waffenembargo ja gegen jedes Land der Welt sinnvoll -- die machen alle
nichts Gutes damit. Aber daß man ausgerechnet Saudi-Arabien, wo viel mehr
Grund bestünde, keine Waffen ins Land zu verkaufen, nicht mit Embargo
belegt, ist schon bezeichnend. Denn dieser Staat schwimmt ja in Geld. Laut
dem schwedischen Instiut SIPRI war Saudi-Arabien in den letzten fünf Jahren
der zweitgrößte Waffenimporteur weltweit. So jemanden kann man doch nicht
boykotieren.
http://orf.at/stories/2406795/
http://orf.at/stories/2414694/
https://kurier.at/politik/ausland/un-saudi-arabien-soll-jemen-blockade-beenden/298.120.200

Zeitungsleser: -br-




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