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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 8. November 2017; 19:49
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Debatte:

> Der gute Politiker

"Das Private ist politisch." "Das gesellschaftliche Sein bestimmt das
Bewußtsein." Beides richtig. Aber: Muß ein Politiker ein "guter" Mensch
sein? Natürlich, wenn ein Finanzminister sich als Steuerhinterzieher
entpuppt, ist er falsch auf seinem Posten. Eine Jugendministerin, die ihre
Kinder Scheiterknien läßt, ist wahrscheinlich auch nicht ganz das Wahre. Und
einem Justizminister, der seine Frau schlägt, ist wohl auch nicht zu trauen.
Ebenso steht es einem Gewerkschaftsfunktionär nicht gut an, sich von
Konzernchefs bestechen zu lassen. Aber sonst?

Wollen wir moralisch einwandfreie Politiker? Gibt es das überhaupt: Den
absolut integeren Menschen? Und: Nach welchen oder besser: wessen Kriterien?

Was verlangen wir von Politikern? Sollten wir nicht diejenigen wählen, die
am besten unsere Interessen und Überzeugungen vertreten? Nun, wir sind ja
gewöhnt, daß das Politiker sowieso nicht tun. "Gehns, die Leute wählen ja
nicht zum ersten Mal" heißts beim Travnicek. Wollen wir vielleicht deswegen,
daß Politiker wenigstens privat gute Menschen sind, weil politisch von ihnen
sowieso nur Schweinereien zu erwarten sind? Ist es deswegen in der Politik
so wichtig, eine hübsche Fassade zu präsentieren, weil wir meinen, wir
hätten eh nur die Wahl zwischen hübschen und häßlichen Arschlöchern?

Oder sollten wir nicht fragen: Welche Politik macht dieser Mensch? Denn: Man
kann wohl annehmen, daß es über jeden Politiker Geschichten gibt, mit denen
man ihn fertigmachen kann -- egal ob wahr, halbwahr oder frei erfunden. Es
ist nur eine Frage, wann diese Geschichten lanziert werden und wer das
tut -- und natürlich: warum. Genau deswegen aber wird ein Politiker
erpreßbar -- weil wir diese Geschichten so ernst nehmen und vor allem für
relevant für die Politik halten.

Aber wollen wir einen Korruptionsjäger abschiessen, weil er vielleicht ein
Grabscher ist? Oder ist jemand als Bundeskanzler untauglich, weil er keine
Auskünfte darüber geben will, was er so getrieben hat, als er Anfang Zwanzig
war? Oder ganz anders: Wollen wir jemanden nur deswegen nicht als
Innenminister, weil er vielleicht einmal ein Neonazi war? Konkret: Ein
Strache als Innenminister ist sicher eine grausliche Vorstellung, aber ist
sie grauslicher als die Praxis des bisherigen Ressortchefs?

Ist es nicht viel relevanter zu fragen: Welche Positionen vertritt ein
Politiker hier und heute glaubwürdig und mit Verve?

Man stelle sich mal folgendes Szenario vor: Da gäbe es einen Sozialminister,
der erstens eine Mindestsicherung durchsetzt, von der man leben kann,
zweitens das entwürdigende Regime beim AMS beendet, drittens für einen
angemessenen Mindestlohn sorgt und viertens Altersarmut abschafft, in dem er
den Nationalrat dazu bringt, für eine ordentliche Volkspension zu stimmen --
und dann stellt sich heraus, er hat aus welchen Motiven auch immer in seiner
Jugend einen mittlerweile verjährten Totschlag begangen. Oder er ist ein
Hitlerverehrer. Oder er hat seine Stiefkinder mißbraucht. Ehrlich, ich wäre
der erste, der eine Demo anmeldet, daß dieser Minister im Amt bleiben kann,
egal von welcher Partei er auch sein mag. Weil es mir egal ist, was dieser
Mensch sonst so treibt, solange sein politisches Engagement segensreich ist.

Wir müssen unsere Politiker nicht lieben können. Wir sollten sie auch gar
nicht lieben, denn sowas ist tatsächlich gefährlich. Wir müssen sie einfach
nur daran messen, was sie in ihrem Job tun. Und nicht, ob wir sie gerne bei
unserer Geburtstagsfeier mit dabei hätten.
*Bernhard Redl*



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